Aus der Märchenstunde von ÖVP und Industriellenvereinigung zur Steuerbelastung in Österreich

14. Juni 2011

Die ÖVP und Industriellenvereinigung haben wie erwartet auf die Forderungen von ÖGB-Präsident Erich Foglar in der Pressestunde vom 5. Juni 2011 reagiert. Sie lehnen die Forderungen der Gewerkschaft nach mehr Steuergerechtigkeit durch Einführung einer Vermögenssteuer, der Wiedereinführung einer reformierten Erbschaftssteuer und durch Reformierung der Grundsteuer als Belastung des Mittelstands ab. Wie nicht anders zu erwarten war, sind die Begründungen für die Ablehnung haarsträubend und stecken voller Lügenmärchen.

ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch sagte nämlich in Reaktion auf die Forderungen des ÖGB-Präsidenten: „Mit der ÖVP wird es keine Mittelstandssteuern a la ÖGB geben“.

Herr Rauch, hören Sie auf, die Österreicher an der Nase herumzuführen! Eine Vermögenssteuer, die das oberste 1% der Einkommen in Österreich treffen soll, mag vieles sein – eines ist sie aber sicher nicht: eine Steuer, die den Mittelstand trifft. Wissen Sie überhaupt, was der Mittelstand ist? Nach gebräuchlicher volkswirtschaftlicher Definition gehören zum Mittelstand jene Haushalte, die ein Einkommen zwischen 60 und 180% des Medianeinkommens haben. Das bedeutet, der Mittelstand hat ein Einkommen zwischen ca. 1000 und 3600 Euro. Diese besitzen keine riesigen Villen, noch einen Rolls Royce und einen Ferrari sowie Privatjets und Segelyacht, Unternehmensbeteiligungen oder hohes Barvermögen, sodass sie mit einem Freibetrag von 700.000 Euro von der Vermögenssteuer nicht betroffen wären. Auch die reformierte Erbschaftssteuer betrifft diese Menschen nicht, da die Mehrheit in dieser Gruppe gar nicht erbt und der Rest ist bei einem Freibetrag von 300.000 Euro ebenfalls kaum betroffen, da der Median des vererbten Vermögens bei 22.000 Euro liegt. Wie Martin Schürz von der Österreichischen Nationalbank immer wieder betont, ergeben die Befragungen zum Thema die folgenden Resultate: „Die Fakten zum Erben in Österreich zeigen eindeutige Ergebnisse: Nur eine Minderheit erbt, nur wenige erben viel und die Erbschaftssteuer in Österreich war vernachlässigenswert gering.“ Auch die Grundsteuer fällt beim Mittelstand kaum ins Gewicht, da sie nur einen Bruchteil der Betriebskosten von Miet- und Eigentumswohnungen ausmacht und auch die Besitzer von Einfamilienhäusern nur geringen Belastungen aussetzt. Eine deutliche Erhöhung der Einheitswerte stellt für den Mittelstand eine weit geringere Belastung dar, als die hohen Energiekosten, die in Folge des hohen Ölpreises gegeben sind.

Weiters polterte Generalsekretär Rauch in Richtung des roten Gewerkschafters Foglar gegen die vermeintlichen Belastungen der Leistungsträger: „Die Tüchtigen ausquetschen zu wollen, auf bereits mehrfach versteuertes Eigentum hin greifen zu wollen, den Leistenden in die Taschen zu langen – das wird es mit der ÖVP nicht geben“. Die Belastungsideen von Foglar – wie Erhöhung der Grundsteuer, Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer  –, so Rauch weiter, „treffen genau jene, die für den Erhalt des Sozialstaates Österreich einen massiven Beitrag leisten. Genau jene, die tagtäglich hart arbeiten, um sich und ihren Familien etwas aufzubauen“.

Rauch bemüht als nächstes also die obligatorische Suada von der Belastung der Leistungsträger, die für schon versteuertes Einkommen auch noch Vermögenssteuer zahlen sollen. Was der ÖVP-Generalsekretär jedoch verschweigt, das ist, dass für alle unselbstständig Erwerbstätigen eine Mehrfachbesteuerung Gang und Gebe ist. Denn wir ArbeitnehmerInnen zahlen von unserem versteuerten Einkommen Umsatzsteuer für Waren und Dienstleistungen, die wir erwerben bzw. konsumieren. Mehrfachbesteuerung ist somit nichts Ungewöhnliches.

Ob jene, die von der Vermögenssteuer betroffen wären, wirklich Leistungsträger sind, ist zu hinterfragen. Denn hier fallen viele darunter, die ihr Vermögen gerbt haben; viele, die ihr Vermögen durch Anlagen auf dem Kapitalmarkt vermehren –  was ja nicht gerade eine großartige Leistung ist. Leistungsträger sind vielmehr jene Österreicherinnen und Österreicher, die durch ihre Arbeit Tag für Tag Waren produzieren und Dienstleistungen erbringen. In die glückliche Situation, dadurch von einer Vermögenssteuer betroffen zu sein, kommt so gut wie niemand von den mehr als 3 Millionen ArbeitnehmerInnen. Denn nur rund ein Prozent hat in Österreich Vermögenswerte, die den Freibetrag von 700.000 Euro überschreiten. Darunter sind mit Ausnahme von ein paar Spitzenmanagern keine ArbeitnehmerInnen.

