Hannes Androsch: Was jetzt zu tun ist

22. Januar 2021

Der ehemalige Finanzminister und Industrielle Hannes Androsch hat mit Unterstützung von Bernhard Ecker ein Buch zur Politik in der Corona-Krise verfasst: Was jetzt zu tun ist.* Das Buch soll Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben. Auf rund 140 Seiten nimmt er wichtige Themen in den Blick und er benennt die Versäumnisse der Regierung. Um es gleich vorneweg zu sagen, die Stärke des Buches liegt dort, wo Androsch die Fehler der Regierungspolitik scharf ins Visier nimmt – vorrangig im Umgang mit der Corona-Pandemie.

Schon in der Einleitung zählt er zahlreiche Fehler der Regierung auf: „Autoritäre Maßnahmen wie etwa die gesetzwidrige Schließung der Bundesgärten in Wien während des Shutdowns, die gerichtlich wieder aufgehobenen drakonischen Strafen für Spaziergänger oder der vehemente Wunsch von ÖVP-Politikern nach Handyüberwachung …“ (S. 8). Auch die Vorgänge in Ischgl sowie die Aushebelung des Rechtsanspruchs auf Entschädigung im Epidemiegesetz werden genannt. Insbesondere die durch bürokratische Mühlen nur langsam erfolgten Hilfen für die Unternehmen sowie das unsolidarische Verhalten auf europäischer Ebene sind Androsch ein Dorn im Auge.

Sozialdemokratie, Steuern und Schulden

Das Buch will aber nicht nur Kritik üben, sondern auch Antworten geben auf die brennenden Themen der Zeit: Bildung, Digitalisierung, Klima, Migration, EU und Weltordnung. An seiner Partei, der Sozialdemokratie bemängelt der ehemalige Spitzenpolitiker, dass sie keine Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts habe und die Nachwuchsarbeit vernachlässigt habe. Der 82-Jährige konstatiert, dass die Sozialdemokratie „zu einer bewahrenden und beharrenden strukturkonservativen Erscheinung geworden“ sei. „Sie ist keine Bewegung mehr, weil sie sich nicht bewegt und dadurch nichts bewegt.“ (S. 98) Darin liegt natürlich viel Wahres. Und dass eine Stimme aus der Vergangenheit, wie die seine, auch heute viel Gehör findet, ist kein gutes Zeichen. Wenn die österreichische Sozialdemokratie auf eine Stimme aus der Vergangenheit hören soll, dann ist es der Aufruf, der an sie beim Hainfelder Einigungsparteigang oder am Linzer Parteitag 1926 an sie ergeht.

Sind die Antworten des ehemaligen SPÖ-Finanzministers, der heute viel mehr in der Industriellenvereinigung zu Hause ist als in der Sozialdemokratie, tatsächlich auf der Höhe der Zeit – und mehr als nur abgenutzte Schlagworte? Er will die SPÖ auf ihre alten humanistischen Werte verpflichten: „Frieden, Freiheit, Toleranz, Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, der Marktwirtschaft und der sozialen Sicherheit“ (S. 100). Was hier sogleich auffällt, das ist, dass von den Grundwerten der SPÖ (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität) von Androsch an dieser Stelle nur die Freiheit genannt wird. 1890 oder 1926 hätte niemand auf die humanitären Werte verwiesen, sondern auf das große Ziel einer Gesellschaft jenseits der Ausbeutung.

Kann es sein, dass der Großindustrielle Androsch, der ein Vermögen von rund 290 Millionen besitzt, mit den einigen Grundwerten Probleme hat? Der SPÖ-Forderung nach einer Vermögenssteuer, von ihr Millionärssteuer genannt, kann er wenig abgewinnen. Bei seiner Argumentation gegen diese Pläne bedient er sich reichlich aus dem Fundus der Industriellenvereinigung. „Angesichts einer Rekordsteuerbelastung kann man mit neuen Abgaben, die das Wirtschaftswachstum behindern, nur negative Effekte auslösen. Vielmehr geht es darum, die so genannten Strömungsgrößen der Wirtschaft in Bewegung zu bringen und nicht bloß Bestandsgrößen umzuverteilen … Oder anders formuliert: Wer den Acker besteuert, schmälert die Grundlage des Wirtschaftens. Besser ist es, den Ertrag und damit den Nutzen zu besteuern“ (S. 138 f.), scheibt Androsch Seine Argumentation mag für das Zeitalter der industriellen Revolution zutreffend sein, im Zeitalter von Daten-, Plattform- und Überwachungskapitalismus, der mit einer ausgeprägten Refeudalisierung einhergeht, offenbart der Multimillionär damit nur seine ideologischen Scheuklappen beim Thema Umverteilung. Dass über viele Jahrzehnte eine ungeheure Ungleichheit beim Vermögen entstanden ist, ist für ihn kein Anlass, steuerliche Maßnahmen zur Korrektur in Angriff zu nehmen.

