Hannes Androsch: Was jetzt zu tun ist

22. Januar 2021

Der ehemalige Finanzminister und Industrielle Hannes Androsch hat mit Unterstützung von Bernhard Ecker ein Buch zur Politik in der Corona-Krise verfasst: Was jetzt zu tun ist.* Das Buch soll Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben. Auf rund 140 Seiten nimmt er wichtige Themen in den Blick und er benennt die Versäumnisse der Regierung. Um es gleich vorneweg zu sagen, die Stärke des Buches liegt dort, wo Androsch die Fehler der Regierungspolitik scharf ins Visier nimmt – vorrangig im Umgang mit der Corona-Pandemie.

Schon in der Einleitung zählt er zahlreiche Fehler der Regierung auf: „Autoritäre Maßnahmen wie etwa die gesetzwidrige Schließung der Bundesgärten in Wien während des Shutdowns, die gerichtlich wieder aufgehobenen drakonischen Strafen für Spaziergänger oder der vehemente Wunsch von ÖVP-Politikern nach Handyüberwachung …“ (S. 8). Auch die Vorgänge in Ischgl sowie die Aushebelung des Rechtsanspruchs auf Entschädigung im Epidemiegesetz werden genannt. Insbesondere die durch bürokratische Mühlen nur langsam erfolgten Hilfen für die Unternehmen sowie das unsolidarische Verhalten auf europäischer Ebene sind Androsch ein Dorn im Auge.

Sozialdemokratie, Steuern und Schulden

Das Buch will aber nicht nur Kritik üben, sondern auch Antworten geben auf die brennenden Themen der Zeit: Bildung, Digitalisierung, Klima, Migration, EU und Weltordnung. An seiner Partei, der Sozialdemokratie bemängelt der ehemalige Spitzenpolitiker, dass sie keine Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts habe und die Nachwuchsarbeit vernachlässigt habe. Der 82-Jährige konstatiert, dass die Sozialdemokratie „zu einer bewahrenden und beharrenden strukturkonservativen Erscheinung geworden“ sei. „Sie ist keine Bewegung mehr, weil sie sich nicht bewegt und dadurch nichts bewegt.“ (S. 98) Darin liegt natürlich viel Wahres. Und dass eine Stimme aus der Vergangenheit, wie die seine, auch heute viel Gehör findet, ist kein gutes Zeichen. Wenn die österreichische Sozialdemokratie auf eine Stimme aus der Vergangenheit hören soll, dann ist es der Aufruf, der an sie beim Hainfelder Einigungsparteigang oder am Linzer Parteitag 1926 an sie ergeht.

Sind die Antworten des ehemaligen SPÖ-Finanzministers, der heute viel mehr in der Industriellenvereinigung zu Hause ist als in der Sozialdemokratie, tatsächlich auf der Höhe der Zeit – und mehr als nur abgenutzte Schlagworte? Er will die SPÖ auf ihre alten humanistischen Werte verpflichten: „Frieden, Freiheit, Toleranz, Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, der Marktwirtschaft und der sozialen Sicherheit“ (S. 100). Was hier sogleich auffällt, das ist, dass von den Grundwerten der SPÖ (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität) von Androsch an dieser Stelle nur die Freiheit genannt wird. 1890 oder 1926 hätte niemand auf die humanitären Werte verwiesen, sondern auf das große Ziel einer Gesellschaft jenseits der Ausbeutung.

Kann es sein, dass der Großindustrielle Androsch, der ein Vermögen von rund 290 Millionen besitzt, mit den einigen Grundwerten Probleme hat? Der SPÖ-Forderung nach einer Vermögenssteuer, von ihr Millionärssteuer genannt, kann er wenig abgewinnen. Bei seiner Argumentation gegen diese Pläne bedient er sich reichlich aus dem Fundus der Industriellenvereinigung. „Angesichts einer Rekordsteuerbelastung kann man mit neuen Abgaben, die das Wirtschaftswachstum behindern, nur negative Effekte auslösen. Vielmehr geht es darum, die so genannten Strömungsgrößen der Wirtschaft in Bewegung zu bringen und nicht bloß Bestandsgrößen umzuverteilen … Oder anders formuliert: Wer den Acker besteuert, schmälert die Grundlage des Wirtschaftens. Besser ist es, den Ertrag und damit den Nutzen zu besteuern“ (S. 138 f.), scheibt Androsch Seine Argumentation mag für das Zeitalter der industriellen Revolution zutreffend sein, im Zeitalter von Daten-, Plattform- und Überwachungskapitalismus, der mit einer ausgeprägten Refeudalisierung einhergeht, offenbart der Multimillionär damit nur seine ideologischen Scheuklappen beim Thema Umverteilung. Dass über viele Jahrzehnte eine ungeheure Ungleichheit beim Vermögen entstanden ist, ist für ihn kein Anlass, steuerliche Maßnahmen zur Korrektur in Angriff zu nehmen.

Für die Besteuerung der Profite aus der Digitalisierung schlägt Androsch vor, auf globaler Ebene die Daten zur Bemessungsgrundlage zu machen. „Der österreichische Versuch einer kosmetischen Digitalsteuer“ sei „eine Faschingsnummer und als Aktionismus zu bewerten“ (S. 57), bringe dies doch nur 25 Millionen Euro im Jahr. Der Vorschlag von Androsch sollte um die Ideen von Alfred Dallinger zur Einführung einer Wertschöpfungsabgabe ergänzt werden. Auch die von Androsch geschmähte Finanztransaktionssteuer darf angesichts der ausufernden Rolle des Finanzkapitalismus nicht abgetan werden.

Androsch zieht Keynes Hayek und Friedman vor, verteufelt also Schulden nicht. Aufgrund der Coronakrise seien diese ohnehin alternativlos. Androsch ruft die legendäre Aussage von Bruno Kreisky in Erinnerung: „Ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächte als Millionen Menschen ohne Halt und Perspektive.“ (S. 141) Um Österreich bei Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz, öffentlicher Nahverkehr usw. voran zu bringen, so Androsch, lohne es sich also durchaus, Schulden aufzunehmen. An den ÖVP-dominierten Regierungen der letzten Jahre bemängelt er jedoch, dass diese die seit 2010 vorhandene Zinsersparnis von 62 Milliarden Euro irgendwo versickern ließ.

Bildung

Was fordert Androsch beim Zukunftsthema Bildung. Er erzählt uns zunächst ein wenig aus seiner eigenen Bildungsbiografie in der Nachkriegszeit, die trotz aller Widrigkeiten ihm den Aufstieg ermöglicht hat. Dann beklagt er, wie rückständig die digitale Ausstattung unserer Schulen ist. Dadurch könne die egalitäre Aufgabe, d.h. die Teilhabe und Chancengleichheit nicht erfüllt werden. Es ist dem Mitinitiator des Bildungsvolksbegehrens voll und ganz recht zu geben, dass in Österreich keine Chancengerechtigkeit besteht, sondern Bildung weiterhin vererbt wird. Das liegt aber nicht vorrangig an der mangelhaften Ausstattung. Selbstverständlich müssen die Schulen für das digitale Zeitalter gerüstet sein, d.h. mit Laptops, Tablets und schnellem Internet ausgestattet sein. Das theresianische Erbe im Schulwesen spielt schon eine größere Rolle bei den Versäumnissen in Österreich. Dieses werde besonders am unzeitgemäßen Föderalismus des Schulwesens deutlich. Ein zu geringer Anteil der Ausgaben „kommt auch tatsächlich in den Klassen an“ (S.39) und versickert in der Verwaltung.

Das größte Problem sei die zu frühe Trennung der Bildungswege. „Die Entscheidung, ein Kind mit zehn Jahren entweder ins Gymnasium oder in die Neue Mittelschule zu schicken, beeinflusst dessen späteren Entfaltungs- und Einkommenschancen gravierend“ (S. 36), schreibt Androsch. Diesem Urteil sowie seinem Eintreten für eine autonome, verschränkte Ganztagsschule kann man uneingeschränkt zustimmen. Ob jedoch eine echte Schulautonomie, d.h. die freie Personalauswahl der Direktionen, wie er sie fordert, ausschlaggebend für die Chancengerechtigkeit ist, ist zu diskutieren. Eine wesentlich größere Rolle spielt sicherlich der Umstand, dass die Eliten ihren Nachwuchs zunehmend in Privatschulen schicken, während die öffentlichen Schulen ihr Schicksal als Brennpunktschulen fristen dürfen. Eine gleiche Gesellschaft ist nur auf der Grundlage einer gut durchmischten Schule möglich. In dieser Schule profitieren alle Schüler voneinander.

Die Ergebnisse der PISA-Tests, die für Androsch der Maßstab zur Bewertung des Schulsystems sind, sollten jedenfalls nicht unser wichtigstes Kriterium bei der Beurteilung des Bildungssystems sein. Als Sozialdemokraten sollten wir uns daran orientieren, ob aus unserem Schulen mündige BürgerInnen hervorgehen, nicht daran, ob die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen geformte Arbeitskräfte mit möglichst geringem Kostenaufwand erhält. Das Grundsatzprogramm der SPÖ von 2018 sagt: „Bildung ist der Schlüssel zur Welt. Sie ist Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und ein Mittel zur Emanzipation. Sie macht uns zu kritikfähigen, freien und mündigen Menschen.“ (S.33) ** Die Sozialdemokratie selbst ist ja aus Bildungsvereinen hervorgegangen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Arbeiterinnen und Arbeitern das Bewusstsein ihrer historischen Aufgabe der gesellschaftlichen Emanzipation zu vermitteln. Davon ist heute leider wenig geblieben. Der Neoliberalismus hat erfolgreich solidarisches Streben nach gesellschaftlichem Ausgleich zerstört und dem Frönen eines egoistischen Individualismus zum Durchbruch verholfen.

Die Bildungsinitiative „Neustart Schule“ der Industriellenvereinigung ist mit ihrem Fokus auf Exzellenz für die Sozialdemokratie sicherlich nicht die erste Wahl für die Zielsetzung in der Bildung. Wo Androsch jedoch völlig richtig liegt, das ist die Bedeutung der Motivation der Lehrkräfte. „Am wichtigsten ist es, sicherzustellen, dass bei den Pädagogen neben Sachkunde auch Engagement und Begeisterungsfähigkeit vorhanden sind und erhalten bleiben.“ (S. 41)

Digitalisierung

Dem Miteigentümer des Leiterplattenherstellers AT&S liegt die Digitalisierung besonders am Herzen. Deshalb beklagt Androsch die mangelhafte Ausstattung mit Breitbandinternet und die Rückständigkeit Österreichs bei Automatisierung und Robotisierung. Dass letztere nur Jobkiller seien, bestreitet er. „Auf der anderen Seite entstehen viele neue, bessere und höher qualifizierte Jobs. Bei Kreativität und kritischer Reflexion oder Emotionen werden uns Roboter noch lange nicht das Wasser reichen“ (S. 51), schreibt er. Dass gerade bei den Unternehmen wenig Interesse an diesen Skills zu erkennen ist, darüber verliert Androsch allerdings kein Wort.

