Der ÖVP-Spin von der normalen Mitte ist selbst Extremismus

5. Juli 2023

In einem Standard-Kommentar am 3.Juli beschwört Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine „normal denkende Mehrheit der Mitte“, die von einem lauten Rand auf Twitter übertönt werde. Für diese normal denkende Mitte wolle sie Kante zeigen. Was das mit Leitfaden des Landes Niederösterreich, der festgelegt hat, dass „Genderstern“, „Gender-Gap“ oder „Genderdoppelpunkt“ keine Verwendung in der niederösterreichischen Landesverwaltung finden, zu tun hat, erschließt sich dem Leser des Kommentars nicht unmittelbar. Die wichtige Frage, die sich dazu stellt, lautet: Liegt, wer die normale Mitte beschwört, selbst mit seinem Diskurs in der Mitte? Die Antwort lautet: Nein, ganz und gar nicht. Diejenigen, die die eigenen Ansichten nicht teilen, zum abweichlerischen Rand zu erklären, macht einen selbst nicht zur Mitte, sondern lässt einen selbst in den Extremismus abdriften. Schauen wir uns das näher an.

Stocker

Der Generalsekretär der Volkspartei, Christian Stocker, demonstriert seine Verhaltensauffälligkeit neuerdings gerne in Aussendungen zum neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler, Diesen nennt.er Stamokap-Marxist, weil Babler in seinen jungen Jahren in der Sozialistischen Jugend der Theorie des Staatssozialismus nahestand. Bablers Forderung nach Tempo 100 auf der Autobahn entspreche „ganz dem marxistischen Weltbild des Neo-SPÖ-Vorsitzenden“, so Stocker weiter. Wo im Werk von Karl Marx Aussagen zum Thema Tempolimit zu finden seien, bleibt uns Stocker jedoch schuldig. Inhaltlich brauche man sich mit den Vorschlägen Bablers nicht weiter auseinandersetzen, da sie mit ihrer ideologischen Einordnung hinreichend widerlegt scheinen. Im Büro des neuen SPÖ Vorsitzenden Andreas Babler standen laut ÖVP, die auf Zeitungsberichte aus dem Jahr 2022 verweist, eine Lenin- und eine Marx-Büste – somit ist für die ÖVP bewiesen, dass Babler ein Linksextremist ist. Mit Vorschlägen wie Vermögenssteuern, Tempolimit oder Arbeitszeitverkürzung muss man sich nicht weiter auseinandersetzen, das ist alles einfach Ausfluss von Marxismus-Leninismus. Wer so argumentiert, steht nicht in der Mitte, sondern weit rechts außen. Wer sich als die Normaldenkenden den anderen am Rand gegenüberstellt, ist gefährlich nahe am Framing des Nationalsozialismus, der dem gesunden deutschen Volkskörper die Parasiten gegenübergestellt hat. Kein Wunder, dass auch FPÖ-Obmann Herbert Kickl ebenfalls gerne die Normalen für sich beansprucht.

Sachslehner und Mahrer

Die Wiener ÖVP versucht Generalsekretär Stocker hinsichtlich des angeblichen Linksextremismus der SPÖ noch zu toppen. Sie lässt im Gemeinderat aufhorchen mit der Forderung eines Marxismus-Checks bei Förderungen durch die Stadt Wien. Federführend bei diesem Antrag ist die Abgeordnete Laura Sachslehner, die auf Twitter seit vielen Jahren beweist, dass sie vieles sein mag, aber gewiss nicht die gesellschaftliche Mitte. Als Generalsekretärin war sie schließlich selbst Bundeskanzler Karl Nehammer zu extrem, sodass sie von Stocker abgelöst wurde. Ebenfalls mit im Boot ist ÖVP Wien-Chef Karl Mahrer, der seit Monaten einen Feldzug gegen die SPÖ führt wegen dem Brunnenmarkt. Im Antrag der ÖVP wird verlangt, dass künftig alle Fördernehmer und Kooperationspartner darauf überprüft werden, ob womöglich eine marxistisch-leninistische bzw. eine kommunistische weltanschauliche Grundlage vorhanden und eine Verbreitung linksextremer Ideologie möglich ist. Auch an den Schulen solle die Aufklärung über die „gefährliche Ideologie des Marxismus“ verstärkt werden. Die Wiener ÖVP muss man mit Recht fragen, ob sie ebenso Checks auf Faschismus und Rechtsextremismus andenkt – oder nur linke Ideologien als Bedrohungen betrachtet, die abgewehrt werden müssen. Bei Fr. Sachslehner und Hr. Mahrer kann man leider davon ausgehen, dass ihnen nur Bedrohungen von linker Seite gewärtig sind.

