Gerhard Kohlmaier: Die Freiheit des Marktes bewirkt die Versklavung des Menschen

29. Oktober 2010

In vielen Ländern Europas stößt die Verordnung von Sparkursen auf Widerstand. Sparkurse gegen die Menschen, Sparkurse, welche Sozialleistungen und Zukunftschancen der Menschen erheblich einschränken. Parallel dazu gibt es in zahlreichen Staaten einen politischen Rechtsruck. Auch in Österreich. Beides gibt zu bedenken, beides ist hingegen nicht verwunderlich.

Die Sparkurse sind Teil der neoliberalen Strategie. Zuerst propagiert man die Freiheit des Marktes, eine Freiheit, die sich wenige, vor allem große Konzerne und Banken insoferne zu nutze machen, als sie sich die Freiheit nehmen, die Märkte nach ihrem Gutdünken zu beherrschen. Je mehr sie wachsen, umso größer wird ihre Freiheit, weil sie unabhängig werden, Monopole bilden und letztlich die Politik für ihre Interessen einschalten. So werden sie frei, gemessen an der Willkür ihrer Entscheidungen, welche in erster Linie ihrem Macht- und Gewinnstreben dienen, die aber zu Lasten von all jenen gehen, die ihnen diesen Reichtum und diese Macht erarbeiten: den Arbeitnehmern. Letztere gewinnen in keiner Weise an Freiheit, im Gegenteil, sie werden abhängig und auf moderne Art und Weise versklavt. Natürlich könnten sie von ihren Verträgen zurücktreten, aber im Unterschied zu den Mächtigen und Reichen, welche das dann tun, wenn es ihnen noch mehr Vorteile bringt, haben die meisten Arbeitnehmer keine Alternativen. Ihre Freiheiten sind nämlich eingeschränkt, weil Monopolstellungen kaum mehr Wahlmöglichkeiten lassen, weil die herrschende Politik ihnen ihre Freiheiten nimmt, weil die Medien ihnen falsche Freiheiten, falsche Werte als erstrebenswert vorgaukeln. Die neoliberale Krisenbekämpfung sah zudem vor, alle Arbeitnehmer, ja sogar ganze Staaten, in ein weiteres Maß von Unfreiheit zu zwängen, indem die von den Neoliberalen allein verursachte Krise, vor der, ja selbst während dieser sie im übrigen kräftig profitierten, zur Krise von Staaten, von ganzen Volkswirtschaften, von allen Arbeitnehmern, allen Bürgern erklärt wurde. Und das Überraschende ist: Viele, allzu viele glauben tatsächlich, dass sie dafür eine Verantwortung tragen. Warum?

Wer ständig in Unfreiheit lebt, wer ständig von Institutionen, Arbeitgebern, Politikern abhängig ist, auf deren Entscheidungen er im Wesentlichen keinen Einfluss mehr hat, beginnt sich mit ihnen zu arrangieren. Der Unfreie nimmt sich seine vermeintliche Freiheit im Abwägen des geringeren Übels oder aber im Ausnützen von noch Schwächeren bzw. im Heraufbeschwören von Sündenböcken. Dazu kommt, dass viele Bürger sich überhaupt nicht vorstellen können, in welchem Maße sie ihre ureigensten Lebensinteressen vernachlässigen bzw. vernachlässigt haben und primär den Interessen der Mächtigen in die Hände arbeiten. Sie haben sich längst – unter kräftiger Mithilfe der Medien, die natürlich ebenfalls überwiegend in neoliberalen Händen sind –  einer Automatik der Lebensführung ausgeliefert, in der sie den Steuerungsmechanismen einer neoliberalen Politik und Wirtschaftsauffassung unterliegen und diese für das einzige Credo ihrer Lebensführung halten. Sie haben die Entscheidung über ihr eigenes Leben längst all jenen Institutionen, Konzernen und Politikern überlassen, welche sie tagtäglich in neue Abhängigkeiten zwingen, welche ihr Leben verwalten.

Ein freies Leben sieht anders aus, eine davon entscheidend geprägte Lebensqualität ebenso! Dort wo der einzige Sinn des Lebens im Streben nach Geld und nach Konsum vorgegaukelt wird, gehen andere Wertvorstellungen notgedrungen verloren: Solidarität, Identifikation mit dem eigenen Tun, Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und der Welt, wie sie von uns gestaltet oder besser gesagt verunstaltet wird.

Der sich nun in zahlreichen Ländern abzeichnende Widerstand ist daher in erster Linie kein Widerstand gegen das System, es ist kein Widerstand gegen das Wesen neoliberaler, ausbeuterischer, auf den Vorteil Weniger bedachter Politik. Es ist ein Widerstand gegen den Verlust der Scheinfreiheiten, die dem System immanent sind. Es ist ein Widerstand gegen den drohenden Verlust des Arrangements. Und letztlich ist es auch ein Widerstand gegen den vorgegebenen Sinn des Lebens, dessen Verlust für die Mehrheit der Menschen immer spürbarer wird, ohne dass sie einen Ersatz dafür parat haben. Das ist auch die Stunde der Rechten. Sie versprechen Scheinlösungen, sie liefern Sündenböcke, sie lenken von den wahren Gegebenheiten ab und hoffen auf diese Art und Weise selbst eine Monopolstellung erreichen zu können. So sehr sie von den derzeit Mächtigen vordergründig auch abgelehnt werden, so sehr haben sich diese längst mit ihnen arrangiert. Sie liefern nämlich den Stoff, aus dem die rechtsradikalen Träume entstehen, welche die Realität der Verhältnisse überdecken. Die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen, die explodierenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse, von denen viele Menschen nicht mehr leben können, die steigenden Ängste um den Arbeitsplatz bzw. der Verlust desselben, die Aushöhlung des Sozialsystems – das alles führt insbesondere bei jungen Menschen zu einer Hoffnungslosigkeit, aus welcher ihnen die rechten Politiker ein Entrinnen vorgaukeln.

