Hans Rosling: Der Darling der Neoliberalen

7. Dezember 2020

Der an Bauchspeichelkrebs verstorbene schwedische Mediziner Hans Rosling hat gemeinsam mit seiner Familie ein Buch verfasst mit dem Titel: Factfulness*. Voller „Fakten“ über verschiedene Aspekte der Entwicklung der Welt ist dieses Buch tatsächlich. Sein Motiv für das Buch und die zahllosen Vorträge, die er über viele Jahre hinweg gehalten hat: Die Menschen, die die Welt viel pessimistischer sehen, als sie in Wirklichkeit sei – vor allem in den wohlhabenden Ländern – durch Fakten aufklären. Rosling sagt, er hätte herausgefunden, dass die Mehrheit der Menschen, die Lage bei Armut, Bildung und Gesundheit wesentlich schlechter einschätzte, als die tatsächlichen Faktenlage sei. Seine Arbeit solle die Instinkte hinter diesem Pessimismus aufzeigen (Kluft, Negativität, Angst, Verallgemeinerung, Schuldzuweisung, Dringlichkeit usw.) und diese mit den Fakten konfrontieren, um so ein Umdenken auslösen.

Gibt es an dieser Aufgabe etwas auszusetzen? Nun, dass neoliberale Think Tanks in letzter Zeit die Arbeit von Rosling in höchsten Tönen loben, sollte zu denken geben. Und tatsächlich, wenn man bei Rosling genauer hinsieht, wird offensichtlich, dass einige Teile seiner Ergebnisse für ein zutiefst ideologisches Programm benutzt werden können. Mit der Betonung des Faktencharakters soll dies gerade verschleiert werden.

Rosling soll natürlich nicht mit der ideologischen Ausschlachtung durch die neoliberalen Denkfabriken gleichgesetzt werden. Sein Buch zeigt interessante Entwicklungen auf und fesselt durch die Schilderung seiner Erfahrungen als junger Arzt in Afrika und in einer Notaufnahme in Schweden. Einiges an seiner Kritik an der Medienlogik ist durchaus berechtigt. Selbstverständlich sind Medien davon getrieben, durch Dramatisierung Aufmerksamkeit zu erlangen. Und selbstverständlich darf man seine Augen nicht vor den Fakten verschließen, die Auskunft über globale Entwicklungen geben.

Rosling macht es mit einigen seiner Daten den Neoliberalen jedoch viel zu leicht, dass man ihn instrumentalisiert. Von dieser Schuld kann er nicht einfach freigesprochen werden. Er selbst stellt seine Fakten als Gegensatz zur Ideologie dar (z.B. amerikanisches Gesundheitssystem, Kuba). Tatsächlich erlangen Fakten erst im Rahmen der richtigen Ideologie ihre Bedeutsamkeit.

Roslings Methode

Sehen wir uns zwei Beispiele aus seinem Buch an, um die problematische Seite an seiner Arbeit aufzuzeigen. Seine erste Frage an das Publikum in seinen Vorträgen lautet: Wie viele Mädchen absolvieren heute die Grundschule in den Ländern mit niedrigem Einkommen? A: 20 Prozent; B: 40 Prozent; C: 60 Prozent? Die richtige Antwort ist C und das wird von den meisten falsch beantwortet. Wenn 60 Prozent der Mädchen in diesen Ländern die Grundschule absolvieren, dann ist ja alles gut. Moment mal! 60 Prozent ist der höchste Wert der möglichen Antworten. Ist das aber auch ein Wert, der als positiv zu bewerten ist? Nein, natürlich nicht. Zufriedenstellend wäre erst ein Wert über 95 Prozent. Wenn Rosling nur unbefriedigende Optionen abfragt,  suggeriert das: Ist  der höchste dieser Werte korrekt, dann steht es gut um unsere Welt. Außerdem lässt Rosling die Testpsychologie außer Acht: Wenn Menschen bei einer Antwort unsicher sind, wählen sie eher die mittlere Option. Das unterscheidet sie von dem von Rosling bemühten Zufallsgenerator Schimpanse.

Worauf sich Rosling sehr stark fokussiert, das ist, die Veränderungen zum Positiven hervorzuheben. Die Kindersterblichkeit ist gesunken, die Rate der geimpften Kinder ist gestiegen, die Lebenserwartung ist gestiegen, die extreme Armut hat abgenommen. Wenn etwas besser geworden ist, dann muss doch jeder zustimmen, dass unsere Welt sich positiv verändert hat. Das ist das, was die Neoliberalen an Roslings Arbeit schätzen. Sie es erlaubt ihnen, diese Entwicklung als Erfolg ihrer Ideologie darzustellen. Rosling betont jedoch, dass etwas, das sich verbessert hat, noch immer schlecht sein kann. Aus meiner Sicht gilt dies insbesondere für die globale Armut, wo es Verbesserungen gibt, aber die Mehrheit der Menschen noch immer in Armut lebt. Wie sieht das jedoch Rosling? Das zeigt das zweite Beispiel.

Armut und Reichtum im globalen Maßstab

Die dazugehörige Frage Roslings lautet: Wo lebt die Mehrheit der heutigen Weltbevölkerung? A: In Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen? B: In Ländern mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen? C: In Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen? Die richtige Antwort ist: 75 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen. Hier ist überraschenderweise nicht der beste Wert die richtige Antwort. Der Clou dabei ist jedoch, wie Rosling diese Ländergruppen definiert. Er verteilt die Weltbevölkerung in vier Gruppen: Stufe 1: Pro-Kopf-Einkommen weniger als 2 Dollar pro Tag. Stufe 2: Pro-Kopf-Einkommen weniger als 8 Dollar pro Tag. Stufe 3: Pro-Kopf-Einkommen weniger als 32 Dollar pro Tag. Stufe 4: Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 32 Dollar pro Tag. Rund eine Milliarde Menschen lebt auf Stufe 1, rund drei Milliarden auf Stufe 2, rund zwei Milliarden auf Stude 3, rund eine auf Stufe 4. Indem er die beiden mittleren Stufen zusammenfasst, kommt Rosling zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen lebt.

Man kann ruhig eingestehen, dass sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, also weniger als 2 Dollar am Tag zur Verfügung hat, in den letzten zwanzig Jahren deutlich verringert hat; Rosling sagt, dass er sich halbiert hat. Das bedeutet aber nicht, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung der Mittelschicht angehört und es daher keine Kluft zwischen Reich und Arm mehr gibt, wie uns Rosling suggerieren möchte. Nach den Maßstäben von reichen Ländern wie Schweden oder Österreich sind alle Menschen auf den Stufen 1 bis 3 arm! Mit weniger als tausend Dollar im Monat ist man hier kein Teil der Mittelschicht. Es hat Fortschritte bei der extremen Armut gegeben – keine Frage. Damit ist das Problem der Kluft zwischen Reich und Arm aber nicht aus der Welt geschafft. In der Reichenforschung, auf die Rosling überhaupt nicht eingeht, befasst man sich nicht mit Personen, die mehr als tausend Dollar im Monat verdienen. Erstens sieht man sich nicht das Einkommen, sondern das Vermögen an, weil hier die Kluft noch viel größer ist. Zweitens liegt das oberste 1 oder gar 0,1 Prozent in ganz anderen pekuniären Sphären als die von Rosling herangezogenen Grenzwerte: Es geht bei Reichtum um Multimillionäre und Milliardäre, die ihren Reichtum dafür nutzen können, Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Der Heros der Neoliberalen

Die neoliberalen Think Tanks lieben an Rosling, dass er durch die geschickte Wahl seiner Abstufungen, es nahezulegen scheint, man müsse optimistisch auf die Welt blicken, da sie sich in eine gute Richtung entwickelt. Der höchst ideologische Charakter der Arbeit von Rosling liegt darin, dass er durch die geschickte Aufbereitung von Fakten neoliberale Denkfabriken mit jener Munition versorgt, die Kritik am ungerechten Zustand der Welt zum Schweigen  bringen soll. Das Aufzeigen von Ungerechtigkeit wird als ein Pessimismus diagnostiziert, der durch das Verbreiten der objektiven Fakten über die Welt geheilt werden kann. Wie schon oben gesagt: Rosling erlaubt dem Neoliberalismus, sich für die positive Entwicklung auf die Schulter zu klopfen.

