Unsachliche Panikmache des IHS bei den Pensionen

21. Februar 2011

Am 17. Februar 2011 sind IHS-Chef Bernhard Felderer und der Pensionsexperte des Instituts für Höhere Studien Ulrich Schuh an die Öffentlichkeit gegangen, um ihre neuesten Daten zur Entwicklung der Pensionen zu präsentieren. Das IHS erstellt ja gemeinsam mit dem WIFO die Prognosen für die Pensionskommission. Die bereits im November vorgelegten Berechnungen – die einen massiven Anstieg der staatlichen Ausgaben auswiesen – wurden aber von Teilen der Kommission und vom Sozialministerium bezweifelt, weshalb die Kommission ihre Empfehlungen auf das heurige Frühjahr verschoben hat. Nun haben IHS und WIFO neuerlich gerechnet. Am Resultat habe sich nichts grundlegend geändert, betonte Schuh neuerlich. Hinsichtlich der derzeitigen Situation kommt das IHS zu dem schon bekannten Ergebnis: Der durchschnittliche Österreicher ist 2009 mit 59 Jahren, die durchschnittliche Österreicherin mit 57 in Pension gegangen. Allerdings interpretieren das IHS diese Zahlen anders als das Sozialministerium, das einen leichten Anstieg des faktischen Antrittsalters konstatiert. Die Zahlen zeigten nämlich, so Felderer und Ulrich Schuh, dass die Pensionsreform 2003 ihr Ziel, Menschen länger im Erwerb zu halten, verfehlt habe.

Noch erschreckender sei, wenn man auf das Jahr 2020 vorausblicke. Denn dabei offenbare sich eine „tickende Zeitbombe“. Bis dahin werde die Zahl der 55- bis 65-Jährigen nämlich von einer Million auf 1,3 Millionen angestiegen sein. Ohne Gegensteuern würden angesichts der weiter steigenden Lebenserwartung die Ausgaben der Pensionsversicherung von 11,2 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf nahezu 15 Prozent bis 2050 ansteigen, der Zuschuss des Bundes werde sich von 2,8 auf rund sechs Prozent mehr als verdoppeln. Das ist wesentlich mehr als im Referenzszenario aus 2004: Die Gesamtausgaben liegen in den neuen Berechnungen für 2050 um vier Prozentpunkte, der Bundesanteil um drei Prozentpunkte höher. Das wäre, so führt Felderer weiter aus, weder für die PVA noch für den Bund „mehr zu finanzieren“.

Der Schlüssel, um dieser Problematik Herr zu werden, ergänzt Schuh, liege in der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, dort gelte es „Schlupflöcher“ zu schließen. Die mittlerweile verschärfte Hacklerregelung, der im Vorjahr 80.700 Österreicher die vorzeitige und abschlagsfreie Pension verdankten, sei „schleunigst“ abzuschaffen, ebenso wie die – nur von 2151 Personen in Anspruch genommene – Schwerarbeiterregel. Sehr viel verspricht  sich das IHS davon, die Invaliditätsrente, die im Vorjahr fast ein Drittel aller Neuzugänge ausgemacht hat, aus dem Pensionssystem herauszunehmen. Vorbilder dafür gebe es in Skandinavien, wo Betroffene im Arbeitsmarkt gehalten und für zumutbare Jobs umgeschult würden.

