An Josef Pröll: Gerechtigkeit ist nicht mit Neid gleichzusetzen

5. Dezember 2010

Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll hat in einem Interview mit dem Standard in Richtung SPÖ gesagt, diese würde mit ihrer Forderung der Einführung einer Vermögenssteuer den Neid gegen Eigentum schüren.

Wenn die Sozialdemokratie Hand in Hand mit der Gewerkschaft unter Schlagwörtern wie „Zeit für Gerechtigkeit“ und „FAIR teilen“ mehr Verteilungsgerechtigkeit fordert, dann hat das nichts mit Neid zu tun. Vielmehr geht es bei diesen Forderungen darum, einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen endlich entgegenzutreten. Stark steigende Gewinne und Managergehälter auf der einen Seite, stagnierende Entwicklung der Reallöhne auf der anderen Seite haben in den letzen 25 Jahre dazu geführt, dass die Einkommensschere in Österreich immer weiter auseinandergeht und Vermögen immer stärker konzentriert ist.

Wenn man darauf aufmerksam macht und Korrekturen fordert, dann stellt das für Josef Pröll eine Neiddebatte dar, die die falschen treffe. Ihm liegen ja die Leistungsträger am Herzen, die nach seinen Worten die Hauptlast der Steuereinnahmen zu tragen hätten. Richtig ist, dass bei der Lohnsteuer die oberen Einkommensbereiche den größten Teil der Einkommensteuereinnahmen zu tragen haben. Zieht man jedoch die Gesamtbelastung heran, die die Haushalte an zu leisten haben (Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträge, Umsatzsteuer), und berücksichtigt auch, wie stark Vermögen und Vermögenszuwächse (wo beides ja überwiegend nur in den obersten Einkommensbereichen vorhanden ist) besteuert werden, dann sieht die Bilanz jedoch ganz anders aus: Rechnet man Einkommen-, Umsatzsteuer und Sozialversicherung zusammen, dann ist die Belastung der Haushalte über alle Einkommensbereiche ziemlich gleich (sie steigt zunächst leicht an, sinkt aber im obersten Bereich wieder ab).

Vermögen wiederum ist praktisch steuerfrei, seit die Erbschafts- und Schenkungssteuer abgeschafft wurde. Diese Abschaffung wird damit gerechtfertigt, dass jene geschützt werden sollen, die von ihren Eltern eine Eigentumswohnung oder ein Einfamilienhaus erben. Jene wären aber auch durch entsprechend großzügige Freibeträge von dieser Steuerleistung auszunehmen. Wer tatsächlich von dieser Abschaffung profitiert, das sind jene Unternehmerfamilien, wo steuerfrei Vermögenswerte von Millionen oder gar Milliarden Euro weitergegeben werden. Lediglich über die Grundsteuer (die jedoch aufgrund eines völlig unzeitgemäßen Einheitswertes berechnet wird) fließen dem Staatshaushalt Einnahmen aus dieser Kategorie zu (das sind weniger als 1,5% des Gesamtsteueraufkommens).

Vermögenszuwächse werden ab 2011 einheitlich mit einer 25%tigen Quellensteuer belegt. Somit leisten Wertpapierspekulanten den gleichen Beitrag wie der/die Pensionist/in, der sein Erspartes auf einem Sparbuch hat. Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit wird jedoch mit einem Steuersatz bis zu 50% belegt.

Auf eine Antwort von Josef Pröll auf dieses Ungleichgewicht der steuerlichen Belastung von Arbeit und Kapital sowie auf die immer ungleichere Verteilung des Vermögens warten wir seit Jahren vergeblich. Wie es aussieht, werden wir noch weiter warten müssen.