Für die Besteuerung der Profite aus der Digitalisierung schlägt Androsch vor, auf globaler Ebene die Daten zur Bemessungsgrundlage zu machen. „Der österreichische Versuch einer kosmetischen Digitalsteuer“ sei „eine Faschingsnummer und als Aktionismus zu bewerten“ (S. 57), bringe dies doch nur 25 Millionen Euro im Jahr. Der Vorschlag von Androsch sollte um die Ideen von Alfred Dallinger zur Einführung einer Wertschöpfungsabgabe ergänzt werden. Auch die von Androsch geschmähte Finanztransaktionssteuer darf angesichts der ausufernden Rolle des Finanzkapitalismus nicht abgetan werden.

Androsch zieht Keynes Hayek und Friedman vor, verteufelt also Schulden nicht. Aufgrund der Coronakrise seien diese ohnehin alternativlos. Androsch ruft die legendäre Aussage von Bruno Kreisky in Erinnerung: „Ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächte als Millionen Menschen ohne Halt und Perspektive.“ (S. 141) Um Österreich bei Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz, öffentlicher Nahverkehr usw. voran zu bringen, so Androsch, lohne es sich also durchaus, Schulden aufzunehmen. An den ÖVP-dominierten Regierungen der letzten Jahre bemängelt er jedoch, dass diese die seit 2010 vorhandene Zinsersparnis von 62 Milliarden Euro irgendwo versickern ließ.

Bildung

Was fordert Androsch beim Zukunftsthema Bildung. Er erzählt uns zunächst ein wenig aus seiner eigenen Bildungsbiografie in der Nachkriegszeit, die trotz aller Widrigkeiten ihm den Aufstieg ermöglicht hat. Dann beklagt er, wie rückständig die digitale Ausstattung unserer Schulen ist. Dadurch könne die egalitäre Aufgabe, d.h. die Teilhabe und Chancengleichheit nicht erfüllt werden. Es ist dem Mitinitiator des Bildungsvolksbegehrens voll und ganz recht zu geben, dass in Österreich keine Chancengerechtigkeit besteht, sondern Bildung weiterhin vererbt wird. Das liegt aber nicht vorrangig an der mangelhaften Ausstattung. Selbstverständlich müssen die Schulen für das digitale Zeitalter gerüstet sein, d.h. mit Laptops, Tablets und schnellem Internet ausgestattet sein. Das theresianische Erbe im Schulwesen spielt schon eine größere Rolle bei den Versäumnissen in Österreich. Dieses werde besonders am unzeitgemäßen Föderalismus des Schulwesens deutlich. Ein zu geringer Anteil der Ausgaben „kommt auch tatsächlich in den Klassen an“ (S.39) und versickert in der Verwaltung.

Das größte Problem sei die zu frühe Trennung der Bildungswege. „Die Entscheidung, ein Kind mit zehn Jahren entweder ins Gymnasium oder in die Neue Mittelschule zu schicken, beeinflusst dessen späteren Entfaltungs- und Einkommenschancen gravierend“ (S. 36), schreibt Androsch. Diesem Urteil sowie seinem Eintreten für eine autonome, verschränkte Ganztagsschule kann man uneingeschränkt zustimmen. Ob jedoch eine echte Schulautonomie, d.h. die freie Personalauswahl der Direktionen, wie er sie fordert, ausschlaggebend für die Chancengerechtigkeit ist, ist zu diskutieren. Eine wesentlich größere Rolle spielt sicherlich der Umstand, dass die Eliten ihren Nachwuchs zunehmend in Privatschulen schicken, während die öffentlichen Schulen ihr Schicksal als Brennpunktschulen fristen dürfen. Eine gleiche Gesellschaft ist nur auf der Grundlage einer gut durchmischten Schule möglich. In dieser Schule profitieren alle Schüler voneinander.

Die Ergebnisse der PISA-Tests, die für Androsch der Maßstab zur Bewertung des Schulsystems sind, sollten jedenfalls nicht unser wichtigstes Kriterium bei der Beurteilung des Bildungssystems sein. Als Sozialdemokraten sollten wir uns daran orientieren, ob aus unserem Schulen mündige BürgerInnen hervorgehen, nicht daran, ob die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen geformte Arbeitskräfte mit möglichst geringem Kostenaufwand erhält. Das Grundsatzprogramm der SPÖ von 2018 sagt: „Bildung ist der Schlüssel zur Welt. Sie ist Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und ein Mittel zur Emanzipation. Sie macht uns zu kritikfähigen, freien und mündigen Menschen.“ (S.33) ** Die Sozialdemokratie selbst ist ja aus Bildungsvereinen hervorgegangen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Arbeiterinnen und Arbeitern das Bewusstsein ihrer historischen Aufgabe der gesellschaftlichen Emanzipation zu vermitteln. Davon ist heute leider wenig geblieben. Der Neoliberalismus hat erfolgreich solidarisches Streben nach gesellschaftlichem Ausgleich zerstört und dem Frönen eines egoistischen Individualismus zum Durchbruch verholfen.