Dass von den Steuerplänen des ÖGB gerade die hart arbeitenden Menschen, die mit ihren Beiträgen den Sozialstaat finanzieren, betroffen wären, ist eine dreiste Lüge. Denn die wenigen ArbeitnehmerInnen  und selbstständig Erwerbstätigen, die von der einer Erbschafts- oder Grundsteuer merkbar betroffen wären, verdienen in der Regel deutlich mehr als die Höchstbeitragsgrundlage ausmacht. Sie zahlen also weniger an Sozialversicherungsbeiträgen, als es ihre Leistungsfähigkeit erlauben würde. Und wenn man die Gesamtabgabenbelastung hernimmt (also Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zusammenzählt), dann kommt man zum Ergebnis, dass in den obersten 2 Dezilen die prozentuelle Belastung nur leicht höher ist als bei den untersten 2 Dezilen des Einkommens (siehe dazu die WIFO-Studie zur Steuerbelastung in Österreich). Obwohl es in einem Fall um ein Einkommen von ca. 1.000 Euro, im anderen Fall von ca. 10.000 Euro geht!

Generalsekretär Rauch kündigt zum Abschluss seiner Ausführungen eine eigene Steuerreform seiner Partei an: „Die ÖVP arbeitet an einer Vereinfachung  des Steuersystems und will eine Entlastung des Mittelstandes – sobald wir uns den Spielraum dafür erarbeitet haben. Familien und Leistungsträger müssen dann im Fokus der Entlastung stehen.“

Herr Rauch, entlasten Sie ruhig die Familien und wahren Leistungsträger in unserem Land, die ArbeitnehmerInnen, bei einer Steuerreform 2013. Aber holen Sie sich den Spielraum für diese Maßnahmen bei jenen, die es sich problemlos leisten können, mehr für unseren Sozialstaat beizutragen – den Dollarmillionären und Höchsteinkommenbeziehern.

Neben dem ÖVP-Generalsekretariat hat auch die Industriellenvereinigung auf die Pressestunde mit ÖGB-Präsidenten Foglar reagiert.

Als „sachlich teilweise nicht nachvollziehbar“ bezeichnete der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Mag. Christoph Neumayer, die Aussagen von ÖGB-Präsident Erich Foglar zu Steuern und Umverteilung in Österreich. Er begründet seine Einwände wie folgt: „Wir sind bereits ein extrem stark umverteilendes Hochsteuerland. Zuerst müssen vor diesem Hintergrund die insbesondere in den Bereichen Verwaltung, Pensionen und Gesundheit vorhandenen Sparpotenziale gehoben werden. Ansonsten ist es eine Zumutung gegenüber den Leistungsträgern und der standort- sowie beschäftigungspolitisch völlig falsche Zugang, wie der ÖGB ständig neue oder erhöhte Steuern zu verlangen. Leistung muss sich lohnen und darf nicht bestraft werden. Verteilungsgerechtigkeit muss auch Leistungsgerechtigkeit bedeuten.“ Weiters erklärte der neue Generalsekretär der IV, es sei „unverständlich und standortpolitisch kontraproduktiv, dass der Gewerkschaftsbund offenbar weiterhin keinerlei Vorschläge für strukturelle Maßnahmen und Einsparungsmöglichkeiten sowie zur Modernisierung des Staates vorlegt und stattdessen ständig über neue Steuern philosophiert. Es ist aber nicht länger leistbar, dass das Geld der Steuerzahlerinnen und -zahler weiterhin in ineffizienten Strukturen aufgebraucht wird“.

Neumayer schlägt also in die gleiche Kerbe wie Rauch: die Leistungsträger würden getroffen. Dazu wurde weiter oben schon genug gesagt. Eine Ergänzung zu Rauch ist der Vorwurf, Österreich sei ein Hochsteuerland und wir sollten lieber bei der Verwaltung, den Pensionen und der Gesundheit sparen. Dass Österreich ein Hochsteuerland ist, mag zwar richtig sein. Aber die Unterstellung, dass dies etwas Schlechtes sei, muss korrigiert werden. Denn gerade die Hochsteuerländer sind jene Länder mit der höchsten Lebensqualität und geringsten sozialen Unterschieden. Außerdem ist es unwahr, dass eine hohe Steuerquote dem Standort und der Beschäftigung schadet. Die Zahlen sprechen bei diesem Thema eine andere Sprache. Denn gerade das Hochsteuerland Schweden punktet als Standort und hat neben Dänemark die höchste Beschäftigungsquote. Der Satz „Leistung muss sich lohnen und darf nicht bestraft werden“ darf als billige Rhetorik gebucht werden. Denn dass sich Leistung nicht lohnt, das sieht man daran, dass hart schuftende ArbeitnehmerInnen oftmals mit Tausend Euro Monatslohn abgespeist werden, während Spitzenmanager, die gerne bei teuren Geschäftsessen über die beste Möglichkeit zur Vernichtung von Arbeitsplätzen palavern, mit astronomischen Gehältern belohnt werden.

Dass in der Verwaltung wegen einiger Mehrgleisigkeiten Sparpotential steckt, wird niemand leugnen. Dass die IV mit ihrem Liebkind „Verwaltungsreform“ jedoch eigentlich auf die Einsparung von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung abzielt, darf dabei aber nicht vergessen werden. Die dadurch entstehende Arbeitslosigkeit käme der IV freilich recht, da somit der Druck auf die Löhne noch größer wird.

