Die aktuelle Steuerdiskussion in Österreich

12. Juli 2011

Seit vielen Wochen kommt praktisch kein Pressetermin mit einem Spitzenpolitiker daran vorbei, das Thema Steuerreform anzuschneiden. Begonnen hat dieser Reigen mit der Antrittsrede des Vizekanzlers und neuen ÖVP-Obmannes Spindelegger, der in dieser Rede vorsichtig eine Steuerreform für 2013 mit Erleichterungen für  die Familien und die Leistungsträger in Aussicht stellt. Danach folgte die neue Finanzministerin Fekter mit einigen genaueren Angaben, wie sich die ÖVP eine Steuerreform für 2013 vorstellt. Dann folgen AK-Präsident Tumpel, Bundespräsident Fischer und Bundeskanzler Feymann jeweils in der Pressestunde; zuletzt meldet sich die Landeshauptfrau von Salzburg, Burgstaller, mit ihren Plänen zur Umwidmungssteuer zu Wort. Was ist von den diversen Vorschlägen dieser SpitzenpolitikerInnen zur Reformierung des Steuersystems zu halten?

Beginnen wir mit der Finanzministerin Fekter.

Sie kündigt im Mai Entlastungen für den Mittelstand an und bekräftigt die ÖVP-Ablehnung der von SPÖ und Gewerkschaft geforderten Vermögensbesteuerung. Der Mittelstand sei nämlich dreifach belastet – durch die Progression, durch verhältnismäßig geringe Transferleistungen und durch Wertpapier-, Sparbuch- und andere vermögensbezogene Steuern. Dazu Fekter im Wortlaut: „Dieses System ist nicht gerecht.“ Einer von der SPÖ favorisierten Vermögenssteuer, die auf die Substanz abzielt, erteilt Fekter eine Absage, weil dafür die Finanz „herumschnüffeln“ und erheben müsste, wer was besitzt. Den Mittelstand „hat man schon ausgepresst wie eine Zitrone. Und wenn jetzt auch noch eine Vermögenssteuer käme, würde man von der ausgepressten Zitrone auch noch die Schale herunterschaben.“ Deshalb erteilt Fekter allen Wünschen, Steuern zu erhöhen, oder neue Steuern zu erfinden, eine Absage.

Dass Fekter eine Entlastung des Mittelstandes fordert, ist löblich. Besser wäre es, wenn sie eine Entlastung des Faktors Arbeit forderte. Aber schon im Nachsatz wird schnell klar, dass es ihr damit ohnehin nicht ernst ist. Mit der Progression spricht Fekter zwar ein Problem an, dass durch den hohen Eingangssteuersatz in Österreich tatsächlich den Mittelstand trifft. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie mit den Betroffenen der Progression jene Minderheit meint, die mit Teilen ihres Einkommens in den Spitzensteuersatz von 50% fällt. Wenn Fekter jedoch die Verknüpfung von Mittelstand mit geringen Transferleistungen und Vermögenssteuer herstellt, so kann dies nur als haarsträubend empfunden werden und schlägt dem Fass den Boden aus. Erstens hat die WIFO-Studie von 2009 zur „Umverteilung durch den Staat in Österreich“ gezeigt, dass die Angehörigen des Mittelstands sehr wohl von den Transferleistungen profitieren. Zweitens wäre von einer Vermögenssteuer nach dem Modell von SPÖ und Gewerkschaft nicht der Mittelstand betroffen, sondern die obersten 5-10% der Einkommen. Bei dieser Gruppe von „ausgepressten Zitronen“ zu sprechen, denen man auch noch die „Schale abschaben“ möchte, ist pure Rhetorik. Denn diese Gruppe verfügt über ein durchschnittliches jährliches Einkommen von mehr als 55.000 Euro, ein Geldvermögen jenseits der 250.000 Euro, ein durchschnittliches Immobilienvermögen von mehr als  300.000 Euro, Unternehmensbeteiligungen im Wert  von durchschnittlich mehr als 250.000 Euro.

Am 19. Juni wurde AK-Präsident  Herbert Tumpel in der Pressestunde zu seinen Vorstellungen von Steuergerechtigkeit befragt.