Gerhard Kohlmaier: Die Freiheit des Marktes bewirkt die Versklavung des Menschen

29. Oktober 2010

In vielen Ländern Europas stößt die Verordnung von Sparkursen auf Widerstand. Sparkurse gegen die Menschen, Sparkurse, welche Sozialleistungen und Zukunftschancen der Menschen erheblich einschränken. Parallel dazu gibt es in zahlreichen Staaten einen politischen Rechtsruck. Auch in Österreich. Beides gibt zu bedenken, beides ist hingegen nicht verwunderlich.

Die Sparkurse sind Teil der neoliberalen Strategie. Zuerst propagiert man die Freiheit des Marktes, eine Freiheit, die sich wenige, vor allem große Konzerne und Banken insoferne zu nutze machen, als sie sich die Freiheit nehmen, die Märkte nach ihrem Gutdünken zu beherrschen. Je mehr sie wachsen, umso größer wird ihre Freiheit, weil sie unabhängig werden, Monopole bilden und letztlich die Politik für ihre Interessen einschalten. So werden sie frei, gemessen an der Willkür ihrer Entscheidungen, welche in erster Linie ihrem Macht- und Gewinnstreben dienen, die aber zu Lasten von all jenen gehen, die ihnen diesen Reichtum und diese Macht erarbeiten: den Arbeitnehmern. Letztere gewinnen in keiner Weise an Freiheit, im Gegenteil, sie werden abhängig und auf moderne Art und Weise versklavt. Natürlich könnten sie von ihren Verträgen zurücktreten, aber im Unterschied zu den Mächtigen und Reichen, welche das dann tun, wenn es ihnen noch mehr Vorteile bringt, haben die meisten Arbeitnehmer keine Alternativen. Ihre Freiheiten sind nämlich eingeschränkt, weil Monopolstellungen kaum mehr Wahlmöglichkeiten lassen, weil die herrschende Politik ihnen ihre Freiheiten nimmt, weil die Medien ihnen falsche Freiheiten, falsche Werte als erstrebenswert vorgaukeln. Die neoliberale Krisenbekämpfung sah zudem vor, alle Arbeitnehmer, ja sogar ganze Staaten, in ein weiteres Maß von Unfreiheit zu zwängen, indem die von den Neoliberalen allein verursachte Krise, vor der, ja selbst während dieser sie im übrigen kräftig profitierten, zur Krise von Staaten, von ganzen Volkswirtschaften, von allen Arbeitnehmern, allen Bürgern erklärt wurde. Und das Überraschende ist: Viele, allzu viele glauben tatsächlich, dass sie dafür eine Verantwortung tragen. Warum?

Wer ständig in Unfreiheit lebt, wer ständig von Institutionen, Arbeitgebern, Politikern abhängig ist, auf deren Entscheidungen er im Wesentlichen keinen Einfluss mehr hat, beginnt sich mit ihnen zu arrangieren. Der Unfreie nimmt sich seine vermeintliche Freiheit im Abwägen des geringeren Übels oder aber im Ausnützen von noch Schwächeren bzw. im Heraufbeschwören von Sündenböcken. Dazu kommt, dass viele Bürger sich überhaupt nicht vorstellen können, in welchem Maße sie ihre ureigensten Lebensinteressen vernachlässigen bzw. vernachlässigt haben und primär den Interessen der Mächtigen in die Hände arbeiten. Sie haben sich längst – unter kräftiger Mithilfe der Medien, die natürlich ebenfalls überwiegend in neoliberalen Händen sind –  einer Automatik der Lebensführung ausgeliefert, in der sie den Steuerungsmechanismen einer neoliberalen Politik und Wirtschaftsauffassung unterliegen und diese für das einzige Credo ihrer Lebensführung halten. Sie haben die Entscheidung über ihr eigenes Leben längst all jenen Institutionen, Konzernen und Politikern überlassen, welche sie tagtäglich in neue Abhängigkeiten zwingen, welche ihr Leben verwalten.

Ein freies Leben sieht anders aus, eine davon entscheidend geprägte Lebensqualität ebenso! Dort wo der einzige Sinn des Lebens im Streben nach Geld und nach Konsum vorgegaukelt wird, gehen andere Wertvorstellungen notgedrungen verloren: Solidarität, Identifikation mit dem eigenen Tun, Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und der Welt, wie sie von uns gestaltet oder besser gesagt verunstaltet wird.

