Das ideologische Schlachtfeld Erbschaftssteuer

21. Juli 2010

Im Jahr 2008 hat die Österreichische Nationalbank (ÖNB) eine Erhebung zu den Immobilienerbschaften in Österreich gemacht. Diese Immobilienvermögenserhebung ist Teil eines zukünftig für den ganzen Euroraum harmonisierten „Household Finance and Consumption Survey“, der umfassende Informationen zu den Vermögenspositionen privater Haushalte als wichtige Grundlage für Analysen zur Geldpolitik und Finanzmarktstabilität liefern soll. Sie wurde 2010 unter dem Titel „Immobilienerbschaften in Österreich“ publiziert.

Die von Martin Schürz gemeinsam mit Pirmin Fessler und Peter Mooslechner verfasste Studie kommt zu folgenden Ergebnis: „80 Prozent der Haushalte haben keine Immobilien geerbt, und auch innerhalb der Minderheit der Glücklichen sind die Hinterlassenschaften sehr ungleich verteilt. Nimmt man einen Werterhalt analog zum Verbraucherpreisindex an, dann haben die obersten zehn Prozent der Erben beinahe genauso viel geerbt wie die restlichen 90 Prozent zusammen“ (Standard vom 30.6.2010). D.h., zwei Prozent aller Haushalte können damit fast die Hälfte des gesamten Erbschaftsvolumens auf sich vereinen. Bzw. rund 0,06% DER Haushalte erben pro Jahr Immobilienvermögen von etwa 0,5% des BIP!

Deshalb kommt der Bericht im Standard, der die Ergebnisse der ÖNB-Studie zum Anlass nimmt, um über Folgerungen daraus nachzudenken, zu einem klaren Ergebnis: „Daraus lässt sich schließen, dass diverse Konzepte für ein Erbschaftsteuer-Comeback einen großen Teil der Empfänger ungeschoren ließen. Die Arbeiterkammer etwa würde im Familienkreis einen Freibetrag von 300.000 Euro vorsehen – gemäß den OeNB-Zahlen wären rund 70 Prozent der Erben bzw. 94 Prozent aller Haushalte aus dem Schneider.“ Denn das Erben sei unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich verteilt. „Starthilfe sind Erbschaften eher nicht: Von den 18- bis 29-Jährigen kommen nur fünf Prozent in den Genuss, am größten ist die Chance im Alter von 50 bis 69 Jahren (26 Prozent). Bauern erben mit einer Quote von 58 Prozent besonders häufig. Bei Freiberuflern und Beamten profitiert jeweils ein Drittel, spärlich sind Erben unter den Arbeitern (14 Prozent) “ (Ebd.).

Diesen Bericht des Standard nimmt Clemens Wallner, der wirtschaftspolitische Koordinator der Industriellenvereinigung (IV), zum Anlass, um Kritik an den Ergebnissen der ÖNB-Studie zu üben und den Autoren ideologische Verblendung vorzuwerfen. Am 13.7.2010 schreibt dieser ebenfalls im Standard, dass die Ergebnisse hinsichtlich der Verteilungswirkung von Erbschaften in Frage zu stellen seien – dass nämlich 80 Prozent der Haushalte keine Immobilien geerbt hätten, und dass unter denjenigen, die erben, die obersten 10 Prozent genau so viel erben wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam. Er beruft sich dabei auf Zahlen aus dem Finanzministerium (BMF) zu den Einnahmen aus der Erbschaftssteuer des Jahres 2007 (dem Jahr vor der Abschaffung). „Was die Verteilungswirkung betrifft, zeigen die harten Zahlen der Erbschaftssteuer-Statistik des Jahres 2007 … jedenfalls ein ganz anderes Bild … Die Behauptung, dass ,die obersten 10 Prozent‘ genauso viel erben würden wie die restlichen 90 Prozent gemeinsam, lässt sich bei einem Blick auf die Erbschaftssteuerstatistik … nicht aufrecht erhalten. So waren von den 67.853 Erbfällen des Jahres 2007 25.373 Immobilienfälle, bei denen die Bemessungsgrundlage unter 7.300 Euro lag. Oberhalb einer Wertgrenze von 219.000 Euro gab es hingegen insgesamt (Immobilien- und sonstige Erbschaften) nur 487 Fälle. Es zeigt sich also ganz klar, dass die große Zahl der Erbschaften und Schenkungen nicht bei den ,obersten 10 Prozent‘ anfällt, sondern in Bereichen mit niedrigeren Wertgrenzen“.