So führt letztendlich die so sehr gerühmte Freiheit des Marktes zu einer besonders gefährlichen Form der Unfreiheit für die überwiegende Mehrheit der Menschen. Nur wenn es uns gelingt, dieses neoliberale Credo in seinen Grundfesten zu erschüttern, können wir wieder an Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung unseres Lebens gewinnen. Eine andere Steuerpolitik ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, und gerade jetzt – in der Diskussion über neue Sparpakete für die Bevölkerung – muss eine Umverteilung von oben nach unten das erklärte Ziel sein. Aber auch unsere demokratischen Strukturen müssen überdacht werden, die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das politische Geschehen ausgeweitet werden, sei es durch Willenskundgebungen auf der Straße, durch Streiks oder durch Volksabstimmungen, aber auch durch das Installieren neuer, effizienter Strukturmechanismen wie Wahlgemeinschaften, Zusammenschlüsse innerhalb der so genannten Zivilgesellschaft sowie eines neuen Verständnisses von Politik und Wirtschaft. Wir müssen uns zur Wehr setzen! Jetzt!

Dieser Artikel erfolgt mit freundlicher Gernehmigung der Steuerinitiative im ÖGB.


Kritische Analyse des Budgets für 2011

25. Oktober 2010

Die Regierungsmitglieder von SPÖ und ÖVP haben sich Samstag Nachmittag hinsichtlich der Einnahmen- und Ausgabenmaßnahmen beim Budget geeinigt. Im Steuerbereich kommt wie schon länger geplant die Bankenabgabe. Diese soll ca. 500 Mio. Euro Mehreinnahmen bringen. Allerdings fallen durch die Abschaffung der Kreditvertragsgebühr 150 Mio. an Einnahmen weg. Der Wegfall der Spekulationsfrist bei Aktien wird zunächst 30 Mio. bringen und soll jährlich steigen und ab 2014 schließlich 250 Mio. jährlich an Mehreinnahmen bescheren. Durch den Wegfall der Begünstigung der Zwischenbesteuerung in Stiftungen sollen 2011 50 Mio. mehr in die öffentlichen Haushalte fließen. Auch hier wird erwartet, dass die Einnahmen jährlich steigen. Durch ein Betrugsbekämpfungspaket werden 100 Mio. an zusätzlichen Steuerleistungen erwartet.

Durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer (plus 5 Cent bei Diesel, plus 4 Cent bei Benzin) soll 2011 417 Mio. mehr in die Staatskasse überführen. Allerdings steht dieser Maßnahme eine Erhöhung der Pendlerpauschale um 5% und Erleichterungen für LKW gegenüber, die  etwa 50 Mio. kosten werden.  Bei der Normverbrauchsabgabe, durch Flugticketzuschläge sollen weitere 85 Mio. aufgebracht werden. Durch eine Erhöhung der Tabaksteuer ist eine Mehreinnahme von 100 Mio. für den Staatssäckel zu erwarten.

Ausgabenseitig kommen vor allem für Familien einige Kürzungen zum Tragen. Durch die Auszahlung der Familienbeihilfe nur noch bis zum vollendeten 24. Lebensjahr und die Kürzung der 13. Familienbeihilfe auf pauschal 100 Euro und die Begrenzung auf Kinder zwischen 6 und 15 Jahren sind Einsparungen von 238 Mio. geplant. Die Streichung des Mehrkindzuschlags und der Wegfall des Alleinverdienerabsetzbetrags für kinderlose Familien sollen weitere 125 Mio. an Ersparnis bringen. Beim Pflegegeld gibt es eine Verschlechterung in den ersten beiden Stufen, da die Voraussetzungen um jeweils 10 Stunden Pflegebedarf erhöht werden. Bei der höchsten Pflegestufe gibt es eine kleine Erhöhung, sodass insgesamt eine Einsparung von 17 Mio. herauskommen soll.

Bei den Neupensionen wird es in Zukunft keine Erhöhung innerhalb des ersten Jahres geben. Bei der vorzeitigen Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer (= Hacklerregelung) wird die steuerliche Absetzbarkeit beim Nachkauf von Schulzeiten wegfallen, sodass die Kosten dafür um etwa 12 Mio. sinken. Bis 2013 bleibt diese Regelung unverändert bestehen und wird danach durch eine Regelung ersetzt, die weniger Kosten verursach soll. Das Antrittsalter wird ab 2014 sowohl bei Frauen wie auch bei den Männern um 2 Jahre erhöht.  Bei der vorzeitigen Pension aufgrund von Erkrankung soll durch verstärkte Rehabilitation zunächst ein Mehraufwand von ca. 7 Mio. gegeben sein, längerfristig sollen die Kosten jedoch deutlich sinken. Durch die positive Entwicklung der Arbeitslosigkeit sei bei der Arbeitsmarktförderung 2011 eine Ersparnis von 44 Mio. zu erwarten.