Seine Forderungen beschränken sich darauf, Österreich durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur und der digitalen Bildung fit für den internationalen Wettbewerb zu machen. Darauf sollte sich die Sozialdemokratie aber nicht beschränken. Das Grundsatzprogramm der SPÖ bleibt beim Thema Digitalisierung recht vage in Bezug auf eine sozialdemokratische Zielsetzung. Es heißt dort: „Die neuen Möglichkeiten müssen die Teilhabe am gemeinschaftlich erwirtschafteten Wohlstand und am gesellschaftlichen Zusammenleben erhöhen.“ (S. 54) In der Praxis zeichnet sich nämlich das Gegenteil ab: Bei sehr wenigen landet der Profit aus den neuen Entwicklungen und statt mehr Teilhabe zeichnet sich einerseits ein Überwachungskapitalismus, andererseits ein autokratischer Überwachungsstaat (z.B. China, Russland, Ungarn) ab.

Aufgabe der Sozialdemokratie muss es sein, eine Vision zu entwickeln, wie durch die Digitalisierung eine gesellschaftliche Transformation unterstützt werden kann, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und den Kapitalismus hinter sich lässt. Ziel ist eine Gesellschaft, die alle Menschen aus den Mühen des Daseins erhebt, ihnen volle Entfaltungsmöglichkeiten gewährt, ohne dass die eigene Entfaltung jene der Anderen einschränkt.

Klima

Dass der Klimawandel Realität und menschengemacht ist, daran besteht für Androsch kein Zweifel. Man müsse bloß mit den Altausseer Fischern sprechen, damit seine Folgen handgreiflich werden. Daraus zieht er den Schluss: „Was wir beeinflussen können, müssen wir beeinflussen, und dazu gehört eine umfassende Dekarbonisierung.“ (S. 61) Es ist also anzunehmen, dass Androsch sein Vermögen nicht in OMV-Aktien angelegen wird. Obwohl das Klima nicht auf nationalstaatlicher Ebene gerettet werden kann, beklagt er, dass Österreich im Klimaschutz ins Hintertreffen geraten ist. „Österreich hinkt den vereinbarten Klimazielen weit hinterher … Im Verkehrssektor wurde es verabsäumt, rechtzeitig die Weichen zu stellen.“ (S. 63) Als Befürworter der Dekarbonisierung bedauert er, dass Österreich andere Energiequellen zu wenig genutzt habe. Androsch bekennt sich in unpopulärer Weise zur Atomkraft und zu Kraftwerksprojekten wie Hainburg und Dorfertal. „Weil es ohne Atomkraft und ohne forcierten Ausbau der Wasserkraft nicht möglich sein wird, die Energiewende weg von den durch den CO2-Ausstoß so gefährlichen fossilen Energieträgern zustande zu bringen.“ (S. 64) Das Nein zur Atomkraft sieht er als nicht rational an. Die knappe Ablehnung von Zwentendorf 1978 ist für ihn nicht gegen die Atomkraft, sondern gegen Kreisky gerichtet gewesen. Selbst die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima seien kein Beweis für die Gefährlichkeit der Atomkraft, sondern lediglich für ein Managementversagen. Mit dieser Einschätzung ist Androsch ist in Österreich nicht mehrheitsfähig.

Den Ausbau der Wasserkraft dort zu verweigern, wo die Voraussetzungen dafür günstig sind, sieht er als großen Fehler der Energiepolitik an. Hainburg und Dorfertal hätten gebaut werden müssen. Die Bedenken der Umweltschützer, wertvolle Ökosysteme zu zerstören, finden bei Androsch kein Gehör. Was den Treibhauseffekt fördert, ist böse. Alle anderen Energieformen sind für ihn gut. Damit zeigt der ehemalige Steuerberater Androsch wenig Gespür für ökologische Anliegen – abgesehen von der Bekämpfung der Erderwärmung.

Androsch befürwortet den Ausbau der Bahn, die Einführung des 1-2-3-Tickets, eine CO2-Steuer, höhere Treibstoffsteuern und eine Reform des Pendlerpauschales. Was ihm nie in den Sinn kommen würde, das ist die Überlegung, dass vom Kapitalismus nicht zu erwarten ist, dass er ausreichend gegen den Klimawandel vorgehen wird. Solange starke Profitinteressen an fossile Energieträger gebunden sind, werden der Transformation massive Widerstände entgegenstehen. Androschs gehört jener Generation der Sozialdemokratie an, die aus den Augen verloren hat, dass es eine gerechte (und ressourcenschonende) Gesellschaft nur jenseits der kapitalistischen Ordnung gaben kann.

Migration

Beim Thema Migration fordert Androsch, das „xenophobe Spiel“ von FPÖ und ÖVP zu beenden, sodass für eine kontrollierte Migration und einen humane Flüchtlingsaufnahme die Voraussetzungen geschaffen werden. Dass dem Rassismus entgegengetreten werden muss, den der Kapitalismus gezielt schürt, um die Klasse der Werktätigen zu spalten, da ist Androsch beizupflichten. Er erinnert mit Recht daran, dass nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Ungarn-Aufstand und dem Prager Frühling sowie während des Jugoslawienkrieges „die von vielen Populisten lächerlich gemachte österreichische Willkommenskultur … stets funktioniert“ (S. 80) hat.

Zur Begründung, warum Österreich Zuwanderung benötigt, bemüht Androsch die Demografie. „In Österreich stehen derzeit 4,1 Millionen Erwerbstätige bald 2,5 Millionen Pensionisten gegenüber.“ (S. 82) Ohne slowakische 24-Stunden-Pflegekräfte, rumänische Bauarbeiter, ukrainische Spargelstecher und bosnische Holschläger sei unser System nicht aufrechtzuerhalten. „Ohne Migranten hätten wir längst schon eine schrumpfende Ein-Kind-Gesellschaft wie China, Japan oder Russland.“ (S. 84) Der Industriekapitän Androsch denkt beim Thema Migration also vorwiegend an für die Wirtschaft nützliche Arbeitskräfte.

Das Recht aller Menschen, ihre unbefriedigende Situation in der Heimat hinter sich zu lassen und an einem anderen Ort das Glück zu suchen, wird von ihm leider nicht bemüht. Wer jedoch beim Thema Migration nur an die von der Wirtschaft benötigten Arbeitskräfte denkt, erweist dem Kampf gegen Rassismus keinen guten Dienst. Nur wer die Grenzen für alle öffnet, wird am Ende in den Herzen der Menschen die Furcht vor dem Anderen nehmen und die Spaltung der Klasse beenden.

Europa und die Weltordnung

Der Anhänger eines Beitritts Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft macht sich Gedanken über ein Europa nach Merkel. Die EU-Skepsis der neuen ÖVP treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Österreich gehöre zu den größten Nutznießern der EU. Dennoch stehe Kanzler Kurz Orban näher als Merkel und Österreich gesellt sich beim EU-Budget mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark zu den „geizigen Vier“. Für Androsch ist die Erkenntnis aus der Corona-Pandemie: „Die vergangenen Monate haben noch stärker sichtbar gemacht, dass es ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit braucht.“ (S. 110) Daher lautet seine Forderung an die Regierung: „Wir sollten deshalb Angela Merkel und ihren Nachfolger aktiv unterstützen, wenn es um die konstruktive Weiterentwicklung des Projekts Europa geht … Denn bei allen großen Fragen wie Klimawandel, Digitalisierung, demographische Veränderungen oder Migration braucht es gesamteuropäische Lösungen; Lähmung durch rivalisierende Splittergruppen mit Partikularinteressen muss vermieden werden.“ (S. 112f.)

Die aktuelle Welt(un)ordnung der Rivalität zwischen dem wirtschaftlich aufstrebenden China und den USA, die noch immer die Heimat der mächtigsten Konzerne sind, beunruhigt Androsch. „Die US-Administration hat China zum strategischen Hauptfeind erklärt. Trump brach eine Serie von Handelskriegen vom Zaun.“ (S. 118) Über Trump weiß Androsch wenig zu sagen, sehr viel hingegen über die Entwicklung Chinas. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf China bereiten ihm Sorgen. „Laut offiziellen chinesischen Angaben haben rund zehn Prozent der 180 Millionen Wanderarbeiter in den großen Industriezentren wegen der Krise ihre Jobs verloren; tatsächlich dürfte es ein Drittel sein.“ (S. 120) Die Ausweitung des Staatssektors verschlinge „Unsummen an Krediten, die sich rasch als faul erweisen“ (Ebd.) würden. „Dazu kommen immer größere Bedenken, ob der mit digitalen Mitteln installierte Überwachungsstaat in China auf Dauer kompatibel mit westlichen Werten ist.“ (S. 121) Der Umgang mit den Protesten in Hongkong zeige, dass die Unternehmen zur „Geisel der Politik“ (Zitat Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking) geworden seien. Projekte wie die „Neue Seidenstraße“ weckten mit Recht den Argwohn des Westens, dass China immer mehr Staaten in die eigene Einflusssphäre zwingen wolle.

Wie soll Europa mit dieser Situation umgehen? „Europa muss sich auf die eigenen Beine stellen und eine klare Position zwischen den USA und China finden“ (S. 126), befindet Androsch. Den Abkoppelungstendenzen sowohl der USA wie auch Chinas müsse entgegengewirkt werden. D.h. die transatlantische Achse sollte gepflegt werden. „Und es ist ratsam, gegenüber China Eigenständigkeit zu signalisieren und rote Linien deutlich zu markieren.“ (S. 127) Androsch findet., dass die EU z.B. klar Position beziehen muss, wenn der chinesische Ministerpräsident Xi gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten macht. Wettbewerbskommissarin Vestager habe dafür ein schönes Bild gefunden. „Wenn du einen Gast zum Abendessen einlädst und er lädt dich seinerseits nicht retour ein, dann hör auf, ihn einzuladen.“ (Siehe S. 127)

Aus einer sozialdemokratischen Perspektive muss das Ziel einer guten Weltordnung durch solidarisches Handeln erreicht werden. Das Grundsatzprogramm der SPÖ kommt zu dem Schluss, „dass wir die globale Ungleichheit nur durch Kooperation und Koordination über Nationalstaaten hinweg bekämpfen können“** (GP S. 12). Weder die USA noch China, sondern in der internationalen Solidarität liegt für die Sozialdemokratie die Zukunft Europas. Androsch geht es jedoch mehr um die Behauptung Europas in einem globalen Wettbewerb.

* Hannes Androsch, Was jetzt zu tun ist, Brandstätter, Wien 2020.