Neumayer

Auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, befindet in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“, dass aktuell tendenziell die Ränder gestärkt und „die politische Mitte an Zuspruch verliert“. Während die SPÖ unter Babler linkspopulistisch unterwegs sei, verteidige die Industriellenvereinigung standhaft den Mittelstand. „Mittelstand“, was ist das? Ist das die Mitte? Mittelstand mag zwar so ähnlich klingen wie Mittelschicht, ist aber nicht damit gleichzusetzen. Denn eigentlich geht der Begriff Mittelstand auf das mittelständische Unternehmen zurück, das dadurch gekennzeichnet ist, dass es nicht mehr als 500 Beschäftigte und nicht mehr als 50 Mio. Euro Jahresumsatz hat. Im ÖVP-Umfeld sollte man ergänzend zu dieser Bedeutungsherkunft jedoch nicht auf das historische Faible für eine ständisch organisierte Gesellschaft vergessen. Immerhin hat der Austrofaschismus unter Dollfuß und Schuschnigg seine diktatorische Verfassung gerne hinter dem Begriff Ständestaat verborgen. Wenn die Industriellenvereinigung den Mittelstand verteidigt, zielt sie also eigentlich nicht auf die Mittelschicht ab – auch wenn sich diese mitgemeint wähnen soll, sondern auf einen Stand, der zwischen Elite und Pöbel stehend, objektiv zwar ökonomisch dem Pöbel nähersteht, aber die Privilegien der Elite verteidigt, weil er sich mit dieser ideologisch verbunden fühlt. Diesem nebulösen Konstrukt dient dann z.B. eine Kampagne wie jene zur sogenannten „Schnüffelsteuer“: Vermögenssteuern sind böse, weil sie einerseits den armen Häuslbauern in die Tasche greifen und andererseits für ihre Einhebung in der Schmucklade nach Wertgegenständen schnüffeln müssen. Die Daten aus der Ökonomie zur ungleichen Vermögensverteilung und die unrühmliche Platzierung Österreichs im OECD-Ranking bei der Vermögensbesteuerung haben da keinen Platz. Das Bild vom unverschämten Eindringen in die Privatsphäre soll negative Abwehrgefühle mit dem Thema Vermögenssteuer verbinden, um eine Ablehnung zu erreichen.

Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung geht für die Industriellenvereinigung natürlich auch nicht – wo kommen wir denn hin, wenn jahrzehntelange Produktivitätszuwächse an die Arbeitnehmer:innen weitergegeben werden. Eine Reservearmee von Arbeitslosen ist für die Eigentümer von Unternehmen usnverzichtbar, um den Druck aufrecht zu erhalten, der die Arbeitnehmer:innen davon abhält, offensiv Forderungen nach besserer Bezahlung zu erheben. Argumentativ vorgeschoben wir ein Arbeitskräftemangel, der es unmöglich mache, dass der Einzelne weniger arbeite. Natürlich hat auch das alles nichts mit Mitte zu tun, sondern ist ein alter Abwehrreflex, der die Profite der Kapitalistenklasse gegen die Begehrlichkeiten der Beschäftigten absichern soll. Treffender als mittig wird ist diese Haltung mit reaktionär zu titulieren.


Was sind die Eckpunkte einer sozialdemokratischen Haltung bei den Themen Asyl, Flucht und Migration

21. Juni 2023

Asyl, Flucht und Migration sind keine Themen, wo ich mich fachlich sofort zu Hause fühle. Es ist kein Bereich, wo ich auf Anhieb davon ausgehe, dass ich über die nötige Expertise verfüge. Aber die schrecklichen Bilder aus dem Mittelmeer, als ein Fischkutter mit rund 750 Flüchtlingen vor dem Pelopones sank, haben mich dazu bewogen, ausgehend von meinem Wertekanon und den Prinzipien, die ich als zutiefst sozialdemokratisch ansehe, mich dennoch zu getrauen, einige Gedanken zu diesem Themenkomplex anzustellen. Diese Bilder, die wir zu sehen bekamen, möchte ich nicht mehr sehen müssen.

