Macht wird von vielen sozialdemokratischen Vertretern, die keine Regierungsverantwortung tragen, oft negativ gesehen – als etwas, das missbraucht wird, um rücksichtslos seine egoistischen Interessen zu verfolgen. Macht wird somit als etwas betrachtet, das leicht zum Selbstzweck wird und damit moralisch nicht unbefleckt bleiben kann. Da Macht als Selbstzweck die wahren Werte der sozialen und ökonomischen Emanzipation der Werktätigen außer Acht lässt, kann sie ethisch nur diskreditiert werden. Macht wird nicht nur als Selbstzweck, sondern auch als Mittel der herrschenden Klasse der Kapitaleigner betrachtet, die Mehrheit der ihre Arbeitskraft verkaufenden Menschen davon abzuhalten, ihre wahren Interessen zu erkennen und zu verfolgen. Macht ist somit ein Werkzeug, um die in ihrer Entfremdung über die eigenen Möglichkeiten in Unwissenheit befangene Mehrheit in einer lähmenden Ohnmacht verharren zu lassen.
Dass einerseits der reale existierende Sozialismus im Stalinismus die Machtübernahme des Proletariats in Form eines millionenfach tödlichen Terrors verwirklichte, unter dem außerdem noch viel mehr Menschen großes Leid ertragen, dass andererseits in den westeuropäischen Demokratien, in denen die Sozialdemokratie über längere Zeit Regierungsverantwortung innehatte, die dadurch erlangte Macht nach einiger Zeit nicht vorwiegend der gesellschaftlichen Umgestaltung, sondern für die Ausweitung des Einflusses über die personelle Besetzung von wichtigen Bereichen des Wirtschaftsleben genützt wurde, hat natürlich die Skepsis gegenüber der Macht als Verhängnis für die sozialdemokratischen Grundwerte noch verstärkt.
Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Macht ein unumgänglicher politischer Faktor ist. Ohne Macht ist keine politische Gestaltung möglich. Und Macht ist nicht an und für sich schlecht, sondern wird zu etwas Gutem oder Schlechtem aufgrund der Zielsetzungen, die mit Hilfe von Macht verfolgt werden. Denn genau so wie die Möglichkeit des Missbrauchs, der rein egoistischen Nutzung besteht, besteht genau so auch die Möglichkeit, die Macht dafür zu nützen, das Gute und Richtige zu tun. Vielmehr kann das Gute sogar nur dann verwirklicht werden, wenn es über die dazu nötige Macht verfügt. Das Gute, das ohnmächtig ist, kann sich nur auf einen zahnlosen Moralismus beschränken, der nicht gefordert ist, sich praktisch zu bewähren.
Macht braucht selbstverständlich Kontrolle, damit Missbrauch unterbunden werden kann. Aber gerade eine solche Kontrollmöglichkeit ist zunächst Mal eine Frage der Macht. Um Kontrollfunktionen innerhalb unseres demokratischen Systems auszuüben, muss sich eine politische Strömung über Wahlen erst die dafür notwendigen Mehrheiten sichern. Die Macht sollte deshalb freilich nicht in den Händen von technokratischen Eliten liegen, sondern muss aus der Mitte der Werktätigen entspringen, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Diesbezüglich ist in den letzten 20 Jahren vieles falsch gelaufen. Das Programm eines elitären und antiegalitären Neoliberalismus, der im Interesse einer Minderheit von Vermögenden und Besitzenden gegen die Mehrheit der werktätigen Bevölkerung durch geschickten Lobbyismus und mit der Drohung einer strafenden Hand der Finanzmärkte als übergeordnetem Richter die die Hegemonie in Österreich und Westeuropa erlangte, bestimmte über viele Jahre hinweg die politische und ökonomische Gestaltung unserer Gesellschaft zum Nachteil für die Mehrheit der Menschen.
Deshalb hat die Sozialdemokratie Macht mehr denn je nötig, um die neoliberale Hegemonie der Kapital- und Eigentümerinteressen zurückzudrängen. In einer Koalition mit einer sich bürgerlich nennenden Partei von Kapital- und Industrielobbyisten wird der Sozialdemokratie dieses Vorhaben nicht gelingen. Sie muss daher in den nächsten Wahlen eine absolute Mehrheit anstreben, um die dadurch erreichte Macht der alleinigen Regierungsverantwortung und parlamentarischen Mehrheitsfähigkeit dafür zu nutzen, dass endlich wieder die Interessen der Mehrheit der Werktätigen die Gestaltung der Zukunft dieses Landes bestimmt.