An den Ergebnissen von Felderer und Schuh ist vielfältig Kritik zu üben. So ist erstens der Arbeiterkammer  und dem ÖGB darin Recht zu geben, dass das IHS viel zu pessimistische Prognosen stellt und daraus abgeleitete langfristige Empfehlungen abgibt: „Offenbar hat das IHS zwar neue Berechnungen durchgeführt, geht aber trotzdem immer noch von den alten Ergebnissen und den alten viel zu pessimistischen Berechnungen aus“, kritisiert daher Alice Kundtner, Bereichsleiterin für Soziales in der AK Wien, „und das, obwohl mittlerweile auch wieder die aktuelle WIFO-Mittelfristprognose vom Jänner bestätigt, dass sich die Wirtschaft deutlich schneller erholt hat als noch im Langfristgutachten angenommen wurde.“ Nach Schätzungen der AK ergeben sich auf Basis der WIFO-Prognose allein im Bereich der Pensionsversicherung der Unselbständigen 2015 um rund 760 Millionen Euro niedrigere Bundesbeiträge als in der Mittelfristprognose vom Oktober 2010, weil die Beitragseinnahmen deutlich stärker steigen. Umso unverständlicher sei es daher, dass das IHS trotzdem an seinem pessimistischen Langfristszenario vom September des Vorjahres festhält. Skandalös ist es schon, dass daraus Empfehlungen für die die nächsten 50 Jahre gegeben werden. „Es ist einfach unsinnig, auf Basis von höchst unsicheren Szenarien politische Empfehlungen für eine mechanische und sofortige Aufteilung von ,Mehrkosten‘ für einen Zeitraum von 50 Jahren abzugeben. Das ist keine sinnvolle und vor allem keine verantwortungsvolle Pensionspolitik, sondern verunsichert die Bevölkerung, unterminiert das Vertrauen in die Politik und in das Pensionssystem nur noch mehr“, sagt daher völlig zu Recht Kundtner.

Zweitens ist dem IHS vorzuhalten, dass bei der Darstellung der Bundesmittel zur gesetzlichen Alterssicherung die Bundesbeamtenversorgung verschwiegen wird. Bezieht man diese nämlich in die Rechnung ein, dann steigt der Anteil der Bundesmittel wesentlich geringer. Deshalb hat  Karl Blecha, der Präsident des Pensionistenverbands, richtigerweise eingefordert, „dass bei der Beurteilung über die langfristige Sicherung der Pensionen auch der öffentliche Dienst einbezogen wird.“ Blecha moniert in berechtigter Weise, dass sich das IHS nur auf den langfristig steigenden Aufwand in der gesetzlichen Pensionsversicherung bezieht und der langfristig sinkende Aufwand bei den Pensionen im Öffentlichen Sektor unberücksichtigt bleibt.

Drittens ist dem IHS ein für ein Wissenschaftsinstitut überaus befremdlicher Umgang mit Fakten vorzuwerfen. So wird vom IHS beklagt, dass die Pensionsversicherung in Zukunft teurer wird als heute. Diese Feststellung ist nämlich gelinde gesagt trivial, zumal die Zahl der Pensionisten um 1,3 Millionen zunehmen wird. Will man nicht, dass die Älteren in die Armut getrieben werden, sind höhere Ausgaben unvermeidlich, wozu sich eine solidarische Gesellschaft auch bekennen sollte. Diese notwendigen Mehrausgaben jedoch als „tickende Zeitbombe“ zu bezeichnen, ist eine grobe Verunglimpfung jener älteren Menschen, die nach jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit einen existenzsichernden Pensionsanspruch erworben haben.

Viertens zeigt eine Studie der AK außerdem, dass bei den von den Reformen betroffenen Altersgruppen das faktische Antrittsalter bei Männern und Frauen von 1999 auf 2009 sehr wohl um 1,3 Jahre angestiegen ist, während das IHS von einem Sinken spricht. Gemäß Budgetbegleitgesetz läuft die Langzeitversichertenregelung im Sinne eines vorzeitigen Pensionsantritts völlig aus. Abgesehen von der Schwerarbeitspension gibt es damit bereits in wenigen Jahren für Frauen keine Möglichkeit mehr vor dem 60 Lebensjahr in eine Alterspension zu gehen, für Männer keine mehr vor dem 62. Lebensjahr.  Im Bereich der Invalididtäts-Pensionen wiederum wurde mit dem verpflichtenden Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“, der Gesundheitsstraße und „fit2work“ substantielle Maßnahmen beschlossen, die einen Beitrag zur Anheben des faktischen Pensionsalters leisten werden. Eine Entwertung dieser Reformen – bevor diese überhaupt zu wirken begonnen haben – ist nicht nachvollziehbar. Die Zahl der Invaliditätspensionen ist seit zehn Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben. Österreich liegt mit den Ausgaben für diese Pensionsart im europäischen Durchschnitt.