Im Bildungsbereich werden sowohl den Universitäten wie auch für den Ausbau der Gesamtschulen jeweils 80 Mio. mehr im Jahr zur Verfügung gestellt. Jedoch werden den Universitäten die Einführung von Studieneingangsphasen in überlaufenen Studienfächern zugestanden.

Zur weiteren Ankurbelung der positiven Konjukturentwicklung wird die thermische Sanierung mit 100 Mio. Euro gefördert.

Wie ist dieses Gesamtpaket im Hinblick auf eine gerechte und solidarische Gestaltung der Budgetkonsolidierung zu beurteilen? Dass die Bankenabgabe eingeführt wird, ist sehr zu begrüßen, da die Banken vom Staat durch das Bankenpaket gerettet wurden und somit mit Recht zum Abbau der dadurch entstandenen Schulden herangezogen werden. Entgegen anders lautenden Behauptungen werden die Banken diese Belastungen nicht unmittel an ihre Kunden weitergeben werden können, da sie die laufenden Verträge einhalten müssen und ein gesunder Wettbewerb dafür sorgen sollte, dass jene Banken, die ihren Neukunden keine höheren Gebühren verrechnen, im Vorteil sein sollten. Trotzdem ist nicht völlig auszuschließen, dass die Bankenabgabe im Laufe der Jahre indirekt zu einer Massensteuer wird. Der Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Privatstiftungen und die Streichung der Spekulationsfrist bei Wertpapieren ist eine längst fällige Maßnahme, da diese Regelungen dazu geführt haben, dass Kapitalzuwächse keinen angemessenen solidarischen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben beigetragen haben. Dass keine echte Vermögensteuer eingeführt wurde (z.B. zumindest durch Anpassungen bei der Grundsteuer) und auch die Gruppenbesteuerung nicht wesentlich reformiert wird, ist unter dem Gesichtspunkt, dass auch Konzerne und Vermögende einen fairen Beitrag leisten sollen, sehr bedauerlich.

Die getroffenen Maßnahmen bei den Massensteuern sind nicht eindeutig zu bewerten. Wenn man die gesundheitlichen Auswirkungen des Tabakkonsums ernsthaft in den Griff bekommen möchte, dann sind Lenkungsmaßnahmen selbstverständlich zu begrüßen. Jedoch waren die Erfolge bei der Tabaksteuer bisher schon eher bescheiden. Eindeutig zu begrüßen ist jedoch, dass 40 Mio. der Einnahmen dem Kassenstrukturfonds zur Verfügung gestellt werden, da dies eine gesundheitspolitisch sinnvolle Zweckbindung darstellt. Allerdings ist hier der Wermutstropfen zu beklagen, dass den Krankenkassen ursprünglich 100 Mio. im Jahr für diesen Zweck zugesagt wurden. Angesichts der weiterhin schlechten Einnahmesituation wird den Kassen dieses Geld sehr fehlen und eine Sanierung ihrer Finanzen verunmöglichen.

Wenn man die Kosten für die Umwelt in Rechnung stellt, dann ist es auch unumgänglich, bei der Mineralölsteuer und anderen den Individualverkehr betreffenden Abgaben anzusetzen. Dass die Mehreinnahmen jedoch rein budgetäre Ziele verfolgen und keine Zweckbindung dieser Einnahmen erfolgt, ist bedauerlich. Da auch die sozialen Auswirkungen (durch die Erhöhung der Pendlerpauschale) nur unzureichend abgefedert werden, hinterlässt uns mit einem weinenden Auge. Die Erleichterungen für Frächter wiederum können wohl nur als Lobbyingerfolg dieser Branche gewertet werden, da sie ein ökologisch völlig verkehrtes Signal geben. Dass auf Flugreisen eine Abgabe eingehoben wird, mag jene Reisenden, die das gewachsene Angebot an Billigflügen genutzt haben, verärgern, ist in ökologischer Hinsicht aber vollkommen richtig, da der zunehmende Flugverkehr sehr ungünstige Auswirkungen auf die globale Klimaentwicklung mit sich bringt.

Dass vor allem im Familienbereich deutliche Einsparungen erfolgen, ist einerseits überraschend, da die erklärte „Familienpartei“ ÖVP am Verhandlungstisch saß. Andererseits ist dies auch in Hinsicht auf sozialdemokratische Werte nicht besonders wohlüberlegt. Denn die Herabsetzung der Bezugsdauer der Familienbeihilfe trifft vor allem die Kinder aus ärmeren Schichten und wird hier das Erreichen höherer akademischer Grade in dieser Gruppe weiter erschweren. Hier kann auch eine Erhöhung des Unibudgets um 80 Mio. jährlich und die Investition von 80 Mio. in den Ausbau der Gesamtschulen nicht darüber hinwegtrösten, dass der Zugang zu höheren akademischen Weihen finanziell und durch Zugangsbeschränkungen noch stärker limitiert wird.