Die Bildungsinitiative „Neustart Schule“ der Industriellenvereinigung ist mit ihrem Fokus auf Exzellenz für die Sozialdemokratie sicherlich nicht die erste Wahl für die Zielsetzung in der Bildung. Wo Androsch jedoch völlig richtig liegt, das ist die Bedeutung der Motivation der Lehrkräfte. „Am wichtigsten ist es, sicherzustellen, dass bei den Pädagogen neben Sachkunde auch Engagement und Begeisterungsfähigkeit vorhanden sind und erhalten bleiben.“ (S. 41)

Digitalisierung

Dem Miteigentümer des Leiterplattenherstellers AT&S liegt die Digitalisierung besonders am Herzen. Deshalb beklagt Androsch die mangelhafte Ausstattung mit Breitbandinternet und die Rückständigkeit Österreichs bei Automatisierung und Robotisierung. Dass letztere nur Jobkiller seien, bestreitet er. „Auf der anderen Seite entstehen viele neue, bessere und höher qualifizierte Jobs. Bei Kreativität und kritischer Reflexion oder Emotionen werden uns Roboter noch lange nicht das Wasser reichen“ (S. 51), schreibt er. Dass gerade bei den Unternehmen wenig Interesse an diesen Skills zu erkennen ist, darüber verliert Androsch allerdings kein Wort.

Seine Forderungen beschränken sich darauf, Österreich durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur und der digitalen Bildung fit für den internationalen Wettbewerb zu machen. Darauf sollte sich die Sozialdemokratie aber nicht beschränken. Das Grundsatzprogramm der SPÖ bleibt beim Thema Digitalisierung recht vage in Bezug auf eine sozialdemokratische Zielsetzung. Es heißt dort: „Die neuen Möglichkeiten müssen die Teilhabe am gemeinschaftlich erwirtschafteten Wohlstand und am gesellschaftlichen Zusammenleben erhöhen.“ (S. 54) In der Praxis zeichnet sich nämlich das Gegenteil ab: Bei sehr wenigen landet der Profit aus den neuen Entwicklungen und statt mehr Teilhabe zeichnet sich einerseits ein Überwachungskapitalismus, andererseits ein autokratischer Überwachungsstaat (z.B. China, Russland, Ungarn) ab.

Aufgabe der Sozialdemokratie muss es sein, eine Vision zu entwickeln, wie durch die Digitalisierung eine gesellschaftliche Transformation unterstützt werden kann, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und den Kapitalismus hinter sich lässt. Ziel ist eine Gesellschaft, die alle Menschen aus den Mühen des Daseins erhebt, ihnen volle Entfaltungsmöglichkeiten gewährt, ohne dass die eigene Entfaltung jene der Anderen einschränkt.

Klima

Dass der Klimawandel Realität und menschengemacht ist, daran besteht für Androsch kein Zweifel. Man müsse bloß mit den Altausseer Fischern sprechen, damit seine Folgen handgreiflich werden. Daraus zieht er den Schluss: „Was wir beeinflussen können, müssen wir beeinflussen, und dazu gehört eine umfassende Dekarbonisierung.“ (S. 61) Es ist also anzunehmen, dass Androsch sein Vermögen nicht in OMV-Aktien angelegen wird. Obwohl das Klima nicht auf nationalstaatlicher Ebene gerettet werden kann, beklagt er, dass Österreich im Klimaschutz ins Hintertreffen geraten ist. „Österreich hinkt den vereinbarten Klimazielen weit hinterher … Im Verkehrssektor wurde es verabsäumt, rechtzeitig die Weichen zu stellen.“ (S. 63) Als Befürworter der Dekarbonisierung bedauert er, dass Österreich andere Energiequellen zu wenig genutzt habe. Androsch bekennt sich in unpopulärer Weise zur Atomkraft und zu Kraftwerksprojekten wie Hainburg und Dorfertal. „Weil es ohne Atomkraft und ohne forcierten Ausbau der Wasserkraft nicht möglich sein wird, die Energiewende weg von den durch den CO2-Ausstoß so gefährlichen fossilen Energieträgern zustande zu bringen.“ (S. 64) Das Nein zur Atomkraft sieht er als nicht rational an. Die knappe Ablehnung von Zwentendorf 1978 ist für ihn nicht gegen die Atomkraft, sondern gegen Kreisky gerichtet gewesen. Selbst die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima seien kein Beweis für die Gefährlichkeit der Atomkraft, sondern lediglich für ein Managementversagen. Mit dieser Einschätzung ist Androsch ist in Österreich nicht mehrheitsfähig.