** Grundsatzprogramm der SPÖ, Krems 2018.


Gerhard Zeiler: Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie

13. Dezember 2019

Der Medienmanager Gerhard Zeiler hat ein Buch über die Sozialdemokratie geschrieben. Von manchen wird es als Bewerbungsschreiben für die Funktion des Parteivorsitzenden angesehen. Er bestreitet dies entschieden.

Die Familie und Sinowatz

Stark ist das Buch, wenn er von seiner Familie erzählt, z.B. dem Großvater, der als gelernter Drucker von Jugend an in der Gewerkschaftsbewegung aktiv war und Tränen in den Augen hatte, als Franz Jonas zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Oder wenn er von der Vaterfigur Fred Sinowatz erzählt. Über dessen Credo sagt er: „Er nahm sich selbst nie wichtig, stellte immer das Resultat in den Vordergrund.“ (S. 45) Zu Unrecht sei Sinowatz unterschätzt worden, weil er darauf hinwies, dass „die Welt, in der wir leben, vielschichtig und komplex ist“. (S.49) Seine Einschätzungen zu anderen Persönlichkeiten wie Franz Vranitzky, Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Emanuel Macron muss man nicht zu hundert Prozent teilen.

Man gut verstehen, wenn er nach der Schilderung seiner Teilnahme an Protesten gegen den Vietnam-Krieg konstatiert: „Es gab allerdings kein Ereignis, das mich mehr politisierte als der Putsch vom 11. September 1973 gegen die Regierung Salvador Allendes in Chile.“ (S. 42)

Vom Neoliberalismus infiziert

Aber warum übernimmt er dann neoliberale Ansichten, wo er doch das Ereignis beklagt, wo der Neoliberalismus seine hässlichste Fratze gezeigt hat? Unter dem Titel „Neudefinition der Staatsaufgaben“ stellt er beispielsweise die Überlegung an: „Auch im Sozialbereich sollten wir- vorsichtig – den Grundsatz überdenken, dass alle Sozialleistungen für jede Bürgerin und jeden Bürger gleich sein müssen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass gewisse Sozialleistungen, wie etwa Familienbeihilfen, nur für wirklich Bedürftige vorgesehen sind.“ (S. 162f.) Diese Haltung ist nicht sozialdemokratisch, sondern konservativ und neoliberal. Letztere wollen Sozialleistungen nur für jene, die sonst verhungern oder auf der Straße landen würden. Beim sozialdemokratischen Zugang steht beim Sozialsystem im Vordergrund, dass jene, die nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, diese durch ihre angemessene Steuerleistung finanzieren. Dass der neoliberale Virus noch nicht die völlige Kontrolle übernommen hat, zeigt das Bekenntnis von Zeiler zu einem progressiven Steuersystem, das auch Erbschaften besteuert. Allerdings ist diese Haltung kein sozialdemokratisches Alleinstellungsmerkmal, sondern im klassischen Liberalismus ebenfalls selbstverständlich.

Macron statt Corbyn

Den Kopf muss man schütteln, wenn er Macron für sein „fortschrittliches sozial-liberales Konzept“ (S. 115) lobt und der Corbyn der traditionalistischen Auffassung des „Zurück zur reinen Lehre“ bezichtigt (Ebd.). Zurück hinter das Godesberger Programm der SPD ist ein Schritt in die Zukunft der Sozialdemokratie, da der dritte Weg gezeigt hat, wer dem Kapitalismus Zugeständnisse macht, führt die Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit.

Ein Programm für die SPÖ

Große Teile des Buches befassen sich damit, der SPÖ programmatische Ratschläge zu erteilen. Gleich zu Beginn empfiehlt er seiner politischen Heimat die Verortung als „Partei der linken Mitte“ (S. 12), die sich auf Jugend und Frauen fokussiert, sowie unter Führung von Rendi-Wagner eine Minderheitsregierung von Kurz akzeptieren solle – wenn  bloß ein Nettomindestlohn von 1.700 Euro und eine CO2-Abgabe mit sozialem Ausgleich ungesetzt wird (S. 15).

Dazu muss erstens gesagt werden, die Rede von der politischen Mitte eine psychologische Funktion erfüllt: Die Angst vor den Extremen nehmen. Eigentlich gibt es, mit Isolde Charim gesprochen, die politische Mitte nicht. „Sie wird von jenen hergestellt, die sich durchsetzen.“

Zweitens ist ihm beizupflichten, dass gerade bei den Frauen und der Jugend die Chancen der SPÖ liegen. Schade also, dass Rendi-Wagner erstere als Wähler leider nicht genügend überzeugt hat.

Drittens: Pro und Contra für eine Minderheitsregierung Kurz sind reine strategische Spiele, die die SPÖ in der schwierigen aktuellen Situation nicht weiterbringen.

An späterer Stelle formuliert er als Grundpfeiler einer sozialdemokratischen Politik: 1. Zum Frieden in der Welt beitragen. 2. Der zunehmenden Ungleichheit entgegentreten. 3. Den fortschreitenden Klimawandel bekämpfen. 4. Die Digitalisierung aktiv gestalten. 5. Bildung für alle zu einem zentralen politischen Thema machen. 6. Das Thema Sicherheit nicht den Rechtspopulisten überlassen. 7. Für einen starken und effizienten Staat eintreten. 8. Für ein starkes Europa eintreten. Hier kann man durchaus ein Stück des Weges mit ihm gehen. Aber ein klares Veto steht an, wenn er sagt: „Es geht um die Reform des kapitalistischen Systems, nicht um seine Überwindung.“ (S. 31) Die vielen Jahre als Manager im Medienbetrieb hat ihn vergessen lassen, was er in der Sozialistischen Jugend gelernt hat.

Migration

Zur Migration stellt er zehn Thesen auf, denen die SPÖ zu folgen habe. Diese sind großteils eine Gratwanderung zwischen Humanismus und Populismus, da er sich zum Recht auf Einwanderung bekennt, aber ohne Bedenken unter Berufung auf Sarah Wagenknecht konstatiert: „Wer die Gastfreundschaft verletzt, hat das Gastrecht verloren.“ (S. 126) Bejaht er somit auch eine Abschiebung von Straffälligen nach Afghanistan? Die Forderung nach einem Marshallplan für Afrika verdient jedoch die uneingeschränkte Zustimmung.

SPÖ neu

Im letzten Teil geht er explizit auf das politische Programm für eine neue SPÖ ein: 1. Die SPÖ ist die Schutzpartei der sozial Schwächeren, die Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit. Gleich der erste Teil ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Begriff „sozial Schwache“ ist erstens schlecht gewählt, weil die damit gemeinten nicht „sozial“ schwach sind, sondern aufgrund prekärer finanzieller Verhältnisse einer adäquaten gesellschaftlichen Teilhabe verlustig gehen. Selbstverständlich muss die Sozialdemokratie für die damit gemeinten da sein – denn sonst ist es niemand. Aber das eigentliche Ziel der Sozialdemokratie ist, dass Menschen nicht unter solchen Bedingungen leben müssen. Wenn er im Kampf gegen Armut einen gesetzlichen Mindestlohn fordert, wünscht man sich, er könnte sich mit seinem Großvater darüber austauschen, warum das Aufgabe von Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft ist.

Verstanden hat Zeiler allerdings, warum die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht das Allheilmittel für ein Sozialsystem der Zukunft bereithält.

  1. Die SPÖ steht im Kampf gegen den Klimawandel … an vorderster Front. „Denn wenn die SPÖ sich nicht in die erste Reihe des Kampfes gegen den Klimawandel stellt, wird sie – völlig zu Recht – keine Option für die Jugend bei künftigen Wahlgängen mehr sein.“ (S. 150f.) In diesem Punkt ist im vollkommen zuzustimmen.
  2. Die SPÖ ist eine wirtschaftsfreundliche Partei („Weil man die Kuh, die man melken will, nicht schlachten soll.“) Geschickt greift Zeiler hier auf Anton Benya zurück, um zu kaschieren, dass seine Ansichten in diesem Punkt wie die eines WKÖ-Funktionärs klingen: für Arbeitszeitflexibilisierung, gegen Ladenschlusszeiten. Den Slogan „Menschen statt Konzerne“ erachtet der Manager eines internationalen Medienkonzerns als „falsche Polarisierung“ (S. 154), die keine Wählerstimmen bringt. Die SPÖ möge durchaus eine „wirtschaftsfreundliche“ Partei sein – aber gewiss darf sie dem Kapitalismus nicht freundlich gesinnt sein.
  3. Die SPÖ ist … die Partei der Bildungsreformen. Die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen und die Ganztagsschule sind langjährige Forderungen der Sozialdemokratie. Die Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr ist unter den PädagogInnen weit verbreitet, aber kein „sine qua non“ sozialdemokratischer Bildungspolitik.
  4. Die SPÖ steht für Sicherheit und den Kampf gegen Kriminalität. Da von rechter Seite die Angst vor Kriminalität erfolgreich instrumentalisiert wird, sieht sich Zeiler genötigt, zu behaupten: „Zum Begriff Sicherheit muss sich die Sozialdemokratie ohne Wenn und Aber bekennen.“ (S. 157) Hier gibt das Sprichwort zu bedenken: „Warum zum Schmiedl gehen, wenn man den Schmied haben kann?“
  5. Es ist eine Neudefinition der Staatsaufgaben und auch der Staatsaufgaben erforderlich. Zu diesem Punkt wurde schon an früherer Stelle angemerkt, dass sich hier ein deutlicher Ausfluss von neoliberaler Ideologie bemerkbar macht. Der Staat ist für die Sozialdemokratie eben nicht auf die Schutz- und Kontrollfunktion zu reduzieren. Kurz blitzt bei Zeiler auch ein Keynesianisches Momentum auf, wenn er den „Investitionsauftrag“ (S. 161) des Staates einmahnt.

Schlussfolgerung

Kurz vor dem Ende fordert Zeiler: „Die SPÖ muss wieder Selbstbewusstsein ausstrahlen und mit einer Portion Optimismus die Zukunft gestalten wollen. Will sie Wahlen gewinnen, muss sie die Debatte über die Zukunft führen.“ (S. 164) Leider muss man aufgrund seiner Ausführungen in diesem Buch zu dem Schluss kommen: Er wäre wohl nicht der Richtige an der Spitze, da er in erster Linie das wiederholt, was wir schon so oft von den Vertretern des dritten Weges gehört haben.

 

Zeiler_BuchGerhard Zeiler

Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie

167 Seiten. EUR 22,–

Brandstätter. Wien 2019.