Die Kürzung bei der 13. Familienbeihilfe ist erstens skurril, da diese erst 2008 eingeführt wurde. Zweitens ist die Beschränkung auf das schulpflichtige Alter zwar im Einzelfall nicht allzu merklich, aber symbolisch ein deutliches Signal gegen eine gute Ausbildung von Kindern aus den unteren Schichten. Auch wenn bei den Familien die Einsparungen in einem Bereich erfolgen, den traditionell die ÖVP für sich gepachtet hat, so ist es für die SPÖ beschämend, dass sie diese Errichtung von Hürden bei der Bildung nicht verhindern konnte. Immerhin ist ein freier Zugang zur Bildung ein bewährtes Anliegen der Sozialdemokratie. Den StudentInnen ist also auch aus Sicht der ArbeitnehmrInnen viel Erfolg für ihren Kampf gegen die geplanten Maßnahmen zu wünschen und die solidarische Unterstützung zu unterbreiten.

Die Kürzungen beim Pflegegeld sind in einer Zeit zunehmenden Pflegebedarfs als eine rein fiskalische Maßnahme zu sehen, deren soziale Auswirkungen durchaus überprüft werden sollten. Es mag schon richtig sein, dass bei den ersten beiden Pflegestufen das Pflegegeld des Öfteren gar nicht für Pflegemaßnahmen verwendet wird. Dennoch dürfen jene, die sehr wohl darauf angewiesen sind, nicht für diesen unerwünschten Mitteleinsatz bestraft werden. Außerdem sollte umfassend erhoben werden, in welchem Ausmaß der Bedarf an Pflege mit weniger als 60 Stunden pro Woche tatsächlich guten Gewissens ohne Pflegegeldzahlung zumutbar ist.

Bei den Pensionen ist zunächst zu sagen, dass die Aufschiebung der ersten Erhöhung eine reine Sparmaßnahme darstellt, die willkürlich je nach Antrittsdatum zu einer mehr oder weniger großen Benachteiligung führt, die keineswegs als sozial anzusehen ist. Bei der vorzeitigen  Alterspension ist zu begrüßen, dass die Planungssicherheit jener gewahrt bleibt, die in den nächsten Jahren diese Form der Alterspension beabsichtigt hatten, da bei der Hacklerregelung bis 2013 keine Änderung erfolgt. Der Wegfall der steuerlichen Begünstigung beim Nachkauf von Schulzeiten macht insofern Sinn, als durch diese Möglichkeit die bisherige Regelung vor allem von Angestellten und Beamten in Anspruch genommen werden konnte. Dennoch kann man nicht erwarten, dass jene Bevölkerungsgruppe glücklich über diese Maßnahme ist. Bevor eine endgültige Bewertung der Neugestaltung, die eine Erhöhung des Antrittsalters beinhalten wird, erfolgen kann, muss abgewartet werden, wie die genaue Regelung ab 2014 aussieht. Die Absicht, bei Invaliditätspension/Berufsunfähigkeitspension ab nun verstärkt auf die Rehabilitation zu setzen, bevor der Übergang in den Ruhestand erfolgt, geht zwar in die richtige Richtung. Aber der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass finanzielle Erwägungen die Hauptrolle spielen und die Unternehmen nicht wirklich in die Pflicht genommen werden, um den Rehabilitationswilligen altersgerechtes Arbeiten auch zu ermöglichen. Bevor nichts Genaues über die geplante Lockerung des Berufsschutzes bekannt ist, lässt sich dazu wenig sagen. Es seien nur zwei prinzipielle, aber konträre Bemerkungen erlaubt: Erstens ist der Berufsschutz in einer Zeit der veränderten Berufsbiografie antiquiert, da die klassische Erwerbsbiografie einer durchgängigen Berufsausübung eine Seltenheit geworden ist. Aber zweitens macht er dennoch auch heute noch Sinn, um Menschen vor dem ungebremsten Abstieg in Arbeitswelt zu bewahren.

Die weitere Investition in die thermische Sanierung ist als konjunkturbelebende Maßnahme zu begrüßen. Unbefriedigend ist jedoch, dass die Sozialmilliarde nicht umgesetzt wird, da diese einen noch stärker positiven Effekt auf Arbeitsmarkt und Wirtschaftsentwicklung hätte.


Erkenntnisse für die Sozialdemokratie aus der Wien-Wahl am 10. Oktober 2010

11. Oktober 2010

Der 10. Oktober 2010 war für die Sozialdemokratie ein Tag der herben Enttäuschung. Die absolute Mehrheit ist mit fast hundertprozentiger Sicherheit dahin und die FPÖ kann die Stimmen seit 2005 beinahe verdoppeln. Während die SPÖ vor Auszählung der Wahlkarten bei knapp 44,3% hält, kommt die FPÖ nun auf mehr als 27%. Wenn man jedoch ins Detail geht und sich die Ergebnisse in den einzelnen Bezirken ansieht, dann ist zu erkennen, dass es an diesem Tag nicht nur einen Trend gegeben hat: Während die SPÖ in den traditionellen Arbeiterbezirken Simmering, Favoriten und Floridsdorf Verluste bis zu knapp 13% hinnehmen musste, konnte sie in den traditionell bürgerlichen inneren Bezirken sogar moderate Zugewinne machen. Die SPÖ war diesmal deutlich erfolgreicher bei den jungen Wählern (46%), während die FPÖ bei diesen sogar nur auf Platz 3 ist. Die FPÖ wiederum war diesmal sehr stark bei den alten Wählern, während die SPÖ bei diesen deutlich verloren hat. Bei den Geschlechtern gab es bei SPÖ und FPÖ signifikante Unterschiede: die SPÖ kam bei den Männern nur auf 41%, bei den Frauen jedoch auf 50%; die FPÖ bei den Männern auf 28%, bei den Frauen nur auf 20%. Bei den Wählern mit Migrationshintergrund kam die SPÖ auf 55%, die FPÖ hingegen nur auf 16%. Im Gemeindebau erwarb die SPÖ 57%, die FPÖ 29% der Wählerstimmen. Bei den ArbeiterInnen hatte die SPÖ mit 52% die absolute Mehrheit, die FPÖ mit 40% aber ein überraschend gutes Ergebnis.