Richtig ist freilich, dass im Bereich der Invaliditäts-Pensionen Handlungsbedarf besteht, weil es nicht hinzunehmen ist, dass immer jüngere Menschen wegen psychischer Erkrankungen in Pension gehen müssen. Prävention zur Vermeidung von Invalidität sollte flächendeckend umgesetzt werden. Hier ist aber auch bei der Wirtschaft anzusetzen. Denn das Verhalten der Dienstgeber, Kranke und ältere Mitarbeiter so früh wie möglich zu kündigen, muss sich grundlegend ändern. Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen hier ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen, sondern die Kosten auf die Allgemeinheit überwälzen.

Das betont auch der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. Wer wolle, dass die Menschen später in Pension gehen, muss zuerst dafür sorgen, dass sie auch länger arbeiten können. Das heißt: Arbeitsplätze schaffen, und die Arbeitsplätze so gestalten, dass die Menschen auch arbeitsfähig bleiben und nicht aus Gesundheitsgründen vorzeitig in Pension gehen müssen. Die Wirtschaft müsse auch älteren ArbeiterInnen und Angestellten eine Chance geben und diese nicht bei erstbester Gelegenheit durch jüngere ersetzen. Der ÖGB fordert daher zur Sicherung der Pensionen:

– Sicherung des Umlage-Pensionssystems

– Gerechtes System für alle Pensionsarten: gleiche Beiträge für alle

– unbefristete Regelung für Menschen, die 45 bzw. 40 Jahre Beiträge geleistet haben

– Verbesserung der Schwerarbeitspension

– Arbeitslosengeld bis zum Regelpensionsalter, statt vorzeitigen Pensionsantritt ermöglichen

– Pensionskassen: garantierter Mindestertrag

– Wahl- und Wechselmöglichkeit zwischen Pensionskassen

In eine ähnliche Richtung geht auch der sozialdemokratische Pensionistenverband. Karl Blecha fordert nämlich: „Ein uneingeschränktes Ja zu einem Heranführen des faktischen an das gesetzliche Pensionsalter. Aber da muss die Wirtschaft mitspielen. Denn auch die Unternehmen nützen die ‚Schlupflöcher‘ des Pensionssystems. So ist es gängige Praxis, dass ältere Beschäftigte in die Pension gedrängt werden oder ihnen mit Golden-Handshake-Programmen das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schmackhaft gemacht wird. Dabei ist auch der öffentliche Sektor ein schlechtes Beispiel“.

Blecha verweist außerdem darauf, dass ein großer Teil der Neupensionisten aus der Arbeitslosigkeit heraus in die Pension geht. „Wir brauchen daher einen besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer und ich fordere eine Pönalisierung für Unternehmen, die ältere Beschäftigte rausschmeißen.“ Ebenso fordert Blecha, dass bereits entwickelte Programme wie z.B. fit2work oder die Gesundheitsstraße sowie Rehabilitation vor Pension rasch flächendeckend eingesetzt werden. Auch hier kritisiert Blecha die „Verweigerung“ der Wirtschaft, wenn es um die Finanzierung dieser Programme geht.


