Worauf die Sozialdemokratie dringend eine Antwort finden muss

22. September 2009

MarxAm Sonntag hat die Sozialdemokratie in Österreich im kleinsten Bundesland Vorarlberg eine schmerzlich Niederlage hinnehmen müssen. Nur noch rund 10% der Wähler gaben ihr die Stimme. Damit drohr ihr sogar der Rückfall an die vierte Stelle. Am 27. September finden in Deutschland Bundestagswahlen statt. Die Aussichten der Sozialdemokratie sind sehr ernüchternd. Es droht eine schwere Niederlage und ein deutlicher Abstand zur CDU/CSU. Und wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten, dann steht der Sozialdemokratie die Opposition ins Haus, da CDU/CSU wahrscheinlich eine Koalition mit den Liberaldemokraten eingehen.

Diese sehr schwierige Zeit sollte die Sozialdemokratie dafür nützen, um eine Antwort darauf zu finden, wen und wie sie in Zukunft dazu bewegen will, sie zu wählen. Eines ist jedenfalls gewiss, der dritte Weg, New Labour und der Kuschelkurs des es-allen-recht-machen ist gescheitert. Aber bevor wir eine Lösung aufblitzen lassen, blicken wir in die Geschichte zurück. Seit der Abkehr der Sozialdemokratie vom orthodoxen Marxismus stellt sich ihr die Herausforderung, die Menschen für ihr Programm zu mobilisieren. Der orthodoxe Marxismus vertrat zuvor ja einen historischen Determinismus, der von der Grundthese ausging, dass der Natur des Kapitalismus notwendig der eigene Untergang innewohnte: die Arbeiterbewegung musste nur darauf warten, dass dieser Moment eintrat, um die historische Rolle des Proletariats wahrzunehmen. Solange diese Geschichtsteleologie vorherrscht, benötigt die Sozialdemokratie kein wirkliches politisches Konzept der Wählermobilisierung, da der Sozialismus nicht durch demokratische Überzeugungsarbeit, sondern aufgrund einer historischen Notwendigkeit verwirklicht wird.

KautskySobald die Sozialdemokratie mit dem Revisionismus diesen Geschichtsdeterminismus und die damit verbundene Vorstellung einer unumgänglichen revolutionären Umwälzung ablegt und sich dem demokratischen Paradigma verpflichtet, kann sie sich nicht darauf verlassen, dass die Masse der Werktätigen uneingeschränkt hinter ihr steht und ihr in freien, gleichen und allgemeinen Wahlen die Macht sichert. Während der kapitalistisch orientierte Bürgerstaat im 19. Jahrhundert die Machtübernahme der Sozialisten durch seltsame Konstruktionen eines Kurienwahlrechts verhindert, ist es im 20. Jahrhundert zunächst der Nationalismus und Faschismus, der die internationale Einheit der Arbeiterbewegung im Kampf gegen das vom Kapitalismus profitierende Bürgertum verhindert. Und seit Mitte des 20. Jahrhunderts entfaltet der Kapitalismus ein immer größeres Geschick in der sozialen Fragmentierung der Menschen. Dies führt dazu, dass die Werktätigen sich nicht mehr als eine Klasse empfinden, die ein gemeinsames Interesse durch den Gegensatz zu den Produktionsmitteleignern und Finanzkapitaleignern einigt. Besonders durch die Medien, die heute fast ausschließlich im Besitz von riesigen Konzernen sind, wird sichergestellt, dass dieses Bewusstsein eines gemeinsamen Interesses aller Werktätigen nicht mehr entstehen kann.

BernsteinDa die Sozialdemokratie praktisch über keine Medienmacht mehr verfügt, um dieses Bewusstsein zu befördern, resigniert sie vor der Fragmentierung und versucht, alle sozialen Schichten anzusprechen. Außerdem gibt sie mit dem dritten Weg und New Labour den Kampf gegen die kapitalistische Dominanz in Form der neoliberalen Meinungsführerschaft auf. Sie beschränkt sich lediglich darauf, da und dort die Folgen des globalisierten Kapitalismus zu mildern. Nach anfänglichen Erfolgen in Großbritannien und Deutschland tritt schon bald Enttäuschung bei ihren Wählern ein. Und nun befindet sich die Sozialdemokratie in einer schweren Krise, weil sie mit dem dritten Weg den Werktätigkeiten keine wirkliche Identifikation anzubieten hat. Sie hat zwar jeder Wählergruppe in ihrem Programm etwas anzubieten. Aber nichts davon ist überzeugend genug, um eine deutliche Mehrheit der Wähler zu überzeugen: Den willfährigen Ausführungsgehilfen der neoliberalen Ideologie stellen die konservativen Volksparteien überzeugender dar. Und die Enttäuschung jener, die im entfesselten Turbokapitalismus unter die Räder kommen, kann der Rechtspopulismus wesentlich besser politisch ausschlachten. Und jene, die eine soziale und ökologische Erneuerung wünschen, finden ihren Heimat eher bei den Grünen oder Bewegungen, die links der Sozialdemokratie angesiedelt sind.