Seine zentralen Forderungen sind die Vermögensbesteuerung für die „obersten zehn Prozent“ und der Kampf gegen Steuerhinterziehung – um die steuerliche Belastung der Arbeit reduzieren zu können.  „In Bälde“ will Tumpel gemeinsam mit ÖGB-Präsident Erich Foglar dazu  ein Steuerkonzept vorlegen.

Der AK-Präsident nannte zu dem Thema auch einige Zahlen: Bei der Vermögensbesteuerung kann er sich eine Freigrenze von einer Mio. Euro vorstellen – wobei es ihm um Finanzvermögen und Grundstücke geht und nicht um „Schnüffeln, ob jemand einen Pelzmantel hat“. Wie viel man damit einnehmen könnte, bezifferte er jedoch nicht genau; er erwartet aber ein „beträchtliches Aufkommen“ durch Vermögenssteuer und das Schließen von Steuerlücken etwa bei Stiftungen. Die Finanztransaktionssteuer – auf deren Einführung er ebenfalls drängte – könnte 1,8 Mrd. bringen und durch den Kampf gegen Steuerhinterziehung könnte man „mindestens zwei Mrd.“ aufbringen, schätzte der AK-Präsident.

Auf die Vorbehalte der ÖVP angesprochen, meinte Tumpel weiter, die Vermögenssteuer solle nicht den Mittelstand treffen. Ihm gehe es um jene zehn Prozent an der Spitze, die 60 Prozent des Finanzvolumens und 85 Prozent des Grundvermögens halten. Das sei „nicht der Mittelstand“, sondern „weit davon entfernt“. Diese obersten zehn Prozent würden 40 Prozent der Abgabenbelastung tragen, die untersten zehn Prozent 37 Prozent – „das ist nicht gerecht“. Tumpel hält nämlich die „Frage der sozialen Gerechtigkeit“ für ein „ganz wichtiges Thema“ – auch im Hinblick auf die Politik der SPÖ und die guten Umfragewerte der FPÖ. Er rät deshalb der Sozialdemokratie und der Regierungsmannschaft zu einer Politik, bei der die ArbeitnehmerInnen erkennen können, „dass sie zu ihrem Wohl ist“.

Herbert Tumpel wiederholt  also die berechtigten Forderungen von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, das österreichische Steuersystem durch höhere Vermögenssteuern und Entlastung des Faktors Arbeit gerechter zu machen. In der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und in der Einführung der Finanztransaktionssteuer sieht er ebenfalls gute Möglichkeiten, um eine sozial gerechte Erhöhung der Staatseinnahmen zu erreichen.

Aufgrund des massiven medialen Feldzugs von ÖVP und Industriellenvereinigung gegen die Vermögenssteuer muss er sich gegen den absurden Vorwurf zur Wehr setzen, damit werde der Mittelstand belastet. Tumpel stellt daher klar, dass lediglich die obersten zehn Prozent betroffen wären. Und bei diesen kann man mit Recht nicht vom Mittelstand sprechen. Es ist nur schade, dass Tumpel kein einprägsames Bild von den finanziellen Verhältnissen dieser Oberschichtgruppe zeichnet, sondern nur abstrakt die Abgabenbelastung der obersten und der untersten 10% gegenüberstellt.

Seinem Rat an die SPÖ, die Frage nach sozialer Gerechtigkeit zum Thema zu machen und mit einer klaren Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen gegen die FPÖ aufzutreten, kann nur voll und ganz beigepflichtet werden.

Am 26. Juni hatte dann Bundeskanzler Werner Faymann die Gelegenheit, in der Pressestunde seine Vorstellungen von Steuergerechtigkeit darzustellen und den Kritikern der Hilfe für Griechenland zu antworten.

Der Bundeskanzler hält 2013 für einen guten Zeitpunkt für eine Steuerreform. Bis dahin müsse man sich um das Wirtschaftswachstum kümmern, um dafür einen Spielraum zu haben. Im Rahmen einer Steuerreform sei es jedoch notwendig, über soziale Gerechtigkeit nachzudenken.