  1. Asyl ist ein Menschenrecht

Aus Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ergibt sich, dass Flüchtlinge das Recht haben, Asyl zu suchen und zu genießen. Im Speziellen hat die Genfer Flüchtlingskonvention dieses Recht festgeschrieben. Außerdem ist der Schutz vor Abschiebung in ein Land, wo man aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wird, ein Menschenrecht, das sich unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention wiederfindet. Jeder Staat muss somit Personen Schutz gewähren, denen in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht. An diesem Grundsatz darf nicht gerüttelt werden – was bei ÖVP und FPÖ leider durchaus anzutreffen ist. ÖVP-Klubchef August Wöginger hat beispielsweise im November 2022 eine Debatte über die Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) losgetreten. Burgenlands ÖVP-Chef Christian Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments ist, hat zusätzlich eine Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention gefordert. Und FPÖ-Chef Herbert Kickl hat schon im Jänner 2019 die Forderung aufgestellt, „das Recht müsse der Politik folgen“ – und damit dezidiert das Asylrecht im Rahmen der Menschenrechtskonvention gemeint. Solche Ansinnen sind aus sozialdemokratischer Sicht entschieden zurückzuweisen. Eine Abkehr von diesem Menschenrecht wäre ein Rückfall in die Barbarei. Man möchte sich nicht vorstellen, wie es weitergeht, wurde durch die Einschränkung des Asylrechts erst eine Lücke in das Bollwerk der Menschenrechte geschlagen.

2. Niemand flieht freiwillig

Gründe für eine Flucht können sehr unterschiedlich sein. Meist sind es Krieg und Gewalt, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Immer dabei ist die Angst um das eigene Leben, um das Leben und das Wohlergehen der Kinder, der Familie oder von Freunden. Nicht alle Fluchtgründe fallen unter die Genfer Flüchtlingskonvention. Wer aufgrund der Verfolgung wegen seiner Rasse, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung flüchtet, für den gilt das Asylrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Dieses haben wir in Punkt 1 außer Frage gestellt. Aber auch wer wegen Krieg und Gewalt, Hunger oder Umweltzerstörung und den Folgen des Klimawandels flieht, hat einen guten Grund. Man darf nicht die Augen davor verschließen, dass auch Fluchtursachen, die nicht von der Genfer Flüchtlingskonvention abgedeckt sind, ihre Berechtigung haben. Es ist schon richtig, dass die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden müssen. Das geht nicht von heute auf morgen – und ganz ehrlich, die Bemühungen der meisten Länder, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu beseitigen, sind mehr als überschaubar. Selbst, wenn sich das in absehbarer Zeit ändern sollte, haben aber jene nichts davon, die aufgrund unerträglicher Bedingungen schon den Weg der Flucht eingeschlagen haben, weil sie sich woanders bessere Lebensbedingungen erwarten.  Dorthin zu gehen, wo ein besseres Leben möglich ist, das sollte einem nicht verwehrt werden. Pushbacks durch die Frontex, das Ruanda-Modell, unüberwindliche Zäune an den Außengrenzen der EU, eine Küstenwache, die einem sinkenden Schiff nicht zu Hilfe eilt, sondern zur Küste eines anderen Landes abschleppen möchte – all das sind keine Vorgehensweisen, mit der eine Sozialdemokratie ihre Freude haben kann. Vielmehr ergibt sich aus diesem Grundsatz:

3. Legale Migration muss ermöglicht werden

Damit sind wir bei dem Punkt angelangt, wo sich auch die Sozialdemokratie schwer tut. Denn Migration ist durchaus etwas, was zu einer Belastung einer Gesellschaft werden kann. Das hat die Geschichte immer wieder gezeigt. Die Angst der Beschäftigten vor einer Verdrängung am Arbeitsmarkt ist nicht unbegründet. Arbeitgeber wittern selbstverständlich die Chance, durch Migrant:innen billigere Arbeitskräfte zu bekommen bzw. Druck bei den bestehenden Arbeitskräften aufzubauen, es künftig billiger zu geben. Die Sozialdemokratie darf darauf jedoch nicht mit einer restriktiven Haltung bei der Migration reagieren, sondern sie muss für rechtliche Rahmenbedingungen sorgen, die einen Verdrängungswettbewerb durch billigere Arbeitskräfte verunmöglichen.