  1. Zusätzlich zu dieser Argumentation beschwört Wallner die Aktivitäten von Martin Schürz als ideologisch eindeutig zweifelhaft herauf. „So tritt Schütz in öffentlichen Publikationen unter anderem für die Abschaffung von Konzernen ein. In einem Artikel vertritt er die Auffassung, dass Manager moderne Bankräuber seien, nur ohne MG. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf Ö1 vertrat Schürz die Auffassung, dass reiche Menschen einer Gesellschaft Gesundheitsprobleme bringen würden. Und im Rahmen einer anderen Podiumsdiskussion mit Presse-Wirtschaftsressortleiter Franz Schellhorn vertrat Schürz die Auffassung, dass die Erbschaftssteuer bei 100 Prozent liegen müsste, also beim Tod einer Person deren gesamtes Vermögen verstaatlicht werden müsste.“ Wallner versucht mit dieser Strategie, die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der Studie zu erschüttern.

Zur Wissenschaftlichkeit dieser Studie, um mit dem letzten Punkt zu beginnen, bemerkt Peter Mooslechner von der ÖNB im Standard vom 16.7.2010, dass diese Studie eine mit der EZB akkordierte Angelegenheit sei, die hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen müsse. „Die OeNB erhebt, basierend auf einem Beschluss des EZB-Rats und gemeinsam mit allen anderen Notenbanken des Eurosystems – von der Bundesbank über die De Nederlandsche Bank bis zur Banca d’Italia und Banco de Espana -, Daten zu den Finanzen und Ausgaben privater Haushalte. Die OeNB-Studien erfolgen nach einer einheitlichen, von der EZB koordinierten Struktur und nach gemeinsamen wissenschaftlichen Qualitätskriterien. Für jeden einzelnen Schritt sind genaue Vorgaben einzuhalten und über jeden einzelnen Schritt der Erhebung muss gegenüber der EZB und den beteiligten Notenbanken Rechenschaft abgelegt werden“ (Standard vom 16.7.2010).