Former und Lenker der Gesellschaft werden. Victor Adlers Beitrag zur Bildungsdebatte

14. Februar 2011

Seit Monaten wird in Österreich eine intensive Bildungsdebatte geführt. Die Eckpfeiler der geführten Diskussion sind jedoch sehr unterschiedlich. Zwischen dem niederösterreichischen Landeshauptmann und der sozialdemokratischen Regierungsspitze konzentriert sich die Diskussion meist darauf, ob die Schulen nun allein der Landes- oder Bundesverwaltung unterstehen sollen. Zwischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium konzentrieren sich die unterschiedlichen Standpunkte darauf, in welcher Form der Zugang zum Hochschulstudium nun eingeschränkt werden kann und ob die Studierenden einen Beitrag zur Finanzierung in Form von Gebühren leisten sollen oder nicht. Zwischen Bildungsministerin und Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gab es 2009 monatelange Auseinandersetzung um die Erhöhung der Lehrverpflichtung, die auf beiden Seiten mit harten Bandagen geführt wurde. Im Dezember 2010 werden dann die Ergebnisse der neuesten PISA-Studie publik: Im OECD-Ländervergleich liegen beim Lesen nur mehr die Türkei, Chile und Mexiko hinter Österreich. Im Vergleich zu den letzten Ergebnissen erleidet Österreich also einen weiteren Rückschritt. Alle sind ob dieses Ergebnisses schockiert. Und noch bevor die PISA-Ergebnisse öffentlich werden, kündigt im Oktober der ehemalige Finanzminister Androsch ein „Volksbegehren Bildungsinitiative“ an.

Obwohl dieses Volksbegehren in die Bildungsdebatte eine Reihe von wichtigen Zielsetzungen einbringt, wie die frühe und kontinuierliche Förderung, das flächendeckende Angebot von Ganztagsschulen, die Erhöhung der sozialen Durchlässigkeit, die Aufwertung des Lehrerberufs, die Erhöhung des Hochschulbudgets und die Erhöhung der Akademikerquote,  so bleibt die Debatte dennoch davon geprägt, dass Bildung als Instrument zur Verbesserung des wirtschaftlichen Erfolgs gesehen wird. Die Bedeutung von Bildung wird allein darin gesehen, dass sie die Chancen des Einzelnen auf berufliches Weiterkommen erhöht und die Möglichkeiten, seinen Verdienst zu steigern, verbessert und einem Unternehmen oder Land durch eine Steigerung der Produktivität einen Vorteil im Standortwettbewerb verschafft.

Bildung kann aber  nicht nur als Mittel zum Zwecke des wirtschaftlichen Erfolgs gesehen werden, sondern als Zweck in sich selbst. Bei Wilhelm von Humboldt war Bildung ein Ideal der bürgerlichen Aufklärung, das das autonome Individuum und das Weltbürgertum zum Ziel hatte. Die Universität sollte der Ort sein, an dem autonome Individuen und Weltbürger hervorgebracht werden oder genauer gesagt, sich selbst hervorbringen. Damit die Universität dieses Zielverfolgen kann, fordert Humboldt die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Universität und die akademische Freiheit der Forschenden, die sich untereinander öffentlich austauschen können.

Obwohl in einer Zeit, wo durch zahlreiche Einflüsse auf die Universitäten und Hochschulen (z.B. Bologna-Prozess) der wirtschaftliche Einfluss stark zugenommen und die Orientierung auf die Berufsausbildung überhandgenommen hat, dem Humboldt’sche Bildungsideal insofern Bedeutung zukommt, als es uns daran erinnert, dass Bildung einen Zweck in sich selbst hat, gibt es eine Konzeption von Bildung, die darüber hinausgeht. Diese Konzeption von Bildung betrachtet Bildung zwar als ein Mittel. Aber als ein solches, dass einem Zweck dient, durch den Bildung den allerhöchsten Wert erlangt: Bildung als Voraussetzung der gesellschaftlichen Veränderung. Wir finden dieses Verständnis von Bildung beim aus bürgerlichem Haus stammenden Gründer der sozialdemokratischen Partei Österreichs: Victor Adler. Dieser bemerkt despektierlich über die Bedeutung der bürgerlichen Bildung, wie sie etwa Wilhelm von Humboldt als Ideal vorschwebte: „Das was man gewöhnlich unter Bildung versteht, das was die bürgerliche Gesellschaft als Bildung anerkennt, das ist vor Allem die Fähigkeit, korrekt zu schreiben, korrekt zu reden, korrekt zu essen und korrekt sich anzuziehen. Dazu muss man noch ein Quantum von Dichtern, Komponisten und Philosophen dem Namen nach kennen und muss beiläufig wissen, wann man im Theater ,Bravo!‘ zu rufen hat.“