Sparen bei den Pensionen würde bedeuten, dass jene Menschen, die 40 Jahre und länger gearbeitet haben, mit einer niedrigeren Pension abgespeist werden sollen.  Jene Menschen, die nach Jahrzehnten Erwerbstätigkeit ihren wohlverdienten Ruhestand antreten, haben  sich eine Alterssicherung verdient, die ihren Lebensstandard nicht massiv einschränkt. Auch jene Menschen, die krankheitsbedingt früher in den Ruhestand gehen, dürfen nicht als Schmarotzer abgetan werden, die keine existenzsichernde Pension verdienen. Beim Thema Alterssicherung wäre es besser, darüber nachzudenken, wie neue Einnahmequellen gefunden werden können (z.B. Wertschöpfungsabgabe, Querfinanzierung durch Vermögenssteuern und Finanztransaktionssteuer), statt immer wieder die Demographiekeule zu schwingen und ständig Einsparungen zu fordern.

Bei der Gesundheit kann im Bereich der Spitäler durch effizientere Aufteilung der Spitalsbetten sicherlich die Eine oder Andere Einsparung erzielt werden. Generell jedoch muss uns allen bewusst werden, dass die Gesundheitskosten steigen, weil wir immer älter werden und damit verbunden höhere Ausgaben für die Erhaltung der Gesundheit haben. Mittel- und langfristig werden wir also mehr Mittel für diesen Bereich in die Hand nehmen müssen.

Wie bei einem Vertreter der Industriellenvereinigung nicht anders zu erwarten war, muss als Nächstes natürlich das Jammern über die hohe Staats- und Sozialquote folgen. „Wir haben bereits eine der absolut höchsten Steuer- und Abgabenquoten innerhalb der Europäischen Union und mit über 50 Prozent eine der höchsten Staatsquoten. Auch unsere Sozialquote ist mit über 30 Prozent bereits eine der absolut höchsten in Europa“, erklärt uns der IV-Generalsekretär. Gemessen am Anteil der Sozialtransfers am verfügbaren Haushaltseinkommen weise Österreich,  so Neumayer weiter,  sogar den höchsten Umverteilungsgrad aller OECD-Staaten auf. Vor diesem Hintergrund sei es „befremdlich, wenn der ÖGB wie im Falle der Abschaffung der Erbschaftssteuer von einer ‚Sünde‘ sowie von ‚beschämend‘ niedrigen vermögensbezogenen Steuern spricht. In beiden Fällen handelt es sich um mehrfach versteuertes gespeichertes Einkommen.“

Wie wir bereits weiter oben betonten, darf man Staats- und Sozialquote nicht isoliert und negativ sehen, da eine hohe Staats- und Sozialquote in der Regel mit einer hohen Lebensqualität und entgegen der neoliberalen Denunziation auch mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit verbunden ist. Was die Erbschaftssteuer und die Mehrfachbesteuerung betrifft, haben wir ja schon dargestellt, dass Mehrfachbesteuerung nichts Ungewöhnliches ist. Dass die Vermögensbesteuerung beschämend niedrig ist, das belegen alle Vergleichszahlen mit den anderen EU- und OECD-Staaten. Österreich ist bei den Vermögenssteuern nur knapp vor Tschechien und mit 1,4% weit vom EU-Schnitt von mehr als 5% entfernt.

Zuletzt darf bei Neumayer natürlich auch nicht fehlen, wer in Österreich angeblich die Hauptsteuerlast trägt. Das oberste Zehntel trage nämlich 58 Prozent der gesamten Lohn- und Einkommenssteuerlast und das oberste Prozent 20 Prozent, während inzwischen fast 50 Prozent der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen gar keine Steuer mehr bezahlen würden. „Insgesamt ist die Progression trotz aller Steuerreformen der vergangenen Jahrzehnte stark gestiegen“, so der Generalsekretär der IV. „Drei Viertel aller Steuern und Abgaben werden in Österreich als Transfers umverteilt. Im Schnitt wird mehr als ein Drittel des verfügbaren Haushaltseinkommens im Zuge der Umverteilung vom Staat, mit anderen Worten, von den Steuerzahlern, beigetragen und nicht durch Markteinkommen erwirtschaftet. Das sind die Fakten, die man jeder Umverteilungsdebatte grundsätzlich vorausstellen muss“, betonte Neumayer weiter.

Jetzt ist Neumayer bei einem der Lieblingsthemen der Industriellenvereinigung angelangt: das Joch, an dem die Leistungsträger in Österreich angeblich so schwer zu tragen haben. Dabei wird wie üblich nur von der Einkommensteuer geredet, aber nicht von den anderen Abgaben. Außerdem werden nur die absoluten Zahlen der Einkommensteuerverteilung vermeldet. Dass die höchsten Einkommen in absoluten Zahlen gemessen am meisten beitragen, ist nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip nur gerecht. Wenn man dagegen die Gesamtabgabenbelastung und die jeweilige prozentuelle Belastung hernimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die untersten Einkommen nur marginal weniger als die höchsten Einkommen beitragen (siehe weiter oben). Aber das werden wir niemals aus dem Mund eines IV-Vertreters zu hören bekommen.