Den Ausbau der Wasserkraft dort zu verweigern, wo die Voraussetzungen dafür günstig sind, sieht er als großen Fehler der Energiepolitik an. Hainburg und Dorfertal hätten gebaut werden müssen. Die Bedenken der Umweltschützer, wertvolle Ökosysteme zu zerstören, finden bei Androsch kein Gehör. Was den Treibhauseffekt fördert, ist böse. Alle anderen Energieformen sind für ihn gut. Damit zeigt der ehemalige Steuerberater Androsch wenig Gespür für ökologische Anliegen – abgesehen von der Bekämpfung der Erderwärmung.

Androsch befürwortet den Ausbau der Bahn, die Einführung des 1-2-3-Tickets, eine CO2-Steuer, höhere Treibstoffsteuern und eine Reform des Pendlerpauschales. Was ihm nie in den Sinn kommen würde, das ist die Überlegung, dass vom Kapitalismus nicht zu erwarten ist, dass er ausreichend gegen den Klimawandel vorgehen wird. Solange starke Profitinteressen an fossile Energieträger gebunden sind, werden der Transformation massive Widerstände entgegenstehen. Androschs gehört jener Generation der Sozialdemokratie an, die aus den Augen verloren hat, dass es eine gerechte (und ressourcenschonende) Gesellschaft nur jenseits der kapitalistischen Ordnung gaben kann.

Migration

Beim Thema Migration fordert Androsch, das „xenophobe Spiel“ von FPÖ und ÖVP zu beenden, sodass für eine kontrollierte Migration und einen humane Flüchtlingsaufnahme die Voraussetzungen geschaffen werden. Dass dem Rassismus entgegengetreten werden muss, den der Kapitalismus gezielt schürt, um die Klasse der Werktätigen zu spalten, da ist Androsch beizupflichten. Er erinnert mit Recht daran, dass nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Ungarn-Aufstand und dem Prager Frühling sowie während des Jugoslawienkrieges „die von vielen Populisten lächerlich gemachte österreichische Willkommenskultur … stets funktioniert“ (S. 80) hat.

Zur Begründung, warum Österreich Zuwanderung benötigt, bemüht Androsch die Demografie. „In Österreich stehen derzeit 4,1 Millionen Erwerbstätige bald 2,5 Millionen Pensionisten gegenüber.“ (S. 82) Ohne slowakische 24-Stunden-Pflegekräfte, rumänische Bauarbeiter, ukrainische Spargelstecher und bosnische Holschläger sei unser System nicht aufrechtzuerhalten. „Ohne Migranten hätten wir längst schon eine schrumpfende Ein-Kind-Gesellschaft wie China, Japan oder Russland.“ (S. 84) Der Industriekapitän Androsch denkt beim Thema Migration also vorwiegend an für die Wirtschaft nützliche Arbeitskräfte.

Das Recht aller Menschen, ihre unbefriedigende Situation in der Heimat hinter sich zu lassen und an einem anderen Ort das Glück zu suchen, wird von ihm leider nicht bemüht. Wer jedoch beim Thema Migration nur an die von der Wirtschaft benötigten Arbeitskräfte denkt, erweist dem Kampf gegen Rassismus keinen guten Dienst. Nur wer die Grenzen für alle öffnet, wird am Ende in den Herzen der Menschen die Furcht vor dem Anderen nehmen und die Spaltung der Klasse beenden.

Europa und die Weltordnung

Der Anhänger eines Beitritts Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft macht sich Gedanken über ein Europa nach Merkel. Die EU-Skepsis der neuen ÖVP treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Österreich gehöre zu den größten Nutznießern der EU. Dennoch stehe Kanzler Kurz Orban näher als Merkel und Österreich gesellt sich beim EU-Budget mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark zu den „geizigen Vier“. Für Androsch ist die Erkenntnis aus der Corona-Pandemie: „Die vergangenen Monate haben noch stärker sichtbar gemacht, dass es ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit braucht.“ (S. 110) Daher lautet seine Forderung an die Regierung: „Wir sollten deshalb Angela Merkel und ihren Nachfolger aktiv unterstützen, wenn es um die konstruktive Weiterentwicklung des Projekts Europa geht … Denn bei allen großen Fragen wie Klimawandel, Digitalisierung, demographische Veränderungen oder Migration braucht es gesamteuropäische Lösungen; Lähmung durch rivalisierende Splittergruppen mit Partikularinteressen muss vermieden werden.“ (S. 112f.)