Dieser bürgerlichen Vorstellung von Bildung setzt Adler daher eine Konzeption entgegen, die die Kraft von Bildung darin sieht, die gesellschaftliche Selbsterkenntnis zu befördern, um somit die Voraussetzungen für deren Veränderung zu schaffen. Und diese Konzeption wendet sich nicht an ein abstraktes Weltbürgertum, sondern an jene gesellschaftliche Gruppierung, die daran interessiert sein sollte, die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit zu verändern. Bei Adler sind das die unter dem Elend der Industrialisierung leidenden ArbeiterInnen. „Wir verlangen von euch keinerlei Korrektheit, wir verlangen von euch nichts als Selbsterkenntnis. Darüber nachzudenken, wie ihr geworden seid und was aus euch werden soll, euer Verhältnis zur Gesellschaft geistig zu erfassen, das nenne ich Bildung. Und auf eine noch höhere Bildung gelangt ihr, wenn einmal die Erkenntnis den Willen geweckt hat, wenn aus dem Bewusstsein, Produkte der Gesellschaft zu sein, das bewusste Streben erwächst, ihre Herren, ihre Former und Lenker zu werden.“

Ein solcher emanzipatorischer Bildungsbegriff wird heute schmerzlich vermisst. Es fehlt zum Beispiel weit verbreitet an einer kritischen Medienkompetenz, d.h. an der Fähigkeit, die Funktion und die Wirkungsweise von Medien zu erkennen und in weiterer Folge dieser Medienmacht aufklärendes Wissen gegenüberzustellen. Noch schmerzlicher fehlt es an politischem Bewusstsein für die Gefahren der schleichenden Unterwanderung der Demokratie durch die Einflussnahme dominanter ökonomischer Kräfte, die aufgrund ihrer unvergleichlichen Ressourcen die Meinungsbildung gestalten können. Bildung im Adlerschen Sinne ist unsere einzige Chance, um diesen Gefahren erfolgreich begegnen zu können. Deshalb ist es so ungeheuer wichtig, dass dieser Aspekt von Bildung nicht in Vergessenheit gerät.


AK-Studie: Nachhaltige Budgetkonsolidierung durch Investition in den Sozialstaat

7. Februar 2011

Im Spätsommer 2010 hat die Arbeiterkammer im Zuge der Diskussion um die Gestaltung des Budgets für 2011 eine Studie mit dem Titel „Nachhaltige Budgetkonsolidierung durch Investition in den Sozialstaat. Der Sozialstaat als produktiver Faktor“ veröffentlicht. Die AutorInnen sind: A. Buxbaum, G. Mitter, W. Panhölzl, S. Pirklbauer und J. Wöss. Der Ausgangspunkt der Studie ist, dass ein leistungsstarker Sozialstaat zwar keiner ökonomischen Rechtfertigung bedarf, da seine Erfolge an Kriterien wie Gerechtigkeit, Gleichheit und sozialem Zusammenhalt zu messen seien. Da er jedoch auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung habe und im Dienste einer nachhaltigen Budgetkonsolidierung wirken könne, lohne die Beschäftigung mit diesem Aspekt seiner Wirkung ebenfalls.