Kritik am Fiskalpakt ist keine Revolte gegen Faymann

15. Mai 2012

In den letzten Wochen hat sich in der SPÖ ein zunehmender Widerstand gegen den Fiskalpakt entwickelt. Nachdem an der Basis von Junger Generation und Gewerkschaft schon seit Längerem Unzufriedenheit wegen der Zustimmung der Parteispitze herrschte, kam es am Wiener Landesparteitag am 28. April zu einer intensiven Debatte über den Fiskalpakt, die dazu führte, dass ein Antrag zur Ablehnung des Fiskalpaktes der Jungen Generation zwar keine Mehrheit, aber dennoch beachtlichen Zuspruch fand. Der Wahlsieg von François Hollande führte dann endgültig auch bei einigen Nationalratsgeordneten zum Umdenken. Vom Klubchef der ÖVP, Karlheinz Kopf, wurde diese Entwicklung in einem Standard-Interview vom 12. Mai hämisch als Revolte gegen den Bundesparteiobmann Werner Faymann dargestellt, da Faymann als Vertreter Österreichs dem Fiskalpakt im Europäischen Rat der Regierungschefs zugestimmt hatte. Das ist eine böswillige Verdrehung der Tatsachen durch den politischen Gegner, die leider auch innerhalb der SPÖ einige Sympathisanten findet.

Der Fiskalpakt wird von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Attac sowie von Gewerkschaftern und von der Arbeiterkammer jedoch nicht bekämpft, um dem Bundeskanzler zu opponieren, sondern weil er ökonomisch unsinnig und demokratiepolitisch höchst bedenklich ist. Mit der Einrichtung einer dauerhaften Schuldenbremse und automatischen Korrekturmechanismen bei Überschreitung der Defizitkriterien würde der Fiskalpakt neoliberale Spielregeln manifestieren, die zu weniger Wachstum und in der Folge längerfristig sogar zu höheren Schulden führen. Außerdem ist der Fiskalpakt demokratiepolitisch desaströs, da er am europäischen Gemeinschaftsrecht vorbei die nationalen Parlamente in Budgetfragen entmachtet und die Europäische Kommission faktisch zum Gesetzgeber in der Wirtschaftspolitik macht.

Dass sich also in der SPÖ Widerstand gegen diese autoritäre Entwicklung der Europäischen Institutionen im Interesse der neoliberalen Elite regt, ist ein Zeichen dafür, dass es in der SPÖ noch Kräfte gibt, die ihre Verantwortung für die Interessen der Mehrheit der Menschen in Österreich ernst nehmen und sich nicht kampflos dem Lobbyismus der neoliberalen Elite geschlagen geben. Deshalb darf diese Initiative im Dienste einer wachstumsfördernden Wirtschaftspolitik und für ein demokratischer gestaltetes Europa nicht als Revolte gegen einen Spitzenpolitiker verkannt werden. Sie sollte vielmehr als das gesehen werden, was sie ist: ein Angebot an die Führung der SPÖ, gemeinsam den Weg in ein gerechteres, solidarischeres und demokratischeres Europa einzuschlagen, indem dem neoliberalen Spardogma sozialdemokratische Konzepte für mehr Wachstum und Beschäftigung entgegengesetzt werden.


Die Schuldenbremse ist wirtschaftspolitischer Unsinn

17. November 2011

Der Ministerrat hat am 15. November 2011 beschlossen, eine Schuldenbremse in die österreichische Verfassung zu schreiben. Damit soll erreicht werden, dass der Bund in Österreich ab 2017 nur noch eine Neuverschuldung von höchstens 0,35 % hat. Die Länder und Gemeinden sollen überhaupt ausgeglichen bilanzieren. Wenn die konjunkturelle Situation es erlaubt, soll in guten Jahren das Defizit sogar verringert werden. Bis 2021 soll dadurch die Gesamtverschuldung Österreichs auf unter 60 % des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden.

Wie ist diese Maßnahme aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht zu beurteilen? Nun, zunächst ist zu betonen, dass der Hintergrund für diese Maßnahme der massive Druck der Finanzmärkte auf die europäische Politik ist. Es herrscht seit Monaten ein großes Misstrauen gegenüber den Staaten des Euroraums. Das  hat dazu geführt, dass die Zinsen für Staatsanleihen steigen und die Kosten für Kreditausfallversicherungen gewaltig in die Höhe schießen. Neben Griechenland, Portugal, Spanien und Italien sind inzwischen Länder wie Frankreich oder Österreich betroffen. Denn sie müssen fürchten, dass sie den Status von Triple A-Schuldnern verlieren. Eine Herabstufung würde jedoch dazu führen, dass deutlich mehr Kosten für den Schuldendienst aufgrund höherer Zinszahlungen anfallen. Die Schuldenbremse ist also als ein Versuch zu sehen, die Finanzmärkte und die Ratingagenturen zu beruhigen.

Zu dieser Absicht ist zunächst zu bemerken, dass alle bisherigen Versuche der europäischen Politik, die Finanzmärkte in Zusammenhang mit der „Schuldenkrise“ zu besänftigen, fehlgeschlagen sind. Sie haben bisher nur zu einer kurzfristigen Beruhigung geführt, auf die stets noch schwerere Erschütterungen gefolgt sind. Wieso also sollte die Einführung einer Schuldenbremse nun Erfolg haben? Dass Österreich nach der Ankündigung der Schuldenbremse sogar höhere Zinsen für Anleihen zahlen muss, deutet darauf hin, dass diese Maßnahme ihre Wirkung verfehlen wird.

Außerdem darf nicht verschwiegen werden, dass in Hinsicht auf eine vernünftige Gestaltung der Staatsfinanzen die Schuldenbremse wirtschaftspolitischer Unsinn ist. Denn langfristig sind Staatsfinanzen nur dann in Ordnung zu bringen, wenn ein Staat sich der konjunkturellen Situation angepasst verhält. Wenn eine Hochkonjunktur mit hohem Wirtschaftswachstum herrscht, dann sollte der Staat diese Situation nützen, um über höhere Steuereinnahmen Defizite abzubauen. In einer Rezession bzw. während eines Wirtschaftsabschwungs darf eine Regierung jedoch nicht sparen, sondern sie muss antizyklisch investieren, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. In einer solchen Situation zu sparen, wäre vielmehr kontraproduktiv. Denn durch Sparmaßnahmen während einer Rezession wird der Abschwung verstärkt. Dies führt dann zu einem massiven Einbruch der Staatseinnahmen. Dadurch werden die Schulden am Ende größer statt geringer. D.h. eine Schuldenbremse hat im Falle einer Rezession den gegenteiligen Effekt: sie führt zu mehr statt weniger Schulden!

Die Schlussfolgerung daraus ist somit, dass der Staat zur Konsolidierung des Budgets ein strenges antizyklisches Programm verfolgen sollte. Einsparungen, die keine negativen Auswirkungen auf die Konjunktur haben (wie Vermögensteuern oder eine ausgewogene Verwaltungsreform), sind dabei immer möglich. Eine Schuldenbremse hingegen, die durch Einsparungen zu weniger Einkommen großer Teile der Bevölkerung führt,  gefährdet den Wohlstand aller, da dadurch das Wirtschaftswachstum gebremst bzw. überhaupt verhindert wird. Deshalb sollte sich Österreich nicht dem Druck der Finanzmärkte beugen und auf diese unsinnige Maßnahme verzichten.


Die unerträgliche Langeweile der Politik: Maria Fekters erste Budgetrede

21. Oktober 2011

Finanzministerin Maria Fekter hat am 17. Oktober 2011 im Parlament ihre erste Budgetrede gehalten. 92 Minuten lang las die Finanzministerin äußerst holprig und immer wieder fehlerhaft den langatmigen Text ihrer Rede ab. Eines der wenigen Bonmots war die abgelutschte Rede vom: „Budget als in Zahlen gegossener Politik“. Den Koalitionspartner SPÖ wusste sie gekonnt mit der Ankündigung der Wiedereinführung von Studiengebühren vor den Kopf zu stoßen.

Inhaltlich waren ihre Ausführungen jedoch wenig spektakulär. Wie zu erwarten war, ist das geplante Budget von einer schrittweisen Reduktion des Budgetdefizits geprägt. 2012 soll die Neuverschuldung bundesweit 3,2 % betragen. Bis 2015 soll das Defizit auf 2% gedrückt werden. Die Gemeinden sollen dabei ab sofort überhaupt ausgeglichen budgetieren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass der Konjunkturmotor nicht noch stärker ins Stottern gerät und keine unvorhergesehenen Ausgaben für eine neue Bankenrettung notwendig werden.

Die Ausgaben der einzelnen Ressorts werden im veranschlagten Budget mit Ausnahme des Lebensministeriums (das sogar weniger Geld erhält) nur leicht erhöht, sodass mit den zu erwarteten höheren Steuereinnahmen sich eine niedrigere Schuldenquote als in den letzten Jahren ergibt. Den Universitäten hat Fekter eine Unimilliarde zugesagt – allerdings nur in Schilling! Die Ausgaben für die Forschung werden weiter erhöht, von 2 % des BIP ist Österreich aber nach wie vor deutlich entfernt. Als größten Posten hat die Finanzministerien die Ausgaben für die Pensionen besonders hervorgehoben und deshalb die Notwendigkeit einer Reform, die zu einer deutlichen Erhöhung des realen Antrittsalters führt, betont. Details zu einer solchen Reformierung waren der Rede aber noch nicht zu entnehmen. Es ist jedoch zu befürchten, dass 2013 von der ÖVP ein neuer Angriff auf die unser Pensionssystem erfolgen wird. Die Gewerkschaft sollte also schon jetzt gewarnt sein, dass mit Verweis auf die höhere Lebenserwartung und das niedrige reale Pensionsantrittsalter weitere Kürzungen zu erwarten sind.

Von den anderen Ressorts gibt es hingegen nichts Berichtenswertes zu erzählen, da hier das business as usual fortgeführt wird.

Weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausgabenseite hat Fekter also für 2012 Reformen angekündigt. Weder soll durch eine Verwaltungsreform, die diesen Namen verdient  in stärkerem Ausmaße Ausgaben eingespart werden, noch hat sie neue Einnahmequellen auf steuerlicher Seite angekündigt, um Spielräume zur Budgetreduktion und für dringend notwendige Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich zu schaffen.

Allerdings hat sie in bewährter Manier die hohe Abgabenquote und das Leid des Mittelstandes unter der Steuerlast beklagt, da 38 % der Bevölkerung (jene die zwischen 25.000 und 100.000 Euro im Jahr verdienen) 75 % der Einkommensteuerzahlung schulterten – während 2,6 Millionen gar keine Einkommensteuer zahlten.

Wie üblich hat Fekter dabei erstens die Mittelschicht (das wäre die korrekte Bezeichnung) in der Einkommensverteilung völlig asymmetrisch angesetzt, da der von ihr angesprochene Einkommensbereich deutlich nach rechts verschoben ist und daher nicht in der Mitte liegt.  Zweitens werden durch diese Gegenüberstellung die Sozialversicherungsleistung und die Verbrauchssteuern außer Acht gelassen, die überwiegend von den unteren und mittleren Einkommen geleistet werden und eine ganz wesentlichen Beitrag der ArbeitnehmerInnen zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben darstellen.