Die aktuelle Welt(un)ordnung der Rivalität zwischen dem wirtschaftlich aufstrebenden China und den USA, die noch immer die Heimat der mächtigsten Konzerne sind, beunruhigt Androsch. „Die US-Administration hat China zum strategischen Hauptfeind erklärt. Trump brach eine Serie von Handelskriegen vom Zaun.“ (S. 118) Über Trump weiß Androsch wenig zu sagen, sehr viel hingegen über die Entwicklung Chinas. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf China bereiten ihm Sorgen. „Laut offiziellen chinesischen Angaben haben rund zehn Prozent der 180 Millionen Wanderarbeiter in den großen Industriezentren wegen der Krise ihre Jobs verloren; tatsächlich dürfte es ein Drittel sein.“ (S. 120) Die Ausweitung des Staatssektors verschlinge „Unsummen an Krediten, die sich rasch als faul erweisen“ (Ebd.) würden. „Dazu kommen immer größere Bedenken, ob der mit digitalen Mitteln installierte Überwachungsstaat in China auf Dauer kompatibel mit westlichen Werten ist.“ (S. 121) Der Umgang mit den Protesten in Hongkong zeige, dass die Unternehmen zur „Geisel der Politik“ (Zitat Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking) geworden seien. Projekte wie die „Neue Seidenstraße“ weckten mit Recht den Argwohn des Westens, dass China immer mehr Staaten in die eigene Einflusssphäre zwingen wolle.

Wie soll Europa mit dieser Situation umgehen? „Europa muss sich auf die eigenen Beine stellen und eine klare Position zwischen den USA und China finden“ (S. 126), befindet Androsch. Den Abkoppelungstendenzen sowohl der USA wie auch Chinas müsse entgegengewirkt werden. D.h. die transatlantische Achse sollte gepflegt werden. „Und es ist ratsam, gegenüber China Eigenständigkeit zu signalisieren und rote Linien deutlich zu markieren.“ (S. 127) Androsch findet., dass die EU z.B. klar Position beziehen muss, wenn der chinesische Ministerpräsident Xi gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten macht. Wettbewerbskommissarin Vestager habe dafür ein schönes Bild gefunden. „Wenn du einen Gast zum Abendessen einlädst und er lädt dich seinerseits nicht retour ein, dann hör auf, ihn einzuladen.“ (Siehe S. 127)

Aus einer sozialdemokratischen Perspektive muss das Ziel einer guten Weltordnung durch solidarisches Handeln erreicht werden. Das Grundsatzprogramm der SPÖ kommt zu dem Schluss, „dass wir die globale Ungleichheit nur durch Kooperation und Koordination über Nationalstaaten hinweg bekämpfen können“** (GP S. 12). Weder die USA noch China, sondern in der internationalen Solidarität liegt für die Sozialdemokratie die Zukunft Europas. Androsch geht es jedoch mehr um die Behauptung Europas in einem globalen Wettbewerb.

* Hannes Androsch, Was jetzt zu tun ist, Brandstätter, Wien 2020.

** Grundsatzprogramm der SPÖ, Krems 2018.


Ist der Kapitalismus am Ende (3)

1. Dezember 2016

Im dritten Teil seines Buches möchte Mason seinen LeserInnen zeigen, wie der Übergang in den Postkapitalismus gelingen kann. Mason greift auf zwei historische Beispiele großer Übergänge zurück, um für die Planung dieser Transition Leitlinien aufzustellen: Aufstieg des Kapitalismus in der Neuzeit und die Sowjetunion. „Bei vernetzungder Planung des Übergangs von einem Wirtschaftssystem zu einem anderen können wir uns also nur auf Erfahrungen mit zwei sehr unterschiedlichen Vorgängen stützen: dem Aufstieg des Kapitalismus und dem Zusammenbruch der Sowjetunion.“ (S.284)

 

Ende der Sowjetunion und Cyberstalinismus

Die Geschichte der Sowjetunion von der russischen Revolution 1917 bis zum Zusammenbruch 1989 hat bei Mason die wesentlich schlechteren Karten, um als Modell des Übergangs in den Postkapitalismus zu dienen. Mit der Planwirtschaft hätten die russischen Revolutionäre auf ein Pferd gesetzt, dass durch Supercomputer heute umsetzbar wäre, aber durch die Einschränkung individueller Freiheiten nicht empfehlenswert sei. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Umsetzung eines „Cyberstalinismus“, wie sie etwa von Paul Cockshott und Allin Cottrell entwickelt wurden, sind für Mason abschreckend. „Ihr Modell ist der bisher beste Beleg dafür, dass jeder Versuch, den Postkapitalismus durch staatliche Planung und Unterdrückung des Markts zu erreichen, zum Scheitern verurteilt ist“ (S.302), schreibt er.

 

Shakespeare und der Aufstieg des Kapitalismus

Ein besseres Modell der Transition ist für Mason der langsame Aufstieg des Kapitalismus in der Neuzeit, wie er sich z.B. in den Dramen von Shakespeare widerspiegelt. Denn daran zeige sich, wie verschiedene Ebenen zusammenwirken, um diesen Übergang möglich zu machen. Vier Faktoren hätten den Ausschlag gegeben, warum das System der Verpflichtungen des Feudalismus der kapitalistischen Produktion weichen musste: Die landwirtschaftlichen Flächen wurden nicht effizient genutzt; die Pestepidemie führt zu einem Rückgang der Bevölkerung und daher zu einem Druck auf die Produktivität; die Eroberung Amerikas erschließt dem Abendland neue Reichtümer und Siedlungsraum; die Druckerpresse revolutioniert den Zugang zu Wissen und Bildung.