Mit seiner hervorragenden Wettbewerbsfähigkeit bei starker Kaufkraft und sozialem Ausgleich sei Österreich zwar eine „Modellregion in Europa“,  sagte Bundeskanzler Werner Faymann, aber dennoch dürfe man sich nicht zurücklehnen. „Wir müssen uns mehr für soziale Gerechtigkeit stark machen, sonst geht der Punkt, der Österreich zu einer Modellregion macht, verloren“, so Faymann mahnend. Er sei daher ein „überzeugter, aber nicht unkritischer Europäer“. Wesentliche Fragen der Zukunft würden nicht im eigenen Land, sondern gemeinsam in Europa entschieden, daher sei es wichtig, sich auf europäischer Ebene für und gegen etwas zu engagieren.

Zur Frage der Staatsverschuldung sagte der Bundeskanzler: „Wenn Schulden, auch die zukünftigen, so aufgebaut sind, dass man in Bildung, Infrastruktur und Forschung investiert, dann ist das zukunftsorientiert“. Wenn man allerdings Schulden mache, weil etwa Doppelgleisigkeiten in der Bürokratie nicht abgeschafft würden, dann bereite ihm das Sorgen. „Unser Land ist nicht nur neutral, sondern auch unabhängig. Wir müssen diese Unabhängigkeit erhalten, indem wir unsere starke wirtschaftliche Position und unser Triple-A-Rating halten“, warnt der Bundeskanzler eindringlich.

Eine kommende Steuerreform müsse durch Wirtschaftswachstum finanziert werden, führt Faymann weiter aus. Angesichts der aktuellen guten Daten für Konjunktur und Arbeitsmarkt gehe er davon aus, dass „wir das verdienen“. 2013 wäre ein guter Zeitpunkt für eine Steuerreform, bis dahin müsse man sich um das Wirtschaftswachstum kümmern. Im

Rahmen einer Steuerreform sei es notwendig, über soziale Gerechtigkeit zu reden. „Wir müssen darüber reden, wie gerecht es zugeht, wen wir entlasten wollen, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wie man mit vermögensbezogenen Maßnahmen auch die richtigen trifft, nämlich die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung“, sagt Feymann in Richtung Koalitionspartner.

Der Bundeskanzler bemerkt abschließend, dass er sich als jemand verstehe, der sich ganz besonders der Frage der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühle. „Ich finde keine schönere Vision, als die, dass jedes Kind durch eine gute Schule die gleichen Chancen hat, ganz gleich wo es geboren worden ist, dass jeder, der arbeiten gehen möchte, auch eine Arbeit findet, dass jeder respektvoll behandelt wird – eine schönere Vision gibt es nicht.“

Bundeskanzler Feymann ergänzt die Diskussion seines Parteikollegen Tumpel zur Steuergerechtigkeit um den neuen Aspekt, eine Steuerreform 2013 durch entsprechendes Wirtschaftswachstum zu finanzieren. Den AK-Präsidenten unterstützt er in der Forderung, eine solche Steuerreform müsse nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit erfolgen. Daher müssten die ArbeitnehmerInnen entlastet werden, die reichsten 5 % der Bevölkerung jedoch sollten durch höhere vermögensbezogene Steuern zur Kasse gebeten werden, damit in Bildung, Infrastruktur und Forschung investiert werden kann.

Feymanns abschließender Vision von Chancengleichheit in der Ausbildung, Arbeitsplatzsicherheit und Respekt in der Gesellschaft kann man nur wünschen, dass sie bald Wirklichkeit wird.

Am 3. Juli ergänzt Bundespräsident Heinz Fischer in der Pressestunde die Forderungen seiner Parteikollegen mit seinem Plädoyer für die Erbschaftssteuer.

Beim Thema Vermögenssteuern gebe es „Nachdenkbedarf“, sagt Fischer. Denn er sei ein Anhänger der Leistungsgerechtigkeit, und das derzeitige System habe mit Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun. Dazu Fischer im Wortlaut: „Leistung muss gefordert und gefördert werden. Aber gerade bei Erbschaften ist der Anteil der Leistung relativ überschaubar.“

Fischer fordert zwar nicht direkt eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, wohl aber eine „sachliche und ernsthafte“ Auseinandersetzung ohne Tabus. Damit befindet er sich auf einer Linie mit den Gewerkschaften, die stets gegen die Abschaffung der Erbschaftssteuer waren.