Dafür wird er von ihnen in den Olymp unter den Sachbuchautoren erhoben. Sie sind ihm unglaublich dankbar dafür, dass er nahelegt, der Feldzug für mehr Gerechtigkeit sei nicht mehr notwendig, weil sich die Welt ohnehin auf dem richtigen Weg befinde. Mit Roslings Abstufungen können sie behaupten, es gebe in den wohlhabenden Ländern gar keine Armut mehr. Niemand befindet sich hier auf Stufe 1 oder 2. Dies impliziere auch, mit den horrenden Auswüchsen des Reichtums müsse man sich nicht befassen. Rosling eilt ihnen hier leider zu Hilfe, indem er die Beschäftigung damit dem Instinkt der Kluft zuordnet, der einen Gegensatz dort suche, wo er nicht vorhanden sei. Dieser Instinkt übersehe nämlich, dass die Mehrheit der Menschheit (laut Roslings Abstufung) auf mittlerem Niveau lebe. Wie wir weiter oben aufgezeigt haben, geht dies auf die Definition der Abstufungen zurück. Zieht man andere Maßstäbe heran, die die Situation adäquater beschreiben, befindet sich die Mehrheit der Menschheit nach wie vor in Armut, lediglich die extreme Armut hat abgenommen; und der Reichtum bedroht Demokratie und Zusammenhalt der Gesellschaft.

Fakten und Ideologie

Die Aufgabe der Kritik von linker Seite ist es, dieses durchschaubare Manöver den neoliberalen Denkfabriken (und auch Rosling) nicht durchgehen zu lassen. Man muss die Menschen verstärkt darüber aufklären, dass nicht nur Fake News in die Irre führen.  Fakten können geschickt aufbereitet werden, sodass ihre ideologische Funktion übersehen wird. Fakten sind keine Garantie, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir müssen verstärkt jene intellektuellen Kompetenzen vermitteln, die es erlauben zu durchschauen, wenn Fakten in den Dienst einer falschen Ideologie gestellt werden.

Wenn Neoliberale Fakten auf dem Präsentierteller feilbieten, kann man sich darauf verlassen, dass diese Fakten dem Zweck dienen, ihre Ideologie gegen Kritik zu immunisieren. Es wird dabei nicht der Schleier der Maya gelüftet, sondern es wird versucht, die Möglichkeiten des kritischen Denkens unter einer geschickt zusammengetragenen Faktensammlung zu ersticken.

Der Kampf gegen Ungleichheit muss weiterhin ganz oben auf der Agenda stehen.

*Hans Rosling, Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Berlin 2018.


Erbschaftssteuer und Chancengleichheit

6. Dezember 2016

In einem Blogartikel habe ich vor einigen Jahren die Frage gestellt, ob Chancengleichheit und  absoluter Schutz der Eigentumsrechte miteinander vereinbar sind. Unter Bezugnahme auf John Rawls‘ „Theorie der Gerechtigkeit“ bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass in der modernen liberalen Philosophie die Grundfreiheit des Eigentumerwerbs und -besitzes der Verteilungsgerechtigkeit übergeordnet wird, weil die Verwirklichung von Gleichheit als mögliche Unfreiheit beargwöhnt wird.

atkinsonDiesmal will ich, angeregt durch Überlegungen des altehrwürdigen Doyens der Ungleichheitsforschung, Tony Atkinson, die Frage neu stellen: Kann Chancengleichheit nur durch eine umverteilende Erbschaftsbesteuerung verwirklicht werden? In seinem Buch „Inequality. What can be Done?“ (Harvard University Press 2014) beruft sich Atkinson auf das liberale Prinzip der Chancengleichheit, stellt aber gleichzeitig klar, dass die Chancengleichheit nicht ohne Maßnahmen zur Reduktion der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hergestellt werden kann. Wieso müssen wir ihm bei diesem Punkt beipflichten? Sehen wir dazu die Rolle von Erbschaften an.

Erbschaft und Chancengleichheit

Wenn durch Erben Vermögen von einer Generation auf die nächste übergehen kann, dann führt das zu sehr ungleichen Startbedingungen von Menschen.Chancengleichheit ist nämlich nur dann gegeben, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu entwickeln und zu entfalten. Wenn der/die Eine in einer Familie groß wird, wo die finanziellen Ressourcen den Besuch von teuren Privatschulen und Eliteuniversitäten ermöglichen, während der/die Andere in eine Familie hineingeboren ist, wo durch manifeste Armut am Ende des Pflichtschulbesuchs der ökonomische Druck dazu nötigt, schnellstmöglich selbst eigenes Einkommen zu erwerben – dann kann man nicht von Chancengleichheit sprechen. Auch wenn in einem Land wie Österreich durch ein gut entwickeltes öffentliches Bildungswesen die Unterschiede in den Möglichkeiten limitiert sind, muss man zusammenfassend den Schluss ziehen, dass das Erbschaftssystem auch hier dafür Sorge trägt, dass sich die ungleiche Verteilung von Chancen über Generationen hinweg fortsetzt. Eine Schande für Österreich ist, dass seit einigen Jahren völlig auf die Wirkung einer Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung verzichtet wird.

Eine Erbschaftssteuer muss her!

Denker wie Atkinson gehen zwar nicht so weit, im Dienste der Chancengleichheit die Einführung einer  hundertprozentigen Erbschaftssteuer zu fordern. Aber wenn man seinen Vorschlag einer Erbschaft für alle ernst nimmt, sollte man so weit gehen. Erst so könnte die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass jeder Bürger die gleiche Chance auf eine erfolgreiche Entwicklung erhält. Mit einem bestimmten Alter (z.B. mit 19 Jahren) sollte durch diese Steuer finanziert jeder Staatsbürger das gleiche Startkapital erhalten (Atkinson schlägt für Großbritannien lediglich 10.000 Pfund vor). Das würde jedem Jungbürger ermöglichen,  sich eine gute Ausbildung zu finanzieren oder den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen oder längere Zeit auf Reisen zu gehen und die Welt kennenzulernen. Im ungünstigsten Fall wird das Geld einfach für sinnlose Konsumausgaben auf den Kopf gehaut – das ist die Kehrseite der Freiheit. Wenn man es mit der Chancengleichheit ernst meint, muss man diesen Vorschlag unterstützen.

Da eine hundertprozentige Erbschaftssteuer ein zu großer Bruch mit dem gewohnten System der Vermögensweitergabe  und der weit verbreiteten Vorstellung des Verfügens über Eigentum über den Tod hinaus ist, wäre es ein wichtiger ersten Schritt, wenn in Österreich wenigstens eine Erbschaftssteuer auf dem Niveau Deutschlands eingeführt wird: d.h. eine Erbschafts- und Schenkungssteuer mit hohen Freibeträgen für nahe Verwandte und starker Progression der Steuersätze mit der Höhe des Vermögens, das weitergegeben wird. Dass ein Multimilliardär wie Mateschitz in Österreich sein gigantisches Vermögen steuerfrei weitervererben kann, ist ein Skandal und tritt die Idee der Chancengleichheit mit Füßen!


An Josef Pröll: Gerechtigkeit ist nicht mit Neid gleichzusetzen

5. Dezember 2010

Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll hat in einem Interview mit dem Standard in Richtung SPÖ gesagt, diese würde mit ihrer Forderung der Einführung einer Vermögenssteuer den Neid gegen Eigentum schüren.

Wenn die Sozialdemokratie Hand in Hand mit der Gewerkschaft unter Schlagwörtern wie „Zeit für Gerechtigkeit“ und „FAIR teilen“ mehr Verteilungsgerechtigkeit fordert, dann hat das nichts mit Neid zu tun. Vielmehr geht es bei diesen Forderungen darum, einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen endlich entgegenzutreten. Stark steigende Gewinne und Managergehälter auf der einen Seite, stagnierende Entwicklung der Reallöhne auf der anderen Seite haben in den letzen 25 Jahre dazu geführt, dass die Einkommensschere in Österreich immer weiter auseinandergeht und Vermögen immer stärker konzentriert ist.

Wenn man darauf aufmerksam macht und Korrekturen fordert, dann stellt das für Josef Pröll eine Neiddebatte dar, die die falschen treffe. Ihm liegen ja die Leistungsträger am Herzen, die nach seinen Worten die Hauptlast der Steuereinnahmen zu tragen hätten. Richtig ist, dass bei der Lohnsteuer die oberen Einkommensbereiche den größten Teil der Einkommensteuereinnahmen zu tragen haben. Zieht man jedoch die Gesamtbelastung heran, die die Haushalte an zu leisten haben (Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträge, Umsatzsteuer), und berücksichtigt auch, wie stark Vermögen und Vermögenszuwächse (wo beides ja überwiegend nur in den obersten Einkommensbereichen vorhanden ist) besteuert werden, dann sieht die Bilanz jedoch ganz anders aus: Rechnet man Einkommen-, Umsatzsteuer und Sozialversicherung zusammen, dann ist die Belastung der Haushalte über alle Einkommensbereiche ziemlich gleich (sie steigt zunächst leicht an, sinkt aber im obersten Bereich wieder ab).