 

Klimawandel, Demografie und Migration

Wenn es nicht eine Menge drängender Probleme gäbe, die schnell einer Lösung bedürfen, könnte man sich mit dem Übergang Zeit lassen. Welcher Art sind diese Herausforderungen? Nun, Mason hält für die dringendsten Herausforderungen unserer Zeit den Klimawandel, die demografische Entwicklung, die Staatsverschuldung und die Migration. „Gäbe es den Klimawandel nicht, so könnte man sich einen Übergang zum Postkapitalismus vorstellen, der durch graduelle, spontane Entwicklung des wirtschaftlichen Austauschs außerhalb des Marktes und der Allemendeproduktion vorangetrieben wird … Die äußeren Schocks machen jedoch zentralisierte, strategische und rasche Eingriffe erforderlich.“ (S.334f.) Hinsichtlich des Klimawandels kann man Mason zustimmen, dass uns die Zeit davonläuft und der Kapitalismus in seiner neoliberalen Ausprägung zu langsam reagiert.

 

Beim Thema alternde Gesellschaft und Staatsverschuldung folgt Mason den Diagnosen neoliberaler Propheten – die im Interesse des Finanzkapitals die staatliche Pensionsvorsorge und den Staat krank reden –, obwohl er sonst dem Neoliberalismus wenig Zuneigung entgegenbringt. Z.B. bleibt er beim Thema Pensionssicherung auf die Entwicklung in Gestalt der demografischen Abhängigkeitsquote fixiert, statt etwa progressive Ansätze wie die wirtschaftliche Abhängigkeitsquote heranzuziehen: Das Verhältnis der Über-65-Jährigen zum Rest der Bevölkerung ist nicht entscheidend, sondern wie das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern aussieht. Selbstverständlich kann man jedoch Mason beipflichten, dass die Automatisierung eine Bedrohung für die Finanzierung des Sozialstaates darstellt, wenn dieser zu einem großen Arbeitsplatzverlust führt. Und ein neoliberales Regime der Umverteilung von den Löhnen zu den Gewinnen und der steuerlichen Entlastung der Vermögenden treibt die Staatsverschuldung in die Höhe.

 

Das „Projekt Null“

Das alles wäre ein gutes Thema für einen eigenen Artikel, ist aber nicht ausschlaggebend für eine Beurteilung der Bedeutung von Masons Buch. Deshalb wende ich mich dem Schlusskapitel zu, wo Mason seine Leitlinien vorstellt, wie die Transition in eine postkapitalistische Gesellschaft in Angriff genommen werden sollte. Er nennt dies „Projekt Null“. Wohin dieses Projekt führen soll, ist klar: „Seine Ziele sind eine Energieversorgung mit Null-Emissionen, die Erzeugung von Maschinen, Produkten und Dienstleistungen mit Null-Grenzkosten und die weitgehende Beseitigung der Arbeit.“ (S.340)

 

Die Leitlinien, denen es folgen soll, bleiben sehr abstrakt und blutleer. Das erste Prinzip lautet: Vorschläge im kleinen Maßstab testen und daraus eine „soziale Technologie“ entwickeln. Das zweite Prinzip fordert: ökologische Nachhaltigkeit des Wachstums. Das dritte Prinzip beinhaltet die menschliche Transition durch Ausnützung der Netzwerke. Das vierte Prinzip lautet: „Das Problem muss aus allen Richtungen in Angriff genommen werden.“ (S.342) Nicht nur Staaten, Unternehmen und politische Parteien, sondern auch der Einzelne oder „Schwärme von Individuen“ könnten die Veränderungen vorantreiben. „Das fünfte Prinzip für einen erfolgreichen Übergang zum Postkapitalismus lautet, dass wir die Wirkung der Information maximieren müssen.“ (S.343)

 

Bevor etwas praktisch umgesetzt wird, sollte es anhand einer Computersimulation durchgespielt werden. Die aktuellen volkswirtschaftlichen Simulationen seien noch mit einer Modelleisenbahn vergleichbar. Durch ein Netzwerk, wo eine quelloffene Simulation des gegenwärtigen Wirtschaftssystems erstellt wird, könnte sich das rasch ändern. „Sind wir erst einmal in der Lage, die wirtschaftliche Realität auf diese Art zu erfassen, so können wir einschneidende Veränderungen nachvollziehbar planen“ (S.348), ist Mason optimistisch, dass der Übergang in den Postkapitalismus durch Befragung von Supercomputern auf nicht im Blindflug erfolgen muss. Wo liegt da aber der große Unterschied zu den „Cyberstalinisten“, die Mason ablehnt?