Das SPÖ-Modell zu einer Vermögenssteuer, das einen jährlichen Steuersatz zwischen 0,3 und 0,7 Prozent auf Vermögen über eine Million Euro vorsieht, bezeichnet er als Diskussionsbeitrag. „Ich freue mich, wenn andere sachliche Beiträge dazukommen.“

Der Bundespräsident spricht hier ein Thema an, dass nicht außer Acht gelassen werden darf, wenn man es mit sozialer Gerechtigkeit ernst meint. Denn alle Untersuchungen zum Thema Erbschaft zeigen, dass Erbenschaften sehr ungleich verteilt sind und somit die Ungleichheit in der Gesellschaft über Generationen hinweg prolongieren. Dass Heinz Fischer bei diesem Thema den Lieblingsbegriff der Konservativen, Leistung, ins Spiel bringt, ist ein geschickter Schachzug. Keine Frage, auch die ÖVP und die Industriellenvereinigung müssen ihm Recht geben: „gerade bei Erbschaften ist der Anteil der Leistung relativ überschaubar.“

Trotzdem hält sich die Freude in der SPÖ über diesen Vorstoß des Bundespräsidenten in Grenzen. Denn seitdem sich die SPÖ 2008 nach dem VfGH-Urteil nur kurz gegen die Abschaffung von Erbschafts- und Schenkungssteuer gewehrt hat, macht man dort lieber einen großen Bogen um dieses Thema. Das ist schade, da gerade das Thema Erbschaftssteuer in einer Diskussion über soziale Gerechtigkeit im Brennpunkt stehen sollte.

Am 5. Juli lässt die Landeshauptfrau von Salzburg, Gabi Burgstaller, im Interview mit einem neuen Vorschlag aufhorchen.

Sie erklärt gegenüber dem Standard: „Ich bin eine Befürworterin der Besteuerung des Vermögenszuwachses und nicht der Substanz. Ich werde als Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz auch einen Vorschlag für eine Widmungsabgabe machen. Der größte Hohn in unserem Steuerrecht ist, dass man mit einem Beschluss einer Gemeindevertretung Millionär werden kann – wenn Grünland in Bauland umgewidmet wird – und dafür keinen Cent Steuer zahlt.“

Im Ö1-Abendjournal am darauffolgenden Freitag hat sie dann ihren Vorschlag gegen die Kritik durch den Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Pühringer, verteidigt. Solche Umwidmungen seien derzeit von jeglicher Besteuerung befreit, was ungerecht sei, sagt Burgstaller dort. „Jeder, der Geld auf einem Sparbuch hat, zahlt dafür 25 Prozent an Zinsertragssteuer. Im Gegensatz dazu gibt es derzeit keinerlei Steuer auf Gewinne durch Umwidmungen.“ Burgstaller rechnet vor: „Wenn jemand ein Grundstück im Grünland im Wert von 100.000 Euro besitzt und die Gemeindevertretung eine Umwidmung in Bauland beschließt, kann dasselbe Grundstück plötzlich eine Million Euro wert sein“.. Sie verlangt deshalb eine 25-prozentige Umwidmungssteuer. „Der Differenzbetrag – in diesem Fall 900.000 Euro – wird in Österreich bisher überhaupt nicht besteuert. Hier sollte man meiner Ansicht nach ebenfalls eine Steuer von 25 Prozent einführen – also genau im selben Ausmaß, wie auch andere Gewinne besteuert werden“, sagte Burgstaller zur Erklärung.

Gabi Burgstaller liefert mit diesem Vorschlag eine Anregung, über die neben den vielen anderen ernsthaft nachgedacht werden sollte. Freilich sollte der ganze Bereich Grundsteuern umfassend reformiert werden, da mit den bestehenden Einheitswerten hier seit langem völlig unzeitgemäße Tarife bestehen, die dem Vermögenswert Grundstück keine sozial gerechte Bewertung angedeihen lassen.