Vermögen wiederum ist praktisch steuerfrei, seit die Erbschafts- und Schenkungssteuer abgeschafft wurde. Diese Abschaffung wird damit gerechtfertigt, dass jene geschützt werden sollen, die von ihren Eltern eine Eigentumswohnung oder ein Einfamilienhaus erben. Jene wären aber auch durch entsprechend großzügige Freibeträge von dieser Steuerleistung auszunehmen. Wer tatsächlich von dieser Abschaffung profitiert, das sind jene Unternehmerfamilien, wo steuerfrei Vermögenswerte von Millionen oder gar Milliarden Euro weitergegeben werden. Lediglich über die Grundsteuer (die jedoch aufgrund eines völlig unzeitgemäßen Einheitswertes berechnet wird) fließen dem Staatshaushalt Einnahmen aus dieser Kategorie zu (das sind weniger als 1,5% des Gesamtsteueraufkommens).

Vermögenszuwächse werden ab 2011 einheitlich mit einer 25%tigen Quellensteuer belegt. Somit leisten Wertpapierspekulanten den gleichen Beitrag wie der/die Pensionist/in, der sein Erspartes auf einem Sparbuch hat. Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit wird jedoch mit einem Steuersatz bis zu 50% belegt.

Auf eine Antwort von Josef Pröll auf dieses Ungleichgewicht der steuerlichen Belastung von Arbeit und Kapital sowie auf die immer ungleichere Verteilung des Vermögens warten wir seit Jahren vergeblich. Wie es aussieht, werden wir noch weiter warten müssen.


Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

3. Oktober 2010

Wie ich in meinem Weblog schon öfter dargelegt habe, steckt in dem Wort „Steuer“ das Verb „steuern“, das lenken und gestalten bedeutet. Steuern sind daher ein politisches Gestaltungsmittel, um eine Gesellschaft zu lenken und für den Staat die Voraussetzung schlechthin, um seine Aufgaben zu erfüllen. So werden über die Steuereinnahmen etwa öffentliche Einrichtungen finanziert, die Güter und Dienstleistungen gewährleisten, die von den privaten Unternehmen nicht oder nicht im notwendigen Ausmaß abgedeckt werden (z.B. Landesverteidigung, Schulen, Polizei, Gerichtswesen, öffentlicher Verkehr, Müllentsorgung usw.).

Weiters können mittels Steuern für die Allgemeinheit unerwünschte Verhaltensweisen im Rahmen einer freien Marktwirtschaft gelenkt werden (z.B. sollen Ökosteuern dazu anleiten, den Verbrauch fossiler Brennstoffe gering zu halten und vermehrt nachhaltige Energiequellen zu nutzen, die Tabaksteuer soll Raucher über die hohen Kosten zum Überdenken ihres gesundheitsschädlichen Verhaltens bringen).

Durch die Erhöhung oder Senkung von Steuern kann auch ein stabilisierender Einfluss auf das Wirtschaftswachstum ausgeübt werden. Im Falle einer Wirtschaftskrise, wie sie z.B. derzeit (noch immer) vorliegt, kann somit das Wachstum angekurbelt werden, indem durch Steuersenkungen die Kaufkraft der KonsumentInnen erhöht wird, die in Folge der Finanzkrise das letzte Bollwerk gegen den Abschwung darstellt. Welche Bedingungen muss ein Steuersystem daher erfüllen, um gerecht auszufallen?

Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

Der wichtigste Effekt einer gelungenen Steuer- (aber natürlich auch Sozial-)politik besteht jedoch in der Transferfunktion, d.h. darin, dass die Einkommensunterschiede geringer werden, indem hohe Einkommen stärkere Abzüge haben und sehr niedrige EinkommensbezieherInnen staatliche Zuwendungen erhalten. D.h. in der Umverteilung des Vermögens innerhalb einer Gesellschaft, wo Einkommen und Vermögen ohne diesen Eingriff sehr ungleich verteilt wären, liegt die Hauptaufgabe der steuerpolitischen Gestaltung, um Solidarität und Gerechtigkeit herzustellen.

Damit ein Steuersystem nun dem Prinzip der Fairness genügt, sollte es folgende Kriterien erfüllen. 1. Die Steuerbelastung erfolgt nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. D.h. über je mehr Einkommen jemand verfügt, desto höher sollte im Verhältnis die Steuerleistung ausfallen. Erfüllen lässt sich dieses Prinzip durch eine progressive Staffelung der Steuersätze.

2. Die Steuerleistung ist nicht von der gesellschaftlichen Stellung oder dem Bildungsgrad abhängig. D.h. es gibt keine Gesellschaftsgruppen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung Privilegien genießen. Außerdem darf ein niedrigeres Bildungsniveau zu keiner Benachteiligung bei den steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten führen. Schließlich darf es auch keine bevorzugten Gruppierungen geben, die über größere Einflussmöglichkeiten auf die Politik verfügen, wodurch sie Vorteile hinsichtlich ihres solidarischen Beitrags zur Finanzierung des Wohlfahrtsstaates erlangen.

3. Die Erträge aus den Steuermaßnahmen werden zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen (ein für jeden leistbares Gesundheitssystem, eine solidarische Altersvorsorge, Sicherheit, Infrastruktur usw.) sowie zum Ausgleich der Benachteiligung jener Personen herangezogen, die im Spiel des konkurrierenden Wettbewerbs schlechte Karten gezogen haben. D.h. aus den Steuermitteln (und den Sozialabgaben) sollte der Staat einerseits ein Sozialversicherungssystem finanzieren, das nach solidarischen Grundsätzen sicherstellt, dass jeder die beste Gesundheitsversorgung erhält, unabhängig von seinem Einkommen, und jeder im Alter nach Beendigung seiner Arbeitstätigkeit seinen Lebensausklang in Würde und ohne Notlage gestalten kann. Weiters sollte der Staat aus seinen Einnahmen jene Institutionen finanzieren können, die für Sicherheit im Inneren und nach Außen sorgen (Polizei, Militär), und den Bau und die Pflege einer guten Infrastruktur (Straßen, Bahn, öffentlicher Verkehr, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser usw.) bewerkstelligen können, um die gesamte Bevölkerung mit jenen Voraussetzungen zu versorgen, die jedem ein sicheres und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Jenen schließlich, die über kein hinreichendes Einkommen aus selbstständiger oder unselbständiger Arbeit, aus Kapitaleinkünften oder Ähnlichem verfügen, sollte der Staat Zuwendungen zuführen, die diesen ein Leben in Würde und ohne große Not sowie eine Einbindung in die sozialen Beziehungen und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen ermöglichen.


Erbschaft und Chancengleichheit

17. August 2010

In der liberalen Philosophie hat die Chancengleichheit den allerhöchsten Stellenwert in Bezug auf Gerechtigkeit. Zugleich aber wird der Schutz des Eigentums als die wesentlich Funktion des Staates angesehen. Wir sollten also erwarten können, dass beide Prinzipien miteinander kohärent sind. Aber ist dem tatsächlich so? Sind das Prinzip der Chancengleichheit und der zum unabdingbaren Grundwert erklärte Schutz des Eigentums wirklich gleichermaßen in einer Gesellschaft verwirklichbar?

John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“, die Klimax der liberalen Weltanschauung im 20. Jahrhundert, kommt ausgehend vom Modell des Urzustands zur Konzeption einer gere chten Gesellschaft, die aus den liberalen Grundprinzipien ihre Postulate gewinnt. Denn Rawls kommt unter Voraussetzung dieses vermeintlich neutralen Modells zu dem Ergebnis, dass eine gerechte Gesellschaft zwei Prinzipien zu erfüllen habe:

  1. „Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System [von Freiheiten] für alle anderen verträglich ist.“ (TG 81)
  2. „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“ (TG 81)

Das zweite Prinzip (=Differenzprinzip) bei Rawls impliziert zwar, dass eine gerechte Gesellschaft eine soziale Komponente haben muss. Da jedoch bei Rawls das erste Prinzip den Primat gegenüber dem zweiten genießt, sodass etwa die Grundfreiheit des Eigentumerwerbs und -besitzes der Verteilungsgerechtigkeit übergeordnet ist, und da das Differenzprinzip nur eine sehr schwache Ausprägung des sozialen Ausgleichs zulässt, führt die liberale Theorie der Gerechtigkeit dazu, dass zwar die Chancengleichheit als Prinzip beschworen wird, ihre Verwirklichung aber als mögliche Unfreiheit beschränkt wird.

