Hannes Androsch: Was jetzt zu tun ist

22. Januar 2021

Der ehemalige Finanzminister und Industrielle Hannes Androsch hat mit Unterstützung von Bernhard Ecker ein Buch zur Politik in der Corona-Krise verfasst: Was jetzt zu tun ist.* Das Buch soll Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben. Auf rund 140 Seiten nimmt er wichtige Themen in den Blick und er benennt die Versäumnisse der Regierung. Um es gleich vorneweg zu sagen, die Stärke des Buches liegt dort, wo Androsch die Fehler der Regierungspolitik scharf ins Visier nimmt – vorrangig im Umgang mit der Corona-Pandemie.

Schon in der Einleitung zählt er zahlreiche Fehler der Regierung auf: „Autoritäre Maßnahmen wie etwa die gesetzwidrige Schließung der Bundesgärten in Wien während des Shutdowns, die gerichtlich wieder aufgehobenen drakonischen Strafen für Spaziergänger oder der vehemente Wunsch von ÖVP-Politikern nach Handyüberwachung …“ (S. 8). Auch die Vorgänge in Ischgl sowie die Aushebelung des Rechtsanspruchs auf Entschädigung im Epidemiegesetz werden genannt. Insbesondere die durch bürokratische Mühlen nur langsam erfolgten Hilfen für die Unternehmen sowie das unsolidarische Verhalten auf europäischer Ebene sind Androsch ein Dorn im Auge.

Sozialdemokratie, Steuern und Schulden

Das Buch will aber nicht nur Kritik üben, sondern auch Antworten geben auf die brennenden Themen der Zeit: Bildung, Digitalisierung, Klima, Migration, EU und Weltordnung. An seiner Partei, der Sozialdemokratie bemängelt der ehemalige Spitzenpolitiker, dass sie keine Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts habe und die Nachwuchsarbeit vernachlässigt habe. Der 82-Jährige konstatiert, dass die Sozialdemokratie „zu einer bewahrenden und beharrenden strukturkonservativen Erscheinung geworden“ sei. „Sie ist keine Bewegung mehr, weil sie sich nicht bewegt und dadurch nichts bewegt.“ (S. 98) Darin liegt natürlich viel Wahres. Und dass eine Stimme aus der Vergangenheit, wie die seine, auch heute viel Gehör findet, ist kein gutes Zeichen. Wenn die österreichische Sozialdemokratie auf eine Stimme aus der Vergangenheit hören soll, dann ist es der Aufruf, der an sie beim Hainfelder Einigungsparteigang oder am Linzer Parteitag 1926 an sie ergeht.

Sind die Antworten des ehemaligen SPÖ-Finanzministers, der heute viel mehr in der Industriellenvereinigung zu Hause ist als in der Sozialdemokratie, tatsächlich auf der Höhe der Zeit – und mehr als nur abgenutzte Schlagworte? Er will die SPÖ auf ihre alten humanistischen Werte verpflichten: „Frieden, Freiheit, Toleranz, Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, der Marktwirtschaft und der sozialen Sicherheit“ (S. 100). Was hier sogleich auffällt, das ist, dass von den Grundwerten der SPÖ (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität) von Androsch an dieser Stelle nur die Freiheit genannt wird. 1890 oder 1926 hätte niemand auf die humanitären Werte verwiesen, sondern auf das große Ziel einer Gesellschaft jenseits der Ausbeutung.

Kann es sein, dass der Großindustrielle Androsch, der ein Vermögen von rund 290 Millionen besitzt, mit den einigen Grundwerten Probleme hat? Der SPÖ-Forderung nach einer Vermögenssteuer, von ihr Millionärssteuer genannt, kann er wenig abgewinnen. Bei seiner Argumentation gegen diese Pläne bedient er sich reichlich aus dem Fundus der Industriellenvereinigung. „Angesichts einer Rekordsteuerbelastung kann man mit neuen Abgaben, die das Wirtschaftswachstum behindern, nur negative Effekte auslösen. Vielmehr geht es darum, die so genannten Strömungsgrößen der Wirtschaft in Bewegung zu bringen und nicht bloß Bestandsgrößen umzuverteilen … Oder anders formuliert: Wer den Acker besteuert, schmälert die Grundlage des Wirtschaftens. Besser ist es, den Ertrag und damit den Nutzen zu besteuern“ (S. 138 f.), scheibt Androsch Seine Argumentation mag für das Zeitalter der industriellen Revolution zutreffend sein, im Zeitalter von Daten-, Plattform- und Überwachungskapitalismus, der mit einer ausgeprägten Refeudalisierung einhergeht, offenbart der Multimillionär damit nur seine ideologischen Scheuklappen beim Thema Umverteilung. Dass über viele Jahrzehnte eine ungeheure Ungleichheit beim Vermögen entstanden ist, ist für ihn kein Anlass, steuerliche Maßnahmen zur Korrektur in Angriff zu nehmen.

Für die Besteuerung der Profite aus der Digitalisierung schlägt Androsch vor, auf globaler Ebene die Daten zur Bemessungsgrundlage zu machen. „Der österreichische Versuch einer kosmetischen Digitalsteuer“ sei „eine Faschingsnummer und als Aktionismus zu bewerten“ (S. 57), bringe dies doch nur 25 Millionen Euro im Jahr. Der Vorschlag von Androsch sollte um die Ideen von Alfred Dallinger zur Einführung einer Wertschöpfungsabgabe ergänzt werden. Auch die von Androsch geschmähte Finanztransaktionssteuer darf angesichts der ausufernden Rolle des Finanzkapitalismus nicht abgetan werden.

Androsch zieht Keynes Hayek und Friedman vor, verteufelt also Schulden nicht. Aufgrund der Coronakrise seien diese ohnehin alternativlos. Androsch ruft die legendäre Aussage von Bruno Kreisky in Erinnerung: „Ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächte als Millionen Menschen ohne Halt und Perspektive.“ (S. 141) Um Österreich bei Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz, öffentlicher Nahverkehr usw. voran zu bringen, so Androsch, lohne es sich also durchaus, Schulden aufzunehmen. An den ÖVP-dominierten Regierungen der letzten Jahre bemängelt er jedoch, dass diese die seit 2010 vorhandene Zinsersparnis von 62 Milliarden Euro irgendwo versickern ließ.

Bildung

Was fordert Androsch beim Zukunftsthema Bildung. Er erzählt uns zunächst ein wenig aus seiner eigenen Bildungsbiografie in der Nachkriegszeit, die trotz aller Widrigkeiten ihm den Aufstieg ermöglicht hat. Dann beklagt er, wie rückständig die digitale Ausstattung unserer Schulen ist. Dadurch könne die egalitäre Aufgabe, d.h. die Teilhabe und Chancengleichheit nicht erfüllt werden. Es ist dem Mitinitiator des Bildungsvolksbegehrens voll und ganz recht zu geben, dass in Österreich keine Chancengerechtigkeit besteht, sondern Bildung weiterhin vererbt wird. Das liegt aber nicht vorrangig an der mangelhaften Ausstattung. Selbstverständlich müssen die Schulen für das digitale Zeitalter gerüstet sein, d.h. mit Laptops, Tablets und schnellem Internet ausgestattet sein. Das theresianische Erbe im Schulwesen spielt schon eine größere Rolle bei den Versäumnissen in Österreich. Dieses werde besonders am unzeitgemäßen Föderalismus des Schulwesens deutlich. Ein zu geringer Anteil der Ausgaben „kommt auch tatsächlich in den Klassen an“ (S.39) und versickert in der Verwaltung.

Das größte Problem sei die zu frühe Trennung der Bildungswege. „Die Entscheidung, ein Kind mit zehn Jahren entweder ins Gymnasium oder in die Neue Mittelschule zu schicken, beeinflusst dessen späteren Entfaltungs- und Einkommenschancen gravierend“ (S. 36), schreibt Androsch. Diesem Urteil sowie seinem Eintreten für eine autonome, verschränkte Ganztagsschule kann man uneingeschränkt zustimmen. Ob jedoch eine echte Schulautonomie, d.h. die freie Personalauswahl der Direktionen, wie er sie fordert, ausschlaggebend für die Chancengerechtigkeit ist, ist zu diskutieren. Eine wesentlich größere Rolle spielt sicherlich der Umstand, dass die Eliten ihren Nachwuchs zunehmend in Privatschulen schicken, während die öffentlichen Schulen ihr Schicksal als Brennpunktschulen fristen dürfen. Eine gleiche Gesellschaft ist nur auf der Grundlage einer gut durchmischten Schule möglich. In dieser Schule profitieren alle Schüler voneinander.

