Die Schuldenbremse ist wirtschaftspolitischer Unsinn

17. November 2011

Der Ministerrat hat am 15. November 2011 beschlossen, eine Schuldenbremse in die österreichische Verfassung zu schreiben. Damit soll erreicht werden, dass der Bund in Österreich ab 2017 nur noch eine Neuverschuldung von höchstens 0,35 % hat. Die Länder und Gemeinden sollen überhaupt ausgeglichen bilanzieren. Wenn die konjunkturelle Situation es erlaubt, soll in guten Jahren das Defizit sogar verringert werden. Bis 2021 soll dadurch die Gesamtverschuldung Österreichs auf unter 60 % des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden.

Wie ist diese Maßnahme aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht zu beurteilen? Nun, zunächst ist zu betonen, dass der Hintergrund für diese Maßnahme der massive Druck der Finanzmärkte auf die europäische Politik ist. Es herrscht seit Monaten ein großes Misstrauen gegenüber den Staaten des Euroraums. Das  hat dazu geführt, dass die Zinsen für Staatsanleihen steigen und die Kosten für Kreditausfallversicherungen gewaltig in die Höhe schießen. Neben Griechenland, Portugal, Spanien und Italien sind inzwischen Länder wie Frankreich oder Österreich betroffen. Denn sie müssen fürchten, dass sie den Status von Triple A-Schuldnern verlieren. Eine Herabstufung würde jedoch dazu führen, dass deutlich mehr Kosten für den Schuldendienst aufgrund höherer Zinszahlungen anfallen. Die Schuldenbremse ist also als ein Versuch zu sehen, die Finanzmärkte und die Ratingagenturen zu beruhigen.

Zu dieser Absicht ist zunächst zu bemerken, dass alle bisherigen Versuche der europäischen Politik, die Finanzmärkte in Zusammenhang mit der „Schuldenkrise“ zu besänftigen, fehlgeschlagen sind. Sie haben bisher nur zu einer kurzfristigen Beruhigung geführt, auf die stets noch schwerere Erschütterungen gefolgt sind. Wieso also sollte die Einführung einer Schuldenbremse nun Erfolg haben? Dass Österreich nach der Ankündigung der Schuldenbremse sogar höhere Zinsen für Anleihen zahlen muss, deutet darauf hin, dass diese Maßnahme ihre Wirkung verfehlen wird.

Außerdem darf nicht verschwiegen werden, dass in Hinsicht auf eine vernünftige Gestaltung der Staatsfinanzen die Schuldenbremse wirtschaftspolitischer Unsinn ist. Denn langfristig sind Staatsfinanzen nur dann in Ordnung zu bringen, wenn ein Staat sich der konjunkturellen Situation angepasst verhält. Wenn eine Hochkonjunktur mit hohem Wirtschaftswachstum herrscht, dann sollte der Staat diese Situation nützen, um über höhere Steuereinnahmen Defizite abzubauen. In einer Rezession bzw. während eines Wirtschaftsabschwungs darf eine Regierung jedoch nicht sparen, sondern sie muss antizyklisch investieren, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. In einer solchen Situation zu sparen, wäre vielmehr kontraproduktiv. Denn durch Sparmaßnahmen während einer Rezession wird der Abschwung verstärkt. Dies führt dann zu einem massiven Einbruch der Staatseinnahmen. Dadurch werden die Schulden am Ende größer statt geringer. D.h. eine Schuldenbremse hat im Falle einer Rezession den gegenteiligen Effekt: sie führt zu mehr statt weniger Schulden!

Die Schlussfolgerung daraus ist somit, dass der Staat zur Konsolidierung des Budgets ein strenges antizyklisches Programm verfolgen sollte. Einsparungen, die keine negativen Auswirkungen auf die Konjunktur haben (wie Vermögensteuern oder eine ausgewogene Verwaltungsreform), sind dabei immer möglich. Eine Schuldenbremse hingegen, die durch Einsparungen zu weniger Einkommen großer Teile der Bevölkerung führt,  gefährdet den Wohlstand aller, da dadurch das Wirtschaftswachstum gebremst bzw. überhaupt verhindert wird. Deshalb sollte sich Österreich nicht dem Druck der Finanzmärkte beugen und auf diese unsinnige Maßnahme verzichten.