Denn in einer Gesellschaft, die mit einem Erbschaftsrecht dafür Sorge trägt, dass der Schutz des Eigentums in der Form funktioniert, dass das Eigentum von einer Generation auf die nächste übergehen kann, muss mit Recht der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkung dies auf die Chancengleichheit in einer solchen Gesellschaft hat. Chancengleichheit ist nämlich nur dann gegeben, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft die gleiche Möglichkeit haben, die Chancen auf Entwicklung und Entfaltung zu ergreifen. Aber kann diese Möglichkeit in gleicher Weise gegeben sein, wenn der/die Eine in einer Familie groß wird, wo die finanziellen Ressourcen den Besuch von teuren Privatschulen und elitären Universitäten mit exorbitanten Studiengebühren ermöglichen – während der/die Andere in eine Familie hineingeboren ist, wo furchtbare Armut herrscht, sodass am Ende des Pflichtschulbesuchs in staatlichen Einrichtungen der Erwartungsdruck hoch ist, nun selbst einem Verdienst nachzugehen.

In einem gut entwickelten Sozialstaat wie Österreich wird gerne darauf verwiesen, dass der Besuch staatlicher Schuleinrichtungen gratis sei und ein ausgebautes Förder- und Stipendiensystem dafür sorge, dass alle die Möglichkeit hätten, höhere Bildung zu erwerben. Das soll nicht grundsätzlich bestritten werden. Dennoch sprechen alle Statistiken, die es zu diesem Thema gibt, eine deutliche Sprache: das Bildungssystem in Österreich ist sozial ziemlich undurchlässig! Nur ein geringer Teil der Kinder aus ArbeiterInnenhaushalten schließt ein Hochschulstudium ab – während AkademikerInnenkinder in hohem Ausmaß selbst auch ein Studium abschließen und in weiterer Folge höhergestellte Positionen inne haben.

Wer aus einer wohlhabenden Familie stammt, hat große Chancen im Schottengymnasium, oder gar in Salem zu maturieren, anschließend in Harvard oder Bologna den Master zu machen – und im höheren Management eines Unternehmens zu landen. Wer aus einer Hilfsarbeiterfamilie stammt, wird bestenfalls mit knapper Not die Pflichtschule abschließen und dann einer niederen Erwerbstätigkeit nachgehen, die durch häufige Phasen von Arbeitslosigkeit unterbrochen ist.

Und etwa zwischen 50 und 60 erbt der Spross aus einer wohlhabenden Familie wertvollen Immobilienbesitz, maßgebliche Unternehmensbeteiligungen und einiges an Geldvermögen. Für die eigenen Nachkommen ist also ein Finanzpolster gelegt, sodass sie ebenfalls die beste Ausbildung bekommen können.

Der Spross aus der Unterschichtfamilie schafft es gerade irgendwie, dass seine Eltern während ihrer letzten Lebensphase eine einigermaßen ausreichende Pflege bekommen. Am Ende muss er meist noch etwas drauflegen, wenn er ihnen nach dem Tod ein würdevolles Begräbnis zukommen lassen will. Zu erben gibt es in meisten Fällen nichts – eher noch sind Schulden von nicht abgezahlten Krediten vorhanden. Den eigenen Kindern wird in dieser Situation nahegelegt, möglichst frühzeitig von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit umzusatteln, da die finanziellen Mittel für den Besuch einer höheren Bildungseinrichtung nicht vorhanden sind. Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt der vermeintlichen Chancengleichheit.

Zusammenfassend muss somit der Schluss gezogen werden, dass das Erbschaftssystem in einer Gesellschaft dafür Sorge trägt, dass sich die ungleiche Verteilung von Chancen über Generationen hinweg fortsetzt. Erst durch die Einführung einer praktisch hundertprozentigen Erbschaftssteuer könnte also die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass jeder Bürger die gleiche Chance für eine erfolgreiche Entwicklung erhält. Denn mit einem bestimmten Alter (z.B. mit 21 Jahren) könnte durch diese Einnahmen jeder Staatsbürger die gleiche Summe erhalten (die sich aus der Summe der Erbschaftssteuereinnahmen des Vorjahres ergibt, geteilt durch die Anzahl der Staatsbürger, die diesem Jahr das entsprechende Alter erreichen), die es ihm ermöglicht, entweder eine gute Ausbildung zu finanzieren, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen oder längere Zeit auf Reisen zu gehen und die Welt kennenzulernen, – oder natürlich auch, unsinnige Konsumausgaben zu tätigen. Mit einer solchen Starthilfe hätte nun tatsächlich  jeder Staatsbürger die gleiche Chance, sich eine selbstbestimmte Existenz unter Ausnutzung aller seiner Möglichkeiten aufzubauen.

Da eine hundertprozentige Erbschaftssteuer jedoch die emotionale Bindung an den elterlichen Besitz vollkommen außer Acht lässt und wohl ein zu großer Bruch mit dem gewohnten System der Vermögensweitergabe wäre, könnte eine Kompromisslösung in einem Modell bestehen, das deutlich weiter geht als die Vorschläge der GPA-djp: Neben einem Freibetrag von EUR 100.000,– für alle Vermögenswerte wird bei Immobilien, die als Eigenheim des Erblassers fungiert haben, bis zu einem Wert von EUR 300.000,– nur eine Erbschaftssteuer von 5% eingehoben, für alle anderen Vermögenswerte ein Steuersatz von 20%. Über dem Wert von EUR 300.000,– sollte der Steuersatz für die Erbschaftssteuer dann generell in mehreren Abstufungen von 20% auf 60% bei einem Wert von mehr EUR 1,000.000,– ansteigen. Diese Einnahmen des Staates sollten, wie oben angeregt, dazu verwendet werden, allen Staatsbürgern mit einem bestimmten Alter die gleiche Starthilfe für den Aufbau einer selbstbestimmten Existenz zur Verfügung zu stellen.


Bernhard Felderers Kritik an den Steuerplänen der Regierung

17. April 2010

Der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) und  Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, Bernhard Felderer, hat am letzen Donnerstag die Steuerpläne der Regierungsparteien einer Kritik unterzogen. Sein Resümee lautet: Die derzeit diskutierten Steuererhöhungen können dem Budget zwar kurz Luft verschaffen, sanieren lässt sich der Staatshaushalt damit aber nicht. Seine Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanierung des Budgets: diese müsse in der Realität zumindest zu zwei Dritteln auf der Ausgabenseite, also durch Einsparungen, erfolgen. Die bisher diskutierten Steuervorschläge würden nach Berechnungen des IHS entweder viel zu wenig bringen oder das Wachstum zu stark bremsen.

Wie ist diese Einschätzung zu beurteilen? Dass die Sanierung zumindest zu zwei Dritteln auf der Ausgabenseite zu erfolgen habe, ist finanzpolitischer Fundamentalismus und wissenschaftlich nicht untermauert. Außerdem haben sich die Regierungsparteien darauf festgelegt, dass sie zu 60 Prozent bei den Ausgaben einsparen. Damit sind sie vom Wert Felderers nicht weit entfernt.

Die Steuerpläne der ÖVP:

Bei dem Vorwurf, die Steuerpläne der Regierungsparteien würden das Wachstum bremsen, ist zu differenzieren. Bei den Plänen von Finanzminister Josef Pröll und der ÖVP – einer „ökologischen Steuerreform“ -, die de facto auf eine Erhöhung der Treibstoff- und Heizkosten hinausläuft, ist ihm beizupflichten. Die höhere Abgaben auf Treibstoffe und Heizöl würde zu rund einem Drittel Private treffen (wo sie den Konsum abbremst) und zu zwei Dritteln die Wirtschaft, wo sie das Wachstum verlangsamt. Über diese Effekte würde das Steueraufkommen in anderen Bereichen gedrückt. Hinsichtlich des Effektes hat also Felderer sicher recht, wenn auch die genaue Höhe dieser Auswirkung nur schwer einzuschätzen ist, sodass seinen konkreten Zahlen nicht unbedingt zu trauen ist (bis zum zehnten Jahr würde die Steuer über diesen Effekt netto nur noch die Hälfte bringen; aber bis dahin würde die Steuer das Wirtschaftswachstum um 0,3Prozentpunkte dämpfen).