Der IV-Generalsekretär fasst seine Suada der neoliberalen Märchenstunde schließlich wie folgt zusammen: „Wir brauchen nicht noch mehr Steuern und Abgaben, die von unserem bereits hohen Niveau weg tendenziell wachstums- und damit beschäftigungshemmend wirken, sondern mehr Anreize, diese Steuern und Abgaben auch in Zukunft erbringen zu können und zu wollen.“ Er sieht  es als einen „Mythos“ an, dass höhere Vermögenssteuern zu einer ausgeglicheneren Wohlstandsverteilung führen würden. „Internationale Vergleiche zeigen: genau das Gegenteil ist der Fall.“ Gerade in Ländern mit komparativ moderaten Vermögenssteuern, wie etwa die skandinavischen Länder, die Niederlande oder auch Österreich, sei der Wohlstand relativ gleichmäßig verteilt, während Länder mit komparativ höheren Vermögenssteuern, wie etwa das Vereinigte Königreich oder Kanada, viel größere Ungleichheiten in der Wohlstandsverteilung aufweisen. Die klassischen Hochgrundsteuerländer wie die USA und Großbritannien würden mit den Grundsteuern überdies auch Dienstleistungen finanzieren, die in Österreich in einem hohen Ausmaß über Gebühren finanziert würden.

Dass eine hohe Abgabenquote ganz und gar nicht wachstums- und beschäftigungsfeindlich ist, da haben wir schon zuvor betont. Die internationalen Vergleichszahlen zeigen vielmehr das Gegenteil. Das Beste folgt aber zum Schluss: es sei ein Mythos, dass höhere Vermögenssteuern zu einer ausgeglicheneren Wohlstandsverteilung führen. Als Beleg werden einen Reihe von Staaten angeführt: Großbritannien, USA und Kanada. Dort gibt es höhere Vermögenssteuern, dennoch sei die Ungleichheit in diesen Ländern größer. Neumayer hat recht, in Großbritannien und den USA sind die Vermögenssteuern signifikant höher und trotzdem ist die Ungleichheit in diesen Ländern deutlich größer. Aber der IV-Generalsekretär verschweigt, dass dies daran liegt, dass trotz der hohen Vermögenssteuern insgesamt die Steuerbelastung deutlich niedriger ist als etwa in Österreich oder Schweden, sodass nicht genügend Einnahmen vorhanden sind, um einen ausreichenden Sozialtransfer zu finanzieren. Das Problem sind also nicht die Vermögenssteuern, sondern der unterentwickelte Sozialstaat in den angelsächsischen Ländern, der nicht genügend umverteilt.


Entgegnung auf die neoliberalen Ergüsse der Industriellenvereinigung

8. Oktober 2010

Am 5. Oktober 2010 hat die Industriellenvereinigung eine Pressekonferenz abgehalten, wo Markus Beyrer und Veit Sorger neben ihrer Position in den Lohnverhandlungen mit der Gewerkschaft auch  ihre Vorstellungen zu Pensionsreform, Budgetkonsolidierung und neue Steuern präsentierten. Im folgenden möchte ich auf die einzelnen Themen eingehen und notwendige Richtigstellungen vornehmen bzw. ergänzende Überlegungen anstellen.

Zu den Lohnverhandlungen:

Mitten im Auftakt zu den Lohnverhandlungen in der Metallindustrie malt Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), die Zukunft der heimischen Betriebe in düsteren Farben: Zwar habe sich die Auslastung gebessert, für den erhofften Investitionsschub reiche das aber lange nicht. Zudem fange der heurige Produktionszuwachs gerade die Hälfte dessen ab, was im Krisenjahr weggebrochen sei. Der US-Dollar werde zum Leidwesen der Exporteure schwächer, und ein Aufschwung, der diesen Namen auch ohne staatliche Geldspritzen verdienen würde, sei nicht in Sicht.

Außerdem liegt dem IV-Präsidenten noch der „viel zu hohe“ Lohnabschluss aus dem vorigen Herbst im Magen. Damals hatten die Gewerkschaften – trotz rückläufiger Produktivität und niedriger Inflationsrate – eine Anhebung der Kollektivvertragslöhne um 1,5 Prozent durchgesetzt. Die Industrie habe sich damals bereit erklärt, 0,6 Prozentpunkte an zusätzlichem Lohnplus als „Vorleistung“ zu akzeptieren, wenn im Gegenzug die Arbeitszeit flexibilisiert würde. Im April brachen die Arbeitgeber die Verhandlungen darüber „wegen Sinnlosigkeit“ ab. Heuer müsse diese Vorleistung abgegolten werden, forderte IV-Generalsekretär Markus Beyrer. Entweder werde die Frist, innerhalb der Überstunden durch Zeitausgleich abgegolten werden können, endlich erhöht, oder man müsse die 0,6 Prozentpunkte aus dem Vorjahr eben „vom heurigen Ergebnis abziehen“.

Wie die beiden Chefverhandler der Gewerkschaft Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, und Karl Proyer, stv. Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft GPA-djp betonen, hat das Krisenjahr 2009 „[w]eit mehr als 20.000 Arbeitsplätze … allein in der Metallindustrie gekostet. Trotzdem wurden im Krisenjahr 2009 alleine in den 150 wichtigsten Metallindustrie-Unternehmen Gewinnausschüttungen von rund 2,2 Milliarden Euro an die Eigentümer oder Muttergesellschaften getätigt.“ Das Gejammere der Industrie ist somit ganz und gar nicht angebracht. Wenn man sich außerdem die Zahlen der letzten zehn Jahre anschaut, dann ist deutlich zu erkennen, dass die Produktivität und die Gewinne stets deutlich stärker gestiegen sind als die Löhne. So sind etwa in Österreich über alle Bereiche zwischen 2000 und 2008 die Gewinne um 60%, die Löhne jedoch nur um 30% gestiegen! Und dass die Produktion im Jahre 2009 aufgrund der Weltwirtschaftskrise stark eingebrochen ist (-10%), soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Produktivität je geleisteter Arbeitsstunde und je unselbstständig Beschäftigten deutlich weniger stark gesunken ist(-4,8% bzw. -7% laut Statistik Austria) und in den Jahren davor deutliche Zuwächse hatte (siehe auch nachfolgende Grafik).