Wenn die Sozialdemokratie endlich dazu bereit ist, jene Menschen überzeugend zu vertreten, deren Interessen sie auf ihre Fahnen und in ihr Programm geschrieben hat, dann sollte das auch möglich sein – denn die Werktätigen sind die überwiegende Mehrheit in diesem und allen anderen Ländern. Sie müssen nur davon überzeugt werden, dass die Sozialdemokratie ihre Interessen wahrnimmt.
Veröffentlicht von Gerhard Zahler-Treiber 


Am Sonntag hat die Sozialdemokratie in Österreich im kleinsten Bundesland Vorarlberg eine schmerzlich Niederlage hinnehmen müssen. Nur noch rund 10% der Wähler gaben ihr die Stimme. Damit drohr ihr sogar der Rückfall an die vierte Stelle. Am 27. September finden in Deutschland Bundestagswahlen statt. Die Aussichten der Sozialdemokratie sind sehr ernüchternd. Es droht eine schwere Niederlage und ein deutlicher Abstand zur CDU/CSU. Und wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten, dann steht der Sozialdemokratie die Opposition ins Haus, da CDU/CSU wahrscheinlich eine Koalition mit den Liberaldemokraten eingehen.
Sobald die Sozialdemokratie mit dem Revisionismus diesen Geschichtsdeterminismus und die damit verbundene Vorstellung einer unumgänglichen revolutionären Umwälzung ablegt und sich dem demokratischen Paradigma verpflichtet, kann sie sich nicht darauf verlassen, dass die Masse der Werktätigen uneingeschränkt hinter ihr steht und ihr in freien, gleichen und allgemeinen Wahlen die Macht sichert. Während der kapitalistisch orientierte Bürgerstaat im 19. Jahrhundert die Machtübernahme der Sozialisten durch seltsame Konstruktionen eines Kurienwahlrechts verhindert, ist es im 20. Jahrhundert zunächst der Nationalismus und Faschismus, der die internationale Einheit der Arbeiterbewegung im Kampf gegen das vom Kapitalismus profitierende Bürgertum verhindert. Und seit Mitte des 20. Jahrhunderts entfaltet der Kapitalismus ein immer größeres Geschick in der sozialen Fragmentierung der Menschen. Dies führt dazu, dass die Werktätigen sich nicht mehr als eine Klasse empfinden, die ein gemeinsames Interesse durch den Gegensatz zu den Produktionsmitteleignern und Finanzkapitaleignern einigt. Besonders durch die Medien, die heute fast ausschließlich im Besitz von riesigen Konzernen sind, wird sichergestellt, dass dieses Bewusstsein eines gemeinsamen Interesses aller Werktätigen nicht mehr entstehen kann.
Da die Sozialdemokratie praktisch über keine Medienmacht mehr verfügt, um dieses Bewusstsein zu befördern, resigniert sie vor der Fragmentierung und versucht, alle sozialen Schichten anzusprechen. Außerdem gibt sie mit dem dritten Weg und New Labour den Kampf gegen die kapitalistische Dominanz in Form der neoliberalen Meinungsführerschaft auf. Sie beschränkt sich lediglich darauf, da und dort die Folgen des globalisierten Kapitalismus zu mildern. Nach anfänglichen Erfolgen in Großbritannien und Deutschland tritt schon bald Enttäuschung bei ihren Wählern ein. Und nun befindet sich die Sozialdemokratie in einer schweren Krise, weil sie mit dem dritten Weg den Werktätigkeiten keine wirkliche Identifikation anzubieten hat. Sie hat zwar jeder Wählergruppe in ihrem Programm etwas anzubieten. Aber nichts davon ist überzeugend genug, um eine deutliche Mehrheit der Wähler zu überzeugen: Den willfährigen Ausführungsgehilfen der neoliberalen Ideologie stellen die konservativen Volksparteien überzeugender dar. Und die Enttäuschung jener, die im entfesselten Turbokapitalismus unter die Räder kommen, kann der Rechtspopulismus wesentlich besser politisch ausschlachten. Und jene, die eine soziale und ökologische Erneuerung wünschen, finden ihren Heimat eher bei den Grünen oder Bewegungen, die links der Sozialdemokratie angesiedelt sind.