Die Ergebnisse der PISA-Tests, die für Androsch der Maßstab zur Bewertung des Schulsystems sind, sollten jedenfalls nicht unser wichtigstes Kriterium bei der Beurteilung des Bildungssystems sein. Als Sozialdemokraten sollten wir uns daran orientieren, ob aus unserem Schulen mündige BürgerInnen hervorgehen, nicht daran, ob die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen geformte Arbeitskräfte mit möglichst geringem Kostenaufwand erhält. Das Grundsatzprogramm der SPÖ von 2018 sagt: „Bildung ist der Schlüssel zur Welt. Sie ist Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und ein Mittel zur Emanzipation. Sie macht uns zu kritikfähigen, freien und mündigen Menschen.“ (S.33) ** Die Sozialdemokratie selbst ist ja aus Bildungsvereinen hervorgegangen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Arbeiterinnen und Arbeitern das Bewusstsein ihrer historischen Aufgabe der gesellschaftlichen Emanzipation zu vermitteln. Davon ist heute leider wenig geblieben. Der Neoliberalismus hat erfolgreich solidarisches Streben nach gesellschaftlichem Ausgleich zerstört und dem Frönen eines egoistischen Individualismus zum Durchbruch verholfen.

Die Bildungsinitiative „Neustart Schule“ der Industriellenvereinigung ist mit ihrem Fokus auf Exzellenz für die Sozialdemokratie sicherlich nicht die erste Wahl für die Zielsetzung in der Bildung. Wo Androsch jedoch völlig richtig liegt, das ist die Bedeutung der Motivation der Lehrkräfte. „Am wichtigsten ist es, sicherzustellen, dass bei den Pädagogen neben Sachkunde auch Engagement und Begeisterungsfähigkeit vorhanden sind und erhalten bleiben.“ (S. 41)

Digitalisierung

Dem Miteigentümer des Leiterplattenherstellers AT&S liegt die Digitalisierung besonders am Herzen. Deshalb beklagt Androsch die mangelhafte Ausstattung mit Breitbandinternet und die Rückständigkeit Österreichs bei Automatisierung und Robotisierung. Dass letztere nur Jobkiller seien, bestreitet er. „Auf der anderen Seite entstehen viele neue, bessere und höher qualifizierte Jobs. Bei Kreativität und kritischer Reflexion oder Emotionen werden uns Roboter noch lange nicht das Wasser reichen“ (S. 51), schreibt er. Dass gerade bei den Unternehmen wenig Interesse an diesen Skills zu erkennen ist, darüber verliert Androsch allerdings kein Wort.

Seine Forderungen beschränken sich darauf, Österreich durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur und der digitalen Bildung fit für den internationalen Wettbewerb zu machen. Darauf sollte sich die Sozialdemokratie aber nicht beschränken. Das Grundsatzprogramm der SPÖ bleibt beim Thema Digitalisierung recht vage in Bezug auf eine sozialdemokratische Zielsetzung. Es heißt dort: „Die neuen Möglichkeiten müssen die Teilhabe am gemeinschaftlich erwirtschafteten Wohlstand und am gesellschaftlichen Zusammenleben erhöhen.“ (S. 54) In der Praxis zeichnet sich nämlich das Gegenteil ab: Bei sehr wenigen landet der Profit aus den neuen Entwicklungen und statt mehr Teilhabe zeichnet sich einerseits ein Überwachungskapitalismus, andererseits ein autokratischer Überwachungsstaat (z.B. China, Russland, Ungarn) ab.

Aufgabe der Sozialdemokratie muss es sein, eine Vision zu entwickeln, wie durch die Digitalisierung eine gesellschaftliche Transformation unterstützt werden kann, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und den Kapitalismus hinter sich lässt. Ziel ist eine Gesellschaft, die alle Menschen aus den Mühen des Daseins erhebt, ihnen volle Entfaltungsmöglichkeiten gewährt, ohne dass die eigene Entfaltung jene der Anderen einschränkt.

Klima

Dass der Klimawandel Realität und menschengemacht ist, daran besteht für Androsch kein Zweifel. Man müsse bloß mit den Altausseer Fischern sprechen, damit seine Folgen handgreiflich werden. Daraus zieht er den Schluss: „Was wir beeinflussen können, müssen wir beeinflussen, und dazu gehört eine umfassende Dekarbonisierung.“ (S. 61) Es ist also anzunehmen, dass Androsch sein Vermögen nicht in OMV-Aktien angelegen wird. Obwohl das Klima nicht auf nationalstaatlicher Ebene gerettet werden kann, beklagt er, dass Österreich im Klimaschutz ins Hintertreffen geraten ist. „Österreich hinkt den vereinbarten Klimazielen weit hinterher … Im Verkehrssektor wurde es verabsäumt, rechtzeitig die Weichen zu stellen.“ (S. 63) Als Befürworter der Dekarbonisierung bedauert er, dass Österreich andere Energiequellen zu wenig genutzt habe. Androsch bekennt sich in unpopulärer Weise zur Atomkraft und zu Kraftwerksprojekten wie Hainburg und Dorfertal. „Weil es ohne Atomkraft und ohne forcierten Ausbau der Wasserkraft nicht möglich sein wird, die Energiewende weg von den durch den CO2-Ausstoß so gefährlichen fossilen Energieträgern zustande zu bringen.“ (S. 64) Das Nein zur Atomkraft sieht er als nicht rational an. Die knappe Ablehnung von Zwentendorf 1978 ist für ihn nicht gegen die Atomkraft, sondern gegen Kreisky gerichtet gewesen. Selbst die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima seien kein Beweis für die Gefährlichkeit der Atomkraft, sondern lediglich für ein Managementversagen. Mit dieser Einschätzung ist Androsch ist in Österreich nicht mehrheitsfähig.

Den Ausbau der Wasserkraft dort zu verweigern, wo die Voraussetzungen dafür günstig sind, sieht er als großen Fehler der Energiepolitik an. Hainburg und Dorfertal hätten gebaut werden müssen. Die Bedenken der Umweltschützer, wertvolle Ökosysteme zu zerstören, finden bei Androsch kein Gehör. Was den Treibhauseffekt fördert, ist böse. Alle anderen Energieformen sind für ihn gut. Damit zeigt der ehemalige Steuerberater Androsch wenig Gespür für ökologische Anliegen – abgesehen von der Bekämpfung der Erderwärmung.

Androsch befürwortet den Ausbau der Bahn, die Einführung des 1-2-3-Tickets, eine CO2-Steuer, höhere Treibstoffsteuern und eine Reform des Pendlerpauschales. Was ihm nie in den Sinn kommen würde, das ist die Überlegung, dass vom Kapitalismus nicht zu erwarten ist, dass er ausreichend gegen den Klimawandel vorgehen wird. Solange starke Profitinteressen an fossile Energieträger gebunden sind, werden der Transformation massive Widerstände entgegenstehen. Androschs gehört jener Generation der Sozialdemokratie an, die aus den Augen verloren hat, dass es eine gerechte (und ressourcenschonende) Gesellschaft nur jenseits der kapitalistischen Ordnung gaben kann.

Migration

Beim Thema Migration fordert Androsch, das „xenophobe Spiel“ von FPÖ und ÖVP zu beenden, sodass für eine kontrollierte Migration und einen humane Flüchtlingsaufnahme die Voraussetzungen geschaffen werden. Dass dem Rassismus entgegengetreten werden muss, den der Kapitalismus gezielt schürt, um die Klasse der Werktätigen zu spalten, da ist Androsch beizupflichten. Er erinnert mit Recht daran, dass nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Ungarn-Aufstand und dem Prager Frühling sowie während des Jugoslawienkrieges „die von vielen Populisten lächerlich gemachte österreichische Willkommenskultur … stets funktioniert“ (S. 80) hat.

Zur Begründung, warum Österreich Zuwanderung benötigt, bemüht Androsch die Demografie. „In Österreich stehen derzeit 4,1 Millionen Erwerbstätige bald 2,5 Millionen Pensionisten gegenüber.“ (S. 82) Ohne slowakische 24-Stunden-Pflegekräfte, rumänische Bauarbeiter, ukrainische Spargelstecher und bosnische Holschläger sei unser System nicht aufrechtzuerhalten. „Ohne Migranten hätten wir längst schon eine schrumpfende Ein-Kind-Gesellschaft wie China, Japan oder Russland.“ (S. 84) Der Industriekapitän Androsch denkt beim Thema Migration also vorwiegend an für die Wirtschaft nützliche Arbeitskräfte.

Das Recht aller Menschen, ihre unbefriedigende Situation in der Heimat hinter sich zu lassen und an einem anderen Ort das Glück zu suchen, wird von ihm leider nicht bemüht. Wer jedoch beim Thema Migration nur an die von der Wirtschaft benötigten Arbeitskräfte denkt, erweist dem Kampf gegen Rassismus keinen guten Dienst. Nur wer die Grenzen für alle öffnet, wird am Ende in den Herzen der Menschen die Furcht vor dem Anderen nehmen und die Spaltung der Klasse beenden.