Gerechtigkeit und Schutz der Eigentumsrechte

21. November 2009

In meinen heutigen Überlegungen möchte ich mich einer Fragestellung zuwenden, der in der Gegenwart wenig Beachtung geschenkt wird: Ist eine gerechtere Gesellschaft ohne Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte möglich? Historisch betrachtet haben die Menschen seit der Aufgabe des Nomadentums und der Arbeitsspezialisierung sich stets eine Ordnung gegeben, deren wichtigste Grundaufgabe darin besteht, die Besitzenden in ihren Eigentumsrechten zu beschützen. Von den ersten Hochkulturen bis zum Mittelalter hatten Gesetze und die dahinterstehende Macht stets dafür Sorge getragen, dass die Eigentumsrechte der Herrschenden und Besitzenden legitimiert erscheinen und dass jeder Versuch, dieses Recht anzutasten, unerbittlich geahndet wird.

Spätestens mit der Französischen Revolution wird in der Neuzeit zwar an der göttlichen Legitimation des Königs in Frage gestellt und das Bürgertum macht dem Adel die alleinige Verfügung über Besitztümer streitig. Aber die eigene Verfügung über die Produktionsmittel und die Gefügigkeit jener, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, wird vom Bürgertum in gleicher Weise legistisch abgesichert. Somit ist dem modernen Verfassungsstaat der Neuzeit, trotz der Entwicklung von der konstitutionellen Monarchie bis zur demokratischen Republik, noch immer die Unantastbarkeit der Eigentumsrechte eingeschrieben. Abgesehen von den kommunistischen Experimenten mit dem Staatskapitalismus in einigen Ländern wie Russland, China, Kuba usw. und ansonsten nur durch hyperbolische Entgleisungen entsetzlicher Kriege kurzzeitig unterbrochen, sind die Eigentumsrechte der Besitzenden seit Jahrhundert unberührt geblieben.

Da jedoch die Unantastbarkeit des Eigentums über einen langen Zeitraum dazu geführt hat, dass Besitz und Vermögen heute in der ganzen Welt extrem unterschiedlich verteilt sind, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir unter der Prämisse, eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu schaffen, diese Unantastbarkeit des Besitzes beibehalten können. Obzwar wir alle wissen, dass alle bisherigen Versuche, durch radikale Enteignung und Vergesellschaftung des Eigentums gerechte Verhältnisse herzustellen, letztlich mit totalitärer Schreckensherrschaft geendet haben, die die individuellen Menschenrechte mit Füßen tritt und unter diesen Voraussetzungen das kollektive Glücksversprechen nicht einlösen konnte, können wir dennoch nicht einfach darüber hinwegsehen, dass unter den gegenwärtig gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen für den Einzelnen wirkliche Gerechtigkeit nicht umsetzbar ist. Das Hauptproblem dabei ist, dass vor allem seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa (aber auch schon davor) die steuerlichen und sozialpolitischen Möglichkeiten des Ausgleichs praktisch ungenutzt geblieben sind. Wenn also hier nicht bald massiv durch gezielte Umverteilungspolitik gegengesteuert wird, wird ohne einen radikalen Einschnitt der Eigentumsrechte keine gerechtere Gesellschaft mehr zu verwirklichen sein – und ein solcher Einschnitt wird dann kaum auf friedlichem Wege erfolgen.

Das sollten wir uns alle vor Augen halten, wenn wir bei der parlamentarischen Lösungsfindung, in der koalitionären Regierungarbeit oder in sozialpartnerschaftlichen Verhandlung sehr entgegenkommend und allzu kompromissbereit agieren!