Die Steuerpläne der SPÖ:

Ganz anders sieht es bei den Steuerplänen der SPÖ aus, die Werner Faymann präsentiert hat. Felderer stellt den Nutzen von Bankenabgabe, Änderung bei der Stiftungsbesteuerung und Vermögenssteuern in Frage.

Zur Bankenabgabe:

Hier glaubt der IHS-Chef nicht an großartige Einnahmen. Bei der Bankensteuer hat sich die Regierung zwar bereits auf ein Aufkommen von 500 Mio. Euro im Jahr festgelegt. Nicht bedacht habe man dabei aber, dass die Banken „noch nicht dort sind, wo sie sein sollten“. Anders gesagt: Sie werden „noch sehr viel Kapital benötigen“ und haben deshalb nur eingeschränkte Melkkuh-Eignung. Es stimmt zwar, dass die österreichischen Banken große Probleme mit ihren Aktivitäten in Ost- und Südosteuropa haben. Nichtsdestotrotz schreiben die meisten von ihnen schon wieder gute Gewinne, die sie sehr wohl in die Lage versetzen, sich eine Bankenabgabe zu leisten und so Steuermehreinnahmen von 500 Millionen Euro im Jahr zu finanzieren.

Zur Stiftungsbesteuerung:

Die vom damaligen SP-Finanzminister Ferdinand Lacina in den Neunzigerjahren eingeführte Privatstiftung solle der Kapitalflucht entgegenzuwirken. Felderer hält es deshalb für nicht besonders schlau (und für den Staatssäckel auch nicht besonders ertragreich), diesen Prozess ohne Aussicht auf allzu große Staatseinnahmen umzukehren. Außerdem sieht er sogar die Gefahr eines Verfassungsbruchs: Die angedachte Erhöhung der Stiftungssteuern laufe dem Versprechen des Staates an rund 3300 Stiftungen zuwider. Zudem sei die niedrige Steuer nur eine Stundung: Bei Entnahme würden nochmals 12,5 Prozent Steuern fällig, mit den bei Stiftungsgründung bezahlten 12,5 Prozent entspreche das der Kapitalertragssteuer.

Zu diesem wahren Gruselkabinett an abstrusen Behauptungen rund um die Stiftungsbesteuerung ist einiges zu bemerken: 1. Die Angst vor der Kapitalflucht ist in diesem Zusammenhang stark übertrieben. Klarerweise ist Kapital sehr beweglich und kann blitzschnell außer Landes transferiert werden. Wahr ist aber auch, dass Kapitaleigner nicht nur auf die Höhe der Besteuerung schauen, sondern auch Wert auf die Sicherheit und die Lebensqualität eines Landes achtet. Und in dieser Hinsicht hat ihnen Österreich sehr viel zu bieten. 2. Was nützt es den anderen Menschen in einem Land, wenn Kapital im Lande verbleibt, es jedoch nicht angemessen besteuert wird, damit alle über Sozialtransfers davon profitieren können. 3. Die Verfassungskonformität einer Änderung bei der Stiftungsbesteuerung müssen die Verfassungsjuristen beurteilen. Eine Verfassungswidrigkeit ist aber sehr unwahrscheinlich. Denn sonst wären auch alle anderen Änderung bei den Steuern oder Pensionen nach dem gleichen Grundsatz nicht verfassungskonform. 4. Bei Felderers Vergleich zwischen Stiftungsbesteuerung und Kapitalertragssteuer auf Spareinlagen wird ein wichtiger Unterschied verschwiegen: Bei der KESt auf normale Spareinlagen sind 25% von den jährlichen Zinseinnahmen fällig. Bei den Privatstiftungen sind nur 12,5% von den Gewinnzuwächsen zu entrichten. Und bei der Ausschüttung der Gewinne an Begünstige sind einmalig (sic!) 25% zu entrichten.

Zur Vermögenssteuer:

Die Argumentation, höhere Vermögenssteuern seien ein Akt der Verteilungsgerechtigkeit und würden für eine gerechtere Verteilung des Volkseinkommens sorgen, hält Felderer für schlicht falsch: Aus dem europäischen Vergleich der vermögensbezogenen Steuern und des sogenannten Gini-Koeffizienten (der die Gleichmäßigkeit der Verteilung misst) lasse sich das jedenfalls nicht ablesen. Die Belastung mit vermögensbezogenen Steuern sei in den Niederlanden beispielsweise fast viermal so hoch wie in Österreich. Die Einkommensverteilung ist in den beiden Ländern aber annähernd gleich. Frankreich hat eine extrem hohe Belastung mit vermögensbezogenen Steuern – aber eine Einkommensverteilung, die sich nur unwesentlich von der österreichischen unterscheidet. Fazit des IHS-Chefs daher: Verteilungsgerechtigkeit erreicht man nicht mit Vermögenssteuern, sondern mit Transfers. Und das funktioniere in Österreich ohnehin gut. Felderer: „Die österreichische Umverteilung ist relativ wirksam, weil sie von ganz oben nach ganz unten verteilt.“

Einzig Grundsteuern hält Felderer deshalb für steuertechnisch sinnvoll. Sie ist die einzige Vermögenssteuer, die Sinn ergäbe, weil sich Immobilien eben nicht ins Ausland verlagern lassen. Aber: Entweder man setzt sie sehr hoch an und trifft damit „Häuslbauer“, Wohnungsbesitzer und Mieter sehr hart. Dann ist sie politisch nicht durchzusetzen. Oder man macht großzügige Ausnahmen für die Kleinen, dann bringt sie nicht viel.

Zu Felderers Analysen ist zu bemerken: 1. Dass der GINI-Koeffizient keinen Hinweis auf eine bessere Verteilungsgerechtigkeit durch höhere vermögensbezogene Steuern liefert, ist kein eindeutiges Indiz, da in der Volkswirtschaft ja bekannt ist, dass dieser Wert keine absolute Wertung der Konzentration der Verteilung liefert, wenn sich die Einkommensverteilung innerhalb der Segmente unterschiedlich entwickelt. 2. Dass Umverteilung durch Transfers erreicht werden kann, dem ist beizupflichten. Aber es ist zu ergänzen, dass der Staat  dazu Einnahmen braucht, die er auf diese Weise gerecht umverteilen kann. Vermögensbezoge Steuern und Vermögenssteuer sind eine höchst geeignete Quelle, um diese Transfers pekuniär zu füttern. 3. Dass der Mittelstand von Vermögenssteuern in Mitleidenschaft gezogen werden muss (auch in Form von Grundsteuern), damit sich diese rechnen, ist eine beliebte Mär der Kritiker von Vermögensteuern – und falsch. Das Vermögenssteuermodell der GPA-djp zeigt, dass auch mit Freibeträgen von 1 Million Euro – was den Mittelstand in jedem Falle vor Belastungen schützen würde – Mehreinnahmen von 3 Milliarden Euro im Jahre möglich sind.


Wen soll eine Vermögenssteuer treffen? – Teil 2

11. April 2010

Da meine Ausführungen zur Sinnhaftigkeit einer Vermögenssteuer aufgezeigt an den 5 reichsten ÖsterreicherInnen (bzw. deren Familien) große Zustimmung gefunden haben, möchte ich diese Überlegungen an dieser Stelle mit weiteren Beispielen fortsetzen.

Karl Wlaschek und Familie:

Geschätzes Vermögen: mehr als 3 Milliarden Euro. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wlaschek unter dem Pseudonym „Charly Walker“ als Pianist und Bandleader tätig. 1953 eröffnete Karl Wlaschek in Wien Margareten eine Parfümerie und bot Markenartikel zu Diskontpreisen an. In der Folge wuchs die WKW (Warenhandel Karl Wlaschek) rasant und umfasste 1960 bereits 45 Filialen. Wlaschek übertrug das Konzept auf den Lebensmittelbereich, führte das Selbstbedienungssystem ein und nannte seine Filialen ab 1961 BILLA (für „Billiger Laden“).

In den 1990er Jahren erfolgte die Expansion der Kette ins Ausland. Im Jahr 1996 verkaufte Wlaschek schließlich für 1,1 Milliarden Euro die Billa-Kette an die deutsche Rewe-Gruppe. Seither ist er vorwiegend in der Immobilienbranche tätig.

Nachdem es ihm nicht gelang, bei der Privatisierung der Creditanstalt (der damals zweitgrößten Bank Österreichs) zum Zug zu kommen, begann Wlaschek sein Vermögen in Immobilien anzulegen und dürfte mittlerweile der größte private „Hausherr“ des Landes sein. Sein Immobilienbesitz wird in Privatstiftungen mit klingenden Namen wie Amisola, Estrella und Ermione verwaltet. Ihm gehören acht Palais in der Wiener Innenstadt (darunter Kinsky, Ferstel, Harrach), aber auch die Bürotürme Andromeda-Tower und Ares-Tower (beide sind Teil der Donau City), das Gebäude der Wiener Börse sowie zahlreiche Innenstadthäuser – in Summe weit über 100 Objekte in ganz Österreich.