Europa und die Weltordnung

Der Anhänger eines Beitritts Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft macht sich Gedanken über ein Europa nach Merkel. Die EU-Skepsis der neuen ÖVP treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Österreich gehöre zu den größten Nutznießern der EU. Dennoch stehe Kanzler Kurz Orban näher als Merkel und Österreich gesellt sich beim EU-Budget mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark zu den „geizigen Vier“. Für Androsch ist die Erkenntnis aus der Corona-Pandemie: „Die vergangenen Monate haben noch stärker sichtbar gemacht, dass es ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit braucht.“ (S. 110) Daher lautet seine Forderung an die Regierung: „Wir sollten deshalb Angela Merkel und ihren Nachfolger aktiv unterstützen, wenn es um die konstruktive Weiterentwicklung des Projekts Europa geht … Denn bei allen großen Fragen wie Klimawandel, Digitalisierung, demographische Veränderungen oder Migration braucht es gesamteuropäische Lösungen; Lähmung durch rivalisierende Splittergruppen mit Partikularinteressen muss vermieden werden.“ (S. 112f.)

Die aktuelle Welt(un)ordnung der Rivalität zwischen dem wirtschaftlich aufstrebenden China und den USA, die noch immer die Heimat der mächtigsten Konzerne sind, beunruhigt Androsch. „Die US-Administration hat China zum strategischen Hauptfeind erklärt. Trump brach eine Serie von Handelskriegen vom Zaun.“ (S. 118) Über Trump weiß Androsch wenig zu sagen, sehr viel hingegen über die Entwicklung Chinas. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf China bereiten ihm Sorgen. „Laut offiziellen chinesischen Angaben haben rund zehn Prozent der 180 Millionen Wanderarbeiter in den großen Industriezentren wegen der Krise ihre Jobs verloren; tatsächlich dürfte es ein Drittel sein.“ (S. 120) Die Ausweitung des Staatssektors verschlinge „Unsummen an Krediten, die sich rasch als faul erweisen“ (Ebd.) würden. „Dazu kommen immer größere Bedenken, ob der mit digitalen Mitteln installierte Überwachungsstaat in China auf Dauer kompatibel mit westlichen Werten ist.“ (S. 121) Der Umgang mit den Protesten in Hongkong zeige, dass die Unternehmen zur „Geisel der Politik“ (Zitat Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking) geworden seien. Projekte wie die „Neue Seidenstraße“ weckten mit Recht den Argwohn des Westens, dass China immer mehr Staaten in die eigene Einflusssphäre zwingen wolle.

Wie soll Europa mit dieser Situation umgehen? „Europa muss sich auf die eigenen Beine stellen und eine klare Position zwischen den USA und China finden“ (S. 126), befindet Androsch. Den Abkoppelungstendenzen sowohl der USA wie auch Chinas müsse entgegengewirkt werden. D.h. die transatlantische Achse sollte gepflegt werden. „Und es ist ratsam, gegenüber China Eigenständigkeit zu signalisieren und rote Linien deutlich zu markieren.“ (S. 127) Androsch findet., dass die EU z.B. klar Position beziehen muss, wenn der chinesische Ministerpräsident Xi gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten macht. Wettbewerbskommissarin Vestager habe dafür ein schönes Bild gefunden. „Wenn du einen Gast zum Abendessen einlädst und er lädt dich seinerseits nicht retour ein, dann hör auf, ihn einzuladen.“ (Siehe S. 127)

Aus einer sozialdemokratischen Perspektive muss das Ziel einer guten Weltordnung durch solidarisches Handeln erreicht werden. Das Grundsatzprogramm der SPÖ kommt zu dem Schluss, „dass wir die globale Ungleichheit nur durch Kooperation und Koordination über Nationalstaaten hinweg bekämpfen können“** (GP S. 12). Weder die USA noch China, sondern in der internationalen Solidarität liegt für die Sozialdemokratie die Zukunft Europas. Androsch geht es jedoch mehr um die Behauptung Europas in einem globalen Wettbewerb.

* Hannes Androsch, Was jetzt zu tun ist, Brandstätter, Wien 2020.

** Grundsatzprogramm der SPÖ, Krems 2018.


Quo vadis veritas? Mateschitz und die Wahrheit über die Verteilung des Reichtums

19. April 2017

Didi Mateschitz ist für seine Scheu gegenüber den Medien bekannt. Vor kurzem hat er aber der Kleinen Zeitung ein langes Interview gewährt. Dass kurze Zeit später sein eigenes Medienprojekt „Quo vadis veritas“ durchsickerte, war bestimmt nur ein Zufall.

Im Interview lässt er kein gutes Haar an der heimischen Politik und er geißelt diese für ihre zunächst offene Flüchtlingspolitik. Die Willkommenskultur verurteilt Mateschitz als völlig verkehrten Ansatz in einer globalen Wanderbewegung aus armen in reiche Länder. Sein Resümee zum Versagen der Politik: „Würde man in einem Unternehmen Fehlentscheidungen dieser Tragweite treffen, wäre man in Kürze pleite. Wie konnte die Politik überrascht gewesen sein? Man muss blind und taub gewesen sein, um nicht zu sehen, was da auf uns zukommt. Und selbstverständlich hätte man die Grenzen schließen und ordentlich kontrollieren müssen, gar keine Frage.“

Zu all dem wäre viel zu sagen. An dieser Stelle will ich mich auf eine ganz speziellen Aspekt des Wahrheitsverständnisses von Mateschitz konzentrieren. Vom Reporter wird er immer wieder auf seinen Reichtum angesprochen, der sich in seiner Platzierung als vermögendster Österreicher in der Forbes-Reichenliste widerspiegelt. Die Bedeutung seines Reichtums spielt Mateschitz mehrfach  hinunter. Dieser stecke im Red Bull-Imperium – und sei für ihn persönlich nicht unmittelbar greifbar. „Aber der Erfolg, der da abgebildet wird, ist in Wahrheit nicht relevant, wird einem als normalem Menschen auch nie bewusst, Gott sei Dank“, sagt er.

Als ihm die ständige Bezugnahme auf die Forbesliste schließlich zu viel wird, reagiert er mit folgender Ansage: „Wenn Sie das ganze Vermögen der vorhin strapazierten ,Forbes’-Liste auf die restliche Menschheit aufteilen, merken Sie nicht einmal was davon.“ Wie ist es um die Wahrheit dieser Aussage bestellt? Wie würde sich die Verteilung des Vermögens auf der Forbesliste auf die Ärmsten in der Welt auswirken?

Allein die ersten Hundert der Reichenliste haben ein Gesamtvermögen von 2,37 Billionen US-Dollar. Verteilt man dieses Vermögen auf die 7,4 Milliarden Menschen weltweit, bleiben jedem Einzelnen rund 320 US-Dollar. Berücksichtigt man sogar die ersten 500, kommt man auf ein Gesamtvermögen von mehr als 3 Billionen US-Dollar. Damit blieben bei einer Umverteilung für jeden Weltbürger mindestens 400 US-Dollar. Ein historisches Flugzeug oder eine Fidschiinsel kann man sich nicht dafür kaufen, aber das ist mehr als die Menschen in den ärmsten Ländern Afrikas jährlich als Einkommen zur Verfügung haben. Davon, dass eine solche Umverteilung nicht spürbar wäre, kann also nur für Milliardäre gelten, nicht für die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt!


Branko Milanovic und Tony Atkinson – ein Vergleich

21. Dezember 2016

atkinsonTony Atkinson und Branko Milanovic verbindet, dass sie beide wertvolle Beiträge zur Ungleichheitsforschung geleistet haben. Ersterer hat sich über Jahrzehnte in den USA und in Großbritannien mit dem Thema Verteilung befasst, obwohl dieses Thema lange Zeit wenig Ansehen in der Mainstreamökonomie hatte. Mit über 70 Jahren hat er 2015 im Anschluss an das viel beachtete Buch von Thomas Piketty „Capital in the 21st Century“ sein Werk „Inequality. What can be done?“ veröffentlicht. Dort stellt er eine Vielzahl von Vorschlägen vor, die die wachsende Ungleichheit in und zwischen den Ländern eindämmen könnten. Da die Wirtschaftsgeschichte belegt, dass es Zeiten mit sinkender Ungleichheit gegeben hat, ist er überzeugt, dass daraus Maßnahmen abgeleitet werden können, die den aktuellen Trend zu mehr Ungleichheit umkehren.

 

milanovicLetzterer hat viele Jahre lang in der Weltbank zur globalen Ungleichverteilung geforscht und dazu mehrere Bücher verfasst. In seinem aktuellen Buch „Global Inequality“ betrachtet er Migration als den maßgeblichen Weg für Menschen aus armen Regionen, um dieser Situation zu entkommen. Gesamt betrachtet kommt er zu dem Ergebnis, dass global die Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, da bevölkerungsreiche Schwellenländer wie China und Indien aufholen konnten.

 

Für Atkinson greift Pikettys Urteil, dass im Wesentlichen nur die beiden Weltkriege durch Zerstörung für eine vorübergehende Trendumkehr in der Ungleichverteilung gesorgt haben, zu kurz. Anhand der USA zeige, wo der 2. Weltkrieg keine Zerstörung brachte, dass bestimmte politische Maßnahmen (in diesem Fall der New Deal unter Roosevelt) für eine Abnahme der Ungleichheit sorgen können. Auch die Entwicklung in Europa bis in die Siebzigerjahre sei ein Beleg dafür, dass mehr Verteilungsgerechtigkeit durch ein progressives Steuersystem und Ausbau des Wohlfahrtsstaates erreicht werden kann.