Somit ist Ministerin Fekter zwar darin recht zu geben, dass unser Steuersystem Reformbedarf hat. Aber diese Reform sollte den Faktor Arbeit insofern entlasten, als den unteren und mittleren Einkommen mehr netto bleibt, den Spitzenverdienern ein höherer Beitrag abverlangt wird und von den Vermögen eine solidarische Leistung zur Erhaltung unserer Systems einer fairen und gerechten Lasten- und Leistungsverteilung gefordert wird. Denn davon profitieren wir alle, da damit ein Wohlstand auf breiter Basis sichergestellt wird, der ein solides und nachhaltiges Wachstum möglich macht. Wessen wir jedoch nicht bedürfen, das ist eine weitere Entlastung der Spitzenverdiener und Vermögenden, da dies nur die Schere zwischen Arm und Reich weiter vergrößert und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hemmt sowie den sozialen Zusammenhalt gefährdet.


Fekters neuerste Pläne zur Entlastung der Vermögenden

15. September 2011

Maria FekterFinanzministerin Maria Fekter hat mit ihrem neuesten Plan für eine Steuerreform aufhorchen lassen. Die obersten Einkommen sollen entlastet werden, indem die Grenze, ab dem der Höchststeuersatz von 50% fällig wird, von derzeit 60.000 Euro hinaufgesetzt wird. Konkrete Zahlen für die neue Grenze hat sie nicht genannt. Jedoch soll, wie so oft bei der ÖVP, dadurch der Mittelstand entlastet werden.

Staatssekretät Andreas Schieder (SPÖ) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass von einer solchen Maßnahme lediglich 3% der Einkommen profitieren würden, nämlich jene die mehr als 5700 Euro brutto im Monat verdienen. Von Entlastung des Mittelstands kann also keine Rede sein. Vielmehr würde eine solche Maßnahme nur den Spitzenverdienern zu gute kommen, die ohnehin von der Begünstigung der Sonderzahlungen (durch die die Höchsteinkommen höchstens 43% Einkommensteuer zahlen) und von der Höchstbemessungsgrundlage in der Sozialversicherung profitieren. Sieht man sich nämlich die Gesamtabgabenbelastung in Österreich an (Einkommensteuer, Sozialversichrung, Verbrauchssteuern), dann ergibt sich eine sehr flache Steigerung, d.h. wir haben ohnehin ein Art Flex Tax, sodass das Stöhnen der Spitzenverdiener in Österreich unbegründet ist. Unerfeulich hoch belastet ist jedoch der wahre Mittelstand, da mit hohem Eingangssteuersatz und proportionalem Sozialversicherungsbeitrag die Gesamtbelastung schon bei einem relativ geringen Einkommen die 40% Grenze überschreitet.

Einmal mehr zeigt sich also, dass die Volkspartei sich in „Lobbyingorganisation zur Förderung der Interessen der Reichen und Spitzenverdiener“ umbennen sollte. Dann hat es ein Ende mit dem unverschämten  Einspannen des Mittelstand für die Interessen der Vermögenden, das diese Partei ununterbrochen zur Schau stellt, wenn sie die Interessen der Vermögenden und Spitzenverdiener vertritt.


Die aktuelle Steuerdiskussion in Österreich

12. Juli 2011

Seit vielen Wochen kommt praktisch kein Pressetermin mit einem Spitzenpolitiker daran vorbei, das Thema Steuerreform anzuschneiden. Begonnen hat dieser Reigen mit der Antrittsrede des Vizekanzlers und neuen ÖVP-Obmannes Spindelegger, der in dieser Rede vorsichtig eine Steuerreform für 2013 mit Erleichterungen für  die Familien und die Leistungsträger in Aussicht stellt. Danach folgte die neue Finanzministerin Fekter mit einigen genaueren Angaben, wie sich die ÖVP eine Steuerreform für 2013 vorstellt. Dann folgen AK-Präsident Tumpel, Bundespräsident Fischer und Bundeskanzler Feymann jeweils in der Pressestunde; zuletzt meldet sich die Landeshauptfrau von Salzburg, Burgstaller, mit ihren Plänen zur Umwidmungssteuer zu Wort. Was ist von den diversen Vorschlägen dieser SpitzenpolitikerInnen zur Reformierung des Steuersystems zu halten?

Beginnen wir mit der Finanzministerin Fekter.

Sie kündigt im Mai Entlastungen für den Mittelstand an und bekräftigt die ÖVP-Ablehnung der von SPÖ und Gewerkschaft geforderten Vermögensbesteuerung. Der Mittelstand sei nämlich dreifach belastet – durch die Progression, durch verhältnismäßig geringe Transferleistungen und durch Wertpapier-, Sparbuch- und andere vermögensbezogene Steuern. Dazu Fekter im Wortlaut: „Dieses System ist nicht gerecht.“ Einer von der SPÖ favorisierten Vermögenssteuer, die auf die Substanz abzielt, erteilt Fekter eine Absage, weil dafür die Finanz „herumschnüffeln“ und erheben müsste, wer was besitzt. Den Mittelstand „hat man schon ausgepresst wie eine Zitrone. Und wenn jetzt auch noch eine Vermögenssteuer käme, würde man von der ausgepressten Zitrone auch noch die Schale herunterschaben.“ Deshalb erteilt Fekter allen Wünschen, Steuern zu erhöhen, oder neue Steuern zu erfinden, eine Absage.

Dass Fekter eine Entlastung des Mittelstandes fordert, ist löblich. Besser wäre es, wenn sie eine Entlastung des Faktors Arbeit forderte. Aber schon im Nachsatz wird schnell klar, dass es ihr damit ohnehin nicht ernst ist. Mit der Progression spricht Fekter zwar ein Problem an, dass durch den hohen Eingangssteuersatz in Österreich tatsächlich den Mittelstand trifft. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie mit den Betroffenen der Progression jene Minderheit meint, die mit Teilen ihres Einkommens in den Spitzensteuersatz von 50% fällt. Wenn Fekter jedoch die Verknüpfung von Mittelstand mit geringen Transferleistungen und Vermögenssteuer herstellt, so kann dies nur als haarsträubend empfunden werden und schlägt dem Fass den Boden aus. Erstens hat die WIFO-Studie von 2009 zur „Umverteilung durch den Staat in Österreich“ gezeigt, dass die Angehörigen des Mittelstands sehr wohl von den Transferleistungen profitieren. Zweitens wäre von einer Vermögenssteuer nach dem Modell von SPÖ und Gewerkschaft nicht der Mittelstand betroffen, sondern die obersten 5-10% der Einkommen. Bei dieser Gruppe von „ausgepressten Zitronen“ zu sprechen, denen man auch noch die „Schale abschaben“ möchte, ist pure Rhetorik. Denn diese Gruppe verfügt über ein durchschnittliches jährliches Einkommen von mehr als 55.000 Euro, ein Geldvermögen jenseits der 250.000 Euro, ein durchschnittliches Immobilienvermögen von mehr als  300.000 Euro, Unternehmensbeteiligungen im Wert  von durchschnittlich mehr als 250.000 Euro.

Am 19. Juni wurde AK-Präsident  Herbert Tumpel in der Pressestunde zu seinen Vorstellungen von Steuergerechtigkeit befragt.

Seine zentralen Forderungen sind die Vermögensbesteuerung für die „obersten zehn Prozent“ und der Kampf gegen Steuerhinterziehung – um die steuerliche Belastung der Arbeit reduzieren zu können.  „In Bälde“ will Tumpel gemeinsam mit ÖGB-Präsident Erich Foglar dazu  ein Steuerkonzept vorlegen.

Der AK-Präsident nannte zu dem Thema auch einige Zahlen: Bei der Vermögensbesteuerung kann er sich eine Freigrenze von einer Mio. Euro vorstellen – wobei es ihm um Finanzvermögen und Grundstücke geht und nicht um „Schnüffeln, ob jemand einen Pelzmantel hat“. Wie viel man damit einnehmen könnte, bezifferte er jedoch nicht genau; er erwartet aber ein „beträchtliches Aufkommen“ durch Vermögenssteuer und das Schließen von Steuerlücken etwa bei Stiftungen. Die Finanztransaktionssteuer – auf deren Einführung er ebenfalls drängte – könnte 1,8 Mrd. bringen und durch den Kampf gegen Steuerhinterziehung könnte man „mindestens zwei Mrd.“ aufbringen, schätzte der AK-Präsident.

Auf die Vorbehalte der ÖVP angesprochen, meinte Tumpel weiter, die Vermögenssteuer solle nicht den Mittelstand treffen. Ihm gehe es um jene zehn Prozent an der Spitze, die 60 Prozent des Finanzvolumens und 85 Prozent des Grundvermögens halten. Das sei „nicht der Mittelstand“, sondern „weit davon entfernt“. Diese obersten zehn Prozent würden 40 Prozent der Abgabenbelastung tragen, die untersten zehn Prozent 37 Prozent – „das ist nicht gerecht“. Tumpel hält nämlich die „Frage der sozialen Gerechtigkeit“ für ein „ganz wichtiges Thema“ – auch im Hinblick auf die Politik der SPÖ und die guten Umfragewerte der FPÖ. Er rät deshalb der Sozialdemokratie und der Regierungsmannschaft zu einer Politik, bei der die ArbeitnehmerInnen erkennen können, „dass sie zu ihrem Wohl ist“.

Herbert Tumpel wiederholt  also die berechtigten Forderungen von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, das österreichische Steuersystem durch höhere Vermögenssteuern und Entlastung des Faktors Arbeit gerechter zu machen. In der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und in der Einführung der Finanztransaktionssteuer sieht er ebenfalls gute Möglichkeiten, um eine sozial gerechte Erhöhung der Staatseinnahmen zu erreichen.

Aufgrund des massiven medialen Feldzugs von ÖVP und Industriellenvereinigung gegen die Vermögenssteuer muss er sich gegen den absurden Vorwurf zur Wehr setzen, damit werde der Mittelstand belastet. Tumpel stellt daher klar, dass lediglich die obersten zehn Prozent betroffen wären. Und bei diesen kann man mit Recht nicht vom Mittelstand sprechen. Es ist nur schade, dass Tumpel kein einprägsames Bild von den finanziellen Verhältnissen dieser Oberschichtgruppe zeichnet, sondern nur abstrakt die Abgabenbelastung der obersten und der untersten 10% gegenüberstellt.

Seinem Rat an die SPÖ, die Frage nach sozialer Gerechtigkeit zum Thema zu machen und mit einer klaren Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen gegen die FPÖ aufzutreten, kann nur voll und ganz beigepflichtet werden.

Am 26. Juni hatte dann Bundeskanzler Werner Faymann die Gelegenheit, in der Pressestunde seine Vorstellungen von Steuergerechtigkeit darzustellen und den Kritikern der Hilfe für Griechenland zu antworten.