Nun zu den Zahlen Wallners und seinen Folgerungen selbst. Zunächst ist festzuhalten, dass Wallner in seinem Artikel von der Anzahl der Erbfälle in zwei Abstufungen, nämlich bei Erbfällen bis 219.000 Euro und jenen darüber, ableiten zu können meint, dass die von der ÖNB erhobene Verteilungswirkung nicht zutreffen könne. Doch dies mag zwar ideologisch vom Autor gewünscht sein, aber sachlich ist dies nicht nachvollziehbar. Auch dann nicht, wenn man die Zahlen durch die jene Angaben ergänzt, die einem Wallner auf Nachfrage zur Verfügung stellt: dass die Steuereinnahmen für alle Steuerfälle bis 219.000 Euro 86,6 Mrd. Euro ergeben, die aller Steuerfälle über 219.00 Euro nur 44,9 Mrd. Euro. Denn durch einen Vergleich von Äpfeln mit Birnen kann keine Aussage über die Quantitätsverhältnis unter den Äpfeln abgeleitet werden. Und genau dies tut Wallner, indem er von der Zahl der Fälle in zwei Gruppen auf die Verteilung der Erbschaftswerte zwischen den Erbenden schließt. Außerdem lässt sich Wallner auch bei einem peinlichen Fehler ertappen. Peter Mooslechner deckt nämlich folgenden Irrtum auf: „Wie eine kleine Nachrecherche überdies ergeben hat, dürfte Herrn Wallner ein nicht unrelevanter Datenirrtum unterlaufen sein. Tatsächlich unterstreichen die Daten der Erbschaftsteuerstatistik die Erhebungsergebnisse der OeNB: Von den insgesamt 67.853 von der Erbschaftssteuerstatistik erfassten Erbfällen (Immobilien und sonstige Erbschaften) des Jahres 2007 fallen rund 99,5 Prozent (67.625 Fälle) in die Klasse eines steuerpflichtigen Erwerbs von 219.000 Euro oder weniger. Lediglich rund ein halbes Prozent (228 Fälle) liegt über 219.000 Euro. Herr Wallner nennt in seinem Kommentar 487 Fälle oberhalb einer Grenze von 219.000 Euro. Dabei ist er offensichtlich eine Zeile abgerutscht, denn seine Fallzahl ergibt sich, wenn auch noch die Kategorie von 146.001 bis 219.000 Euro mit 259 Fällen hinzugerechnet wird.“ Die Zahlen, die auf Anfrage aus dem Finanzministerium geliefert werden, geben Mooslechner hier völlig recht. Wie nachfolgendes Balkendiagramm aus dem BMF (siehe Grafik unten) überdies zeigt, liegt eine noch stärkere Konzentration vor, als die Studie der Nationalbank ergibt, wenn man alle Erbschaftsformen berücksichtigt. Wird die durchschnittlich vorgeschriebene Steuer herangezogen, so zeigt sich, dass besonders die reichen Erben von Erbschaftssteuern betroffen sind. So lag die durchschnittlich vorgeschriebene Steuer bei jenen die weniger als 219.001 Euro erbten bei rund 1000 Euro, während jene darüber durchschnittlich rund 78.000 Euro vorgeschrieben bekamen. Jene, die 1.095.001 oder mehr an steuerpflichtigem Erwerb meldeten, waren mit Vorschreibungen von durchschnittlich mehr als einer halben Million Euro konfrontiert, was auf sehr hohe Erbsummen einiger weniger schließen lässt.

Auch wenn Peter Mooslechner meint, bei ÖNB-Studien wäre kein Platz für Ideologien, weil diese höchsten wissenschaftlichen Standards genügten, so zeigt die hitzige Debatte, die diese Studie ausgelöst hat, dass das Thema Erbschaftssteuer ein wahres ideologisches Schlachtfeld darbietet. Dies sollte auch gar nicht im negativen Sinne eines falschen Bewusstseins verstanden werden. Denn an der Diskussion wird offenbar, dass bei der Erbschaftssteuer – so wie bei der Vermögenssteuer – massive verteilungspolitische Zusammenhänge zur Debatte stehen. Die Abschaffung der Erbschaftssteuer hat nämlich nicht der breiten Masse der Kleinerben, die ihr hart erarbeitetes Vermögen weitergeben, sondern einer kleinen Gruppe von Hochvermögenden genützt, die auf diese Weise gigantische Vermögenswerte weitergeben können, die nicht durch Arbeitsleistung erworben wurden, sondern auf anderem Wege akkumuliert wurden. Die Allgemeinheit bekommt auf diese Weise keine Entschädigung dafür, dass sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen für diesen Vermögensaufbau geboten hat und den Vermögenden ein Umfeld bietet, indem sie sich sicher und wohl fühlen können. Deshalb ist für jene, die für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten, eine Wiedereinführung einer modifizierten Erbschaftssteuer eine conditio sine qua non. Und jene, die für die Interessen der Hochvermögenden die Lanze brechen, müssen die Erbschaftssteuer als Angriff gegen den Mittelstand darstellen, um ihre wahren Absichten ideologisch zu verschleiern. Diese Verschleierungstaktik aufzudecken, ist unsere erste Pflicht, um den Weg für eine gerechtere Steuerpolitik frei zu machen, die den Faktor Arbeit entlastet und den Vermögen einen höheren Beitrag für die soziale Gestaltung unserer Gesellschaft abverlangt.