Metallindustrie_Wachstum_2000_09

Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch steigende Arbeitslosigkeit und den massiven Einsatz von Kurzarbeit die Auswirkungen der Krise im Jahr 2009 auf die Industrie gebremst und solidarisch auf die Allgemeinheit übertragen werden konnten. Damit haben die ArbeitnehmerInnen in Österreich einen wichtigen Beitrag für den Industriesektor geleistet, für den sie nicht 2011 mit Lohneinbußen bestraft werden dürfen.

Deshalb betonen Rainer Wimmer und Karl Proyer, dass die Gewerkschaft bei keiner der anstehenden Lohn- und Gehaltsrunden die Gewerkschaften irgendwelche Versprechen einzulösen hätte. „Die Industrie soll endlich ihr Krisengejammere aufgeben und die gute Wirtschaftsentwicklung durch positive Signale an die Beschäftigten, die durch ihr Engagement einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, weiter stärken. Wir lassen uns nicht von den Herren Sorger und Beyrer vorschreiben, was wir im Auftrag der Beschäftigten und ihrer BetriebsrätInnen fordern. Es bleibt bei unserer Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten“.

Zum Reformbedarf in der Pensionsversicherung:

Martin Beyrer beklagte auf der Pressekonferenz zunächst, Österreich sei ,Frühpensionsweltmeister‘, von den Neuzugängen in den Ruhestand würden nur noch 21 Prozent auf die normale Alterspensionen entfallen, der Rest der Neuzugänge falle unter ,Hacklerregelung‘ oder Invaliditätspension. Dann rechnete er vor: Ein 60-Jähriger, der heute in eine ,Hacklerpension‘ gehe, habe im Schnitt nur für 9,5 Pensionsjahre eingezahlt, habe aufgrund seiner hohen Lebenserwartung aber fast 23 Bezugsjahre zu erwarten. Deshalb müsse diese Pensionsform nach einer ,Ausschleifregelung‘ bis 2013 abgeschafft werden. Dadurch könnten rund 500 Mio. Euro gespart werden.

Nach einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Invaliditätspensio, mit dem Vorbehalt ,Rehabilitation vor Rente‘, gab Beyrer zu Bedenken, dass eine verstärkte Rehabilitation nicht ausreichen werde, um die hohe Anzahl der krankheitsbedingten Frühpensionen zu reduzieren. Daher müsse dringend der Berufsschutz gelockert werden, damit der Zugang zur Invaliditätspension endlich erschwert wird.

Die Klage, Österreich sei ein Paradis für Frühpensionisten begleitet die neoliberalen Angriffe auf das österreichische Pensionssystem wie das Amen im Gebet. Da mir nun die Zahlen des Bundesministerium für Soziales, Arbeit und Konsumentschutz zur Verfügung stehen, möchte ich der IV mit aller Deutlichkeit ihre falschen Zahlen bewusst machen. Wenn man Inland und Ausland zusammennimmt, dann macht die normale Alterspension kanpp unter 28% der Neuzugänge aus. Wenn man nur das Inland heranzieht, dann ergeben sich knapp 23%. Wie die IV also auf einen Wert von 21% kommt, bleibt vollkommen räselhaft. Dass ein Mann, der mit 60 Jahren in die vorzeitige Alterspension aufgrung langer Versicherungsdauer übertritt, im Schnitt für 9,5 Jahre Beiträge eingezahlt habe, ist erstens nicht nachvollziehbar, wie die IV auf diese Werte kommt. Zweitens ist es irrelevant, da es für das Funktionieren des Umlageverfahrens keine Rolle spielt. Dieses funktioniert ja nicht auf die Weise, dass die Versicherten auf die eigene Pension ansparen. Vielmehr werden alle gegenwärtigen Pensionsleistungen aus den Einnahmen aus den Pensionsversicherungsbeiträgen finanziert.  Weiters erscheint es aufgrund der durchschnittlichen Lebenserwartung von Mänern eher unwahrscheinlich, dass ein 60jähriger im Durchschnitt 23 Jahre lang seine Alterspension beziehe wird. Hier scheint die IV auf den Fall eines 60jährigen die Lebenserwartung von Frauen anzuwenden.

Zur gewünschten Abschaffung der vorzeitigen Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer ist zu bemerken, dass die sogenannte Hacklerregelung zwar reformbedürftig ist, eine völlige Abschaffung mit 2013 aber 1. verfassungsrechtlich mehr als bedenklich wäre, 2. das allgemein anerkannte Prinzip „45 Jahre sind genug“ in Frage stellt. Statt sich Gedanken zu machen, wie durch größere Hürden auf dem Weg in die Pension ein paar hundert Mio. Euro eingespart werden können, sollte sich die IV einmal überlegen, wie die Bemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer vergrößert werden kann, damit unser System der Kranken- und Pensionsversicherung langfristig gesichert ist. Hier käme z.B. die oftmals geschmähte Wertschöpfungsabgabe in Frage, wodurch die Industrie endlich weniger Anreize für Personalabbau hätte und durch Einbeziehung der Kapitalfaktoren wieder einen angemessenen Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft leisten würde.