Natürlich können auch kulturelle Unterschiede zum Problem werden. Aber nur dann, wenn die Integration nicht gelingt und Migrant:innen sich in der neuen Heimat nicht aufgenommen fühlen. Wenn Integration nicht gelingt und Migrant:innen mit dem Wertekanon des Aufnahmelandes nicht im Einklang sind, dann wird gern gesagt: Die Migrant:innen sind nicht gewillt, sich einzufügen und die sogenannten abendländisch-europäischen Werte anzunehmen. Da macht man es sich aber zu einfach. Zum Misslingen von Integration gehören zwei Seiten. Wer beispielsweise Asylwerber:innen über längere Zeiträume in Heimen absondert und den Einstieg in die Erwerbstätigkeit verweigert, darf sich nicht wundern, wenn die Integration nur schleppend vorankommt. Zu einer gelungenen Integration gehört also unbedingt eine Willkommenskultur. Denn nur der, der willkommen ist, kann sich für das Neue öffnen, das ihm in einer fremden Kultur abverlangt wird. Das Beispiel Traiskirchen unter Bürgermeister Andreas Babler zeigt, dass ein gelingendes Zusammenleben auch unter widrigsten Umständen möglich ist und das größte Erstaufnahmezentrum Österreichs keine „gmahde Wiesn“ für die FPÖ sein muss.

Die SPÖ ist also gut beraten, nicht zu versuchen, ÖVP und FPÖ bei diesem Thema rechts zu überholen. Dass man auch in der SPÖ von „irregulärer Migration“ spricht, mag zwar sachlich nicht falsch sein, folgt aber dem Framing der Rechten, die Migration als Bedrohung darstellen möchten, um die Angst in der Bevölkerung zu verstärken. Steigt man darauf ein, hat man auf dem diskursiven Feld mit einer humanen Haltung von Anfang an das Nachsehen. Natürlich ist es nicht wünschenswert, wenn, wie 2015, Flüchtlingsströme schwer kontrollierbare Ausmaße annehmen. Aufgabe der Politik ist es daher dafür zu sorgen, dass legale Wege der Migration geschaffen werden.


Quo vadis SPÖ?

15. Juni 2023

Ich habe hier vor ein paar Monaten einen Nachruf auf die SPÖ verfasst. Inzwischen hat sich viel geändert. Ausgelöst durch Andreas Babler fegt eine Basisbewegung durch die Partei und eröffnet die Chance einer Erneuerung, sodass die SPÖ von einer „Sitzung“ wieder zur Bewegung wird. Und entgegen den kühnsten Erwartungen ist Babler nach einem holprigen Prozess der Entscheidungsfindung zum neuen Vorsitzenden der SPÖ gewählt worden.

Was sind die nächsten Schritte, die die Partei auf dem Weg der Erneuerung setzen muss?

Demokratisierung und Mitbestimmung

Die SPÖ muss mit Demokratie und Mitbestimmung durchflutet werden. Die Mitglieder müssen die Möglichkeit haben, den/die Vorsitzende auf allen Ebenen zu wählen. Ebenso müssen die Mitglieder in wichtige Entscheidungen, z.B. eine Koalition, eingebunden werden. Der Trend des letzten Jahrzehntes, wo durch Statutenreformen der Weg zu weniger Mitbestimmung eingeschlagen wurde, muss radikal umgedreht werden. Eine Sozialdemokratie muss nicht nur für die Interessen der Mehrheit der Menschen da sein, sondern auch mit ihnen gemeinsam ihre Ziele umsetzen. Nur so kann sie wirklich Stärke entwickeln.

