Ist der Kapitalismus am Ende? (2)

28. November 2016

Um zu zeigen, dass die Entwicklung der Informationstechnologie das Ende des Kapitalismus einleitet, greift Mason auf die Arbeitswerttheorie zurück. Die Debatte, woher der Wert der Produkte und Dienstleistungen kommt, hat eine lange Tradition in der Ökonomie. Sie geht auf Adam Smith zurück. Dieser schrieb 1776 in seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“: „Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum dieser Welt letztlich erworben. Und sein Wert ist für die Besitzer, die ihn gegen neue Güter austauschen möchten, genau gleich der Arbeitsmenge, die sie damit kaufen oder über die sie mit seiner Hilfe verfügen können.“ Die Untergrundgewerkschaften erreichte diese Idee über die Gedanken von David Ricardo. Also nicht der Grenznutzen von Angebot und Nachfrage, wie iindustrie_4_0n der hegemonialen Konzeption der Neoklassik (z.B. Léon Walras) angenommen, bestimmen laut Mason den Wert der Produkte, sondern in den Worten von Marx „die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“. Warum ist das für Mason so wichtig? Nun, damit hat er den Maßstab in der Hand, der das revolutionäre Potential der neuen Technologien aufzeigt.

 

Informationstechnologie

Wenn durch die moderne Technologie die Herstellungskosten wegen des Einsatzes von Maschinen und Robotern gegen Null gehen, verliere der Kapitalismus die entscheidende Grundlage seines Funktionierens, nämlich die Quelle des Profits. „Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft mehr sein“ (S.234), ist die Schlussfolgerung von Mason.

 

Konzerne wie Apple, Amazon und Google versuchten zwar in einem letzten Aufbäumen durch Monopolbildung und Aneignung der in der Kommunikation mit den KundInnen anfallenden Daten einen Informationskapitalismus am Leben zu erhalten. „Der Kapitalismus beginnt, sich in einen Verteidigungsmechanismus gegen die Peer-Produktion zu verwandeln, indem er Informationsmonopole errichtet, eine Schwächung der Lohnbeziehung zulässt und irrationale, auf der Nutzung fossiler Energieträger beruhende Geschäftsmodelle verfolgt.“ (S.195) Letztlich, ist Mason überzeugt, sei dieser Versuch jedoch zum Scheitern verurteilt, weil gegen das Anwachsen von kostenlosem Wissen, z.B. durch Wikipedia, nicht anzukommen sei.

 

Das vernetzte Individuum

„Die nächste Frage ist: Wer wird dafür sorgen, dass diese Welt Wirklichkeit wird?“ (S.235) Der Marxismus sah in der Arbeiterklasse den unbewussten Agenten, der dem Kapitalismus den Dolchstoß versetzen wird. Mit André Gorz stimmt Mason darin überein, dass die Arbeiterklasse diese Erwartungen nicht erfüllt hat und auch nicht mehr erfüllen kann. „Im Jahr 1980 verkündete der französische Philosoph André Gorz, die Arbeiterklasse sei tot. Sie sei als soziale Gruppe gespalten und kulturell enteignet worden und spiele als Agent des gesellschaftlichen Fortschritts keine Rolle mehr.“ (S.237) Mit dem Neoliberalismus sei die Macht der Gewerkschaften und die gesellschaftliche Stellung der ArbeitnehmerInnen einfach so geschwächt worden, dass dem Kapitalismus von dieser Seite keine Gefahr mehr drohe.

 

Allerdings habe der Neoliberalismus übersehen, dass die Informationstheorie global vernetzte Individuen hervorgebracht hat, die Zugang zu einem schier unerschöpflichen Wissen haben. Selbst in China, wo die ArbeiterInnen noch immer unter sklavenhaften Bedingungen produzieren müssen, seien „digitale Rebellen“ anzutreffen. „Dank des Smartphones trägt jeder chinesische Arbeiter das Internetcafé in seinem Blaumann mit sich herum.“ (S.278) Die Unzufriedenheit dieser gut vernetzten Individuen über die größer werdende Ungleichheit und die Zunahme prekärer Arbeit, so Mason, nehme weltweit stark zu. Eine Vielzahl von Protestbewegungen, z.B. der arabische Frühling, zeige das Potential der Rebellion auf. „Die Sehnsucht nach einem radikalen wirtschaftlichen Kurswechsel ist groß“ (S.280), beurteilt Mason die Sprengkraft der Widerstandsbewegungen. „Die nächste Frage ist: Was müssen wir tun, um ihn herbeizuführen?“ (Ebd.)

 

Wie Mason diese Frage im dritten und unbefriedigendsten Teil seines Buches auflöst, werde ich im nächsten Blogartikel behandeln.


Ist der Kapitalismus am Ende? (1)

27. November 2016

Nach langer Pause melde ich mich mit meinem Blog wieder zurück. Der heutige Artikel soll der Auftakt zu einer Serie sein, die sich mit der Frage beschäftigt: Wie wird eine Gesellschaft in Zukunft aussehen, die die Transformation der Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt durchgemacht hat?