 

Für Milanovic ist die Mittelschicht der westlichen Industriestaaten der Verlierer der globalen Entwicklung. Während in Schwellenländern eine Median-Klasse entstand (die im Vergleich mit dem Westen immer noch arm ist), kam die Mittelschicht in den letzten Jahrzehnten nicht voran. In den USA musste die Mittelschicht sogar Einkommensverluste hinnehmen. Einige Jahre konnte das durch Kredite und steigende Häuserpreise kaschiert werden – mit dem Platzen der Immobilienblase war es damit vorbei. Vorschläge, wie die Situation der Mittelschicht in Europa und den USA verbessert werden kann, hat er mit Ausnahme der Verbesserung der Chancengleichheit durch Bildung nicht wirklich anzubieten, da er nicht glaubt, dass sich alle Länder auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können.

 

Die konkrete Liste von Atkinsons Vorschlägen zur Minderung der Ungleichheit sieht wie folgt aus:

  1. Der Staat sollte gezielt Innovationen fördern, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und menschlicher Arbeit Vorrang einräumen.
  2. Der Staat sollte bestrebt sein, angemessene Machtverhältnisse zwischen den Interessengruppen auf dem Arbeitsmarkt herzustellen – beispielsweise durch Stärkung der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Gruppen.
  3. Der Staat sollte Menschen, die Arbeit suchen, einen garantierten öffentlichen Arbeitsplatz zum Mindestlohn anbieten.
  4. Der Staat sollte einen gesetzlichen Mindestlohn festlegen und mit den Sozialpartnern eine Richtlinie für die Bezahlung über dem Mindestlohn festlegen.
  5. Die Regierung sollte ihren Bürgern staatliche Sparbriefe mit garantierten Zinsen anbieten.
  6. Mit Erreichen der Volljährigkeit sollte jeder ein Mindesterbe erhalten.
  7. Der Staat sollte eine öffentliche Investitionsbehörde gründen, die einen Staatsfonds verwaltet und den Nettowert des Staats durch Investitionen in Unternehmen und Immobilien erhöht.
  8. Reiche sollten höhere Einkommensteuern zahlen.
  9. Geringe Erwerbseinkommen sollten steuerlich besonders stark entlastet werden.
  10. Der Staat sollte eine Lebenszeit-Kapitalzugangssteuer einführen: Dabei werden mehrere Erbschaften oder Schenkungen im Laufe eines Lebens zusammengezählt.
  11. Die Grundsteuer sollte an die aktuellen Immobilienbewertungen geknüpft werden.
  12. Alle Kinder sollten ein Kindergeld in beträchtlicher Höhe bekommen.
  13. Auf nationaler Ebene sollte ein Partizipationseinkommen eingeführt werden – eine Art Grundeinkommen für alle, die sich in irgendeiner Form in die Gesellschaft einbringen.
  14. (Alternative zu 13) Eine reformierte Sozialversicherung – mit höheren Leistungen und einem größeren Kreis von Berechtigten.
  15. Die reichen Länder sollten sich das Ziel setzen, ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden.

Messi, Ronaldo und Co: Woher kommt die Gier?

11. Dezember 2016

football_leaksStars wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo erhalten 27 Millionen Euro oder mehr von ihren Fußballclubs. Dazu kommen Werbeeinnahmen in etwa gleicher Höhe. Letzterer soll 20 Autos in seiner Garage stehen haben: darunter ein Bugatti Veyron, ein Lamborghini Aventador, ein Audi RS6 Avant (das Dienstauto), ein Ferrari usw. Man sollte also meinen, dass Menschen wie Messi und Ronaldo auch nach Abzug der Steuern ein Leben in Saus und Braus genießen können. Der Anreiz der Steuerhinterziehung sollte bei ihnen keine Rolle spielen.

 

Und doch wurde Messi im Juli 2016 zu 21 Monaten bedingter Haftstrafe verurteilt, weil sein Vater und er über Scheinfirmen in Belize und Uruguay zwischen 2007 und 2009 Steuern in Höhe von insgesamt 4,16 Millionen Euro hinterzogen haben sollen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch Ronaldo ein ähnliches Urteil ereilen wird. Denn die in Zeitungen wie Falter und „Der Spiegel“ veröffentlichten Enthüllungen von Football-Leaks versichern glaubhaft, dass Ronaldo mit Hilfe seines Beraters Jorge Mendes über eine Briefkastenfirma auf den British Virgin Islands viele Jahre lang lukrative Werbeeinnahmen an den spanischen Steuerbehörden vorbeigeschleust hat.

 

FC Barcelona und Real Madrid verfügen über eine treue und begeisterte Anhängerschaft. Woche für Woche sind das Camp Nou und das Estadio Santiago Bernabéu mit 80.000 bis 100.000 BesucherInnen gefüllt. Spanien und damit auch Katalonien leiden seit 2008 unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter den Jugendlichen, ist sehr hoch in Spanien. Trotzdem sind die Stadien voll und Ticketpreise von 50 Euro aufwärts (für den El Classico noch weit mehr) schrecken die Fans nicht ab. Auch die Fanartikel der beiden Klubs sind hoch begehrt. Für ein Originalfußballtrikot der beiden Mannschaften muss man etwa 78 Euro hinlegen. Die Situation in den Heimatländern der beiden Stars ist noch schlimmer. In Portugal wandern viele junge Menschen aus, weil sie in ihrem Land keine Perspektive für sich sehen können. Und Argentinien leidet auch viele Jahre nach der schweren Rezession 1998/99 an den Folgen der Bestrafung durch die Finanzmärkte – als sich das Land 2014 weigerte, alle Schulden zu bedienen.

 

Messi und Ronaldo könnten also dankbar sein, dass das Schicksal es gut mit ihnen meinte und ihnen mit einer herausstechenden Fußballbegabung den Weg in den Reichtum ebnete. Da sie mehr verdienen, als sie bei allem Hang zum Luxus jemals werden ausgeben können, sollten sie mit Freuden einen guten Teil ihres Verdienstes für ihre Steuerleistung hergeben – damit der Staat jene unterstützen kann, die nicht mit ihrem Talent gesegnet sind. Warum ist das nicht so? Warum lassen sie sich von ihren Beratern Konstruktionen aufschwatzen, wie sie ihre Steuerleistung aus den Werbeeinnahmen gegen Null senken? Warum möchten sie nicht nur der weltbeste Fußballer sein, sondern auch ein As bei der Steuervermeidung?

 

Ich denke, hier hat die Philosophie des Neoliberalismus ganze Arbeit geleistet. Das Prinzip des gnadenlosen Wettbewerbs und des Strebens nach dem individuellen Triumph in der Konkurrenz um die höchsten Profite hat einen Sieg auf allen Linien eingefahren. Ronaldo und Co möchten nicht nur stets Torschützenkönig und Weltfußballer des Jahres sein, sondern auch die Liste der reichsten Fußballerspieler anführen. Wer in diesem Wettstreit durch Steuerehrlichkeit einen Wettbewerbsnachteil einräumt, ist gefährdet, dass die Siegerstraße in eine Sackgasse mündet. Und so treibt sie nicht die Freude am Spiel an, das beide mit ihren fußballerischen Künsten so unglaublich bereichern könnten, sondern der Wettbewerb um die Krone, wer den höchsten Profit einstreichen kann.

 

Es ist an der Zeit, dass der Neoliberalismus nicht länger unsere Köpfe und Herzen vergiftet.


Erbschaftssteuer und Chancengleichheit

6. Dezember 2016

In einem Blogartikel habe ich vor einigen Jahren die Frage gestellt, ob Chancengleichheit und  absoluter Schutz der Eigentumsrechte miteinander vereinbar sind. Unter Bezugnahme auf John Rawls‘ „Theorie der Gerechtigkeit“ bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass in der modernen liberalen Philosophie die Grundfreiheit des Eigentumerwerbs und -besitzes der Verteilungsgerechtigkeit übergeordnet wird, weil die Verwirklichung von Gleichheit als mögliche Unfreiheit beargwöhnt wird.

atkinsonDiesmal will ich, angeregt durch Überlegungen des altehrwürdigen Doyens der Ungleichheitsforschung, Tony Atkinson, die Frage neu stellen: Kann Chancengleichheit nur durch eine umverteilende Erbschaftsbesteuerung verwirklicht werden? In seinem Buch „Inequality. What can be Done?“ (Harvard University Press 2014) beruft sich Atkinson auf das liberale Prinzip der Chancengleichheit, stellt aber gleichzeitig klar, dass die Chancengleichheit nicht ohne Maßnahmen zur Reduktion der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hergestellt werden kann. Wieso müssen wir ihm bei diesem Punkt beipflichten? Sehen wir dazu die Rolle von Erbschaften an.

