Nachruf auf die Sozialdemokratie

7. Februar 2023

Die Sozialdemokratie ist tot. Und das schon seit einiger Zeit. Als Untote wandelte sie noch lange unter uns. Aber ihr Herz schlug längst nicht mehr. Nun wird es offenbar, dass sie am Ende ist. Dass sie wie ein Phönix wieder aus der Asche steigt, ist nicht in Sicht.

Der Sozialismus betrat die Weltbühne als ein utopischer. Das Elend des Proletariats empörte und Vorstellungen von einer gerechten Zukunft wurden entwickelt. Der Weg, wie man dorthin kommen sollte, war diffus. Man glaubte an die Einsicht der Mächtigen.

Mit Marx und Engels wurde aus einer humanistischen Idee eine materialistische Analyse der Geschichte. In der Abfolge von Klassenkämpfen sollte mit dem Proletariat jene Klasse zum Subjekt werden, dass den Kapitalismus überwindet und die klassenlose Gesellschaft errichtet. Dazu musste es sich nur bilden und sich bereit machen, wenn die kapitalistischen Krisen ihr die Chance auf die Revolution eröffnen.

Doch der Kapitalismus erwies sich als krisenfester und die Weltrevolution blieb aus. Sozialistische Parteien zogen in die Parlamente ein und sahen zunehmend im Reformismus einen Weg in eine bessere Zukunft. Die proletarische Revolution war nicht mehr für alle das Ziel.

Vor dem 1. Weltkrieg einigte sich die Internationale darauf, den Krieg als imperialistische Ausformung des Kapitalismus zu bekämpfen. Man konnte sich aber nicht darauf verständigen, im Ernstfall geschlossen den Generalstreik in die Waagschale zu werfen. Als durch die Schüsse von Sarajevo die Katastrophe sich den Weg bannte, zerbrach die Internationale und die sozialdemokratischen Parteien unterstützen oftmals sogar das Kriegstreiben der eigenen Nationen. Ein Sündenfall, der das weitere Schicksal des Sozialismus entscheidend beeinflusste. Gerade in dem Moment, wo ihr entschlossenes Handeln gefragt ist, versagt sie.

Während und nach dem Krieg war die kapitalistische Ordnung schwer erschüttert. In Russland nutzen die Bolschewiken einen revolutionären Moment, um an die Macht zu kommen, und erklärten Russland zur sozialistischen Republik. Doch weder in Europa, noch weniger in Amerika folgte man dem Beispiel. Lediglich in Ungarn und Bayern kamen kurzzeitig Rätesysteme an die Macht. Isoliert vom Rest der Welt und feindlichen Truppen im eigenen Land gegenüberstehend, entwickelte sich die Sowjetunion nicht zum wahren Sozialismus, sondern in ein Terrorregime, welches dem Staatssozialismus huldigte und das in dem grausamen Despoten Stalin ihren Höhepunkt fand.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie war die bürgerliche Klasse in Österreich geschwächt und ermöglichte aus Angst vor der Revolution den Sozialdemokraten eine Vielzahl von sozialpolitischen Errungenschaften. Diese Reformen zogen die Sozialdemokraten gegenüber der Option vor, sich der ungarischen Räterepublik anzuschließen. Sie befürchteten, von den Ententemächten militärisch und ökonomisch in die Knie gezwungen zu werden.

In der Weimarer Republik gab die Sozialdemokratie durch ihre unrühmliche Rolle bei der Ermordung von Liebkecht und Luxemburg und der Niederschlagung revolutionärer Aufstände von Anfang an wenig Hoffnung. Unter Scheidemann und Ebert verlor die SPD zunehmend an Macht und Einfluss. Als die vom Stalinismus verblendete KPD schließlich lieber mit der NSDAP stimmte, als an der Seite der sogenannten „Sozialfaschisten“ zu stehen, war es um die Republik geschehen. Hitler kam an die Macht, vernichtete alle oppositionellen Kräfte und führte das Land in einen selbstzerstörerischen Krieg. In Italien war Mussolini mit seinen Schwarzhemden schon einige Jahre früher an die Macht gekommen und wütete gegen seine ehemaligen Genossinnen und Genossen.

Weil die Revolution ausblieb, nahm die Bourgeoisie in Österreich wieder das Zepter in die Hand. Die Sozialdemokratie unter Otto Bauer pflegte in ihren Reden die revolutionäre Rhetorik, befand sich aber machtpolitisch auf dem Rückzug. Als immer klarer wurde, dass auch in Österreich die Bourgeoisie den Weg des Faschismus einschlagen wird, um allen sozialistischen Bestrebungen das Genick zu brechen, verzichtete man so lange auf den bewaffneten Widerstand, bis dieser keine Chance mehr hatte. Als 1934 Teile des Schutzbundes zu den Waffen griffen, war die Sozialdemokratie schon so geschwächt, dass die Niederlage vorprogrammiert war. Die wohl letzte Möglichkeit, dem Sozialismus die Bahn zu brechen, verstrich ungenutzt.

Nach dem 2. Weltkrieg zeigte sich der Kapitalismus aufgrund der gigantischen Zerstörungen einsichtig, mit der Unterstützung von Faschismus und Nationalsozialismus zu weit gegangen zu sein. Es wurde über Jahrzehnte eine Allianz zwischen Kapital und Arbeit beschworen, die mit Fordismus und Keynesianismus einen Wohlfahrtsstaat etablierte, der der Lohnarbeit einen steigenden Anteil der Wertschöpfung zusicherte.

Irgendwann ging dies den Kapitaleignern aber doch zu weit. Die Ölkrise der Siebzigerjahre wurde genützt, um nach jahrzehntelangen Vorbereitungen mit dem Neoliberalismus eine neue hegemoniale Ideologie zu etablieren. Eine Sozialdemokratie, die mit der Abdankung revolutionärer Absichten ihr Herz verloren hatte, konnte dieser „Umkehrung aller Werte“ wenig entgegenzusetzen. Als eine Art Zombie konnte sie unter Persönlichkeiten wie Kreisky oder Brandt zwar in vorbildlicher Weise den konservativen Mief der Nachkriegsgesellschaft wegfegen, aber an den sozioökonomischen Machtverhältnissen rüttelte sie nicht mehr.

Als die Sowjetunion zusammenbrach, nutzte die Sozialdemokratie ihre Mehrheiten in vielen europäischen Staaten nicht, um nach dem Ende des „real existierenden Sozialismus“ einem demokratischen Sozialismus zum Durchbruch zu verhelfen. Stattdessen beschränkte sie sich darauf, die Auswüchse des „Siegers der Geschichte“ sozialpolitisch ein wenig abzuschwächen. Ein sogenannter „dritter Weg“ entpuppte sich als Hohn auf den wahren Sozialismus. Kein Wunder also, dass immer weniger Menschen ihr Glauben schenkten und sie wählten.

Wenn die Sozialdemokratie wie in Deutschland unter Schröder eine arbeitnehmerfeindliche „Agenda 2020“ verfolgte und heute unter Scholz mit Panzerlieferungen an die Ukraine wieder geopolitisch mitmischen möchte, wenn sie wie in Österreich in der Opposition nur noch mit einer peinlichen Vorsitzenden-Debatte für Aufmerksamkeit sorgt, wird offensichtlich, die Leiche stinkt schon. Wer mag da noch glauben, dass sie irgendwann wie Phönix wieder aus der Asche hochsteigen wird?