Der sich nun in zahlreichen Ländern abzeichnende Widerstand ist daher in erster Linie kein Widerstand gegen das System, es ist kein Widerstand gegen das Wesen neoliberaler, ausbeuterischer, auf den Vorteil Weniger bedachter Politik. Es ist ein Widerstand gegen den Verlust der Scheinfreiheiten, die dem System immanent sind. Es ist ein Widerstand gegen den drohenden Verlust des Arrangements. Und letztlich ist es auch ein Widerstand gegen den vorgegebenen Sinn des Lebens, dessen Verlust für die Mehrheit der Menschen immer spürbarer wird, ohne dass sie einen Ersatz dafür parat haben. Das ist auch die Stunde der Rechten. Sie versprechen Scheinlösungen, sie liefern Sündenböcke, sie lenken von den wahren Gegebenheiten ab und hoffen auf diese Art und Weise selbst eine Monopolstellung erreichen zu können. So sehr sie von den derzeit Mächtigen vordergründig auch abgelehnt werden, so sehr haben sich diese längst mit ihnen arrangiert. Sie liefern nämlich den Stoff, aus dem die rechtsradikalen Träume entstehen, welche die Realität der Verhältnisse überdecken. Die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen, die explodierenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse, von denen viele Menschen nicht mehr leben können, die steigenden Ängste um den Arbeitsplatz bzw. der Verlust desselben, die Aushöhlung des Sozialsystems – das alles führt insbesondere bei jungen Menschen zu einer Hoffnungslosigkeit, aus welcher ihnen die rechten Politiker ein Entrinnen vorgaukeln.

So führt letztendlich die so sehr gerühmte Freiheit des Marktes zu einer besonders gefährlichen Form der Unfreiheit für die überwiegende Mehrheit der Menschen. Nur wenn es uns gelingt, dieses neoliberale Credo in seinen Grundfesten zu erschüttern, können wir wieder an Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung unseres Lebens gewinnen. Eine andere Steuerpolitik ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, und gerade jetzt – in der Diskussion über neue Sparpakete für die Bevölkerung – muss eine Umverteilung von oben nach unten das erklärte Ziel sein. Aber auch unsere demokratischen Strukturen müssen überdacht werden, die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das politische Geschehen ausgeweitet werden, sei es durch Willenskundgebungen auf der Straße, durch Streiks oder durch Volksabstimmungen, aber auch durch das Installieren neuer, effizienter Strukturmechanismen wie Wahlgemeinschaften, Zusammenschlüsse innerhalb der so genannten Zivilgesellschaft sowie eines neuen Verständnisses von Politik und Wirtschaft. Wir müssen uns zur Wehr setzen! Jetzt!

Dieser Artikel erfolgt mit freundlicher Gernehmigung der Steuerinitiative im ÖGB.


Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

3. Oktober 2010

Wie ich in meinem Weblog schon öfter dargelegt habe, steckt in dem Wort „Steuer“ das Verb „steuern“, das lenken und gestalten bedeutet. Steuern sind daher ein politisches Gestaltungsmittel, um eine Gesellschaft zu lenken und für den Staat die Voraussetzung schlechthin, um seine Aufgaben zu erfüllen. So werden über die Steuereinnahmen etwa öffentliche Einrichtungen finanziert, die Güter und Dienstleistungen gewährleisten, die von den privaten Unternehmen nicht oder nicht im notwendigen Ausmaß abgedeckt werden (z.B. Landesverteidigung, Schulen, Polizei, Gerichtswesen, öffentlicher Verkehr, Müllentsorgung usw.).