Erbschaft und Chancengleichheit

Wenn durch Erben Vermögen von einer Generation auf die nächste übergehen kann, dann führt das zu sehr ungleichen Startbedingungen von Menschen.Chancengleichheit ist nämlich nur dann gegeben, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu entwickeln und zu entfalten. Wenn der/die Eine in einer Familie groß wird, wo die finanziellen Ressourcen den Besuch von teuren Privatschulen und Eliteuniversitäten ermöglichen, während der/die Andere in eine Familie hineingeboren ist, wo durch manifeste Armut am Ende des Pflichtschulbesuchs der ökonomische Druck dazu nötigt, schnellstmöglich selbst eigenes Einkommen zu erwerben – dann kann man nicht von Chancengleichheit sprechen. Auch wenn in einem Land wie Österreich durch ein gut entwickeltes öffentliches Bildungswesen die Unterschiede in den Möglichkeiten limitiert sind, muss man zusammenfassend den Schluss ziehen, dass das Erbschaftssystem auch hier dafür Sorge trägt, dass sich die ungleiche Verteilung von Chancen über Generationen hinweg fortsetzt. Eine Schande für Österreich ist, dass seit einigen Jahren völlig auf die Wirkung einer Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung verzichtet wird.

Eine Erbschaftssteuer muss her!

Denker wie Atkinson gehen zwar nicht so weit, im Dienste der Chancengleichheit die Einführung einer  hundertprozentigen Erbschaftssteuer zu fordern. Aber wenn man seinen Vorschlag einer Erbschaft für alle ernst nimmt, sollte man so weit gehen. Erst so könnte die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass jeder Bürger die gleiche Chance auf eine erfolgreiche Entwicklung erhält. Mit einem bestimmten Alter (z.B. mit 19 Jahren) sollte durch diese Steuer finanziert jeder Staatsbürger das gleiche Startkapital erhalten (Atkinson schlägt für Großbritannien lediglich 10.000 Pfund vor). Das würde jedem Jungbürger ermöglichen,  sich eine gute Ausbildung zu finanzieren oder den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen oder längere Zeit auf Reisen zu gehen und die Welt kennenzulernen. Im ungünstigsten Fall wird das Geld einfach für sinnlose Konsumausgaben auf den Kopf gehaut – das ist die Kehrseite der Freiheit. Wenn man es mit der Chancengleichheit ernst meint, muss man diesen Vorschlag unterstützen.

Da eine hundertprozentige Erbschaftssteuer ein zu großer Bruch mit dem gewohnten System der Vermögensweitergabe  und der weit verbreiteten Vorstellung des Verfügens über Eigentum über den Tod hinaus ist, wäre es ein wichtiger ersten Schritt, wenn in Österreich wenigstens eine Erbschaftssteuer auf dem Niveau Deutschlands eingeführt wird: d.h. eine Erbschafts- und Schenkungssteuer mit hohen Freibeträgen für nahe Verwandte und starker Progression der Steuersätze mit der Höhe des Vermögens, das weitergegeben wird. Dass ein Multimilliardär wie Mateschitz in Österreich sein gigantisches Vermögen steuerfrei weitervererben kann, ist ein Skandal und tritt die Idee der Chancengleichheit mit Füßen!


Attac fordert: Steueroasen trocken legen!

24. Juli 2012

21 bis 32 Billionen Dollar liegen unversteuert in Steueroasen

Eine Studie des Tax Justice Networks (TJN) deckt auf, dass Reiche weltweit Steuern in Höhe der zusammengezählten Bruttoinlandsprodukte (BIP) von Japan und den USA hinterziehen. Das sind weltweit 280 Milliarden Euro. Besonders sogenannte Entwicklungsländer und ölreiche Länder sind von Steuerflucht betroffen. Die Hinterziehung dieser riesigen Summen macht deutlich, welche Ressourcen zur Überwindung der Krise aufgrund der Untätigkeit der Politik brach liegen.

Auch Österreich ist eine Steueroase

Auf der Liste des TJN-Netzwerks der Steueroasen befindet sich Österreich u. a. aufgrund des strengen Bankgeheimnisses an 17. Stelle. Österreich befindet sich damit in „guter“ Gesellschaft mit Ländern wie Liechtenstein, den Cayman Islands oder den Bermudas.

„Seit Jahren blockiert Österreich mit seinem Bankgeheimnis die Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie und hintertreibt so den Kampf gegen internationale Steuerflucht“, erklärt Gerhard Zahler-Treiber, Steuerexperte von Attac Österreich. „Die Absicht dahinter ist offensichtlich: Österreich will seine eigene Position als Zufluchtsland von nicht korrekt versteuertem Geld weiter festigen.“ Auch die im europäischen Vergleich niedrige Besteuerung von Vermögen trägt zu diesem Status bei.

Attac fordert Steuerpakt

Lösungen müssen international sowie auf europäischer Ebene gefunden werden. „Sie liegen auf der Hand: Es ist notwendig, für Europa ein einheitliches Steuersystem zu schaffen, das umverteilend wirkt und nicht – wie in der aktuellen Situation – die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter vergrößert. Es braucht einen Steuerpakt für Europa!“, sagt Gerhard Zahler-Treiber weiter. Dazu braucht es Transparenzregeln für die Finanzmärkte, so dass nachvollziehbar wird, welche Transaktionen überhaupt stattfinden und wo Geld am Staat vorbeigeschmuggelt wird. In Zeiten, wo das Kapital fast ausschließlich über das Internet von Bank zu Bank „reist“, ist das viel leichter zu kontrollieren als beim klassischen Geldkoffer. „Bei Nichtkooperation von Steueroasen muss entweder der Kapitalein- und -austritt kräftig besteuert oder den Banken, die in Steueroasen operieren, die Teilnahme am internationalen Kapitalverkehr verweigert werden. Finanztransaktionssteuer und eine einheitliche Besteuerung von großen Vermögen sind außerdem notwendig um den Steuerwettbewerb nach unten zu stoppen“, so Gerhard Zahler-Treiber abschließend.


Warum wir den Fiskalpakt ablehnen sollten

9. Mai 2012

1. Was ist der Fiskalpakt?

Der Fiskalpakt ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen 25 Mitgliedstaaten der EU (alle außer Großbritannien und Tschechien), der unter anderem vorsieht, dass alle Unterzeichnerstaaten bis zum 1. Januar 2014 sogenannte Schuldenbremsen einführen. Diese Schuldenbremse ist in einigen Punkten schärfer als die in Österreich auf einfachgesetzlicher Ebene bereits beschlossene „Schuldenbremse“ und soll sie auf  dauerhaft gelten.

Die Möglichkeit, Budgetpolitik zu gestalten, wird einschneidend beschnitten, der Vertrag legt sich auf fortwährende einseitige Sparpolitik fest, mit vielen Automatismen, die Gestaltungsmöglichkeiten der Regierung und des Parlamentes drastisch beschneiden. Andererseits wird insbesondere der Europäischen Kommission ein großer Spielraum bei der Ausgestaltung der Regeln gegeben, ebenso wie bei der Interpretation, wann Mitgliedstaaten von einem ausgeglichenen Haushalt abweichen. Letzteres insbesondere dadurch, dass im Vertrag festgelegt ist, dass Staaten die Grenze eines strukturellen – konjunkturbereinigten – Defizits von maximal 0,5% des BIP einhalten müssen. Die Berechnung des strukturellen Defizits ist allerdings auch unter ÖkonomInnen sehr umstritten, es gibt viele verschiedene Berechnungsarten, die je nach den benutzten Annahmen in ihrem Ergebnis weit voneinander abweichen können.

Der Vertrag ist so gestaltet, dass kein Staat einseitig austreten kann, auch wenn er es will. In Österreich liegt der Vertrag derzeit zur Abstimmung im Parlament, es wurde jedoch noch kein Zeitplan für die Behandlung bekanntgegeben.

2. Warum sollten wir den Fiskalpakt ablehnen?

Der Fiskalpakt ist ein massiver Angriff auf Demokratie und soziale Errungenschaften. Insbesondere wird das „Königsrecht“ der Parlamente – das Recht, den eigenen Haushalt zu gestalten – massiv eingeschränkt und teilweise auf die nicht gewählte EU-Kommission übertragen. Rechte der Legislative sollen auf eine Institution der (europäischen) Exekutive übertragen werden – das ist demokratisch mehr als fragwürdig.

Die „Schuldenbremse“ des Fiskalpakts wirkt effektiv als „Haushaltsdeckel“, der den Druck steigert, mehr Sozialabbau durchzusetzen, Löhne im öffentlichen Sektor zu senken und öffentliche Investitionen zurückzufahren. Sinnvolle öffentliche Ausgaben sollen gekürzt werden, während gleichzeitig die Banken mit Milliarden gerettet werden. Mehr noch, es ist vorgesehen, dass bei Überschreiten des Defizits automatisch Ausgabenkürzungen einsetzen sollen und dass eine neue Institution geschaffen werden muss, die die permanente Sparpolitik – einseitige Kürzungspolitik – überwacht. Wie das genau zu geschehen hat, ist im Vertrag sehr vage formuliert („löst automatisch einen Korrekturmechanismus aus“), aber der Europäischen Kommission wird das Recht gegeben – wohl erst nach Beschluss des Fiskalpaktes – dazu Vorschläge vorzulegen. Die Staaten verpflichten sich aber auf jeden Fall, diese Vorschläge in nationales Recht umzusetzen. Falls sie dies nicht tun, droht eine Klage beim Europäischen Gerichtshof mit möglichen Strafzahlungen.