Für die Sozialdemokratie bedeutet dies, dass die Analyse dieser Wahl differenziert erfolgen muss: Einerseits ist Freude darüber angebracht, dass die SPÖ im bürgerlichen Milieu ihre Erfolgsbotschaft darüber, was sie für die Stadt geleistet hat, um sie besonders lebenswert zu machen, anbringen konnte. Erfreulich ist für sie auch, dass nach der herben Enttäuschung 2005 nun mehr Zuspruch bei den ganz jungen Wählern gewonnen werden konnte. Andererseits sollte die Sozialdemokratie sehr gründlich darüber nachdenken, warum sie bei den Männern deutlich weniger Anklang findet als bei den Frauen – und warum der früher so hohe Anteil bei den PensionistInnen deutlich gesunken ist und die FPÖ bei den ArbeiterInnen einen so signifikant hohen Zuspruch hat.

Einen Fehler sollte die Sozialdemokratie nach dem großen Erfolg einer rechtspopulistischen Partei in unserer Stadt jedenfalls nicht machen: zu glauben, dass sie selbst deshalb mehr nach rechts rücken müsse. Die SPÖ muss vielmehr in noch stärkerem Maße die Ängste jener Menschen ernst nehmen, die sich von der Zuwanderung, der wirtschaftlichen Dynamik einer globalisierten Welt und der europäischen Integration bedroht fühlen. Diese Ängste ernst nehmen heißt aber nicht, dass die psychologisch unreifen Abwehreflexe, die hinter einem solchen Votum stecken, übernommen werden müssen. Vielmehr muss die Sozialdemokratie diesen Menschen ein emotionales Angebot machen, indem sie ihnen klipp und klar sagt, wie sie gedenkt, diesen Menschen in den aktuellen Transformationsprozessen die nötige existenzielle Sicherheit bieten zu können. Dazu ist aber zu allererst nötig, in den eigenen Reihen das Bewusstsein noch mehr dafür zu schärfen, wessen Interessen die Sozialdemokratie auch im 21. Jahrhundert zu vertreten hat.


Entgegnung auf die neoliberalen Ergüsse der Industriellenvereinigung

8. Oktober 2010

Am 5. Oktober 2010 hat die Industriellenvereinigung eine Pressekonferenz abgehalten, wo Markus Beyrer und Veit Sorger neben ihrer Position in den Lohnverhandlungen mit der Gewerkschaft auch  ihre Vorstellungen zu Pensionsreform, Budgetkonsolidierung und neue Steuern präsentierten. Im folgenden möchte ich auf die einzelnen Themen eingehen und notwendige Richtigstellungen vornehmen bzw. ergänzende Überlegungen anstellen.

Zu den Lohnverhandlungen:

Mitten im Auftakt zu den Lohnverhandlungen in der Metallindustrie malt Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), die Zukunft der heimischen Betriebe in düsteren Farben: Zwar habe sich die Auslastung gebessert, für den erhofften Investitionsschub reiche das aber lange nicht. Zudem fange der heurige Produktionszuwachs gerade die Hälfte dessen ab, was im Krisenjahr weggebrochen sei. Der US-Dollar werde zum Leidwesen der Exporteure schwächer, und ein Aufschwung, der diesen Namen auch ohne staatliche Geldspritzen verdienen würde, sei nicht in Sicht.

Außerdem liegt dem IV-Präsidenten noch der „viel zu hohe“ Lohnabschluss aus dem vorigen Herbst im Magen. Damals hatten die Gewerkschaften – trotz rückläufiger Produktivität und niedriger Inflationsrate – eine Anhebung der Kollektivvertragslöhne um 1,5 Prozent durchgesetzt. Die Industrie habe sich damals bereit erklärt, 0,6 Prozentpunkte an zusätzlichem Lohnplus als „Vorleistung“ zu akzeptieren, wenn im Gegenzug die Arbeitszeit flexibilisiert würde. Im April brachen die Arbeitgeber die Verhandlungen darüber „wegen Sinnlosigkeit“ ab. Heuer müsse diese Vorleistung abgegolten werden, forderte IV-Generalsekretär Markus Beyrer. Entweder werde die Frist, innerhalb der Überstunden durch Zeitausgleich abgegolten werden können, endlich erhöht, oder man müsse die 0,6 Prozentpunkte aus dem Vorjahr eben „vom heurigen Ergebnis abziehen“.