Weiters können mittels Steuern für die Allgemeinheit unerwünschte Verhaltensweisen im Rahmen einer freien Marktwirtschaft gelenkt werden (z.B. sollen Ökosteuern dazu anleiten, den Verbrauch fossiler Brennstoffe gering zu halten und vermehrt nachhaltige Energiequellen zu nutzen, die Tabaksteuer soll Raucher über die hohen Kosten zum Überdenken ihres gesundheitsschädlichen Verhaltens bringen).

Durch die Erhöhung oder Senkung von Steuern kann auch ein stabilisierender Einfluss auf das Wirtschaftswachstum ausgeübt werden. Im Falle einer Wirtschaftskrise, wie sie z.B. derzeit (noch immer) vorliegt, kann somit das Wachstum angekurbelt werden, indem durch Steuersenkungen die Kaufkraft der KonsumentInnen erhöht wird, die in Folge der Finanzkrise das letzte Bollwerk gegen den Abschwung darstellt. Welche Bedingungen muss ein Steuersystem daher erfüllen, um gerecht auszufallen?

Kriterien für ein gerechtes Steuersystem

Der wichtigste Effekt einer gelungenen Steuer- (aber natürlich auch Sozial-)politik besteht jedoch in der Transferfunktion, d.h. darin, dass die Einkommensunterschiede geringer werden, indem hohe Einkommen stärkere Abzüge haben und sehr niedrige EinkommensbezieherInnen staatliche Zuwendungen erhalten. D.h. in der Umverteilung des Vermögens innerhalb einer Gesellschaft, wo Einkommen und Vermögen ohne diesen Eingriff sehr ungleich verteilt wären, liegt die Hauptaufgabe der steuerpolitischen Gestaltung, um Solidarität und Gerechtigkeit herzustellen.

Damit ein Steuersystem nun dem Prinzip der Fairness genügt, sollte es folgende Kriterien erfüllen. 1. Die Steuerbelastung erfolgt nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. D.h. über je mehr Einkommen jemand verfügt, desto höher sollte im Verhältnis die Steuerleistung ausfallen. Erfüllen lässt sich dieses Prinzip durch eine progressive Staffelung der Steuersätze.

2. Die Steuerleistung ist nicht von der gesellschaftlichen Stellung oder dem Bildungsgrad abhängig. D.h. es gibt keine Gesellschaftsgruppen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung Privilegien genießen. Außerdem darf ein niedrigeres Bildungsniveau zu keiner Benachteiligung bei den steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten führen. Schließlich darf es auch keine bevorzugten Gruppierungen geben, die über größere Einflussmöglichkeiten auf die Politik verfügen, wodurch sie Vorteile hinsichtlich ihres solidarischen Beitrags zur Finanzierung des Wohlfahrtsstaates erlangen.

3. Die Erträge aus den Steuermaßnahmen werden zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen (ein für jeden leistbares Gesundheitssystem, eine solidarische Altersvorsorge, Sicherheit, Infrastruktur usw.) sowie zum Ausgleich der Benachteiligung jener Personen herangezogen, die im Spiel des konkurrierenden Wettbewerbs schlechte Karten gezogen haben. D.h. aus den Steuermitteln (und den Sozialabgaben) sollte der Staat einerseits ein Sozialversicherungssystem finanzieren, das nach solidarischen Grundsätzen sicherstellt, dass jeder die beste Gesundheitsversorgung erhält, unabhängig von seinem Einkommen, und jeder im Alter nach Beendigung seiner Arbeitstätigkeit seinen Lebensausklang in Würde und ohne Notlage gestalten kann. Weiters sollte der Staat aus seinen Einnahmen jene Institutionen finanzieren können, die für Sicherheit im Inneren und nach Außen sorgen (Polizei, Militär), und den Bau und die Pflege einer guten Infrastruktur (Straßen, Bahn, öffentlicher Verkehr, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser usw.) bewerkstelligen können, um die gesamte Bevölkerung mit jenen Voraussetzungen zu versorgen, die jedem ein sicheres und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Jenen schließlich, die über kein hinreichendes Einkommen aus selbstständiger oder unselbständiger Arbeit, aus Kapitaleinkünften oder Ähnlichem verfügen, sollte der Staat Zuwendungen zuführen, die diesen ein Leben in Würde und ohne große Not sowie eine Einbindung in die sozialen Beziehungen und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen ermöglichen.