Außerdem ist ein späterer Ausstieg aus dem Fiskalpakt nicht vorgesehen: Der Vertrag enthält keine Kündigungsklausel. Er kann daher nur einstimmig von allen Unterzeichnerstaaten aufgehoben werden. Somit schreibt der Vertrag die einseitige Spar- und Kürzungspolitik für auf Dauer fest.

3. Der Fiskalvertrag ist undemokratisch

Der Fiskalvertrag beschränkt das wichtigste Recht der nationalen Parlamente: das Haushaltsrecht. Das Haushaltsrecht ist deshalb so zentral, weil die Entscheidung über die Einnahmen („Wer bezahlt wie viel Steuern?“) und die Ausgaben („Wofür wird Geld ausgegeben und wofür nicht?“) das Zusammenleben der Gesellschaft maßgeblich prägt.

Die Einschränkungen des Haushaltsrechts durch den Fiskalpakt geschehen zum einen über starre Regeln (z.B. die „Schuldenbremse“) und automatische Sanktionen bei Verfehlungen. Zum anderen erhält die nicht demokratisch gewählte Europäische Kommission ein großes Mitspracherecht: Alle Länder, die im sogenannten Defizitverfahren sind – wie auch Österreich – müssen ihre Haushaltsprogramme und Strukturreformprogramme künftig von der Kommission und dem Rat genehmigen lassen. Das heißt, die Kommission bekommt ein Vetorecht: Wenn ihr die Wirtschaftspolitik, die die österreichische Regierung und das österreichische Parlament vorschlagen, nicht passt, kann sie diese ablehnen!

Für Österreich bedeutet der Fiskalpakt faktisch, dass wesentliche Prinzipien unserer Verfassung – hinsichtlich der Gestaltung des Budgets – de facto außer Kraft gesetzt werden.

4. Der Fiskalpakt ist unsozial

Die meisten Euroländer sind verschuldet, weil sie über zu wenig Steuermittel verfügen – insbesondere die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen wurden in den letzten Jahren drastisch gesenkt, auch durch den Steuersenkungswettbewerb innerhalb der Europäischen Union.

Der Fiskalvertrag ändert an diesen Ursachen der Verschuldung gar nichts, da er sich nur auf die Ausgabenseite bezieht und dort drastische Kürzungen verlangt. Diese treffen in aller Regel überwiegend die Bevölkerung am unteren Ende der Einkommensskala. Soziale Ungleichheit wird mit dem Fiskalvertrag somit weiter verschärft.

Bei Abweichung vom ausgeglichenen Haushalt muss ein automatischer Korrekturmechanismus greifen, d.h. wohl automatische Ausgabenkürzungen, wobei absehbar ist, dass diese ebenfalls vor allem die Sozialausgaben betreffen werden.

5. Der Fiskalpakt wirkt anti-europäisch

Der Vertrag selbst wirkt anti-europäisch, es sich um einen Vertrag außerhalb der EU-Verträge handelt, an dem nicht alle EU-Mitgliedstaaten teilnehmen. Der Fiskalpakt steht somit im Widerspruch zum EU-Recht. Außerdem sollte die europäische Integration laut dem Vertrag von Lissabon zu einem demokratischen und sozial gerechteren Europa führen – genau dem widerspricht jedoch der Fiskalpakt.

6. Der Fiskalpakt ist kein geeignetes Werkzeug, um die Krise zu überwinden

Der Fiskalvertrag zwingt alle Staaten zu einer Politik der Ausgabenkürzung und Privatisierung. Doch die Eurokrise wurde nicht dadurch verursacht, dass die Staaten „über ihre Verhältnisse“ gelebt und beispielsweise zu viel für Sozialleistungen ausgegeben haben. Vielmehr gaben die Staaten in der Finanzkrise Milliarden zur Rettung der Banken und zur Stützung der Konjunktur aus. Dadurch explodierten die Schulden.

Das Beispiel Griechenland zeigt noch dazu sehr deutlich, dass die Schulden eines Landes sogar noch steigen, wenn eine rigide Kürzungspolitik, wie sie im Fiskalvertrag vorgesehen ist, die wirtschaftliche Krise durch Einkommensausfälle noch verschärft. Wenn die Haushalte weniger Geld haben, gehen Unternehmen pleite und die Arbeitslosigkeit steigt. In weiterer Folge nimmt der Staat weniger Steuern ein und er hat mehr Ausgaben. Der Fiskalvertrag ist damit auch ökonomisch unsinnig.

7. Der Fiskalpakt führt zu Kürzungen und Privatisierungen

Der Fiskalvertrag sieht vor, dass alle Unterzeichnerstaaten bis zum 1. Januar 2014 Schuldenbremsen und automatische Korrekturmechanismen mit strenger Überwachung eingeführt haben und zwar möglichst in ihrer nationalen Verfassungen verankert. Wer dies nicht macht, kann dafür vor dem Europäischen Gerichtshof mit hohen Geldbußen belangt werden. Wird die Schuldenbremse – ein strukturelles Defizit von maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – nicht eingehalten, werden automatisch Ausgaben gekürzt.

Länder, die im Defizitverfahren sind, wie derzeit auch Österreich, müssen einen Plan vorlegen, wie sie das Defizit reduzieren wollen. Der Plan muss von der Europäischen Kommission und dem Rat genehmigt werden. Diese Gremien werden nur Maßnahmen billigen, die ihrer rigiden Spardoktrin folgen.

Für Länder mit einem Schuldenstand von über 60 Prozent des BIP gilt das gleiche; sie sind außerdem verpflichtet, alle über diesen Wert hinausgehenden Schulden um 5 Prozent pro Jahr abzubauen. Für viele Länder heißt das, dass sie künftig Haushaltsüberschüsse erzielen müssen, was nur mit noch stärkeren Ausgabenkürzungen und mit der Privatisierung öffentlicher Unternehmen erreichbar ist.

8. Alternativen zur Überwindung der Krise

Statt die Krise mit Einschränkungen der Ausgaben bewältigen zu wollen, wie es der Fiskalpakt vorsieht, ist eine Anpassung der Einnahmen zur Verringerung der Schulden wesentlich sinnvoller. Die negativen Effekte der Kürzungspolitik, Verarmung bis hin zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten bleiben aus, wenn die Hauptlast der Krisenkosten von den hohen EinkommensbezieherInnen und Vermögenden getragen wird.

Denkbare wirksame Maßnahmen sind beispielsweise eine EU-weite Vermögensabgabe, die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, höhere Steuern auf Kapitalerträge und die Einführung der Finanztransaktionssteuer.

Um eine weitere Verschärfung der Krise zu verhindern, müssen außerdem die Finanzmärkte reguliert werden, damit diese nicht mehr gegen einzelne Staaten spekulieren können bzw. nicht durch notwendige Rettungsmaßnahen für Banken die Staatsschulden belasten können.

 

Fazit:

Wir sollten den Fiskalpakt (zumindest in der aktuellen Form) ablehnen und mit Frankreich den Weg einer Neuverhandlung einschlagen.


Attac: „Liste der Schande“ existiert bereits / Österreich prominent vertreten

26. Januar 2012

Kampf gegen Steuerbetrug auf nationaler Ebene allein völlig unzureichend.

„Die „Liste der Schande“ existiert bereits und die Republik Österreich nimmt darin einen prominenten Platz ein“, erklärt Gerhard Zahler-Treiber von Attac Österreich zur aktuellen Debatte um eine Liste für Steuersünder. Auf dem im Herbst veröffentlichten „Schattenfinanzindex“ des internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit (TJN) liegt Österreich auf Platz 17 unter den intransparentesten Finanzplätzen der Welt ein. Grund für diese Platzierung Österreichs ist vor allem das Bankgeheimnis und die Blockade beim automatischen Informationsaustausch über Zinserträge in der EU.

„Ein Kampf gegen Steuerbetrug auf nationaler Ebene allein ist völlig unzureichend. Steuerflucht kann nur wirksam bekämpft werden, wenn der automatische steuerliche Informationsaustausch zum internationalen Standard wird“, erklärt Zahler-Treiber.
„Wenn hierzulande im Interesse von Banken ausländischen BürgerInnen Strukturen zur systematischen Steuerhinterziehung zur Verfügung gestellt werden, schadet das letztlich Österreich am meisten. Denn solange Österreich wirksame internationale Regelungen blockiert, haben andere wichtige Steueroasen wie die Schweiz oder Liechtenstein wenig Veranlassung und Druck, ihr zweifelhaftes Geschäftsmodell zu ändern.“

Eine Veröffentlichung von Namen von inländischen Steuersündern geht nach Attac am grundsätzlichen Problem vorbei. Nötig seien wirksame Gesetze und eine ausreichende Ausstattung der Finanzbehörden mit Ressourcen – vor allem in Hinblick auf internationale Steuerhinterziehung.