Der Selfmademilliardär Wlaschek soll nicht nur über eine Vermögenssteuer einen angemessenen Beitrag für die österreichischen Staatsfinanzen leisten, damit die durch die Vielzahl der Teilzeitkräfte, die oft sogar nur geringfügig beschäftigt sind,  in seiner ehemaligen Handelskette die verminderten Einnahmen des österreichischen Sozialsystems ausgeglichen werden können. Er soll auch nicht länger vom österreichischen Stiftungsrecht profitieren, das es ihm im Unterschied zum normalen Sparer ermöglicht, dass seine Kapitalerträge aus dem riesigen Immobilienbesitz nur mit der halben KESt besteuert werden.

Heidi Horten:

Geschätzes Vermögen: 2,7 Milliarden Euro. Wenn eine gut aussehende, junge und dazu noch blonde Frau an einer Hotelbar sitzt, kann es durchaus passieren, dass sie von dem ein oder anderen Herrn angesprochen wird. Von einem Reisenden vielleicht, der zwischen Ankunft und Abfahrt etwas Zerstreuung sucht, oder einem Geschäftsmann, der – unterwegs nach Hause – kurz einkehrt, um den gröbsten Ärger des Tages mit ein paar Gläsern Scotch hinunterzuspülen. Im Fall von Heidi Jelinek war es Helmut Horten, mit dem sie in einer Hotelbar in Velden am Wörthersee ins Gespräch kam. Wie sich diese Begegnung genau zugetragen hat, ist allgemein nicht bekannt, fest steht aber, dass die Wienerin zu diesem Zeitpunkt jung (etwa 19 Jahre alt) und schön und Helmut Horten rund 30 Jahre älter und reich war. 1966 heirateten sie, und aus Heidi Jelinek wurde Heidi Horten, eine der reichsten Frauen der Bundesrepublik Deutschland.

Denn Helmut Horten, Jahrgang 1909 und gebürtiger Bonner, baute im Laufe seines Lebens den gleichnamigen Kaufhaus-Konzern auf. Während des Kriegs war Helmut Horten „Reichsverteiler für Textilien“. Seine engen Kontakte zum Nazi-Regime brachten ihn 1947/48 für 17 Monate ins Internierungslager Recklinghausen. Kaum wieder auf freiem Fuß, nahm er seine Geschäfte erneut auf. Nach dem Weltkrieg entwickelte sich die Horten-Kette zum viertgrößten Warenhauskonzern in der Bundesrepublik hinter Karstadt, Hertie und Kaufhof. Aber anders als bei der Konkurrenz gehörte die Kette nur einem Einzelnen – Helmut Horten. Im November 1987 starb Horten und vermachte seiner Ehefrau Heidi sein gesamtes Vermögen. Heidi Horton kehrte mit ihrem ererbten Vermögen im Gepäck nach Wien und an den Wörthersee zurück.

Die reichste Witwe des Landes soll über eine Vermögenssteuer den öffentlichen Haushalt bereichern, damit Geld für Sozialleistungen an jene jungen Frauen zur Verfügung steht, die nicht das Glück haben, einen vermögenden Mann an einer Bar kennenzulernen, sodass sie sich und ihre Kinder mit prekären Arbeitsverhältnissen mehr schlecht als recht über Wasser halten müssen.

Der Swarovski-Clan:

Geschätztes Vermögen: 2,2 Milliarden Euro. Die Erben des böhmischen Zuwanderers Daniel Swarovski prägen seit Jahrzehnten die wirtschaftliche Entwicklung in Tirol und hinter den Kulissen auch die High Society. Wattens. Der Name hat Glanz. Und das hat angesichts einer turbulenten Familien- und Unternehmensgeschichte nicht nur mit den erzeugten Glaskristallen zu tun. Der heute 200 Familienmitglieder zählende Swarovski-Clan hat in den vergangenen Jahrzehnten die wirtschaftliche Entwicklung und das gesellschaftliche Leben Tirols geprägt. Die Swarovskis entsprechen am ehesten dem Bild eines echten „Industrieadels“. Beinahe jedes Ereignis rund um den Namen Swarovski wird zum High Society-Ereignis und macht Schlagzeilen. Begonnen hat alles 1885, als der böhmische Glasschleifer Daniel Swarovski nach Wattens zog, weil es dort genug Wasser und wenig Konkurrenz für seine selbst erfundene, revolutionäre Schleifmaschine gab. 1919 gründete er die Schleifmitteltochter Tyrolit. Die drei Söhne Wilhelm, Fritz und Alfred erbten das Unternehmen zu gleichen Teilen und bauten es weiter aus. Wilhelm entwickelte zudem das erste Fernglas und legte damit den Grundstein für die dritte Firma der Gruppe. Nach dem Ölpreisschock kam 1973/74 die grosse Krise. Die Nachfrage nach Schmucksteinen und Kristalllustern brach weltweit zusammen, der Umsatz sank um 40 Prozent, und der Konzern stand vor dem Abgrund. In der Folge zogen sich die Seniorchefs Daniel jun. und Manfred aus dem Tagesgeschäft zurück und überliessen der vierten Generation das Kommando. Gernot Langes-Swarovski übernahm Marketing und Verkauf, Christian Schwemberger die Finanzen, Helmut Swarovski die Produktion und Gerhard Swarovski das Controlling. Die Jungen entließen fast die Hälfte der 2700 Mitarbeiter, um nach der Sanierung weit mehr wieder einzustellen. Anfang der 90er-Jahre rutschte der Konzern auch in der vierten Generation in die Krise. Der mit Jubel übernommene amerikanische Glas-Kristall-Konzern Zale rutschte nach wenigen Jahren in Konkurs, die Swarovskis verloren Milliarden. Die fünfte Generation scharrt schon in den Startlöchern: Dazu gehören etwa der New Yorker Industriedesigner Daniel Swarovski, die Brüder Christoph und Paul Gerin, die zuletzt Kaufinteresse für die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten bekundeten, oder Nadja Swarovski, die in New York das Creative Service Center führt. Und dann gibt dann noch die Frau von Exfinanzminister Karl-HeinzGrasser: Fiona Swarovski (die den Namen Swarovski angeblich nicht zu recht führt). Angesicht der beginnenden Weltwirtschaftskrise hatte sie im Herbst 2009 folgenden Ratschlag für die von der Krise Betroffenen parat: „Sollen die Leute halt ihren Salat und ihre Tomaten auf ihren Terrassen, sofern sie welche haben, selber anbauen.“

Der Swarovski-Clan soll über eine angemessene Vermögenssteuer die öffentlichen Kassen füllen, damit in der Arbeitslosenversicherung genügend Reserven sind, wenn in der Unternehmensgruppe nach strategischen Fehlern wieder ein massiver Abbau von Arbeitskräften am Programm steht – sodass sich die Betroffenen die Terrasse leisten können, auf der sie ihr eigenes Gemüse anbauen.

Emil Alexander, Patricia und Marie-Rose Kahane:

Die Erben des Unternehmensimperiums von Karl Kahane haben ein geschätztes Vermögen von 1,9 Milliarden Euro. Geheimnisumwittert, öffentlichkeitsscheu und diskret. Seit einem halben Jahrhundert sind das die Attribute der altehrwürdigen Industriellenfamilie Kahane. Auch in der legendären Männerfreundschaft zwischen dem früheren Bundeskanzler Bruno Kreisky und dem Firmenpatriarchen Karl Kahane waren die Rollen exakt verteilt: Während Kreisky mit seiner Vermittlertätigkeit zwischen Israelis und Palästinensern international Schlagzeilen machte, blieb sein kongenialer Partner Kahane stets im Hintergrund. Obwohl er damals Österreichs Außenpolitik maßgeblich mitbeeinflusste, wollte er selbst nie im Scheinwerferlicht stehen.

An dieser Tradition änderte sich auch nach Karl Kahanes Tod im Juni 1993 nichts. Seine drei Kinder – Patricia, Emil Alexander (der als Überlebender eines Flugzeugabsturzes in der Schweiz Schlagzeilen machte) und Marie-Rose – traten nie an die Öffentlichkeit. Gesichert ist nur: Das Bankhaus Gutmann und Jungbunzlauer sind die letzten Überbleibsel eines Firmenimperiums, das früher Industriebetriebe wie Donau-Chemie, Terranova oder die Veitscher Magnesitwerke umfasste. Die Verkaufserlöse der anderen Unternehmen, die Millionendividenden und die Beteiligungswerte machten die Kahanes jedenfalls zu einer der reichsten und mächtigsten Dynastien des Landes.