Anhand von vier konkreten Maßnahmen in drei gesellschaftlichen Bereichen möchten die Autoren der Studie zeigen, dass durch zielgerichtete Investitionen in den Sozialstaat auch ein Beitrag zur nachhaltigen Budgetkonsolidierung geleistet werden kann. Bevor die Studie jedoch diese Modellrechnungen darlegt, erinnern die AutorInnen daran, dass Österreich deshalb relativ gut durch die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist, weil der Sozialstaat den konjunkturellen Abschwung abgefedert hat. Denn trotz „eines massiven Rückgangs der realen Wirtschaftsleistung (minus 3,5 Prozent im Jahr 2009), zweistelligen Einbrüchen im Bereich der Exporte (minus 18,2 Prozent im Jahre 2009) sowie sinkenden Investitionen der Unternehmen (minus 8,1 Prozent im Jahre 2009), konnten die privaten Konsumausgaben stabil gehalten und sogar gegenüber dem Jahr 2008 fast um ein halbes Prozent gesteigert werden.“ Die sogenannten „automatischen Stabilisatoren“, das sind die Leistungen der öffentlichen Pensionssysteme, der Arbeitslosenversicherung usw., haben verhindert, dass Konsumverzicht und kollektives Sparen die Realwirtschaft in den Abgrund führen.

Die AutorInnen befürchten zu diesem Zeitpunkt, dass der „Sparfetischismus“, der sich  überall in Europa breit macht, auch auf Österreich übergreift und das Budget 2011 prägen wird. Deshalb versuchen sie mit ihrer Studie aufzuzeigen, dass massive Einschnitte in das Sozialbudget „nicht nur sozialpolitisch bedenklich [sind], sondern auch wirtschaftspolitisch kontraproduktiv“. Entgegen der neoliberalen Gebetsmühle brauche Österreich nicht weniger, sondern einen besseren Sozialstaat. Dazu seien insbesondere gezielte Investitionen in folgenden Bereichen erforderlich

  • Verbesserung von Bildung und Qualifikation
  • Ausbau von Betreuungseinrichtungen
  • Verbesserung der Erwerbschancen älterer ArbeitnehmerInnen
  • Stärkung präventiver Maßnahmen (Gesundheitsschutz, Umschulungen)
  • Schließung von Lücken im sozialen Netz (z.B. Mindestsicherung)

Denn die skandinavischen Länder zeigten vor, dass hohe Sozialstandards nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg stehen, sondern diesen sogar begünstigen und absichern.

Anhand von den folgenden 3 Bereichen möchte die Studie aufzeigen, wie Zukunftsinvestitionen in den Sozialstaat zwar kurzfristig Kosten verursachen, aber langfristig sogar das Budget entlasten:

a)      Vereinbarkeit von Beruf und Familie

b)      Höherqualifizierung von Jugendlichen

c)       Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von (älteren) ArbeitnehmerInnen

Sehen wir uns diese Maßnahmen und die Modellrechnungen nun im Detail an.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie:
In Österreich wird im Vergleich zu anderen EU-Staaten zwar überdurchschnittlich viel Geld für Familienleistungen ausgegeben, aber der größte Teil fließt in Geldleistungen und nicht in Sachleistungen. Aber gerade ein flächendeckendes Angebot an Betreuungsplätzen, insbesondere für Kleinkinder, ist wesentlich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Um etwa das Barcelona-Ziel, 33 Prozent der Kinder unter 3 Jahren sind in Betreuung, zu erreichen, fehlen in Österreich 35.000 zusätzliche Betreuungsplätze.

Die AK-Modellrechnung nimmt sich daher der ökonomischen Auswirkungen an, die ein Ausbau dieser Betreuungsplätze in diesem Ausmaß bis 2021 zeitigt, wenn 2011 damit begonnen wird. Für die Berechnung werden die Personalkosten, die Baukosten, der Personalbedarf und damit die Rückflüsse aus den Lohnabgaben sowie die Einsparungen für die Arbeitslosenversicherung berücksichtigt.