Wie die beiden Chefverhandler der Gewerkschaft Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, und Karl Proyer, stv. Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft GPA-djp betonen, hat das Krisenjahr 2009 „[w]eit mehr als 20.000 Arbeitsplätze … allein in der Metallindustrie gekostet. Trotzdem wurden im Krisenjahr 2009 alleine in den 150 wichtigsten Metallindustrie-Unternehmen Gewinnausschüttungen von rund 2,2 Milliarden Euro an die Eigentümer oder Muttergesellschaften getätigt.“ Das Gejammere der Industrie ist somit ganz und gar nicht angebracht. Wenn man sich außerdem die Zahlen der letzten zehn Jahre anschaut, dann ist deutlich zu erkennen, dass die Produktivität und die Gewinne stets deutlich stärker gestiegen sind als die Löhne. So sind etwa in Österreich über alle Bereiche zwischen 2000 und 2008 die Gewinne um 60%, die Löhne jedoch nur um 30% gestiegen! Und dass die Produktion im Jahre 2009 aufgrund der Weltwirtschaftskrise stark eingebrochen ist (-10%), soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Produktivität je geleisteter Arbeitsstunde und je unselbstständig Beschäftigten deutlich weniger stark gesunken ist(-4,8% bzw. -7% laut Statistik Austria) und in den Jahren davor deutliche Zuwächse hatte (siehe auch nachfolgende Grafik).

Metallindustrie_Wachstum_2000_09

Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch steigende Arbeitslosigkeit und den massiven Einsatz von Kurzarbeit die Auswirkungen der Krise im Jahr 2009 auf die Industrie gebremst und solidarisch auf die Allgemeinheit übertragen werden konnten. Damit haben die ArbeitnehmerInnen in Österreich einen wichtigen Beitrag für den Industriesektor geleistet, für den sie nicht 2011 mit Lohneinbußen bestraft werden dürfen.

Deshalb betonen Rainer Wimmer und Karl Proyer, dass die Gewerkschaft bei keiner der anstehenden Lohn- und Gehaltsrunden die Gewerkschaften irgendwelche Versprechen einzulösen hätte. „Die Industrie soll endlich ihr Krisengejammere aufgeben und die gute Wirtschaftsentwicklung durch positive Signale an die Beschäftigten, die durch ihr Engagement einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, weiter stärken. Wir lassen uns nicht von den Herren Sorger und Beyrer vorschreiben, was wir im Auftrag der Beschäftigten und ihrer BetriebsrätInnen fordern. Es bleibt bei unserer Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten“.

Zum Reformbedarf in der Pensionsversicherung:

Martin Beyrer beklagte auf der Pressekonferenz zunächst, Österreich sei ,Frühpensionsweltmeister‘, von den Neuzugängen in den Ruhestand würden nur noch 21 Prozent auf die normale Alterspensionen entfallen, der Rest der Neuzugänge falle unter ,Hacklerregelung‘ oder Invaliditätspension. Dann rechnete er vor: Ein 60-Jähriger, der heute in eine ,Hacklerpension‘ gehe, habe im Schnitt nur für 9,5 Pensionsjahre eingezahlt, habe aufgrund seiner hohen Lebenserwartung aber fast 23 Bezugsjahre zu erwarten. Deshalb müsse diese Pensionsform nach einer ,Ausschleifregelung‘ bis 2013 abgeschafft werden. Dadurch könnten rund 500 Mio. Euro gespart werden.

Nach einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Invaliditätspensio, mit dem Vorbehalt ,Rehabilitation vor Rente‘, gab Beyrer zu Bedenken, dass eine verstärkte Rehabilitation nicht ausreichen werde, um die hohe Anzahl der krankheitsbedingten Frühpensionen zu reduzieren. Daher müsse dringend der Berufsschutz gelockert werden, damit der Zugang zur Invaliditätspension endlich erschwert wird.

Die Klage, Österreich sei ein Paradis für Frühpensionisten begleitet die neoliberalen Angriffe auf das österreichische Pensionssystem wie das Amen im Gebet. Da mir nun die Zahlen des Bundesministerium für Soziales, Arbeit und Konsumentschutz zur Verfügung stehen, möchte ich der IV mit aller Deutlichkeit ihre falschen Zahlen bewusst machen. Wenn man Inland und Ausland zusammennimmt, dann macht die normale Alterspension kanpp unter 28% der Neuzugänge aus. Wenn man nur das Inland heranzieht, dann ergeben sich knapp 23%. Wie die IV also auf einen Wert von 21% kommt, bleibt vollkommen räselhaft. Dass ein Mann, der mit 60 Jahren in die vorzeitige Alterspension aufgrung langer Versicherungsdauer übertritt, im Schnitt für 9,5 Jahre Beiträge eingezahlt habe, ist erstens nicht nachvollziehbar, wie die IV auf diese Werte kommt. Zweitens ist es irrelevant, da es für das Funktionieren des Umlageverfahrens keine Rolle spielt. Dieses funktioniert ja nicht auf die Weise, dass die Versicherten auf die eigene Pension ansparen. Vielmehr werden alle gegenwärtigen Pensionsleistungen aus den Einnahmen aus den Pensionsversicherungsbeiträgen finanziert.  Weiters erscheint es aufgrund der durchschnittlichen Lebenserwartung von Mänern eher unwahrscheinlich, dass ein 60jähriger im Durchschnitt 23 Jahre lang seine Alterspension beziehe wird. Hier scheint die IV auf den Fall eines 60jährigen die Lebenserwartung von Frauen anzuwenden.