Auf der anderen Seite ist Patricia Kahane auch die Vorsitzende der Karl Kahane Stiftung, gegründet im Jahre 1991 vom Unternehmer und Namensgeber. Das Stiftungsvermögen beträgt 2010 zwei Millionen Euro. Die Stiftung ist eine unabhängige, privat gesponserte und unpolitische Wohltätigkeitsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, verschiedenste friedenspolitisch-motivierte bzw. karitativ tätige Projekte finanziell und moralisch zu unterstützen. Sitz der Stiftung ist Celerina (Schweiz). Die Karl Kahane Stiftung kooperiert mit diversen säkularen und religiösen Organisationen, seien sie jüdischer, christlicher oder muslimischer Tradition verpflichtet, und unterstützt nicht gewinnstrebende Organisationen kultureller oder künstlerischer Zielsetzung, fördert Kulturschaffende durch Ausrichtung von Preisen und Förderungsbeiträgen und unterstützt Projekte auf dem Gebiet des interkulturellen Austauschs bzw. der Wissensvermittlung über friedenspolitische Thematiken. Beispiele für von der Karl Kahane Stiftung unterstützte Projekte sind das jährlich veranstaltete Peacecamp, diverse Vorlesungen des Bruno Kreisky Forums oder die Initiative „Hand in Hand“, ein Zentrum für die Förderung gemischt israelisch-palästinensischer Schulen in Israel. Des Weiteren stellt die Karl Kahane Stiftung Stipendien zur Facharztausbildung für palästinensische Ärzte bereit, die es jungen Ärzten ermöglicht, sich in Forschung, Praxis und Lehre an den israelischen Hadassah-Spitälern zu spezialisieren.

Trotz ihrer vorbildlichen Wohltätigkeiten soll die Familie Kahane auch über eine Vermögenssteuer zur Kasse gebeten werden, damit den Flüchtlingen aus Palästina und anderen Krisenregionen der Welt in Österreich eine menschenwürdige Betreuung und die notwendige Unterstützung für einen Neuanfang in Freiheit und abseits des täglichen Schreckens zur Verfügung steht.

Frank Stronach:

Geschätztes Vermögen: 1,8 Milliarden Euro. Der aus Weiz stammende Frank Stronach lernte den Beruf des Werkzeugmachers und wanderte 1954 mit nur 200 Dollar in der Tasche per Schiff nach Kanada aus. Er baute – allein beginnend in einer gemieteten Garage – die Magna International Inc., eines der größten Unternehmen der Autozulieferindustrie Nordamerikas, auf. Heute ist Magna International Inc. mit Hauptsitz in Aurora, Ontario/Kanada, ein führender, global tätiger Zulieferer von technisch hoch entwickelten Automobilsystemen, Modulen und Komponenten mit über 20 Milliarden Dollar Umsatz und mehr als 80.000 Mitarbeitern.

1986 entstand die Magna Europa. Ihre Zentrale, die Magna Holding AG, befindet sich in Oberwaltersdorf (Niederösterreich), etwa 25 km südlich von Wien. Mit seiner Rückkehr nach Österreich erregte Stronach großes Aufsehen in den Medien und in der Öffentlichkeit. 1989 plante er, in Ebreichsdorf einen Vergnügungspark zu errichten, dessen Hauptattraktion eine Weltkugel mit einem Durchmesser von 200 m hätte sein sollen. Das Projekt scheiterte jedoch. 1998 übernahm er mit seinem Unternehmen die Steyr Daimler Puch AG. Ein Kauf des Staatsanteils an der Voest Alpine Stahl AG durch Stronachs Magna scheiterte im Jahr 2003 nach öffentlichen Protesten. Am 4. April 2004 wurde in Ebreichsdorf ein Freizeitzentrum und die Pferde-Rennbahn Magna Racino eröffnet. Neben dem Pferdesport engagiert sich Stronach im Fußball. So unterstützte er jahrelang vor allem Austria Wien finanziell, aber auch andere österreichische Vereine sind mit Stronach verbunden. Stronach gründete 2000 in Hollabrunn die Frank-Stronach-Fußballakademie zur Ausbildung von Nachwuchsfußballern und amtierte von 1999 bis 2005 als Präsident der österreichischen Fußball-Bundesliga. Zeitgleich mit der Aufgabe seines Präsidentenamtes leitete er im November 2005 nach wiederholten Fanprotesten auch einen Rückzug bei Austria Wien ein; der seit 2000 laufende Betriebsführungsvertrag von Magna mit Austria Wien endete zum 30. Juni 2007 und nach der Saison 2007/08 zog sich Magna auch als Hauptsponsor bei der Austria zurück. Stronach gründete im Frühjahr 2008 seinen eigenen Verein, den FC Magna Wiener Neustadt, welcher die Profilizenz des SC Schwanenstadt übernehmen konnte und ab der Saison 2008/09 in der österreichischen Ersten Liga spielt, und fungiert als dessen Präsident. In diesem Verein sollen Spieler der Fußballakademie den Einstieg in den Profifußball schaffen. Frank Stronach betätigt sich auch als großzügiger Kunst-Mäzen. So finanzierte er den Bau der vier neuen Konzertsäle im Wiener Musikverein.

2009 wollte Magna mit Hilfe von russischen Investoren Opel übernehmen, scheiterte aber daran, dass GM einen Rückzug vom Verkauf machte. Die weltweite Krise der Autobranche erfasste 2009 auch Magna voll: 377 Millionen Euro betrug das Minus im Vorjahr. Der Konzern musste daher seinen Arbeitern Kurzarbeit und Lohnverzicht verordnen. Meist machen diese einschneidenden Maßnahmen vor den dicken Polstertüren der Chefetage halt – nicht so bei Frank Stronach: Nach 30 Millionen Euro 2007 und 8 Millionen Euro 2008 kürzte er sein Einkommen vergangenes Jahr auf 1,4 Millionen Euro. Am Hungertuch nagen muss der Firmenboss aufgrund seines stattlichen Privatvermögens natürlich dennoch nicht.

Obwohl Stronach nicht nur bei seinen Arbeitern, sondern auch bei sich den Sparstift angesetzt hat, soll er über eine Vermögenssteuer kräftig zur Kasse gebeten werden. Denn wenn die Konjunktur in der Autobranche nicht bald anspringt, werden Tausende Arbeitsplätze sowohl bei den Autobauern wie auch bei den Zulieferern verloren gehen. Und für die dann davon betroffenen Menschen heißt das nicht, dass ihre Gagen von 30 auf eine Million sinken, sondern dass sie von der öffentlich finanzierten Arbeitslosenversicherung aufgefangen werden müssen. Stronach kann sich eine solche Abgabe auch ohne Probleme leisten, da Magna im Krisenjahr 2009 immerhin 100 Millionen Euro aufwenden konnte, um den (schließlich gescheiterten) Kauf von Opel strategisch auszuarbeiten.


Perversionen des Kapitalismus: Private Equity Funds

12. Dezember 2009

Ein traditionsreiches Unternehmen, das seit über 150 Jahren besteht und während dieser Zeit fast ständig gewachsen ist, sodass ein weltweit agierender Konzern daraus geworden ist, wird 2003 von einem Medienriesen, weil dieser Aufgrund von mangerfehlern dringend Geld benötigt für 600 Millionen Euro an zwei Finanzinvestoren verkauft. Diese fusionieren das Unternehmen mit einem anderen aus ihrem Besitz und entnehmen während der nächsten 6 Jahre kreditfinanziert 1 Milliarde Euro. Nach diesen 6 Jahren hat einer der beiden Investoren aufgrund der Finanzkrise finanzielle Probleme und somit beschließen die Eigentümer und Manager des Konzerns zunächst 50% zu verkaufen. Als dieses Vorhaben scheitert, Bieter jedoch bekunden, am gesamten Unternehmen interessiert zu sein, wird nach monatelangen Verhandlungen der Gesamtverkauf abgewickelt. Zwei andere Private Equity Funds erwerben das Unternehmen für geschätzte 100 bis 150 Millionen Euro und vereinbaren mit Bankenriesen eine Neuregelung der Verschuldung von ca. 2,2 Milliarden, mit denen der Konzern nach diesen 6 Jahren dasteht, obwohl diese Zeit geschäftlich eigentlich gut verlaufen ist. Der Konzern hat einen Umsatz von etwa 880 Millionen Euro im Jahr und ist in seiner Branche die Nummer Zwei, mehr als 5000 Mitarbeiter weltweit sind dort beschäftigt und die Wirtschaftskrise hat sich nur zu einem geringen Teil negativ auf sein Geschäft ausgewirkt.