Ideologische Aufrüstung

In der SPÖ müssen Funktionäre und Funktionärinnen sattelfest sein, wenn sie mit Begriffen wie Marxismus und Kommunismus konfrontiert werden. In unserer Partei sollte souverän Einspruch erhoben werden können, wenn bürgerliche Medien undifferenziert Marx mit dem stalinistischen Terrorregime gleichsetzen. In der SPÖ sollte das Wissen vorhanden sein, dass der Begriff Kommunismus im „Kommunistischen Manifest“ nicht mit dem gleichzusetzen ist, was die Sowjetdiktatur daraus gemacht hat. Maßgebliche Denker:innen innerhalb der Sozialdemokratie, wie Otto Bauer und Rosa Luxemburg, haben gezeigt, dass man Sozialdemokratie marxistisch verstehen kann, ohne deshalb dem Bolschewismus unkritisch gegenüber stehen zu müssen.

Die SPÖ sollte auch ihre Haltung nach 1945 überdenken, dem Marxismus völlig abzuschwören und sich auf die Zähmung kapitalistischer Auswüchse zu beschränken. Es ist für eine Sozialdemokratie wichtig, bei der Betrachtung von Gesellschaft und Ökonomie die marxistische Brille aufzusetzen. Denn eine wahre Sozialdemokratie zeichnet aus, dass sie das Ziel der gesellschaftlichen Veränderung, der Aufhebung des Kapitalismus und der Überwindung des Gegensatzes zwischen Arbeit und Kapital im Auge behält. Denn nur dann können Reformen wirklich im Dienste der konkreten Verbesserung der Lebensbedingungen von 95 Prozent der Menschen stehen – was ja stets der Anspruch der Sozialdemokratie war und ist. Herausforderungen wir der Armut oder der Klimaerhitzung kann nur durch einen „system change“ begegnet werden.

Reformen und Revolution sind auch keine unüberwindbaren Gegensätze – wie es leider von vielen in der Bernsteindebatte der SPD gesehen wurde -, sondern erstere sollten in Hinblick auf Letzteres entwickelt werden. Wobei man beim Begriff der Revolution wohl weniger auf Lenin und Trotzki, sondern mehr auf den des Wissenschaftstheoretikers Thomas S. Kuhn (The Structure of Scientific Revolutions) zurückgreifen sollte.

Klare und mutige Kommunikation

Der SPÖ weht gerade viel Gegenwind entgegen. Aufgrund der fehlerhaften Bekanntgabe des Wahlergebnisses am Parteitag ergießt sich von allen Seiten Spott und Hohn über sie. Die bürgerlichen Parteien überhäufen aus Angst vor einer erstarkten SPÖ den neuen Vorsitzenden Andreas Babler mit ihren Schmutzkampagnen, für die wahrscheinlich schon während des Landtagswahlkampfes in NÖ Material gesammelt wurde. Auch innerparteilich ist noch nicht auf allen Ebenen Ruhe eingekehrt – es wird etwas Zeit brauchen, bis die Gräben, die sich über Jahre aufgetan haben, ganz zugeschüttet sind.

Vor allem die Medien im Privatbesitz kennen kein Halten, um gegen die SPÖ und ihren neuen Vorsitzenden ins Feld zu ziehen. Die Eigentümer:innen dieser Medien wollen ihr Vermögen vor gerechterer Besteuerung schützen und lassen deshalb ihre Redaktionen aufmarschieren. Das war zu erwarten. Die zuletzt präsentierten Daten der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zur Vermögenskonzentration in Österreich (HFCS) zeigen einmal mehr, dass Vermögen so ungleich verteilt ist, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet ist.

Vom Gegenwind darf sich die Partei nicht entmutigen lassen, auch wenn Umfragen in den nächsten Wochen wenig erfreulich ausfallen sollten. Mit mutiger, klarer und leidenschaftlicher Kommunikation sind die Menschen für die SPÖ zu gewinnen – das hat die Team Basis-Kampagne deutlich gezeigt. Wenn die Wähler:innen klar erkennen können, wofür die SPÖ steht, werden sie dieser auch wieder vermehrt ihre Stimme geben. Internationale politikwissenschaftliche Studien, z.B. jene der Universität Oxford (Trade-offs of social democratic party strategies in a pluralized issue space: a conjoint analysis), zeigen auch, dass die Sozialdemokratie keine Angst vor linken Positionen haben muss.