Gerechtigkeit und Schutz der Eigentumsrechte

21. November 2009

In meinen heutigen Überlegungen möchte ich mich einer Fragestellung zuwenden, der in der Gegenwart wenig Beachtung geschenkt wird: Ist eine gerechtere Gesellschaft ohne Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte möglich? Historisch betrachtet haben die Menschen seit der Aufgabe des Nomadentums und der Arbeitsspezialisierung sich stets eine Ordnung gegeben, deren wichtigste Grundaufgabe darin besteht, die Besitzenden in ihren Eigentumsrechten zu beschützen. Von den ersten Hochkulturen bis zum Mittelalter hatten Gesetze und die dahinterstehende Macht stets dafür Sorge getragen, dass die Eigentumsrechte der Herrschenden und Besitzenden legitimiert erscheinen und dass jeder Versuch, dieses Recht anzutasten, unerbittlich geahndet wird.

Spätestens mit der Französischen Revolution wird in der Neuzeit zwar an der göttlichen Legitimation des Königs in Frage gestellt und das Bürgertum macht dem Adel die alleinige Verfügung über Besitztümer streitig. Aber die eigene Verfügung über die Produktionsmittel und die Gefügigkeit jener, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, wird vom Bürgertum in gleicher Weise legistisch abgesichert. Somit ist dem modernen Verfassungsstaat der Neuzeit, trotz der Entwicklung von der konstitutionellen Monarchie bis zur demokratischen Republik, noch immer die Unantastbarkeit der Eigentumsrechte eingeschrieben. Abgesehen von den kommunistischen Experimenten mit dem Staatskapitalismus in einigen Ländern wie Russland, China, Kuba usw. und ansonsten nur durch hyperbolische Entgleisungen entsetzlicher Kriege kurzzeitig unterbrochen, sind die Eigentumsrechte der Besitzenden seit Jahrhundert unberührt geblieben.

Da jedoch die Unantastbarkeit des Eigentums über einen langen Zeitraum dazu geführt hat, dass Besitz und Vermögen heute in der ganzen Welt extrem unterschiedlich verteilt sind, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir unter der Prämisse, eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu schaffen, diese Unantastbarkeit des Besitzes beibehalten können. Obzwar wir alle wissen, dass alle bisherigen Versuche, durch radikale Enteignung und Vergesellschaftung des Eigentums gerechte Verhältnisse herzustellen, letztlich mit totalitärer Schreckensherrschaft geendet haben, die die individuellen Menschenrechte mit Füßen tritt und unter diesen Voraussetzungen das kollektive Glücksversprechen nicht einlösen konnte, können wir dennoch nicht einfach darüber hinwegsehen, dass unter den gegenwärtig gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen für den Einzelnen wirkliche Gerechtigkeit nicht umsetzbar ist. Das Hauptproblem dabei ist, dass vor allem seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa (aber auch schon davor) die steuerlichen und sozialpolitischen Möglichkeiten des Ausgleichs praktisch ungenutzt geblieben sind. Wenn also hier nicht bald massiv durch gezielte Umverteilungspolitik gegengesteuert wird, wird ohne einen radikalen Einschnitt der Eigentumsrechte keine gerechtere Gesellschaft mehr zu verwirklichen sein – und ein solcher Einschnitt wird dann kaum auf friedlichem Wege erfolgen.

Das sollten wir uns alle vor Augen halten, wenn wir bei der parlamentarischen Lösungsfindung, in der koalitionären Regierungarbeit oder in sozialpartnerschaftlichen Verhandlung sehr entgegenkommend und allzu kompromissbereit agieren!