Der KV-Abschluss der Metaller

16. November 2010

Nach 17-stündigen Verhandlungen haben sich die Verhandler von PROGE und GPA-djp am Morgen des 6. November mit den Arbeitgebervertretern geeinigt. Nach schwierigen Verhandlungen, die mit einem Eklat wegen der Sitzordnung begannen und vom Thema Arbeitszeit geprägt wurden, einigte man sich auf folgende Hauptpunkte:

–          Ist-Lohnerhöhung von 2,3%

–          Mindestlohnerhöhung von 2,5%

–          Mindestbetrag der Erhöhung € 45,- (das sind bei geringen Einkommen bis zu 3%)

–          Bei positiven Betriebserfolg eine Einmalzahlung bis zu € 150,-

–          Zulagen und Aufwandsentschädigungen steigen durchschnittlich um 2,3%

–          Erhöhung der Lehrlingsentschädigung um 2,3%

–          Prämie für Lehrlinge bei bestandener Lehrabschlussprüfung (€ 150,-)

Dieser Einigung waren schwere Scharmützel beim Thema Arbeitszeit vorangegangen. Die Arbeitgeberseite forderte eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Gewerkschaften konterten mit Recht, dass ein Nachkommen bei diesen Forderungen einem Verzicht auf Überstundenzuschläge gleichgekommen wäre, und forderten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig großen Überstundenleistungen der ArbeitnehmerInnen eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich.

Überraschend zogen die Arbeitgebervertreter in der zweiten Runde ihre Forderungen nach Flexibilisierung zurück. Als sie im Verhandlungsmarathon vom 5. auf den 6. November ihr Angebot bei der Lohnerhöhung auf ein annehmbares Level nachbesserten, verzichteten die Gewerkschaftsvertreter schließlich darauf, für die Arbeitszeitverkürzung zu Kampfmaßnahmen zu greifen.

Somit haben wir nun zwar ein akzeptables Ergebnis bei den KV-Erhöhungen, aber das ganz zentrale Thema Arbeitszeitverkürzung bleibt weiterhin offen. Diese Thematik ist neben mehr Steuergerechtigkeit und einem fairen Anteil der ArbeitnehmerInnen an der Wertschöpfung die wesentliche Herausforderung, um ein Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft zu verhindern. Denn dass ein wachsender Teil der Bevölkerung keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann, ist ein zentrales Element von Verteilungsungerechtigkeit und die große Herausforderung für die Solidarität unter den ArbeitnehmerInnen. Außerdem sind jene, die eine Erwerbsarbeit haben, aufgrund der zu langen und belastenden Arbeitszeiten immer größeren gesundheitlichen Problemen ausgesetzt, sodass auch von dieser Seite Handlungsbedarf besteht.

Deshalb wird schon im nächsten Herbst dieses Thema wieder ganz oben auf der Forderungsliste der Gewerkschaften stehen müssen. Und dies haben Rainer Wimmer (PROGE) und Karl Proyer (GPA-djp) auch nach dem Abschluss der Verhandlungen betont: „Die Forderung der GPA-djp und der PRO-GE nach kürzeren Arbeitszeiten bleibt ein wichtiger Schwerpunkt in der Kollektivvertragsarbeit, weil es dabei um wichtige Interessen der Beschäftigten geht“.


Entgegnung auf die neoliberalen Ergüsse der Industriellenvereinigung

8. Oktober 2010

Am 5. Oktober 2010 hat die Industriellenvereinigung eine Pressekonferenz abgehalten, wo Markus Beyrer und Veit Sorger neben ihrer Position in den Lohnverhandlungen mit der Gewerkschaft auch  ihre Vorstellungen zu Pensionsreform, Budgetkonsolidierung und neue Steuern präsentierten. Im folgenden möchte ich auf die einzelnen Themen eingehen und notwendige Richtigstellungen vornehmen bzw. ergänzende Überlegungen anstellen.