 

Im ersten Teil werde ich mich mit den Grundideen befassen, die der englische Journalist Paul Mason in seinem Buch „Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ entwickelt hat (deutsche Ausgabe bei Suhrkamp, 2016). Die Grundthese seines Buches ist: „Der Kapitalismus ist masonein komplexes, anpassungsfähiges System, das jedoch an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit gestoßen ist.“ (S.14) Daher stehe der Übergang in den Postkapitalismus an. Möglich werde eine postkapitalistische Gesellschaft durch die technologische Revolution der letzten Jahrzehnte, insbesondere durch die Entwicklung der Informationstechnologie. Wie kommt er zu dieser Ansicht? Seine Begründung ist ähnlich wie die von Jeremy Rifkin in dem Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“. Mit den Worten Masons: „Die Informationstechnologie ist möglicherweise nicht mit einer Marktwirtschaft vereinbar, zumindest nicht mit einer Wirtschaft, die in erster Linie von den Marktkräften reguliert wird.“ (S.55) Rifkin wird übrigens von Mason erwähnt, aber als Autor für die Flughafenbuchhandlung angetan, obwohl sein Einfluss auf die Grundideen von Mason deutlich erkennbar ist.

 

Kondratjew

Bevor Mason am Ende seines Buches zu zeigen versucht, wie dieser Übergang durch die Möglichkeiten der neuen Technologie angegangen werden kann, zieht sein Buch einen großen Bogen durch die Geschichte der letzten 500 Jahre. Den Anfang macht die heute weitgehend ignorierte Theorie eines russischen Ökonomen zu den langen Wellen der Konjunktur: Nikolai Kondratjew. Mason fasst Kondratjews Grundidee wie folgt zusammen: „Kondratjews Theorie besagt, dass sich jeder lange Zyklus aus einem Aufschwung von etwa 25 Jahren, der durch die Entwicklung neuer Technologien und einem hohen Kapitaleinsatz ermöglicht wird, und einem etwa gleich langen Abschwung zusammensetzt, der mit einer tiefen Rezession endet.“ (S.64) Im Wesentlichen übernimmt Mason von Kondratjew das Konzept der langen Wellen der Konjunktur. Und er teilt jene Ansicht Kondratjew, die diesem im Stalinismus das Leben gekostet hat: „Der Kapitalismus … würde an keiner Krise zugrunde gehen, sondern mit Mutationen darauf reagieren und sich immer von Neuem anpassen“ (S.63). Der entscheidende Unterschied zu Kondratjew ist, dass Mason zu dem Ergebnis kommt, das nach einigen Zyklen des Auf und Ab der Kapitalismus doch an seine Grenzen stoßen werde.

 

Marx

Und an dieser Stelle kommt Marx ins Spiel. Masons Verhältnis zur Marxschen Theorie ist ambivalent. Er schreibt: „Der Marxismus ist sowohl eine Geschichtstheorie als auch eine Krisentheorie. Er ist eine wunderbare Geschichtstheorie … Als Theorie der Krise ist der Marxismus allerdings mangelhaft.“ (S.83) An der Geschichtstheorie des Marxismus schätzt Mason, wie dieser die Dynamik des Kapitalismus erklärt. „Richtig verstanden, erklärt die von Marx entwickelte Krisentheorie besser als Kondratjews Zyklentheorie, was hinter den großen Mutationen des Kapitalismus steckt – und warum er schließlich möglicherweise die Fähigkeit verliert, sich durch Veränderung anzupassen.“ (S.85)

 

An der Krisentheorie der Marxisten bemängelt Mason, dass der Marxismus zu schnell den Zusammenbruch des Kapitalismus erwartet. Marx, so Mason, „unterschätzte die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus“. (S.84) Marx und seine SchülerInnen gingen vorschnell davon aus, dass das Grundgesetz des Kapitalismus von der „Tendenz sinkender Profitraten“ bald zum Zusammenbruch des Kapitalismus durch eine der üblichen Krisen führe. „Ende des 19. Jahrhunderts kündigten die Marxisten den Untergang des Kapitalismus an, doch ihre Prognose erwies sich als falsch.“ (S.89f.) Die Abfolge der Kondratjew-Zyklen seit 1780 habe bewiesen, so Mason, dass der Kapitalismus neue Technologien, neue Geschäftsmodelle oder neue Absatzmärkte Krisen bewältigen können.

 

Neoliberalismus

Erst mit dem Neoliberalismus gerät für Mason der Kapitalismus in eine Situation, wo er in der Krisenbewältigung versagt. Davon, und warum es nicht die Arbeiterklasse ist, die bei Mason dem Kapitalismus den Garaus machen wird, möchte ich das nächste Mal sprechen. An dieser Stelle will darauf mit den Worten Masons neugierig machen: „Die alte Linke wollte die Zerstörung der Marktmechanismen erzwingen. Den entsprechenden Druck sollte die Arbeiterklasse an der Wahlurne oder auf den Barrikaden ausüben. […] Wie sich herausstellt, wird der Kapitalismus nicht durch einen Sturmangriff überwunden werden. Stattdessen wird er durch etwas Dynamischeres ersetzt werden, durch etwas, das sich fast unbemerkt im alten System entwickelt …“ (S.15)