Der Bundeskanzler hält 2013 für einen guten Zeitpunkt für eine Steuerreform. Bis dahin müsse man sich um das Wirtschaftswachstum kümmern, um dafür einen Spielraum zu haben. Im Rahmen einer Steuerreform sei es jedoch notwendig, über soziale Gerechtigkeit nachzudenken.

Mit seiner hervorragenden Wettbewerbsfähigkeit bei starker Kaufkraft und sozialem Ausgleich sei Österreich zwar eine „Modellregion in Europa“,  sagte Bundeskanzler Werner Faymann, aber dennoch dürfe man sich nicht zurücklehnen. „Wir müssen uns mehr für soziale Gerechtigkeit stark machen, sonst geht der Punkt, der Österreich zu einer Modellregion macht, verloren“, so Faymann mahnend. Er sei daher ein „überzeugter, aber nicht unkritischer Europäer“. Wesentliche Fragen der Zukunft würden nicht im eigenen Land, sondern gemeinsam in Europa entschieden, daher sei es wichtig, sich auf europäischer Ebene für und gegen etwas zu engagieren.

Zur Frage der Staatsverschuldung sagte der Bundeskanzler: „Wenn Schulden, auch die zukünftigen, so aufgebaut sind, dass man in Bildung, Infrastruktur und Forschung investiert, dann ist das zukunftsorientiert“. Wenn man allerdings Schulden mache, weil etwa Doppelgleisigkeiten in der Bürokratie nicht abgeschafft würden, dann bereite ihm das Sorgen. „Unser Land ist nicht nur neutral, sondern auch unabhängig. Wir müssen diese Unabhängigkeit erhalten, indem wir unsere starke wirtschaftliche Position und unser Triple-A-Rating halten“, warnt der Bundeskanzler eindringlich.

Eine kommende Steuerreform müsse durch Wirtschaftswachstum finanziert werden, führt Faymann weiter aus. Angesichts der aktuellen guten Daten für Konjunktur und Arbeitsmarkt gehe er davon aus, dass „wir das verdienen“. 2013 wäre ein guter Zeitpunkt für eine Steuerreform, bis dahin müsse man sich um das Wirtschaftswachstum kümmern. Im

Rahmen einer Steuerreform sei es notwendig, über soziale Gerechtigkeit zu reden. „Wir müssen darüber reden, wie gerecht es zugeht, wen wir entlasten wollen, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wie man mit vermögensbezogenen Maßnahmen auch die richtigen trifft, nämlich die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung“, sagt Feymann in Richtung Koalitionspartner.

Der Bundeskanzler bemerkt abschließend, dass er sich als jemand verstehe, der sich ganz besonders der Frage der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühle. „Ich finde keine schönere Vision, als die, dass jedes Kind durch eine gute Schule die gleichen Chancen hat, ganz gleich wo es geboren worden ist, dass jeder, der arbeiten gehen möchte, auch eine Arbeit findet, dass jeder respektvoll behandelt wird – eine schönere Vision gibt es nicht.“

Bundeskanzler Feymann ergänzt die Diskussion seines Parteikollegen Tumpel zur Steuergerechtigkeit um den neuen Aspekt, eine Steuerreform 2013 durch entsprechendes Wirtschaftswachstum zu finanzieren. Den AK-Präsidenten unterstützt er in der Forderung, eine solche Steuerreform müsse nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit erfolgen. Daher müssten die ArbeitnehmerInnen entlastet werden, die reichsten 5 % der Bevölkerung jedoch sollten durch höhere vermögensbezogene Steuern zur Kasse gebeten werden, damit in Bildung, Infrastruktur und Forschung investiert werden kann.

Feymanns abschließender Vision von Chancengleichheit in der Ausbildung, Arbeitsplatzsicherheit und Respekt in der Gesellschaft kann man nur wünschen, dass sie bald Wirklichkeit wird.

Am 3. Juli ergänzt Bundespräsident Heinz Fischer in der Pressestunde die Forderungen seiner Parteikollegen mit seinem Plädoyer für die Erbschaftssteuer.

Beim Thema Vermögenssteuern gebe es „Nachdenkbedarf“, sagt Fischer. Denn er sei ein Anhänger der Leistungsgerechtigkeit, und das derzeitige System habe mit Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun. Dazu Fischer im Wortlaut: „Leistung muss gefordert und gefördert werden. Aber gerade bei Erbschaften ist der Anteil der Leistung relativ überschaubar.“

Fischer fordert zwar nicht direkt eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, wohl aber eine „sachliche und ernsthafte“ Auseinandersetzung ohne Tabus. Damit befindet er sich auf einer Linie mit den Gewerkschaften, die stets gegen die Abschaffung der Erbschaftssteuer waren.

Das SPÖ-Modell zu einer Vermögenssteuer, das einen jährlichen Steuersatz zwischen 0,3 und 0,7 Prozent auf Vermögen über eine Million Euro vorsieht, bezeichnet er als Diskussionsbeitrag. „Ich freue mich, wenn andere sachliche Beiträge dazukommen.“

Der Bundespräsident spricht hier ein Thema an, dass nicht außer Acht gelassen werden darf, wenn man es mit sozialer Gerechtigkeit ernst meint. Denn alle Untersuchungen zum Thema Erbschaft zeigen, dass Erbenschaften sehr ungleich verteilt sind und somit die Ungleichheit in der Gesellschaft über Generationen hinweg prolongieren. Dass Heinz Fischer bei diesem Thema den Lieblingsbegriff der Konservativen, Leistung, ins Spiel bringt, ist ein geschickter Schachzug. Keine Frage, auch die ÖVP und die Industriellenvereinigung müssen ihm Recht geben: „gerade bei Erbschaften ist der Anteil der Leistung relativ überschaubar.“

Trotzdem hält sich die Freude in der SPÖ über diesen Vorstoß des Bundespräsidenten in Grenzen. Denn seitdem sich die SPÖ 2008 nach dem VfGH-Urteil nur kurz gegen die Abschaffung von Erbschafts- und Schenkungssteuer gewehrt hat, macht man dort lieber einen großen Bogen um dieses Thema. Das ist schade, da gerade das Thema Erbschaftssteuer in einer Diskussion über soziale Gerechtigkeit im Brennpunkt stehen sollte.

Am 5. Juli lässt die Landeshauptfrau von Salzburg, Gabi Burgstaller, im Interview mit einem neuen Vorschlag aufhorchen.

Sie erklärt gegenüber dem Standard: „Ich bin eine Befürworterin der Besteuerung des Vermögenszuwachses und nicht der Substanz. Ich werde als Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz auch einen Vorschlag für eine Widmungsabgabe machen. Der größte Hohn in unserem Steuerrecht ist, dass man mit einem Beschluss einer Gemeindevertretung Millionär werden kann – wenn Grünland in Bauland umgewidmet wird – und dafür keinen Cent Steuer zahlt.“

Im Ö1-Abendjournal am darauffolgenden Freitag hat sie dann ihren Vorschlag gegen die Kritik durch den Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Pühringer, verteidigt. Solche Umwidmungen seien derzeit von jeglicher Besteuerung befreit, was ungerecht sei, sagt Burgstaller dort. „Jeder, der Geld auf einem Sparbuch hat, zahlt dafür 25 Prozent an Zinsertragssteuer. Im Gegensatz dazu gibt es derzeit keinerlei Steuer auf Gewinne durch Umwidmungen.“ Burgstaller rechnet vor: „Wenn jemand ein Grundstück im Grünland im Wert von 100.000 Euro besitzt und die Gemeindevertretung eine Umwidmung in Bauland beschließt, kann dasselbe Grundstück plötzlich eine Million Euro wert sein“.. Sie verlangt deshalb eine 25-prozentige Umwidmungssteuer. „Der Differenzbetrag – in diesem Fall 900.000 Euro – wird in Österreich bisher überhaupt nicht besteuert. Hier sollte man meiner Ansicht nach ebenfalls eine Steuer von 25 Prozent einführen – also genau im selben Ausmaß, wie auch andere Gewinne besteuert werden“, sagte Burgstaller zur Erklärung.

Gabi Burgstaller liefert mit diesem Vorschlag eine Anregung, über die neben den vielen anderen ernsthaft nachgedacht werden sollte. Freilich sollte der ganze Bereich Grundsteuern umfassend reformiert werden, da mit den bestehenden Einheitswerten hier seit langem völlig unzeitgemäße Tarife bestehen, die dem Vermögenswert Grundstück keine sozial gerechte Bewertung angedeihen lassen.


Österreichs Millionäre werden mehr – ihre Abgaben bisher nicht

5. Juni 2011

Wie der Kurier in seiner Ausgabe vom 1. Juni 2011 berichtet hat, gehört  die österreichische Volkswirtschaft nicht nur zu den reichsten der Welt, die Alpenrepublik beherbergt auch überproportional viele Superreiche – auf je hunderttausend österreichische Haushalte kommen statistisch gesehen acht Haushalte, die ein Vermögen von mehr als 100 Mio. Dollar besitzen. Dies entspricht umgerechnet 69,5 Mio. Euro. Damit befindet sich Österreich in Sachen Millionärsdichte an weltweit fünfter Stelle und wird dabei nur von ölreichen Staaten und Finanzzentren abgehängt (Saudi-Arabien, Schweiz, Hongkong, Kuwait). Dies geht aus dem 31. Mai 2011 publizierten aktuellen „Global Wealth Report“ der Boston Consulting Group (BCG) hervor.

Insgesamt verfügen 297 der 3,5 Millionen österreichische Haushalte über ein verwaltetes Vermögen von mehr als 100 Mio. Dollar. Weniger reich gesegnet ist die Alpenrepublik laut dieser Statistik mit einfachen Millionären – sie taucht im weltweiten Ranking der einfachen Millionärshaushalte nicht unter den ersten 15 auf. In Österreich gab es 2010 rund 37.000 Dollar-Millionäre. Die anteilsmäßig meisten (Dollar-) Millionäre gibt es in Singapur, wo 15,5 Prozent aller Haushalte über ein Vermögen von mehr als 1 Mio. Dollar (695.000 Euro) verfügen. In der Schweiz gehören 10 Prozent der Bevölkerung zu diesem „Club“. In Österreich belief sich das insgesamt verwaltete Vermögen von Privatanlegern 2010 auf 656 Mrd. US-Dollar (486 Mrd. Euro), was einem Zuwachs von rund 7 Prozent entspricht.