Zu den Lohnverhandlungen:

Mitten im Auftakt zu den Lohnverhandlungen in der Metallindustrie malt Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), die Zukunft der heimischen Betriebe in düsteren Farben: Zwar habe sich die Auslastung gebessert, für den erhofften Investitionsschub reiche das aber lange nicht. Zudem fange der heurige Produktionszuwachs gerade die Hälfte dessen ab, was im Krisenjahr weggebrochen sei. Der US-Dollar werde zum Leidwesen der Exporteure schwächer, und ein Aufschwung, der diesen Namen auch ohne staatliche Geldspritzen verdienen würde, sei nicht in Sicht.

Außerdem liegt dem IV-Präsidenten noch der „viel zu hohe“ Lohnabschluss aus dem vorigen Herbst im Magen. Damals hatten die Gewerkschaften – trotz rückläufiger Produktivität und niedriger Inflationsrate – eine Anhebung der Kollektivvertragslöhne um 1,5 Prozent durchgesetzt. Die Industrie habe sich damals bereit erklärt, 0,6 Prozentpunkte an zusätzlichem Lohnplus als „Vorleistung“ zu akzeptieren, wenn im Gegenzug die Arbeitszeit flexibilisiert würde. Im April brachen die Arbeitgeber die Verhandlungen darüber „wegen Sinnlosigkeit“ ab. Heuer müsse diese Vorleistung abgegolten werden, forderte IV-Generalsekretär Markus Beyrer. Entweder werde die Frist, innerhalb der Überstunden durch Zeitausgleich abgegolten werden können, endlich erhöht, oder man müsse die 0,6 Prozentpunkte aus dem Vorjahr eben „vom heurigen Ergebnis abziehen“.

Wie die beiden Chefverhandler der Gewerkschaft Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, und Karl Proyer, stv. Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft GPA-djp betonen, hat das Krisenjahr 2009 „[w]eit mehr als 20.000 Arbeitsplätze … allein in der Metallindustrie gekostet. Trotzdem wurden im Krisenjahr 2009 alleine in den 150 wichtigsten Metallindustrie-Unternehmen Gewinnausschüttungen von rund 2,2 Milliarden Euro an die Eigentümer oder Muttergesellschaften getätigt.“ Das Gejammere der Industrie ist somit ganz und gar nicht angebracht. Wenn man sich außerdem die Zahlen der letzten zehn Jahre anschaut, dann ist deutlich zu erkennen, dass die Produktivität und die Gewinne stets deutlich stärker gestiegen sind als die Löhne. So sind etwa in Österreich über alle Bereiche zwischen 2000 und 2008 die Gewinne um 60%, die Löhne jedoch nur um 30% gestiegen! Und dass die Produktion im Jahre 2009 aufgrund der Weltwirtschaftskrise stark eingebrochen ist (-10%), soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Produktivität je geleisteter Arbeitsstunde und je unselbstständig Beschäftigten deutlich weniger stark gesunken ist(-4,8% bzw. -7% laut Statistik Austria) und in den Jahren davor deutliche Zuwächse hatte (siehe auch nachfolgende Grafik).

Metallindustrie_Wachstum_2000_09

Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch steigende Arbeitslosigkeit und den massiven Einsatz von Kurzarbeit die Auswirkungen der Krise im Jahr 2009 auf die Industrie gebremst und solidarisch auf die Allgemeinheit übertragen werden konnten. Damit haben die ArbeitnehmerInnen in Österreich einen wichtigen Beitrag für den Industriesektor geleistet, für den sie nicht 2011 mit Lohneinbußen bestraft werden dürfen.

Deshalb betonen Rainer Wimmer und Karl Proyer, dass die Gewerkschaft bei keiner der anstehenden Lohn- und Gehaltsrunden die Gewerkschaften irgendwelche Versprechen einzulösen hätte. „Die Industrie soll endlich ihr Krisengejammere aufgeben und die gute Wirtschaftsentwicklung durch positive Signale an die Beschäftigten, die durch ihr Engagement einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, weiter stärken. Wir lassen uns nicht von den Herren Sorger und Beyrer vorschreiben, was wir im Auftrag der Beschäftigten und ihrer BetriebsrätInnen fordern. Es bleibt bei unserer Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten“.