Wie geht es dann weiter?

Die neuen Eigentümer werden ebenfalls nach 3 bis 6 Jahren mit einer Rendite von 10-15% jährlich aussteigen wollen. Wie werden sie das erreichen? Synergieeffekte durch eine Fusionierung und Rationalisierungen wurden schon von den vorigen Eigentümern durch das Konzernmangement umgesetzt und ausgeschöpft. Kann dies nicht nur durch Kosteneinsparungen am Rücken der MitarbeiterInnen und durch eine Filetierung des Konzerns geschehen, indem kleine Happen gewinnbringend an die Konkurrenz verkauft werden? Und dann wird ein weiteres traditionsreiches Unternehmen, nachdem es durch die Hände von Private Equity Funds gegangen ist, von den heuschrecken in blutigen Filetstücke zerlegt sein Ende finden. Und Hunderte, wenn nicht gar Tausende MitarbeiterInnen werden durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes die Zeche dafür zu zahlen haben, weil die Eigentümer nicht auf langfristiges moderates Wachstum setzen, sondern dem Unternehmen die Substanz auspressen und nur schnell hohe Gewinne abschöpfen möchten.

Es ist also höchste Zeit, dass dem Vorgehen von Private Equity Funds ein Riegel vorgeschoben wird, damit nicht schon morgen das nächste traditionsreiche Unternehmen dieses Schicksal teilen muss! Denn es gibt bessere Formen der Unternehmensfinanzierung, die nicht zu Lasten der MitarbeiterInnen und der Allgemeinheit gehen!


Arbeit fair (ver)teilen

8. Dezember 2009

In vielen meiner bisherigen Artikeln war von der Notwendigkeit der fairen Verteilung von Einkommen und Vermögen zur Schaffung einer gerechten Gesellschaft die Rede. Unter der Voraussetzung, dass in dieser Hinsicht ein gerechtes Modell errichtet wurde, bleibt aber noch ein weiterer Aspekt der fairen Verteilung übrig – nämlich die Verteilung der Arbeit.

Technologischer Fortschritt

Die grandiose technologische Entwicklung der letzten 150 Jahre hat dazu geführt, dass in der modernen Gesellschaft weniger Arbeitsaufwand notwendig ist, um alle gesellschaftlich bedeutsamen Versorgungsleistungen zu gewährleisten. Der Umstand, dass in der heutigen Zeit weniger Arbeitleistung nötig ist, um die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu sichern, wird immer wieder betrauert. Dies ist aber gar nicht angebracht.

Gerechte Verteilung von Einkommen, Vermögen und Arbeit

Wenn nämlich die Wertschöpfung aus der Arbeit fair verteilt wird, d.h. wenn diejenigen, die diese Leistungen erbringen, ihren fairen Anteil davon erhalten, dann gibt es keinen Mangel an Arbeit. Denn dieser Mangel an Arbeit wird von den Wirtschaftstreibenden mit Unterstützung der Politik absichtlich in Form einer Reservearmee von Arbeitslosen herbeigeführt, um diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, unter Druck zu setzen, damit sie nicht auf einer fairen Partizipation an der Wertschöpfung bestehen. Ist erst einmal das Ungleichgewicht bei der Partizipation an der Wertschöpfung aus der Arbeitsleistung durch ein gerechtes Steuersystem, das Arbeit entlastet und Vermögen stärker zur Finanzierung unseres Sozialsystems heranzieht, beseitigt, kann die vorhandene Arbeit fair unter allen aufgeteilt werden. Wenn Manager nicht mehr das 400fache eines Facharbeiters verdienen, die Körperschaftssteuer auf ein faires Niveau von ca. 35% erhöht wird, Vermögen eine Gesamtabgabeleistung von 15-20% (nicht wie derzeit ca. 1,5%) beitragen, die Österreicher nicht mehr 370 Millionen Überstunden leisten, sondern die Arbeit auf ein Ausmaß von 30 bis 34 Wochenstunden gekürzt wird, dann ist Vollbeschäftigung nicht länger eine Utopie, sondern realisierbar.

Solidarität

Dazu sind jedoch nicht nur die Unternehmer und die Politik gefordert, sondern alle ArbeitnehmerInnen. Wir alle müssen zur Solidarität mit allen anderen ArbeitnehmerInnen bereit sein, indem wir auf ein größeres Stück vom Kuchen in Form von Mehrleistungen verzichten. Denn diese Mehrleistungen gehen stets auf Kosten jener, die dadurch nicht in den Arbeitsprozess integriert sind, aber jederzeit bereitstehen, um jemand von den Integrierten zu einem niedrigeren Lohntarif zu ersetzen.


Gerechtigkeit und Schutz der Eigentumsrechte

21. November 2009

In meinen heutigen Überlegungen möchte ich mich einer Fragestellung zuwenden, der in der Gegenwart wenig Beachtung geschenkt wird: Ist eine gerechtere Gesellschaft ohne Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte möglich? Historisch betrachtet haben die Menschen seit der Aufgabe des Nomadentums und der Arbeitsspezialisierung sich stets eine Ordnung gegeben, deren wichtigste Grundaufgabe darin besteht, die Besitzenden in ihren Eigentumsrechten zu beschützen. Von den ersten Hochkulturen bis zum Mittelalter hatten Gesetze und die dahinterstehende Macht stets dafür Sorge getragen, dass die Eigentumsrechte der Herrschenden und Besitzenden legitimiert erscheinen und dass jeder Versuch, dieses Recht anzutasten, unerbittlich geahndet wird.

Spätestens mit der Französischen Revolution wird in der Neuzeit zwar an der göttlichen Legitimation des Königs in Frage gestellt und das Bürgertum macht dem Adel die alleinige Verfügung über Besitztümer streitig. Aber die eigene Verfügung über die Produktionsmittel und die Gefügigkeit jener, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, wird vom Bürgertum in gleicher Weise legistisch abgesichert. Somit ist dem modernen Verfassungsstaat der Neuzeit, trotz der Entwicklung von der konstitutionellen Monarchie bis zur demokratischen Republik, noch immer die Unantastbarkeit der Eigentumsrechte eingeschrieben. Abgesehen von den kommunistischen Experimenten mit dem Staatskapitalismus in einigen Ländern wie Russland, China, Kuba usw. und ansonsten nur durch hyperbolische Entgleisungen entsetzlicher Kriege kurzzeitig unterbrochen, sind die Eigentumsrechte der Besitzenden seit Jahrhundert unberührt geblieben.

Da jedoch die Unantastbarkeit des Eigentums über einen langen Zeitraum dazu geführt hat, dass Besitz und Vermögen heute in der ganzen Welt extrem unterschiedlich verteilt sind, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir unter der Prämisse, eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu schaffen, diese Unantastbarkeit des Besitzes beibehalten können. Obzwar wir alle wissen, dass alle bisherigen Versuche, durch radikale Enteignung und Vergesellschaftung des Eigentums gerechte Verhältnisse herzustellen, letztlich mit totalitärer Schreckensherrschaft geendet haben, die die individuellen Menschenrechte mit Füßen tritt und unter diesen Voraussetzungen das kollektive Glücksversprechen nicht einlösen konnte, können wir dennoch nicht einfach darüber hinwegsehen, dass unter den gegenwärtig gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen für den Einzelnen wirkliche Gerechtigkeit nicht umsetzbar ist. Das Hauptproblem dabei ist, dass vor allem seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa (aber auch schon davor) die steuerlichen und sozialpolitischen Möglichkeiten des Ausgleichs praktisch ungenutzt geblieben sind. Wenn also hier nicht bald massiv durch gezielte Umverteilungspolitik gegengesteuert wird, wird ohne einen radikalen Einschnitt der Eigentumsrechte keine gerechtere Gesellschaft mehr zu verwirklichen sein – und ein solcher Einschnitt wird dann kaum auf friedlichem Wege erfolgen.

Das sollten wir uns alle vor Augen halten, wenn wir bei der parlamentarischen Lösungsfindung, in der koalitionären Regierungarbeit oder in sozialpartnerschaftlichen Verhandlung sehr entgegenkommend und allzu kompromissbereit agieren!