Ursache für das Wachstum des Reichtums war vor allem die gute Entwicklung der Finanzmärkte, die durch die kontinuierliche Umverteilung der Anlageformen verstärkt wurde, berichtet die BCG in ihrem Reichtumsbericht 2011. So stieg von Ende 2008 bis Ende 2010 der Anteil der in Aktien angelegten Vermögenswerte von 29 auf 35 Prozent. „Während der Krise setzten die Anleger vor allem auf Bargeld“, erläutert BCG-Expertin Ludger Kübel-Sorger. „Inzwischen haben die Kunden aber ihre Gelder wieder in risikoreichere Anlagen umgeschichtet.“

Weltweit sind die Vermögenswerte von Privatanlegern im vergangenen Jahr um acht Prozent auf rund 122 Billionen (122.000 Mrd.) US-Dollar gewachsen und lagen damit um 20 Billionen über dem Wert, der Ende 2008 während des Tiefpunktes der Finanzkrise erreicht wurde. Trotz der Finanzkrise war das globale Vermögen 2009 freilich noch schneller (10,3 Prozent) gewachsen. Bis 2015 wird es um jährlich „nur mehr“ sechs Prozent zunehmen – vor allem getrieben durch die Entwicklung der Kapitalmärkte und das weltweite BIP-Wachstum, schreibt BCG. Dabei werden die Vermögenswerte in den Emerging Markets am stärksten zulegen. Schon im vergangenen Jahr sind die Vermögenswerte in der Region Asien-Pazifik (exkl. Japan) mit einem Plus von 17,1 Prozent am stärksten gewachsen.

Der Reichtum ist jedoch ziemlich ungleich verteilt: Millionärs-Haushalte machen weltweit zwar weniger als 1 Prozent aller Haushalte aus, ihnen gehören aber 39 Prozent des weltweiten Vermögens. Die Zahl der Dollar-Millionärshaushalte beträgt weltweit rund 12,5 Millionen. Die meisten von ihnen wohnen in den USA (5,2 Millionen), gefolgt von Japan (1,5 Millionen), China (1,1 Millionen) und Großbritannien (570.000).

Daher fordern ÖGB und Arbeiterkammer seit Jahren einen höheren Beitrag der Reichen in Österreich zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben des Staates und zur Entlastung des Faktors Arbeit – wie zuletzt ÖGB-Präsident Erich Foglar in der ORF-Pressestunde. Der SPÖ Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter hat sich im Anschluss an den Reichtumsreport diesen Forderungen nun entschieden angeschlossen. In einer Aussendung am 3. Juni 2011 forderte er einen gesellschaftspolitischen Grundkonsens darüber, dass Vermögende einen größeren Beitrag zur Stabilität des Staatshaushaltes zu leisten haben. „Reichtum, Vermögen und Grundbesitz sind nicht nur einseitig verteilt, die Kluft zwischen arm und reich vergrößert sich Jahr für Jahr“, sagte er. Es sei aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit unerlässlich, dass die bereits 37.000 heimischen Dollarmillionäre, davon fast 300 Superreiche mit einem verwalteten Vermögen von jeweils mehr als 100 Millionen Dollar, über einen gerechten Beitrag zur Kasse gebeten werden, sagte Kräuter weiter.

Der SPÖ Bundesgeschäftsführer rechnete zur Erklärung nämlich vor: In Österreich kommen nur 1,4 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern, in der EU sind dies 5,4 Prozent. Bei einer Anpassung an diesen Durchschnittswert würden vier Milliarden Euro jährlich zusätzlich für Bildungsinvestitionen, Gesundheitsaufgaben und zur Entlastung der wirklichen Leistungsträger zur Verfügung stehen.

Kräuter schloss seine Aussendung deshalb mit den Worten: „Letztendlich liegt sozialer Friede und gesellschaftspolitische Balance nicht nur im Interesse der hart arbeitenden Durchschnittsbevölkerung, es kommen Stabilität und sichere Rahmenbedingungen auch den Besitzenden und Vermögenden zugute. Daher sollte ein Grundkonsens für mehr Gerechtigkeit in Verteilungsfragen und eine höhere Besteuerung der Millionenvermögen in Österreich möglich sein.“ Da können wir ihm nur vollkommen beipflichten und darauf hoffen, dass die SPÖ diese Forderung endlich auch in der Koalition mit der Volkspartei durchsetzen kann. Die Chancen dafür sind freilich nicht allzu groß.


Unsachliche Panikmache des IHS bei den Pensionen

21. Februar 2011

Am 17. Februar 2011 sind IHS-Chef Bernhard Felderer und der Pensionsexperte des Instituts für Höhere Studien Ulrich Schuh an die Öffentlichkeit gegangen, um ihre neuesten Daten zur Entwicklung der Pensionen zu präsentieren. Das IHS erstellt ja gemeinsam mit dem WIFO die Prognosen für die Pensionskommission. Die bereits im November vorgelegten Berechnungen – die einen massiven Anstieg der staatlichen Ausgaben auswiesen – wurden aber von Teilen der Kommission und vom Sozialministerium bezweifelt, weshalb die Kommission ihre Empfehlungen auf das heurige Frühjahr verschoben hat. Nun haben IHS und WIFO neuerlich gerechnet. Am Resultat habe sich nichts grundlegend geändert, betonte Schuh neuerlich. Hinsichtlich der derzeitigen Situation kommt das IHS zu dem schon bekannten Ergebnis: Der durchschnittliche Österreicher ist 2009 mit 59 Jahren, die durchschnittliche Österreicherin mit 57 in Pension gegangen. Allerdings interpretieren das IHS diese Zahlen anders als das Sozialministerium, das einen leichten Anstieg des faktischen Antrittsalters konstatiert. Die Zahlen zeigten nämlich, so Felderer und Ulrich Schuh, dass die Pensionsreform 2003 ihr Ziel, Menschen länger im Erwerb zu halten, verfehlt habe.

Noch erschreckender sei, wenn man auf das Jahr 2020 vorausblicke. Denn dabei offenbare sich eine „tickende Zeitbombe“. Bis dahin werde die Zahl der 55- bis 65-Jährigen nämlich von einer Million auf 1,3 Millionen angestiegen sein. Ohne Gegensteuern würden angesichts der weiter steigenden Lebenserwartung die Ausgaben der Pensionsversicherung von 11,2 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf nahezu 15 Prozent bis 2050 ansteigen, der Zuschuss des Bundes werde sich von 2,8 auf rund sechs Prozent mehr als verdoppeln. Das ist wesentlich mehr als im Referenzszenario aus 2004: Die Gesamtausgaben liegen in den neuen Berechnungen für 2050 um vier Prozentpunkte, der Bundesanteil um drei Prozentpunkte höher. Das wäre, so führt Felderer weiter aus, weder für die PVA noch für den Bund „mehr zu finanzieren“.

Der Schlüssel, um dieser Problematik Herr zu werden, ergänzt Schuh, liege in der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, dort gelte es „Schlupflöcher“ zu schließen. Die mittlerweile verschärfte Hacklerregelung, der im Vorjahr 80.700 Österreicher die vorzeitige und abschlagsfreie Pension verdankten, sei „schleunigst“ abzuschaffen, ebenso wie die – nur von 2151 Personen in Anspruch genommene – Schwerarbeiterregel. Sehr viel verspricht  sich das IHS davon, die Invaliditätsrente, die im Vorjahr fast ein Drittel aller Neuzugänge ausgemacht hat, aus dem Pensionssystem herauszunehmen. Vorbilder dafür gebe es in Skandinavien, wo Betroffene im Arbeitsmarkt gehalten und für zumutbare Jobs umgeschult würden.

An den Ergebnissen von Felderer und Schuh ist vielfältig Kritik zu üben. So ist erstens der Arbeiterkammer  und dem ÖGB darin Recht zu geben, dass das IHS viel zu pessimistische Prognosen stellt und daraus abgeleitete langfristige Empfehlungen abgibt: „Offenbar hat das IHS zwar neue Berechnungen durchgeführt, geht aber trotzdem immer noch von den alten Ergebnissen und den alten viel zu pessimistischen Berechnungen aus“, kritisiert daher Alice Kundtner, Bereichsleiterin für Soziales in der AK Wien, „und das, obwohl mittlerweile auch wieder die aktuelle WIFO-Mittelfristprognose vom Jänner bestätigt, dass sich die Wirtschaft deutlich schneller erholt hat als noch im Langfristgutachten angenommen wurde.“ Nach Schätzungen der AK ergeben sich auf Basis der WIFO-Prognose allein im Bereich der Pensionsversicherung der Unselbständigen 2015 um rund 760 Millionen Euro niedrigere Bundesbeiträge als in der Mittelfristprognose vom Oktober 2010, weil die Beitragseinnahmen deutlich stärker steigen. Umso unverständlicher sei es daher, dass das IHS trotzdem an seinem pessimistischen Langfristszenario vom September des Vorjahres festhält. Skandalös ist es schon, dass daraus Empfehlungen für die die nächsten 50 Jahre gegeben werden. „Es ist einfach unsinnig, auf Basis von höchst unsicheren Szenarien politische Empfehlungen für eine mechanische und sofortige Aufteilung von ,Mehrkosten‘ für einen Zeitraum von 50 Jahren abzugeben. Das ist keine sinnvolle und vor allem keine verantwortungsvolle Pensionspolitik, sondern verunsichert die Bevölkerung, unterminiert das Vertrauen in die Politik und in das Pensionssystem nur noch mehr“, sagt daher völlig zu Recht Kundtner.

Zweitens ist dem IHS vorzuhalten, dass bei der Darstellung der Bundesmittel zur gesetzlichen Alterssicherung die Bundesbeamtenversorgung verschwiegen wird. Bezieht man diese nämlich in die Rechnung ein, dann steigt der Anteil der Bundesmittel wesentlich geringer. Deshalb hat  Karl Blecha, der Präsident des Pensionistenverbands, richtigerweise eingefordert, „dass bei der Beurteilung über die langfristige Sicherung der Pensionen auch der öffentliche Dienst einbezogen wird.“ Blecha moniert in berechtigter Weise, dass sich das IHS nur auf den langfristig steigenden Aufwand in der gesetzlichen Pensionsversicherung bezieht und der langfristig sinkende Aufwand bei den Pensionen im Öffentlichen Sektor unberücksichtigt bleibt.

Drittens ist dem IHS ein für ein Wissenschaftsinstitut überaus befremdlicher Umgang mit Fakten vorzuwerfen. So wird vom IHS beklagt, dass die Pensionsversicherung in Zukunft teurer wird als heute. Diese Feststellung ist nämlich gelinde gesagt trivial, zumal die Zahl der Pensionisten um 1,3 Millionen zunehmen wird. Will man nicht, dass die Älteren in die Armut getrieben werden, sind höhere Ausgaben unvermeidlich, wozu sich eine solidarische Gesellschaft auch bekennen sollte. Diese notwendigen Mehrausgaben jedoch als „tickende Zeitbombe“ zu bezeichnen, ist eine grobe Verunglimpfung jener älteren Menschen, die nach jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit einen existenzsichernden Pensionsanspruch erworben haben.