 

Als schwierigste Aufgabe verortet Mason die Neugestaltung des Staats. Einen positiven Beitrag zum Postkapitalismus erwartet sich Mason nicht. „Im Postkapitalismus wird sich der Staat eher wie die Belegschaft der Wikipedia-Stiftung verhalten …“ (S.349), so lautet seine Vorstellung. Seine Hauptaufgabe bestehe in der Förderung neuer Technologien und von neuen Geschäftsmodellen. Außerdem solle er die Infrastruktur planen und koordinieren sowie das Problem der Verschuldung lösen. Wie soll der letzte Punkt umgesetzt werden? „Die Staaten müssen die Inflation ankurbeln, die Zinsen unterhalb der Inflationsrate halten und den Bürgern die Möglichkeit nehmen, ihr Geld in nichtfinanzielle Vermögenswerte zu investieren oder ins Ausland zu bringen.“ (S.351)

 

Die kollaborative Arbeit müsse ausgeweitet werden, dennoch dürften wir „den Verzicht auf den Gewinnzweck nicht zu einem Fetisch machen“ (S.353). Die weiteren Schritte möchte ich kursorisch zusammenfassen: Allmendeproduktion fördern, Niedriglohnunternehmen erschweren, die Rechte der Beschäftigten stärken, bestimmte Geschäftsmodelle verbieten, Monopole verbieten und zerschlagen, die Marktkräfte verschwinden lassen, den Finanzsektor vergesellschaften, die Zentralbanken verstaatlichen und einer demokratischen Kontrolle unterziehen. Für vielfältige Innovationen benötigten wir einen großen Privatsektor abseits der Finanzbranche.

 

Ein ganz besonderes Herzensanliegen ist Mason die staatliche Grundsicherung für alle. „Auf diese Art würden die Kosten der Automatisierung vergesellschaftet.“ (S.362) Und was für den Einzelnen noch wichtiger ist: „Ein mit den Einnahmen aus der Besteuerung der Marktwirtschaft finanziertes Grundeinkommen eröffnet den Menschen die Möglichkeit, sich eine Position in der Nicht-Marktwirtschaft zu sichern.“ (S.363)

 

Auf diese Weise können das Netzwerk entfesselt werden und die Arbeit zum Spiel werden, bevor überhaupt an Bedeutung verliert, da die Reproduktionskosten der Arbeitskraft rasant fallen“ (S.367). Wenn es so weit ist, kann der Staat zurückgebaut werden. „Was geschieht mit dem Staat? Er verliert im Lauf der Zeit vermutlich an Einfluss – und schließlich übernimmt die Gesellschaft seine Funktionen.“ (S.369).

 

Die herrschende Elite

Damit es mit dem Übergang zum Postkapitalismus losgehen kann, müssten wir nur noch „das Eine Prozent“, die herrschende Elite zum Mitmachen bewegen. Wie gedenkt Mason, die Elite dazu zu bewegen? Wie will er ihr die Beteiligung schmackhaft machen? Nun, er schreibt: „Was geschieht mit dem Einen Prozent? Es wird ärmer und daher glücklicher.“ (S.369) Aktuell leide die Elite selbst massiv unter den Bedingungen, die es durch die Herrschaft des Neoliberalismus geschaffen hat. „Denn es ist kein Honigschlecken, reich zu sein.“ (Ebd.) Sie schickten ihre Kinder auf teure Privatschulen, wo sie völlig uniform herauskommen – egal, was auf ihren Sweatshirts draufsteht. Dass sie sich an immer mehr Orten der Welt hinter Elektrozäunen verschanzen müssen und damit selbst zu Gefangenen werden, erwähnt Mason an dieser Stelle gar nicht erst. Die Gefahr, so Mason, sei, dass sie den Glauben an die Möglichkeit einer liberalen Gesellschaft verlieren und zu zynischen Oligarchen werden. Aber er hat noch Hoffnung, die Elite auf seine Seite zu ziehen. Und so endet sein Buch mit den Sätzen: „Das eine Prozent droht den Glauben an das System zu verlieren, das schon bald einer unverhohlenen Oligarchie weichen könnte. Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Die 99 Prozent eilen ihm zu Hilfe. Der Postkapitalismus wird euch befreien.“ (S.371)

 

Resümee

Mit seinem dritten Teil kann Mason die Erwartungen, die er geweckt hat, nicht erfüllen. Die Stärke seines Buches ist nicht, dass er seinen LeserInnen einen überzeugenden Leitfaden in die Hände gibt, welche Schritte zu setzen sind, um den Postkapitalismus zu verwirklichen. Die Stärke seines Buches liegt darin, dass er eine Fülle von Argumentationen liefert, wieso der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein wird und durch das Zusammenspiel von technologischer und gesellschaftlicher Entwicklung einer neuen Form der Gestaltung der wirtschaftlichen Gestaltung weichen wird.

 

Damit ist er auch für die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen  höchst interessant. Denn mit Mason halten die Gewerkschaften etwas in Händen, das die aktuell verbreitete Angst der ArbeitnehmerInnen vor der Automatisierung und Digitalisierung – aufgrund drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes – gegen die herrschende Elite selbst wendet: Mit dem Fortschreiten der Informationstechnologie könnten nicht nur viele Arbeitsplätze verloren gehen, sondern die UnternehmerInnen könnten die Grundlage ihres Profits verlieren.