Zur gewünschten Abschaffung der vorzeitigen Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer ist zu bemerken, dass die sogenannte Hacklerregelung zwar reformbedürftig ist, eine völlige Abschaffung mit 2013 aber 1. verfassungsrechtlich mehr als bedenklich wäre, 2. das allgemein anerkannte Prinzip „45 Jahre sind genug“ in Frage stellt. Statt sich Gedanken zu machen, wie durch größere Hürden auf dem Weg in die Pension ein paar hundert Mio. Euro eingespart werden können, sollte sich die IV einmal überlegen, wie die Bemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer vergrößert werden kann, damit unser System der Kranken- und Pensionsversicherung langfristig gesichert ist. Hier käme z.B. die oftmals geschmähte Wertschöpfungsabgabe in Frage, wodurch die Industrie endlich weniger Anreize für Personalabbau hätte und durch Einbeziehung der Kapitalfaktoren wieder einen angemessenen Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft leisten würde.

Was die Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension betrifft, so ist den unsozialen Überlegungen der IV der Spiegel vorzuhalten. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie die Arbeitsplätze in der Industrie so verbessert werden könnten, dass die ArbeitnehmerInnen länger gesund bleiben und auch im Alter einen Arbeitsplatz haben, der ihnen den Verbleib ermöglicht, möchte die IV alte und kranke Menschen einfach auf unqualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze abschieben.

Zu Budgetkonsolidierung und neuen Steuern:

Die Spitzenvertreter der Industriellenvereinigung  beharren für die geplante Sanierung des Staatsbudgets auf möglichst hohen Einsparungen bei den Ausgaben, ehe neue Einnahmen-Belastungen angedacht werden dürften. Zwar werde die Sanierung des Budgets nicht ganz ohne zusätzliche Einnahmen auskommen, aber ein absolutes „no go“ sei eine Vermögenssubstanz-Besteuerung oder ein Antasten der günstigen Gruppenbesteuerung, bemerkte Veit Sorger. Vorstellen könne er sich, eine längere Spekulationsfrist für Aktien, aber zum niedrigen 25-Prozent-KESt-Satz. Er selbst etwa versteuere Aktienverkäufe mit Gewinn unter einem Jahr Behaltefrist.

Und generell zum Thema höhere oder neue Steuern führt Sorger ins Treffen, ständig den Leistungsträgern und Leistungswilligen mit höheren Steuer-Belastungen zu drohen, sei nicht zielführend. Die Bestrafung der Leistungsträger führe nicht zu höheren Einnahmen, „sondern es werden dann Schlupflöcher gesucht“. „Da wird es eher zu Abflüssen als zu Zuflüssen kommen.“

Dass die IV in erster Linie sparen möchte, ging schon aus den Überlegungen zu den Pensionen hervor. Die Regierung hat sich ohnehin festgelegt, dass im Verhältnis 60:40 die ausgabenseitigen Maßnahmen überwiegen sollen. Was wir bei den Überlegungen der IV uns merken sollten , das ist, dass sie vor allem bei den anderen sparen möchte – am liebsten z.B. bei jenen Menschen, denen das Schicksal nicht gut gesonnen war, weil sie aufgrund einer Krankheit den Beruf nicht mehr ausüben können. Aber bei den Eigentümern, den Industriekapitänen und Managern darf nicht gespart werden. Eine Vermögenssteuer etwa ist tabu, obwohl die obersten 1% in Österreich sich eine solche Steuer bei einem Steuersatz von ungefähr 1% locker leisten können. Denn der jährliche Zuwachs an Vermögenbei dieser Gruppe ist im Durchschnitt ein Vielfaches davon.

Wenn die IV weiters die günstige Gruppenbesteuerung für untastbar erklärt, dann sollten wir nicht übersehen, dass sie hiermit ihre Zustimmung dazu gibt, dass heimische Unternehmen unter Umständen gigantische Gewinne machen, aber in Österreich keinen Cent Steuer zahlen. Denn die Regelung, Verluste ausländischer Töchter mindernd geltend zu machen, eröffnet viele Möglichkeiten für eine kreative Bilanzierung – und hat sich 2009 als desaströs für die Steuereinnahmen aus der KÖSt erwiesen.

Den Managern wiederum, denn diese sind mit den „Leistungsträgern“ gemeint – und nicht die Schar der ArbeitnehmerInnen, die Jahr für Jahr mit der Arbeit ihrer Hände oder Köpfe die Gewinne für die Unternehmen erarbeiten -, dürfe nicht mit höheren Steuern gedroht werden, sonst würden sie Schlupflöcher suchen. Diese Schlupflöcher haben diese doch längst schon gefunden, denn durch ihre Stock Options, die nach Ablauf der Spekulationsfrist steuerfrei bleiben, werden sie steuerlich begünstigt und durch die Verschleierung ihrer Vermögenszugewinne durch Transaktionen über Steueroasen entziehen sie sich teilweise ohnehin der heimischen Steuerpflicht.

Dass Veit Sorger sich wenigstens eine Verlängerung der Spekulationsfrist vorstellen kann, mag zwar löblich erscheinen. Aber eine freiwillige Versteuerung von längerfristigen Spekulationsgewinnen durch ihn macht steuerrechtlich keinen Sinn, da es dem Finanzamt nicht möglich ist, etwas einzuheben, das nach aktuellem Gesetzesstand nicht vorgesehen ist.


Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

3. Oktober 2010

Wie ich in meinem Weblog schon öfter dargelegt habe, steckt in dem Wort „Steuer“ das Verb „steuern“, das lenken und gestalten bedeutet. Steuern sind daher ein politisches Gestaltungsmittel, um eine Gesellschaft zu lenken und für den Staat die Voraussetzung schlechthin, um seine Aufgaben zu erfüllen. So werden über die Steuereinnahmen etwa öffentliche Einrichtungen finanziert, die Güter und Dienstleistungen gewährleisten, die von den privaten Unternehmen nicht oder nicht im notwendigen Ausmaß abgedeckt werden (z.B. Landesverteidigung, Schulen, Polizei, Gerichtswesen, öffentlicher Verkehr, Müllentsorgung usw.).

Weiters können mittels Steuern für die Allgemeinheit unerwünschte Verhaltensweisen im Rahmen einer freien Marktwirtschaft gelenkt werden (z.B. sollen Ökosteuern dazu anleiten, den Verbrauch fossiler Brennstoffe gering zu halten und vermehrt nachhaltige Energiequellen zu nutzen, die Tabaksteuer soll Raucher über die hohen Kosten zum Überdenken ihres gesundheitsschädlichen Verhaltens bringen).

Durch die Erhöhung oder Senkung von Steuern kann auch ein stabilisierender Einfluss auf das Wirtschaftswachstum ausgeübt werden. Im Falle einer Wirtschaftskrise, wie sie z.B. derzeit (noch immer) vorliegt, kann somit das Wachstum angekurbelt werden, indem durch Steuersenkungen die Kaufkraft der KonsumentInnen erhöht wird, die in Folge der Finanzkrise das letzte Bollwerk gegen den Abschwung darstellt. Welche Bedingungen muss ein Steuersystem daher erfüllen, um gerecht auszufallen?

Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

Der wichtigste Effekt einer gelungenen Steuer- (aber natürlich auch Sozial-)politik besteht jedoch in der Transferfunktion, d.h. darin, dass die Einkommensunterschiede geringer werden, indem hohe Einkommen stärkere Abzüge haben und sehr niedrige EinkommensbezieherInnen staatliche Zuwendungen erhalten. D.h. in der Umverteilung des Vermögens innerhalb einer Gesellschaft, wo Einkommen und Vermögen ohne diesen Eingriff sehr ungleich verteilt wären, liegt die Hauptaufgabe der steuerpolitischen Gestaltung, um Solidarität und Gerechtigkeit herzustellen.

Damit ein Steuersystem nun dem Prinzip der Fairness genügt, sollte es folgende Kriterien erfüllen. 1. Die Steuerbelastung erfolgt nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. D.h. über je mehr Einkommen jemand verfügt, desto höher sollte im Verhältnis die Steuerleistung ausfallen. Erfüllen lässt sich dieses Prinzip durch eine progressive Staffelung der Steuersätze.

2. Die Steuerleistung ist nicht von der gesellschaftlichen Stellung oder dem Bildungsgrad abhängig. D.h. es gibt keine Gesellschaftsgruppen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung Privilegien genießen. Außerdem darf ein niedrigeres Bildungsniveau zu keiner Benachteiligung bei den steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten führen. Schließlich darf es auch keine bevorzugten Gruppierungen geben, die über größere Einflussmöglichkeiten auf die Politik verfügen, wodurch sie Vorteile hinsichtlich ihres solidarischen Beitrags zur Finanzierung des Wohlfahrtsstaates erlangen.

3. Die Erträge aus den Steuermaßnahmen werden zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen (ein für jeden leistbares Gesundheitssystem, eine solidarische Altersvorsorge, Sicherheit, Infrastruktur usw.) sowie zum Ausgleich der Benachteiligung jener Personen herangezogen, die im Spiel des konkurrierenden Wettbewerbs schlechte Karten gezogen haben. D.h. aus den Steuermitteln (und den Sozialabgaben) sollte der Staat einerseits ein Sozialversicherungssystem finanzieren, das nach solidarischen Grundsätzen sicherstellt, dass jeder die beste Gesundheitsversorgung erhält, unabhängig von seinem Einkommen, und jeder im Alter nach Beendigung seiner Arbeitstätigkeit seinen Lebensausklang in Würde und ohne Notlage gestalten kann. Weiters sollte der Staat aus seinen Einnahmen jene Institutionen finanzieren können, die für Sicherheit im Inneren und nach Außen sorgen (Polizei, Militär), und den Bau und die Pflege einer guten Infrastruktur (Straßen, Bahn, öffentlicher Verkehr, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser usw.) bewerkstelligen können, um die gesamte Bevölkerung mit jenen Voraussetzungen zu versorgen, die jedem ein sicheres und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Jenen schließlich, die über kein hinreichendes Einkommen aus selbstständiger oder unselbständiger Arbeit, aus Kapitaleinkünften oder Ähnlichem verfügen, sollte der Staat Zuwendungen zuführen, die diesen ein Leben in Würde und ohne große Not sowie eine Einbindung in die sozialen Beziehungen und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen ermöglichen.