Viertens zeigt eine Studie der AK außerdem, dass bei den von den Reformen betroffenen Altersgruppen das faktische Antrittsalter bei Männern und Frauen von 1999 auf 2009 sehr wohl um 1,3 Jahre angestiegen ist, während das IHS von einem Sinken spricht. Gemäß Budgetbegleitgesetz läuft die Langzeitversichertenregelung im Sinne eines vorzeitigen Pensionsantritts völlig aus. Abgesehen von der Schwerarbeitspension gibt es damit bereits in wenigen Jahren für Frauen keine Möglichkeit mehr vor dem 60 Lebensjahr in eine Alterspension zu gehen, für Männer keine mehr vor dem 62. Lebensjahr.  Im Bereich der Invalididtäts-Pensionen wiederum wurde mit dem verpflichtenden Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“, der Gesundheitsstraße und „fit2work“ substantielle Maßnahmen beschlossen, die einen Beitrag zur Anheben des faktischen Pensionsalters leisten werden. Eine Entwertung dieser Reformen – bevor diese überhaupt zu wirken begonnen haben – ist nicht nachvollziehbar. Die Zahl der Invaliditätspensionen ist seit zehn Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben. Österreich liegt mit den Ausgaben für diese Pensionsart im europäischen Durchschnitt.

Richtig ist freilich, dass im Bereich der Invaliditäts-Pensionen Handlungsbedarf besteht, weil es nicht hinzunehmen ist, dass immer jüngere Menschen wegen psychischer Erkrankungen in Pension gehen müssen. Prävention zur Vermeidung von Invalidität sollte flächendeckend umgesetzt werden. Hier ist aber auch bei der Wirtschaft anzusetzen. Denn das Verhalten der Dienstgeber, Kranke und ältere Mitarbeiter so früh wie möglich zu kündigen, muss sich grundlegend ändern. Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen hier ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen, sondern die Kosten auf die Allgemeinheit überwälzen.

Das betont auch der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. Wer wolle, dass die Menschen später in Pension gehen, muss zuerst dafür sorgen, dass sie auch länger arbeiten können. Das heißt: Arbeitsplätze schaffen, und die Arbeitsplätze so gestalten, dass die Menschen auch arbeitsfähig bleiben und nicht aus Gesundheitsgründen vorzeitig in Pension gehen müssen. Die Wirtschaft müsse auch älteren ArbeiterInnen und Angestellten eine Chance geben und diese nicht bei erstbester Gelegenheit durch jüngere ersetzen. Der ÖGB fordert daher zur Sicherung der Pensionen:

– Sicherung des Umlage-Pensionssystems

– Gerechtes System für alle Pensionsarten: gleiche Beiträge für alle

– unbefristete Regelung für Menschen, die 45 bzw. 40 Jahre Beiträge geleistet haben

– Verbesserung der Schwerarbeitspension

– Arbeitslosengeld bis zum Regelpensionsalter, statt vorzeitigen Pensionsantritt ermöglichen

– Pensionskassen: garantierter Mindestertrag

– Wahl- und Wechselmöglichkeit zwischen Pensionskassen

In eine ähnliche Richtung geht auch der sozialdemokratische Pensionistenverband. Karl Blecha fordert nämlich: „Ein uneingeschränktes Ja zu einem Heranführen des faktischen an das gesetzliche Pensionsalter. Aber da muss die Wirtschaft mitspielen. Denn auch die Unternehmen nützen die ‚Schlupflöcher‘ des Pensionssystems. So ist es gängige Praxis, dass ältere Beschäftigte in die Pension gedrängt werden oder ihnen mit Golden-Handshake-Programmen das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schmackhaft gemacht wird. Dabei ist auch der öffentliche Sektor ein schlechtes Beispiel“.

Blecha verweist außerdem darauf, dass ein großer Teil der Neupensionisten aus der Arbeitslosigkeit heraus in die Pension geht. „Wir brauchen daher einen besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer und ich fordere eine Pönalisierung für Unternehmen, die ältere Beschäftigte rausschmeißen.“ Ebenso fordert Blecha, dass bereits entwickelte Programme wie z.B. fit2work oder die Gesundheitsstraße sowie Rehabilitation vor Pension rasch flächendeckend eingesetzt werden. Auch hier kritisiert Blecha die „Verweigerung“ der Wirtschaft, wenn es um die Finanzierung dieser Programme geht.


Former und Lenker der Gesellschaft werden. Victor Adlers Beitrag zur Bildungsdebatte

14. Februar 2011

Seit Monaten wird in Österreich eine intensive Bildungsdebatte geführt. Die Eckpfeiler der geführten Diskussion sind jedoch sehr unterschiedlich. Zwischen dem niederösterreichischen Landeshauptmann und der sozialdemokratischen Regierungsspitze konzentriert sich die Diskussion meist darauf, ob die Schulen nun allein der Landes- oder Bundesverwaltung unterstehen sollen. Zwischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium konzentrieren sich die unterschiedlichen Standpunkte darauf, in welcher Form der Zugang zum Hochschulstudium nun eingeschränkt werden kann und ob die Studierenden einen Beitrag zur Finanzierung in Form von Gebühren leisten sollen oder nicht. Zwischen Bildungsministerin und Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gab es 2009 monatelange Auseinandersetzung um die Erhöhung der Lehrverpflichtung, die auf beiden Seiten mit harten Bandagen geführt wurde. Im Dezember 2010 werden dann die Ergebnisse der neuesten PISA-Studie publik: Im OECD-Ländervergleich liegen beim Lesen nur mehr die Türkei, Chile und Mexiko hinter Österreich. Im Vergleich zu den letzten Ergebnissen erleidet Österreich also einen weiteren Rückschritt. Alle sind ob dieses Ergebnisses schockiert. Und noch bevor die PISA-Ergebnisse öffentlich werden, kündigt im Oktober der ehemalige Finanzminister Androsch ein „Volksbegehren Bildungsinitiative“ an.

Obwohl dieses Volksbegehren in die Bildungsdebatte eine Reihe von wichtigen Zielsetzungen einbringt, wie die frühe und kontinuierliche Förderung, das flächendeckende Angebot von Ganztagsschulen, die Erhöhung der sozialen Durchlässigkeit, die Aufwertung des Lehrerberufs, die Erhöhung des Hochschulbudgets und die Erhöhung der Akademikerquote,  so bleibt die Debatte dennoch davon geprägt, dass Bildung als Instrument zur Verbesserung des wirtschaftlichen Erfolgs gesehen wird. Die Bedeutung von Bildung wird allein darin gesehen, dass sie die Chancen des Einzelnen auf berufliches Weiterkommen erhöht und die Möglichkeiten, seinen Verdienst zu steigern, verbessert und einem Unternehmen oder Land durch eine Steigerung der Produktivität einen Vorteil im Standortwettbewerb verschafft.

Bildung kann aber  nicht nur als Mittel zum Zwecke des wirtschaftlichen Erfolgs gesehen werden, sondern als Zweck in sich selbst. Bei Wilhelm von Humboldt war Bildung ein Ideal der bürgerlichen Aufklärung, das das autonome Individuum und das Weltbürgertum zum Ziel hatte. Die Universität sollte der Ort sein, an dem autonome Individuen und Weltbürger hervorgebracht werden oder genauer gesagt, sich selbst hervorbringen. Damit die Universität dieses Zielverfolgen kann, fordert Humboldt die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Universität und die akademische Freiheit der Forschenden, die sich untereinander öffentlich austauschen können.

Obwohl in einer Zeit, wo durch zahlreiche Einflüsse auf die Universitäten und Hochschulen (z.B. Bologna-Prozess) der wirtschaftliche Einfluss stark zugenommen und die Orientierung auf die Berufsausbildung überhandgenommen hat, dem Humboldt’sche Bildungsideal insofern Bedeutung zukommt, als es uns daran erinnert, dass Bildung einen Zweck in sich selbst hat, gibt es eine Konzeption von Bildung, die darüber hinausgeht. Diese Konzeption von Bildung betrachtet Bildung zwar als ein Mittel. Aber als ein solches, dass einem Zweck dient, durch den Bildung den allerhöchsten Wert erlangt: Bildung als Voraussetzung der gesellschaftlichen Veränderung. Wir finden dieses Verständnis von Bildung beim aus bürgerlichem Haus stammenden Gründer der sozialdemokratischen Partei Österreichs: Victor Adler. Dieser bemerkt despektierlich über die Bedeutung der bürgerlichen Bildung, wie sie etwa Wilhelm von Humboldt als Ideal vorschwebte: „Das was man gewöhnlich unter Bildung versteht, das was die bürgerliche Gesellschaft als Bildung anerkennt, das ist vor Allem die Fähigkeit, korrekt zu schreiben, korrekt zu reden, korrekt zu essen und korrekt sich anzuziehen. Dazu muss man noch ein Quantum von Dichtern, Komponisten und Philosophen dem Namen nach kennen und muss beiläufig wissen, wann man im Theater ,Bravo!‘ zu rufen hat.“

Dieser bürgerlichen Vorstellung von Bildung setzt Adler daher eine Konzeption entgegen, die die Kraft von Bildung darin sieht, die gesellschaftliche Selbsterkenntnis zu befördern, um somit die Voraussetzungen für deren Veränderung zu schaffen. Und diese Konzeption wendet sich nicht an ein abstraktes Weltbürgertum, sondern an jene gesellschaftliche Gruppierung, die daran interessiert sein sollte, die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit zu verändern. Bei Adler sind das die unter dem Elend der Industrialisierung leidenden ArbeiterInnen. „Wir verlangen von euch keinerlei Korrektheit, wir verlangen von euch nichts als Selbsterkenntnis. Darüber nachzudenken, wie ihr geworden seid und was aus euch werden soll, euer Verhältnis zur Gesellschaft geistig zu erfassen, das nenne ich Bildung. Und auf eine noch höhere Bildung gelangt ihr, wenn einmal die Erkenntnis den Willen geweckt hat, wenn aus dem Bewusstsein, Produkte der Gesellschaft zu sein, das bewusste Streben erwächst, ihre Herren, ihre Former und Lenker zu werden.“

Ein solcher emanzipatorischer Bildungsbegriff wird heute schmerzlich vermisst. Es fehlt zum Beispiel weit verbreitet an einer kritischen Medienkompetenz, d.h. an der Fähigkeit, die Funktion und die Wirkungsweise von Medien zu erkennen und in weiterer Folge dieser Medienmacht aufklärendes Wissen gegenüberzustellen. Noch schmerzlicher fehlt es an politischem Bewusstsein für die Gefahren der schleichenden Unterwanderung der Demokratie durch die Einflussnahme dominanter ökonomischer Kräfte, die aufgrund ihrer unvergleichlichen Ressourcen die Meinungsbildung gestalten können. Bildung im Adlerschen Sinne ist unsere einzige Chance, um diesen Gefahren erfolgreich begegnen zu können. Deshalb ist es so ungeheuer wichtig, dass dieser Aspekt von Bildung nicht in Vergessenheit gerät.