Wenn die Sozialdemokratie also nicht bald eine Antwort darauf findet, wie sie die Interessen der Werktätigkeiten national und auf europäischer Ebene vertreten kann – und wie sie allen Werktätigkeiten ein Bewusstsein von einer gemeinsamen Interessenlage vermittelt kann, dann wird sie demnächst in die dritte Reihe der politischen Bühne zurücktreten müssen!


Die Schwächen der gegenwärtigen Sozialdemokratie

2. September 2009

faymann

Auch wenn die Sozialdemokratie in zahlreichen Ländern der EU in der Regierung vertreten ist, so gibt sie dort selten den Ton an. Die gegenwärtige Sozialdemokratie ist von einer manifesten Schwäche ihrer Durchsetzungskraft geprägt. Woran liegt das?

Es allen recht machen

Das beginnt schon bei der Ausrichtung der Wahlwerbung und der Programmatik. Die Parteiprogramme und die Wahlkämpfe der Sozialdemokraten möchten alle Bevölkerungsschichten ansprechen und niemanden vor den Kopf stoßen. Aber dadurch spricht sie nur noch einen Teil jener an, deren Interessen sie eigentlich vertreten sollte. Neben den Arbeitern und Angestellten und niederen Beamten soll sie auch für Bauern, Gewerbetreibende, leitende Angestellte, Akademiker und Unternehmer wählbar sein. Der Preis für diesen Versuch, es allen recht machen zu wollen, ist, dass immer weniger Menschen aus der Kernwählerschaft angesprochen werden. Und somit müssen sozialdemokratische Parteien schon froh sein, wenn sie bei den Wahlen ein Ergebnis von knapp über 30% erzielen. Und dabei ist diese Strategie völlig unverständlich. Würde die Sozialdemokratie nämlich die große Mehrheit der unselbstständig Beschäftigten gewinnen, dann wäre sie auch heute noch der überlegene Wahlsieger und selbst die Absolute nicht ausgeschlossen. Es wäre daher wesentlich zielführender auf die Stimme bestimmter Bevölkerungsgruppen zu verzichten, aber dafür dort zu punkten, wo eine sozialdemokratische Politik ihre programmatische Heimat hat. Aber die Sozialdemokratie überlässt immer größere Teile ihrer Kernwählerschaft dem Rechtspopulismus, der diesen Menschen zwar keine Lösungen zu bieten hat, aber ihren Frust und ihre Enttäuschung kanalisiert. Das ist nicht nur verhängnisvoll für die Sozialdemokratie, sondern auch für unsere Gesellschaft und ihr demokratisches Grundverständnis gefährlich.

steinbrueckHarmonie statt Hegemonie

In Folge dieser generellen Harmoniebedürftigkeit ist die Sozialdemokratie in ihrer politischen Praxis sowohl auf parlamentarischer Ebene als auch in der Regierungstätigkeit allzu zu sehr auf Konsens aus. Sie verkennt dabei, dass der Koalitionspartner nicht nur Partner, sondern auch der Vertreter eines grundlegenden Interessengegensatzes sein kann, der die Möglichkeit des harmonischen Miteinanders streng limitiert. Zwar verlangt die Zusammenarbeit auf dieser Ebene stets Kompromissbereitschaft. Aber es darf dabei nicht übersehen werden, wo der Kompromiss zum Verrat an den eigenen Werten wird. In dieser Hinsicht hat die Sozialdemokratie gegenüber den Konservativen seit Längerem das Nachsehen. Die Sozialdemokratie ist deshalb gefordert, die politische Hegemonie bei ihrer Regierungsarbeit anzustreben und diesen Anspruch auch den Wählern überzeugend zu vermitteln.

brownKein gesunder Machiavellismus

Das dies zur Zeit nicht gelingt, liegt auch daran, dass die Konservativen – die diesen Namen übrigens gar nicht mehr verdienen, da sie keine Werte mehr verteidigen, sondern den Neoliberalismus ungezähmt gewähren lassen – im Unterschied zu den Sozialdemokraten ihr Gefallen an der Macht zelebrieren. Die Konservativen punkten heute bei den Wählern weniger mit den Werten, die sie verteidigen, sondern vielmehr durch die masochistische Lust, die bei den Wählern durch diesen Triumph der reinen Macht hervorgerufen wird. Die Sozialdemokratie ist also dazu aufgerufen, endlich wieder den Ort der Macht positiv zu besetzen, indem sie Macht nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Verwirklichung des Guten anstrebt. Unter dieser Voraussetzung sollte sie auch wieder überzeugender einen gesunden Machiavellismus zur Schau stellen. Dazu ist es allerdings notwendig, strategische Spielräume offen zu haben. Am Beispiel Österreich kann man aber sehen, dass die Sozialdemokratie mit ihrem kategorischen Nein zur Zusammenarbeit mit dem Rechtspopulismus zwar moralisch punktet, aber sich taktisch gegenüber der konservativen Volkspartei vollkommen in die Defensive manövriert.

Deshalb ist es höchst an der Zeit, dass die Sozialdemokratie wieder zu ihrer Stärke zurückfindet, Macht im Interesse der ArbeitnehmerInnen wahrzunehmen!