Zum Reformbedarf in der Pensionsversicherung:

Martin Beyrer beklagte auf der Pressekonferenz zunächst, Österreich sei ,Frühpensionsweltmeister‘, von den Neuzugängen in den Ruhestand würden nur noch 21 Prozent auf die normale Alterspensionen entfallen, der Rest der Neuzugänge falle unter ,Hacklerregelung‘ oder Invaliditätspension. Dann rechnete er vor: Ein 60-Jähriger, der heute in eine ,Hacklerpension‘ gehe, habe im Schnitt nur für 9,5 Pensionsjahre eingezahlt, habe aufgrund seiner hohen Lebenserwartung aber fast 23 Bezugsjahre zu erwarten. Deshalb müsse diese Pensionsform nach einer ,Ausschleifregelung‘ bis 2013 abgeschafft werden. Dadurch könnten rund 500 Mio. Euro gespart werden.

Nach einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Invaliditätspensio, mit dem Vorbehalt ,Rehabilitation vor Rente‘, gab Beyrer zu Bedenken, dass eine verstärkte Rehabilitation nicht ausreichen werde, um die hohe Anzahl der krankheitsbedingten Frühpensionen zu reduzieren. Daher müsse dringend der Berufsschutz gelockert werden, damit der Zugang zur Invaliditätspension endlich erschwert wird.

Die Klage, Österreich sei ein Paradis für Frühpensionisten begleitet die neoliberalen Angriffe auf das österreichische Pensionssystem wie das Amen im Gebet. Da mir nun die Zahlen des Bundesministerium für Soziales, Arbeit und Konsumentschutz zur Verfügung stehen, möchte ich der IV mit aller Deutlichkeit ihre falschen Zahlen bewusst machen. Wenn man Inland und Ausland zusammennimmt, dann macht die normale Alterspension kanpp unter 28% der Neuzugänge aus. Wenn man nur das Inland heranzieht, dann ergeben sich knapp 23%. Wie die IV also auf einen Wert von 21% kommt, bleibt vollkommen räselhaft. Dass ein Mann, der mit 60 Jahren in die vorzeitige Alterspension aufgrung langer Versicherungsdauer übertritt, im Schnitt für 9,5 Jahre Beiträge eingezahlt habe, ist erstens nicht nachvollziehbar, wie die IV auf diese Werte kommt. Zweitens ist es irrelevant, da es für das Funktionieren des Umlageverfahrens keine Rolle spielt. Dieses funktioniert ja nicht auf die Weise, dass die Versicherten auf die eigene Pension ansparen. Vielmehr werden alle gegenwärtigen Pensionsleistungen aus den Einnahmen aus den Pensionsversicherungsbeiträgen finanziert.  Weiters erscheint es aufgrund der durchschnittlichen Lebenserwartung von Mänern eher unwahrscheinlich, dass ein 60jähriger im Durchschnitt 23 Jahre lang seine Alterspension beziehe wird. Hier scheint die IV auf den Fall eines 60jährigen die Lebenserwartung von Frauen anzuwenden.

Zur gewünschten Abschaffung der vorzeitigen Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer ist zu bemerken, dass die sogenannte Hacklerregelung zwar reformbedürftig ist, eine völlige Abschaffung mit 2013 aber 1. verfassungsrechtlich mehr als bedenklich wäre, 2. das allgemein anerkannte Prinzip „45 Jahre sind genug“ in Frage stellt. Statt sich Gedanken zu machen, wie durch größere Hürden auf dem Weg in die Pension ein paar hundert Mio. Euro eingespart werden können, sollte sich die IV einmal überlegen, wie die Bemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer vergrößert werden kann, damit unser System der Kranken- und Pensionsversicherung langfristig gesichert ist. Hier käme z.B. die oftmals geschmähte Wertschöpfungsabgabe in Frage, wodurch die Industrie endlich weniger Anreize für Personalabbau hätte und durch Einbeziehung der Kapitalfaktoren wieder einen angemessenen Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft leisten würde.

Was die Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension betrifft, so ist den unsozialen Überlegungen der IV der Spiegel vorzuhalten. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie die Arbeitsplätze in der Industrie so verbessert werden könnten, dass die ArbeitnehmerInnen länger gesund bleiben und auch im Alter einen Arbeitsplatz haben, der ihnen den Verbleib ermöglicht, möchte die IV alte und kranke Menschen einfach auf unqualifizierte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze abschieben.