Was die Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension betrifft, so ist den unsozialen Überlegungen der IV der Spiegel vorzuhalten. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie die Arbeitsplätze in der Industrie so verbessert werden könnten, dass die ArbeitnehmerInnen länger gesund bleiben und auch im Alter einen Arbeitsplatz haben, der ihnen den Verbleib ermöglicht, möchte die IV alte und kranke Menschen einfach auf unqualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze abschieben.

Zu Budgetkonsolidierung und neuen Steuern:

Die Spitzenvertreter der Industriellenvereinigung  beharren für die geplante Sanierung des Staatsbudgets auf möglichst hohen Einsparungen bei den Ausgaben, ehe neue Einnahmen-Belastungen angedacht werden dürften. Zwar werde die Sanierung des Budgets nicht ganz ohne zusätzliche Einnahmen auskommen, aber ein absolutes „no go“ sei eine Vermögenssubstanz-Besteuerung oder ein Antasten der günstigen Gruppenbesteuerung, bemerkte Veit Sorger. Vorstellen könne er sich, eine längere Spekulationsfrist für Aktien, aber zum niedrigen 25-Prozent-KESt-Satz. Er selbst etwa versteuere Aktienverkäufe mit Gewinn unter einem Jahr Behaltefrist.

Und generell zum Thema höhere oder neue Steuern führt Sorger ins Treffen, ständig den Leistungsträgern und Leistungswilligen mit höheren Steuer-Belastungen zu drohen, sei nicht zielführend. Die Bestrafung der Leistungsträger führe nicht zu höheren Einnahmen, „sondern es werden dann Schlupflöcher gesucht“. „Da wird es eher zu Abflüssen als zu Zuflüssen kommen.“

Dass die IV in erster Linie sparen möchte, ging schon aus den Überlegungen zu den Pensionen hervor. Die Regierung hat sich ohnehin festgelegt, dass im Verhältnis 60:40 die ausgabenseitigen Maßnahmen überwiegen sollen. Was wir bei den Überlegungen der IV uns merken sollten , das ist, dass sie vor allem bei den anderen sparen möchte – am liebsten z.B. bei jenen Menschen, denen das Schicksal nicht gut gesonnen war, weil sie aufgrund einer Krankheit den Beruf nicht mehr ausüben können. Aber bei den Eigentümern, den Industriekapitänen und Managern darf nicht gespart werden. Eine Vermögenssteuer etwa ist tabu, obwohl die obersten 1% in Österreich sich eine solche Steuer bei einem Steuersatz von ungefähr 1% locker leisten können. Denn der jährliche Zuwachs an Vermögenbei dieser Gruppe ist im Durchschnitt ein Vielfaches davon.

Wenn die IV weiters die günstige Gruppenbesteuerung für untastbar erklärt, dann sollten wir nicht übersehen, dass sie hiermit ihre Zustimmung dazu gibt, dass heimische Unternehmen unter Umständen gigantische Gewinne machen, aber in Österreich keinen Cent Steuer zahlen. Denn die Regelung, Verluste ausländischer Töchter mindernd geltend zu machen, eröffnet viele Möglichkeiten für eine kreative Bilanzierung – und hat sich 2009 als desaströs für die Steuereinnahmen aus der KÖSt erwiesen.

Den Managern wiederum, denn diese sind mit den „Leistungsträgern“ gemeint – und nicht die Schar der ArbeitnehmerInnen, die Jahr für Jahr mit der Arbeit ihrer Hände oder Köpfe die Gewinne für die Unternehmen erarbeiten -, dürfe nicht mit höheren Steuern gedroht werden, sonst würden sie Schlupflöcher suchen. Diese Schlupflöcher haben diese doch längst schon gefunden, denn durch ihre Stock Options, die nach Ablauf der Spekulationsfrist steuerfrei bleiben, werden sie steuerlich begünstigt und durch die Verschleierung ihrer Vermögenszugewinne durch Transaktionen über Steueroasen entziehen sie sich teilweise ohnehin der heimischen Steuerpflicht.

Dass Veit Sorger sich wenigstens eine Verlängerung der Spekulationsfrist vorstellen kann, mag zwar löblich erscheinen. Aber eine freiwillige Versteuerung von längerfristigen Spekulationsgewinnen durch ihn macht steuerrechtlich keinen Sinn, da es dem Finanzamt nicht möglich ist, etwas einzuheben, das nach aktuellem Gesetzesstand nicht vorgesehen ist.


Das ideologische Schlachtfeld Erbschaftssteuer

21. Juli 2010

Im Jahr 2008 hat die Österreichische Nationalbank (ÖNB) eine Erhebung zu den Immobilienerbschaften in Österreich gemacht. Diese Immobilienvermögenserhebung ist Teil eines zukünftig für den ganzen Euroraum harmonisierten „Household Finance and Consumption Survey“, der umfassende Informationen zu den Vermögenspositionen privater Haushalte als wichtige Grundlage für Analysen zur Geldpolitik und Finanzmarktstabilität liefern soll. Sie wurde 2010 unter dem Titel „Immobilienerbschaften in Österreich“ publiziert.