Für den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze kommen die AutorInnen auf folgende Entwicklung der Kosten zwischen 2011 und 2021 (in Mio. Euro):

45           183         340         411         339         344         350         356         362         368         375

An zusätzlicher Beschäftigung sehen sie folgende Entwicklung in diesem Zeitraum:

2.000     8.000     16.500   25.000   27.500   27.500   27.500   27.500   27.500   27.500   27.500

Daraus ergeben sich folgende Einsparungen bzw. Mehreinnahmen für den Staatshaushalt (in Mio. Euro):

42           143         277         390         417         424         431         438         446         453         461

Der Effekt auf das Budget ergibt somit folgenden Saldo (in Mio. Euro):

-3            -40         -63         -20         78           79           81           82           83           85           86

D.h. bereits ab 2015 würde mehr Geld ins Budget fließen.

Höherqualifizierung von Jugendlichen:
Laut einer Studie von Synthesis für das AMS haben rund 14% der Jugendlichen (ca. 150.000) einen akuten Bedarf nach Höherqualifizierung, da sie nach der Schulpflicht als Hilfsarbeiter in den Arbeitsmarkt eingetreten sind oder ihre schulische  bzw. berufliche Ausbildung abgebrochen haben. Die Folgen eines schlechten Berufseinstieges ziehen durchs ganze Leben: „ArbeitnehmerInnen (Alter 30 Jahre) mit nur Pflichtschulausbildung erzielen ein (mittleres) jährliches Erwerbseinkommen von rund 19.000 €, um 7.500 € weniger als ArbeitnehmerInnen mit einer Lehrausbildung.“ Dazu kommt ein deutlich höheres Risiko von Arbeitslosigkeit.

Das Autorenteam der Studie hat sich deshalb angesehen, welche Auswirkungen es hätte, wenn bis 2016 75.000 dieser Jugendlichen ein Programm zur Höherqualifizierung beginnen könnten, das pro Kopf etwa 5.000 € kostet. Angenommen wird, dass nach dieser Höherqualifizierung ein um 6.000 € höheres Jahreseinkommen erzielt wird, das nach 10 Jahren auf 7.000 € ansteigt.

Die Kosten für dieses Programm belaufen sich bis 2016 auf (in Mio. Euro):

25           51           77           78           79

Die Mehreinnahmen durch höhere Abgabenleistungen ergeben bis 2021 folgende Werte (in Mio. Euro):

0             14           42           85           129         175         223         226         230         234         238

Die Effekte für das Budget sind somit (in Mio. Euro):

-25         -37         -35         7             51           96           223         226         230         234         238

D.h. schon ab 2014 sind die Einnahmen höher als die Ausgaben.

Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von älteren ArbeitnehmerInnen:
In Österreich ist die Beschäftigungsquote im Alter unbefriedigend niedrig. Dies ist vor allem auf ausgeprägte Langzeitarbeitslosigkeit in der Altersgruppe der über 50jährigen und ein ehohe Zahl von Frühpensionierungen zurückzuführen. Neben der Schaffung von alternsgerechten Arbeitsplätzen ist die Prävention eine unabdingbar, um für die Zukunft die Beschäftigungsfähigkeit älterer ArbeitnehmerInnen zu fördern. Zwei Projekte, die bereits von Bundesministerium Soziales, Arbeit und Konsumentenschutz sowie von den Sozialpartnern entwickelt wurden, um die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen sind:

  • „Rehabilitation vor Pension“
  • Gesundheitsstraße

Die langfristig positiven Auswirkungen auf das Budget haben sich die AutorInnen der Studie angeschaut.

Rehabilitation vor Pension
„Im Jahr 2009 wurden 76.000 Anträge auf eine Invaliditätspension gestellt, 30.221 Invaliditätspensionen wurden zuerkannt, aber lediglich 359 (!) berufliche Rehabilitationen aufgrund dieser Anträge durchgeführt.“ Daher sehen die AutorInnen akuten Handlungsbedarf in diese Richtung und beschäftigen sich mit den Auswirkungen auf das Budget, wenn die Zahl der Rehabilitationen auf 2.000 erhöht wird. Als Dauer der Rehabilitation werden 18 Monate angenommen. Die Kosten pro Teilnehmer/in wird mit 26.000 € für die Maßnahmen und 21.000€  für die notwendigen Geldleistungen (Übergangsgeld) angenommen. Als Wiedereingliederungsquote wird 80% angenommen, die Höhe des Einkommens nach der Rehabilitation  mit 1.500 € brutto eher niedrig angesetzt.