Zu Budgetkonsolidierung und neuen Steuern:

Die Spitzenvertreter der Industriellenvereinigung  beharren für die geplante Sanierung des Staatsbudgets auf möglichst hohen Einsparungen bei den Ausgaben, ehe neue Einnahmen-Belastungen angedacht werden dürften. Zwar werde die Sanierung des Budgets nicht ganz ohne zusätzliche Einnahmen auskommen, aber ein absolutes „no go“ sei eine Vermögenssubstanz-Besteuerung oder ein Antasten der günstigen Gruppenbesteuerung, bemerkte Veit Sorger. Vorstellen könne er sich, eine längere Spekulationsfrist für Aktien, aber zum niedrigen 25-Prozent-KESt-Satz. Er selbst etwa versteuere Aktienverkäufe mit Gewinn unter einem Jahr Behaltefrist.

Und generell zum Thema höhere oder neue Steuern führt Sorger ins Treffen, ständig den Leistungsträgern und Leistungswilligen mit höheren Steuer-Belastungen zu drohen, sei nicht zielführend. Die Bestrafung der Leistungsträger führe nicht zu höheren Einnahmen, „sondern es werden dann Schlupflöcher gesucht“. „Da wird es eher zu Abflüssen als zu Zuflüssen kommen.“

Dass die IV in erster Linie sparen möchte, ging schon aus den Überlegungen zu den Pensionen hervor. Die Regierung hat sich ohnehin festgelegt, dass im Verhältnis 60:40 die ausgabenseitigen Maßnahmen überwiegen sollen. Was wir bei den Überlegungen der IV uns merken sollten , das ist, dass sie vor allem bei den anderen sparen möchte – am liebsten z.B. bei jenen Menschen, denen das Schicksal nicht gut gesonnen war, weil sie aufgrund einer Krankheit den Beruf nicht mehr ausüben können. Aber bei den Eigentümern, den Industriekapitänen und Managern darf nicht gespart werden. Eine Vermögenssteuer etwa ist tabu, obwohl die obersten 1% in Österreich sich eine solche Steuer bei einem Steuersatz von ungefähr 1% locker leisten können. Denn der jährliche Zuwachs an Vermögenbei dieser Gruppe ist im Durchschnitt ein Vielfaches davon.

Wenn die IV weiters die günstige Gruppenbesteuerung für untastbar erklärt, dann sollten wir nicht übersehen, dass sie hiermit ihre Zustimmung dazu gibt, dass heimische Unternehmen unter Umständen gigantische Gewinne machen, aber in Österreich keinen Cent Steuer zahlen. Denn die Regelung, Verluste ausländischer Töchter mindernd geltend zu machen, eröffnet viele Möglichkeiten für eine kreative Bilanzierung – und hat sich 2009 als desaströs für die Steuereinnahmen aus der KÖSt erwiesen.

Den Managern wiederum, denn diese sind mit den „Leistungsträgern“ gemeint – und nicht die Schar der ArbeitnehmerInnen, die Jahr für Jahr mit der Arbeit ihrer Hände oder Köpfe die Gewinne für die Unternehmen erarbeiten -, dürfe nicht mit höheren Steuern gedroht werden, sonst würden sie Schlupflöcher suchen. Diese Schlupflöcher haben diese doch längst schon gefunden, denn durch ihre Stock Options, die nach Ablauf der Spekulationsfrist steuerfrei bleiben, werden sie steuerlich begünstigt und durch die Verschleierung ihrer Vermögenszugewinne durch Transaktionen über Steueroasen entziehen sie sich teilweise ohnehin der heimischen Steuerpflicht.

Dass Veit Sorger sich wenigstens eine Verlängerung der Spekulationsfrist vorstellen kann, mag zwar löblich erscheinen. Aber eine freiwillige Versteuerung von längerfristigen Spekulationsgewinnen durch ihn macht steuerrechtlich keinen Sinn, da es dem Finanzamt nicht möglich ist, etwas einzuheben, das nach aktuellem Gesetzesstand nicht vorgesehen ist.