Die von Martin Schürz gemeinsam mit Pirmin Fessler und Peter Mooslechner verfasste Studie kommt zu folgenden Ergebnis: „80 Prozent der Haushalte haben keine Immobilien geerbt, und auch innerhalb der Minderheit der Glücklichen sind die Hinterlassenschaften sehr ungleich verteilt. Nimmt man einen Werterhalt analog zum Verbraucherpreisindex an, dann haben die obersten zehn Prozent der Erben beinahe genauso viel geerbt wie die restlichen 90 Prozent zusammen“ (Standard vom 30.6.2010). D.h., zwei Prozent aller Haushalte können damit fast die Hälfte des gesamten Erbschaftsvolumens auf sich vereinen. Bzw. rund 0,06% DER Haushalte erben pro Jahr Immobilienvermögen von etwa 0,5% des BIP!

Deshalb kommt der Bericht im Standard, der die Ergebnisse der ÖNB-Studie zum Anlass nimmt, um über Folgerungen daraus nachzudenken, zu einem klaren Ergebnis: „Daraus lässt sich schließen, dass diverse Konzepte für ein Erbschaftsteuer-Comeback einen großen Teil der Empfänger ungeschoren ließen. Die Arbeiterkammer etwa würde im Familienkreis einen Freibetrag von 300.000 Euro vorsehen – gemäß den OeNB-Zahlen wären rund 70 Prozent der Erben bzw. 94 Prozent aller Haushalte aus dem Schneider.“ Denn das Erben sei unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich verteilt. „Starthilfe sind Erbschaften eher nicht: Von den 18- bis 29-Jährigen kommen nur fünf Prozent in den Genuss, am größten ist die Chance im Alter von 50 bis 69 Jahren (26 Prozent). Bauern erben mit einer Quote von 58 Prozent besonders häufig. Bei Freiberuflern und Beamten profitiert jeweils ein Drittel, spärlich sind Erben unter den Arbeitern (14 Prozent) “ (Ebd.).

Diesen Bericht des Standard nimmt Clemens Wallner, der wirtschaftspolitische Koordinator der Industriellenvereinigung (IV), zum Anlass, um Kritik an den Ergebnissen der ÖNB-Studie zu üben und den Autoren ideologische Verblendung vorzuwerfen. Am 13.7.2010 schreibt dieser ebenfalls im Standard, dass die Ergebnisse hinsichtlich der Verteilungswirkung von Erbschaften in Frage zu stellen seien – dass nämlich 80 Prozent der Haushalte keine Immobilien geerbt hätten, und dass unter denjenigen, die erben, die obersten 10 Prozent genau so viel erben wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam. Er beruft sich dabei auf Zahlen aus dem Finanzministerium (BMF) zu den Einnahmen aus der Erbschaftssteuer des Jahres 2007 (dem Jahr vor der Abschaffung). „Was die Verteilungswirkung betrifft, zeigen die harten Zahlen der Erbschaftssteuer-Statistik des Jahres 2007 … jedenfalls ein ganz anderes Bild … Die Behauptung, dass ,die obersten 10 Prozent‘ genauso viel erben würden wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam, lässt sich bei einem Blick auf die Erbschaftssteuerstatistik … nicht aufrecht erhalten. So waren von den 67.853 Erbfällen des Jahres 2007 25.373 Immobilienfälle, bei denen die Bemessungsgrundlage unter 7.300 Euro lag. Oberhalb einer Wertgrenze von 219.000 Euro gab es hingegen insgesamt (Immobilien- und sonstige Erbschaften) nur 487 Fälle. Es zeigt sich also ganz klar, dass die große Zahl der Erbschaften und Schenkungen nicht bei den ,obersten 10 Prozent‘ anfällt, sondern in Bereichen mit niedrigeren Wertgrenzen“.

  1. Zusätzlich zu dieser Argumentation beschwört Wallner die Aktivitäten von Martin Schürz als ideologisch eindeutig zweifelhaft herauf. „So tritt Schütz in öffentlichen Publikationen unter anderem für die Abschaffung von Konzernen ein. In einem Artikel vertritt er die Auffassung, dass Manager moderne Bankräuber seien, nur ohne MG. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf Ö1 vertrat Schürz die Auffassung, dass reiche Menschen einer Gesellschaft Gesundheitsprobleme bringen würden. Und im Rahmen einer anderen Podiumsdiskussion mit Presse-Wirtschaftsressortleiter Franz Schellhorn vertrat Schürz die Auffassung, dass die Erbschaftssteuer bei 100 Prozent liegen müsste, also beim Tod einer Person deren gesamtes Vermögen verstaatlicht werden müsste.“ Wallner versucht mit dieser Strategie, die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der Studie zu erschüttern.

Zur Wissenschaftlichkeit dieser Studie, um mit dem letzten Punkt zu beginnen, bemerkt Peter Mooslechner von der ÖNB im Standard vom 16.7.2010, dass diese Studie eine mit der EZB akkordierte Angelegenheit sei, die hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen müsse. „Die OeNB erhebt, basierend auf einem Beschluss des EZB-Rats und gemeinsam mit allen anderen Notenbanken des Eurosystems – von der Bundesbank über die De Nederlandsche Bank bis zur Banca d’Italia und Banco de Espana -, Daten zu den Finanzen und Ausgaben privater Haushalte. Die OeNB-Studien erfolgen nach einer einheitlichen, von der EZB koordinierten Struktur und nach gemeinsamen wissenschaftlichen Qualitätskriterien. Für jeden einzelnen Schritt sind genaue Vorgaben einzuhalten und über jeden einzelnen Schritt der Erhebung muss gegenüber der EZB und den beteiligten Notenbanken Rechenschaft abgelegt werden“ (Standard vom 16.7.2010).