Attac kritisiert auch die OECD-Standard („Weiße Liste“) gegen Steuerflucht als erschreckend wirkungslos und ineffektiv. Ermittelnde Steuerbehörden müssen praktisch schon über alle nötigen Beweise verfügen, um Informationen aus einem Schattenfinanzzentrum zu erhalten. Nach Angaben des TJN entgehen den Staaten jährlich ungefähr 250 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen, weil reiche Personen und Unternehmen Vermögen ins Ausland transferieren.

Alle Informationen zum Schattenfinanzindex finden Sie unter: http://www.attac.at/fsi2011

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network) setzt sich weltweit für die Stärkung der öffentlichen Finanzen und für ein gerechteres Steuersystem ein. Es ist ein internationaler Zusammenschluss von sozial- und entwicklungspolitischen sowie kirchlichen Organisationen, WissenschaftlerInnen und engagierten Einzelpersonen. Attac Österreich ist Mitglied im TJN.


Ein solidarischer Lösungsansatz für die Eurokrise

26. Oktober 2011

Seit vielen Monaten geistert das Gespenst Euro- und Schuldenkrise in der öffentlichen Debatte herum. Diese begann damit, dass die Finanzmärkte wegen des hohen Defizits in Griechenland beunruhigt wurden und Griechenland rasant steigende Zinskosten für seine Staatsanleihen zu tragen hatte. Daher wurde von der europäischen Politik und dem IWF zunächst versucht, Griechenland durch radikale Sparmaßnahmen zu einem niedrigeren Budgetdefizit zu verhelfen und dadurch die Lage auf den Finanzmärkte zu beruhigen. Wie jedem, der über einiges volkswirtschaftliches Grundverständnis verfügt, von Anfang an klar war, ist die Situation jedoch nur schlimmer geworden. Die Sparmaßnahmen haben die griechische Wirtschaft weiter schrumpfen lassen und das Defizit wurde im Vergleich zum sinkenden Bruttoinlandsprodukt sogar noch schlimmer.

Als die Finanzmärkte dazu übergingen, gegen weitere Staaten wegen der stark gestiegenen Defizite vorzugehen (Portugal, Spanien, Italien), verlegte sich die Politik in der EU darauf, durch großzügige Garantieerklärungen (vulgo Rettungsschirme) des gesamten Euroraums die Finanzmärkte zu beruhigen und finanzierbare Rahmenbedingungen für die Schuldenlast zu schaffen. Doch der Druck der Finanzmärkte auf die Defizitländer der Eurozone blieb ungebrochen und auch Griechenland konnte nach wie vor keine Atempause verschafft werden. Der Rettungsschirm musste deutlich aufgestockt werden (440 Milliarden Euro) und inzwischen ist eine Hebelung im Gespräch, die die Garantien auf bis zu 2 Billionen Euro erhöhen soll.

Außerdem ist ein Schuldenschnitt von mehr als 50 Prozent für Griechenland, der lange Zeit ausgeschlossen wurde, inzwischen weitgehend akkordiert. Auch die Notwendigkeit von neuen Bankenrettungspaketen wird nicht ausgeschlossen. In dieser Situation wird die lange bekämpfte Finanztransaktionssteuer nun doch endlich umgesetzt werden, da die EU dringend Einnahmen benötigt. Als nächster Schritt zeichnet sich sogar eine Vertragsänderung der EU ab, die eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik ermöglichen und wirtschaftliche Ungleichgewichte in der bisherigen Form verhindern soll.

Können diese Maßnahmen die Probleme lösen? Die Antwort ist leider ein eindeutiges nein, da diese Maßnahmen nur bei den Symptomen ansetzen, aber nicht an die Ursachen heranreichen. Denn die Gründe für die derzeitige Situation liegen in der Finanzkrise 2007/2008. Durch eine gewaltige Spekulationsblase, die schließlich zusammenbricht, war das globale Finanzsystem aufgrund undurchschaubarer Risiken und nicht bewältigbarer Verbindlichkeiten am Rande des völligen Kollapses. Nur durch gewaltige staatliche Hilfen für das Finanzsystem und umfassende Konjunkturprogramme konnte das Finanzsystem gerettet und die aus der Finanzkrise entstandene Weltwirtschaftskrise abgefangen werden. Doch diese Kosten haben die Staatsdefizite rasant ansteigen wachsen – vor allem in jenen Ländern, die schon vor der Krise aufgrund eines deutlichen Leistungsbilanzdefizits ungünstige Bedingungen hatten. Deshalb begannen die Finanzmärkte, massiv gegen diese Staaten zu spekulieren (z.B. in Form von Kreditausfallversicherungen) und auf die Politik Druck auszuüben, etwas gegen die „horrenden“ Staatsschulden zu unternehmen.

Das ist insofern äußerst zynisch, als die hohen Schuldenzuwächse zum Großteil auf die Kappe der „Bankenrettung“ gehen und die Finanzinvestoren auch noch an den hohen Zinsen für Staatsanleihen und den explodierenden Kursen der Kreditausfallversicherungen verdienen. Können die betroffenen Staaten freilich die Schuldenlast nicht mehr tragen und ein Schuldenschnitt ist unumgänglich, dann schlägt sich das wiederum in den Bilanzen jener Banken verheerend nieder, die im Besitz dieser Anleihen sind. Dann müssen diese Banken wieder von den Staaten gerettet werden. Was wiederum die Staatsschulden in die Höhe treibt. Ein Teufelskreis also.

Wenn in diesen Rettungszyklen versucht wird, die Kosten durch  massive staatliche Einsparungen im Sozialbereich und radikale Kürzung der öffentlichen Ausgaben und Beschäftigung auf die Unter- und Mittelschicht abzuwälzen, dann führt das unweigerlich zum Zusammenbruch des innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Zusammenhalts. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann dies zu gewalttätigen Unruhen, Bürgerkriegen oder sogar zu Kriegen zwischen Staaten führen.

Kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Ja! Aber dazu müssen die Probleme bei der Wurzel gepackt werden. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist die Folge des Zusammenbruchs des Systems von Bretton Woods (das zweifelsohne mit der amerikanischen Dominanz und der aussichtlosen Situation der Entwicklungsländer auch Schwächen hatte), der nachfolgenden Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte sowie dem Abgehen von der fordistischen Allianz von Kapital und Arbeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine lange Periode des Wirtschaftswachstums und der allgemeinen Wohlstandssteigerung ermöglichte.

Das darauf folgende neoliberale Paradigma in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ließ die Gewinneinkommen rasant steigen, während die Lohneinkommen nur mehr bei den obersten zehn Prozent stiegen. Dies führte zu einer massiven Ungleichverteilung von Vermögen und einer Schwächung der Realwirtschaft. Die Vermögenden investieren ihr Geld in immer abenteuerliche Finanzinstrumente, die hohe Gewinne versprechen, aber das Risiko an die Gesellschaft abwälzen. Als ab 2006/2007 eine gewaltige Spekulationsblase  mit forderungsbesicherten Wertpapieren (CDOs) am Immobilienmarkt platzt, können Hausbesitzer ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr bedienen und verlieren dadurch ihre Häuser, das gesamte Bankensystem sitzt auf einer Unmenge praktisch wertloser Forderungen, Versicherungsunternehmen, die diese Wertpapiere oder Investmentbanken abgesichert haben,  werden insolvent (z.B. AIG). Wie schon weiter oben angeführt, sprangen die Staaten ein, um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, indem sie gigantische Garantien abgaben.

Dieser Entwicklung kann nur dadurch begegnet werden, dass folgende 12 Maßnahmen in der Europäischen Union möglichst bald ergriffen werden:

  1. Griechenland werden 50 % der Schulden erlassen, damit das Land eine Möglichkeit bekommt, sich aus der Schuldenfalle zu befreien.
  2. Griechenland werden von EU und IWF keine weiteren Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung vorgeschrieben, sondern das Land dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die seine Staatseinnahmen erhöhen (Reformierung des Steuer- und Abgabensystems, effizientere Finanzverwaltung) und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern (Investitionen in moderne Technologien, z.B. Solarenergie), aber nicht den Einbruch der Wirtschaft fortschreiben.
  3. Alle großen Finanzinstitute (Bilanzsumme größer als 1 Mrd. Euro) werden europaweit unter staatliche Kontrolle gestellt. Dann werden diese Institutionen dahingehend überprüft, ob sich nach objektiver Bewertung eigentlich uneinbringliche Verbindlichkeiten aus Spekulationsgeschäften in ihren Bilanzen versteckt halten.
  4. Jene Bereiche dieser Institutionen (falls solche Unterteilungen vorhanden sind), die sich in der Überprüfung als tatsächlich insolvent herausstellen, werden in einem geordneten Insolvenzverfahren abgewickelt und anschließend geschlossen. Bei den kleineren Instituten unter den großen Playern (weniger als 50 Mrd. Euro Bilanzsumme) ist auch eine komplette Schließung vorbehalten.
  5. Die tragfähigen Bereiche der großen Finanzinstitute werden in kleinere Einheiten zerschlagen und einer strengen gesellschaftlichen Kontrolle überantwortet, damit keines dieser Unternehmen mehr wegen der Systemrelevanz zu groß für eine Insolvenz wird. Der Fokus soll dabei auf die Kernaufgaben des Finanzsystems gelegt werden: die Verzinsung von Spareinlagen und die Finanzierung der Realwirtschaft durch Investitionskredite; die anderen Bereiche (Investmentbanking, Hedgefonds, Private Equity usw.) werden deutlich verkleinert.
  6. Finanzielle Instrumente, die potentielle Massenvernichtungswaffen für das Finanzsystem darstellen, wie Hedgefonds, CDOs, CDS, werden einer strengen staatlichen Regulierung unterworfen, die von einer eigens dafür zu schaffenden Behörde übernommen wird. Diese Behörde achtet darauf, dass diese Instrumente nur noch zum Zwecke der Absicherung der eigenen Basispapiere verwendet werden; die Spekulation mit diesen Instrumenten wird also verboten.
  7. Die Bewertung von Staaten durch Ratingagenturen wird ausgesetzt, um die Spekulation gegen Defizitländer zu bremsen. In einem nächsten Schritt müssen die Ratingagenturen reformiert werden. Sie sollten in Zukunft jene Unternehmen, die sie sie bewerten, nicht mehr beraten dürfen; sie werden außerdem nicht mehr von den Wertpapieremittenten, sondern über einen Einlagenfonds von den Investoren für ihre Dienstleistung bezahlt.
  8. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft geben gemeinsame Staatsanleihen (sogenannte Eurobonds) heraus, um ihre Schulden zu finanzieren. Damit werden der Zinswettbewerb unter den Mitgliedsländern und das Wetten der Finanzmärkte gegen einzelne Staaten unterbunden. Als Alternative dazu könnte auch ein Europäischer Währungsfonds gegründet, der günstige Kredite an die Staaten vergibt.
  9. Um die Einlagen von Kleinanlegern (bis 100.000 Euro) in den insolventen Bereichen des Finanzsystems  für ihre Verluste entschädigen zu können, werden neue Einnahmequellen (zeitlich befristet) herangezogen: z.B. die Finanztransaktionssteuer, höhere Vermögenssteuern, höhere Besteuerung für sehr hohe Einkommen, höhere Besteuerung des Kapitalertrags.
  10. Diese zusätzlichen Einnahmen dienen dazu, die Staatsschulden abzubauen, in den Ausbau der sozialen Dienstleistungen und des Gesundheitssystem (Prävention), die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Energiegewinnung und die nachhaltig ausgerichtete Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur zu investieren. Dadurch werden neue Arbeitsplätze geschaffen, die Konsumnachfrage gestärkt und somit das Wachstum nachhaltig angekurbelt. Dies führt in weiterer Folge zu höheren Staatseinnahmen und einer geringeren Staatsverschuldung.
  11. Um nicht nur Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen, sondern auch die Arbeit, wird die gesetzliche Normalarbeitszeit auf 36 Stunden reduziert und die Gewerkschaften aufgefordert, weitere Schritte der Arbeitszeitverkürzung in ihre Kollektivvertragsverhandlungen aufzunehmen.
  12. Um in Zukunft verheerende ökonomische Ungleichgewichte zu verhindern, wird die EU-Verfassung dahingehend reformiert, dass die EU zu einer tatsächlichen Finanz- und Wirtschaftsunion wird. Die Verfügung über die gemeinsame Wirtschaftspolitik darf dabei aber nicht in erster Linie in der Hand der EU-Kommission oder beim Europäischen  Rat liegen, sondern muss durch eine Stärkung der europäischen Demokratie vorrangig beim EU-Parlament angesiedelt sein. Das Parlament darf dabei aber  nicht die Minderheitenrechte von kleineren Ländern verletzen. Die Vorgaben für die Finanz- und Wirtschaftspolitik umfassen in Zukunft nicht nur Schuldengrenzen, sondern auch Vorgaben für eine harmonisierte Steuerpolitik, gemeinsame Wachstumsziele, Obergrenzen für die Arbeitslosigkeit, gemeinsame Zielsetzungen für eine stetige Lohnentwicklung, Zielkorridore für die Inflation.

Die unerträgliche Langeweile der Politik: Maria Fekters erste Budgetrede

21. Oktober 2011

Finanzministerin Maria Fekter hat am 17. Oktober 2011 im Parlament ihre erste Budgetrede gehalten. 92 Minuten lang las die Finanzministerin äußerst holprig und immer wieder fehlerhaft den langatmigen Text ihrer Rede ab. Eines der wenigen Bonmots war die abgelutschte Rede vom: „Budget als in Zahlen gegossener Politik“. Den Koalitionspartner SPÖ wusste sie gekonnt mit der Ankündigung der Wiedereinführung von Studiengebühren vor den Kopf zu stoßen.

Inhaltlich waren ihre Ausführungen jedoch wenig spektakulär. Wie zu erwarten war, ist das geplante Budget von einer schrittweisen Reduktion des Budgetdefizits geprägt. 2012 soll die Neuverschuldung bundesweit 3,2 % betragen. Bis 2015 soll das Defizit auf 2% gedrückt werden. Die Gemeinden sollen dabei ab sofort überhaupt ausgeglichen budgetieren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass der Konjunkturmotor nicht noch stärker ins Stottern gerät und keine unvorhergesehenen Ausgaben für eine neue Bankenrettung notwendig werden.

Die Ausgaben der einzelnen Ressorts werden im veranschlagten Budget mit Ausnahme des Lebensministeriums (das sogar weniger Geld erhält) nur leicht erhöht, sodass mit den zu erwarteten höheren Steuereinnahmen sich eine niedrigere Schuldenquote als in den letzten Jahren ergibt. Den Universitäten hat Fekter eine Unimilliarde zugesagt – allerdings nur in Schilling! Die Ausgaben für die Forschung werden weiter erhöht, von 2 % des BIP ist Österreich aber nach wie vor deutlich entfernt. Als größten Posten hat die Finanzministerien die Ausgaben für die Pensionen besonders hervorgehoben und deshalb die Notwendigkeit einer Reform, die zu einer deutlichen Erhöhung des realen Antrittsalters führt, betont. Details zu einer solchen Reformierung waren der Rede aber noch nicht zu entnehmen. Es ist jedoch zu befürchten, dass 2013 von der ÖVP ein neuer Angriff auf die unser Pensionssystem erfolgen wird. Die Gewerkschaft sollte also schon jetzt gewarnt sein, dass mit Verweis auf die höhere Lebenserwartung und das niedrige reale Pensionsantrittsalter weitere Kürzungen zu erwarten sind.

Von den anderen Ressorts gibt es hingegen nichts Berichtenswertes zu erzählen, da hier das business as usual fortgeführt wird.

Weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausgabenseite hat Fekter also für 2012 Reformen angekündigt. Weder soll durch eine Verwaltungsreform, die diesen Namen verdient  in stärkerem Ausmaße Ausgaben eingespart werden, noch hat sie neue Einnahmequellen auf steuerlicher Seite angekündigt, um Spielräume zur Budgetreduktion und für dringend notwendige Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich zu schaffen.

Allerdings hat sie in bewährter Manier die hohe Abgabenquote und das Leid des Mittelstandes unter der Steuerlast beklagt, da 38 % der Bevölkerung (jene die zwischen 25.000 und 100.000 Euro im Jahr verdienen) 75 % der Einkommensteuerzahlung schulterten – während 2,6 Millionen gar keine Einkommensteuer zahlten.

Wie üblich hat Fekter dabei erstens die Mittelschicht (das wäre die korrekte Bezeichnung) in der Einkommensverteilung völlig asymmetrisch angesetzt, da der von ihr angesprochene Einkommensbereich deutlich nach rechts verschoben ist und daher nicht in der Mitte liegt.  Zweitens werden durch diese Gegenüberstellung die Sozialversicherungsleistung und die Verbrauchssteuern außer Acht gelassen, die überwiegend von den unteren und mittleren Einkommen geleistet werden und eine ganz wesentlichen Beitrag der ArbeitnehmerInnen zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben darstellen.

Somit ist Ministerin Fekter zwar darin recht zu geben, dass unser Steuersystem Reformbedarf hat. Aber diese Reform sollte den Faktor Arbeit insofern entlasten, als den unteren und mittleren Einkommen mehr netto bleibt, den Spitzenverdienern ein höherer Beitrag abverlangt wird und von den Vermögen eine solidarische Leistung zur Erhaltung unserer Systems einer fairen und gerechten Lasten- und Leistungsverteilung gefordert wird. Denn davon profitieren wir alle, da damit ein Wohlstand auf breiter Basis sichergestellt wird, der ein solides und nachhaltiges Wachstum möglich macht. Wessen wir jedoch nicht bedürfen, das ist eine weitere Entlastung der Spitzenverdiener und Vermögenden, da dies nur die Schere zwischen Arm und Reich weiter vergrößert und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hemmt sowie den sozialen Zusammenhalt gefährdet.