Ist der Kapitalismus am Ende? (2)

28. November 2016

Um zu zeigen, dass die Entwicklung der Informationstechnologie das Ende des Kapitalismus einleitet, greift Mason auf die Arbeitswerttheorie zurück. Die Debatte, woher der Wert der Produkte und Dienstleistungen kommt, hat eine lange Tradition in der Ökonomie. Sie geht auf Adam Smith zurück. Dieser schrieb 1776 in seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“: „Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum dieser Welt letztlich erworben. Und sein Wert ist für die Besitzer, die ihn gegen neue Güter austauschen möchten, genau gleich der Arbeitsmenge, die sie damit kaufen oder über die sie mit seiner Hilfe verfügen können.“ Die Untergrundgewerkschaften erreichte diese Idee über die Gedanken von David Ricardo. Also nicht der Grenznutzen von Angebot und Nachfrage, wie iindustrie_4_0n der hegemonialen Konzeption der Neoklassik (z.B. Léon Walras) angenommen, bestimmen laut Mason den Wert der Produkte, sondern in den Worten von Marx „die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“. Warum ist das für Mason so wichtig? Nun, damit hat er den Maßstab in der Hand, der das revolutionäre Potential der neuen Technologien aufzeigt.

 

Informationstechnologie

Wenn durch die moderne Technologie die Herstellungskosten wegen des Einsatzes von Maschinen und Robotern gegen Null gehen, verliere der Kapitalismus die entscheidende Grundlage seines Funktionierens, nämlich die Quelle des Profits. „Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft mehr sein“ (S.234), ist die Schlussfolgerung von Mason.

 

Konzerne wie Apple, Amazon und Google versuchten zwar in einem letzten Aufbäumen durch Monopolbildung und Aneignung der in der Kommunikation mit den KundInnen anfallenden Daten einen Informationskapitalismus am Leben zu erhalten. „Der Kapitalismus beginnt, sich in einen Verteidigungsmechanismus gegen die Peer-Produktion zu verwandeln, indem er Informationsmonopole errichtet, eine Schwächung der Lohnbeziehung zulässt und irrationale, auf der Nutzung fossiler Energieträger beruhende Geschäftsmodelle verfolgt.“ (S.195) Letztlich, ist Mason überzeugt, sei dieser Versuch jedoch zum Scheitern verurteilt, weil gegen das Anwachsen von kostenlosem Wissen, z.B. durch Wikipedia, nicht anzukommen sei.

 

Das vernetzte Individuum

„Die nächste Frage ist: Wer wird dafür sorgen, dass diese Welt Wirklichkeit wird?“ (S.235) Der Marxismus sah in der Arbeiterklasse den unbewussten Agenten, der dem Kapitalismus den Dolchstoß versetzen wird. Mit André Gorz stimmt Mason darin überein, dass die Arbeiterklasse diese Erwartungen nicht erfüllt hat und auch nicht mehr erfüllen kann. „Im Jahr 1980 verkündete der französische Philosoph André Gorz, die Arbeiterklasse sei tot. Sie sei als soziale Gruppe gespalten und kulturell enteignet worden und spiele als Agent des gesellschaftlichen Fortschritts keine Rolle mehr.“ (S.237) Mit dem Neoliberalismus sei die Macht der Gewerkschaften und die gesellschaftliche Stellung der ArbeitnehmerInnen einfach so geschwächt worden, dass dem Kapitalismus von dieser Seite keine Gefahr mehr drohe.

 

Allerdings habe der Neoliberalismus übersehen, dass die Informationstheorie global vernetzte Individuen hervorgebracht hat, die Zugang zu einem schier unerschöpflichen Wissen haben. Selbst in China, wo die ArbeiterInnen noch immer unter sklavenhaften Bedingungen produzieren müssen, seien „digitale Rebellen“ anzutreffen. „Dank des Smartphones trägt jeder chinesische Arbeiter das Internetcafé in seinem Blaumann mit sich herum.“ (S.278) Die Unzufriedenheit dieser gut vernetzten Individuen über die größer werdende Ungleichheit und die Zunahme prekärer Arbeit, so Mason, nehme weltweit stark zu. Eine Vielzahl von Protestbewegungen, z.B. der arabische Frühling, zeige das Potential der Rebellion auf. „Die Sehnsucht nach einem radikalen wirtschaftlichen Kurswechsel ist groß“ (S.280), beurteilt Mason die Sprengkraft der Widerstandsbewegungen. „Die nächste Frage ist: Was müssen wir tun, um ihn herbeizuführen?“ (Ebd.)

 

Wie Mason diese Frage im dritten und unbefriedigendsten Teil seines Buches auflöst, werde ich im nächsten Blogartikel behandeln.