Nun zu den Zahlen Wallners und seinen Folgerungen selbst. Zunächst ist festzuhalten, dass Wallner in seinem Artikel von der Anzahl der Erbfälle in zwei Abstufungen, nämlich bei Erbfällen bis 219.000 Euro und jenen darüber, ableiten zu können meint, dass die von der ÖNB erhobene Verteilungswirkung nicht zutreffen könne. Doch dies mag zwar ideologisch vom Autor gewünscht sein, aber sachlich ist dies nicht nachvollziehbar. Auch dann nicht, wenn man die Zahlen durch die jene Angaben ergänzt, die einem Wallner auf Nachfrage zur Verfügung stellt: dass die Steuereinnahmen für alle Steuerfälle bis 219.000 Euro 86,6 Mrd. Euro ergeben, die aller Steuerfälle über 219.00 Euro nur 44,9 Mrd. Euro. Denn durch einen Vergleich von Äpfeln mit Birnen kann keine Aussage über die Quantitätsverhältnis unter den Äpfeln abgeleitet werden. Und genau dies tut Wallner, indem er von der Zahl der Fälle in zwei Gruppen auf die Verteilung der Erbschaftswerte zwischen den Erbenden schließt. Außerdem lässt sich Wallner auch bei einem peinlichen Fehler ertappen. Peter Mooslechner deckt nämlich folgenden Irrtum auf: „Wie eine kleine Nachrecherche überdies ergeben hat, dürfte Herrn Wallner ein nicht unrelevanter Datenirrtum unterlaufen sein. Tatsächlich unterstreichen die Daten der Erbschaftsteuerstatistik die Erhebungsergebnisse der OeNB: Von den insgesamt 67.853 von der Erbschaftssteuerstatistik erfassten Erbfällen (Immobilien und sonstige Erbschaften) des Jahres 2007 fallen rund 99,5 Prozent (67.625 Fälle) in die Klasse eines steuerpflichtigen Erwerbs von 219.000 Euro oder weniger. Lediglich rund ein halbes Prozent (228 Fälle) liegt über 219.000 Euro. Herr Wallner nennt in seinem Kommentar 487 Fälle oberhalb einer Grenze von 219.000 Euro. Dabei ist er offensichtlich eine Zeile abgerutscht, denn seine Fallzahl ergibt sich, wenn auch noch die Kategorie von 146.001 bis 219.000 Euro mit 259 Fällen hinzugerechnet wird.“ Die Zahlen, die auf Anfrage aus dem Finanzministerium geliefert werden, geben Mooslechner hier völlig recht. Wie nachfolgendes Balkendiagramm aus dem BMF (siehe Grafik unten) überdies zeigt, liegt eine noch stärkere Konzentration vor, als die Studie der Nationalbank ergibt, wenn man alle Erbschaftsformen berücksichtigt. Wird die durchschnittlich vorgeschriebene Steuer herangezogen, so zeigt sich, dass besonders die reichen Erben von Erbschaftssteuern betroffen sind. So lag die durchschnittlich vorgeschriebene Steuer bei jenen die weniger als 219.001 Euro erbten bei rund 1000 Euro, während jene darüber durchschnittlich rund 78.000 Euro vorgeschrieben bekamen. Jene, die 1.095.001 oder mehr an steuerpflichtigem Erwerb meldeten, waren mit Vorschreibungen von durchschnittlich mehr als einer halben Million Euro konfrontiert, was auf sehr hohe Erbsummen einiger weniger schließen lässt.

Auch wenn Peter Mooslechner meint, bei ÖNB-Studien wäre kein Platz für Ideologien, weil diese höchsten wissenschaftlichen Standards genügten, so zeigt die hitzige Debatte, die diese Studie ausgelöst hat, dass das Thema Erbschaftssteuer ein wahres ideologisches Schlachtfeld darbietet. Dies sollte auch gar nicht im negativen Sinne eines falschen Bewusstseins verstanden werden. Denn an der Diskussion wird offenbar, dass bei der Erbschaftssteuer – so wie bei der Vermögenssteuer – massive verteilungspolitische Zusammenhänge zur Debatte stehen. Die Abschaffung der Erbschaftssteuer hat nämlich nicht der breiten Masse der Kleinerben, die ihr hart erarbeitetes Vermögen weitergeben, sondern einer kleinen Gruppe von Hochvermögenden genützt, die auf diese Weise gigantische Vermögenswerte weitergeben können, die nicht durch Arbeitsleistung erworben wurden, sondern auf anderem Wege akkumuliert wurden. Die Allgemeinheit bekommt auf diese Weise keine Entschädigung dafür, dass sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen für diesen Vermögensaufbau geboten hat und den Vermögenden ein Umfeld bietet, indem sie sich sicher und wohl fühlen können. Deshalb ist für jene, die für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten, eine Wiedereinführung einer modifizierten Erbschaftssteuer eine conditio sine qua non. Und jene, die für die Interessen der Hochvermögenden die Lanze brechen, müssen die Erbschaftssteuer als Angriff gegen den Mittelstand darstellen, um ihre wahren Absichten ideologisch zu verschleiern. Diese Verschleierungstaktik aufzudecken, ist unsere erste Pflicht, um den Weg für eine gerechtere Steuerpolitik frei zu machen, die den Faktor Arbeit entlastet und den Vermögen einen höheren Beitrag für die soziale Gestaltung unserer Gesellschaft abverlangt.