Die Kosten für dieses Programm belaufen sich bis 2021 auf folgende Werte (in Mio. Euro):

17           44           48           49           50           50           52           55           58           61           64

Die Einsparungen bzw. Mehreinnahmen entwickeln sich in diesem Modell wie folgt (in Mio. Euro):

0             6             41           81           123         166         204         212         215         219         223

Die Auswirkungen auf das Budget sind somit (in Mio. Euro):

-17         -38         -7            32           73           115         152         157         157         158         159

D.h. bereits ab 2014 sind die Einnahmen höher und sie steigen auf einen beachtlichen Wert an.

Gesundheitsstraße:
Bisher wurden ArbeitslosengeldbezieherInnen, die vom AMS nach gesundheitlichem Check als nicht arbeitsfähig eingestuft wurden, von der Pensionsversicherung hinsichtlich Invaliditätspension untersucht. So konnte es zu einem längerem Hin und Her zwischen AMS und PVA kommen, das für die Betroffenen höchst unbefriedigend war. Mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2010 kann das AMS ohne formalen Pensionsantrag LeistungsbezieherInnen von der PVA untersuchen lassen und akzeptiert das Ergebnis des Prüfverfahrens. Sollte die PVA eine Rehabilitationsempfehlung aussprechen, kann diese nun vom AMS umgesetzt werden. „Nach Einschätzung der Pensionsversicherungsanstalt werden ab 2011 jährlich rund 6.000 der arbeitslosen Antrtagsteller im Rahmen der Gesundheitsstraße – ohne Pensionsantrag – untersucht werden und rund 90% … dieser Personen werden nach kurzer Zeit mit einer beruflichen Rehabilitationsempfehlung zum AMS zurückkehren.“ Die AutorInnen der AK-Studie untersuchen, welche Auswirkungen die Rehabilitationsmaßnahmen für 5.000 Personen langfristig auf Beschäftigung und Budget langfristig haben werden, wenn mit einer Rehabilitationsquote von 60% gerechnet wird.

Die Kosten für dieses Programm belaufen sich bis 2021 auf folgende Werte (in Mio. Euro):

32           64           65           66           67           69           70           71           72           73           75

Die Einsparungen bzw. Mehreinnahmen entwickeln sich in diesem Modell wie folgt (in Mio. Euro):

0             34           105         178         253         330         373         380         386         393         399

Die Auswirkungen auf das Budget sind somit (in Mio. Euro):

-32         -30         40           111         185         262         304         309         314         319         325

D.h. schon nach zwei Jahren wirkt sich dieses Programm positiv auf das Budget aus!

Zusammenfassung und Bewertung:
„Allein durch gezielte Investitionen in den hier untersuchten Bereichen Kinderbetreuung, Abbau von Qualifizierungsdefiziten von Jugendlichen und Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch berufliche Rehabilitation und ,Gesundheitsstraße‘ können direkt und indirekt 60.000 Personen zusätzlich in den Arbeitsmarkt integriert werden.“ Darüber hinaus ergibt sich bis 2021 ein Plus in den öffentlichen Haushalten von über 800 Mio. Euro.

Man mag hinsichtlich der exakten finanziellen Auswirkungen der untersuchten Maßnahmen nicht immer ganz konform mit den AutorInnen sein, da die Beschäftigungswirkung in dem einen oder anderen Fall zu optimistisch angesetzt wird. Der Studie kommt nichtsdestotrotz ein großer Verdienst zu, da hier anhand von konkreten Berechnungsmodellen gezeigt wird, dass ein gut ausgebauter Sozialstaat sich entgegen der neoliberalen Propaganda  langfristig positiv auf das Budget auswirkt.