Ein solidarischer Lösungsansatz für die Eurokrise

26. Oktober 2011

Seit vielen Monaten geistert das Gespenst Euro- und Schuldenkrise in der öffentlichen Debatte herum. Diese begann damit, dass die Finanzmärkte wegen des hohen Defizits in Griechenland beunruhigt wurden und Griechenland rasant steigende Zinskosten für seine Staatsanleihen zu tragen hatte. Daher wurde von der europäischen Politik und dem IWF zunächst versucht, Griechenland durch radikale Sparmaßnahmen zu einem niedrigeren Budgetdefizit zu verhelfen und dadurch die Lage auf den Finanzmärkte zu beruhigen. Wie jedem, der über einiges volkswirtschaftliches Grundverständnis verfügt, von Anfang an klar war, ist die Situation jedoch nur schlimmer geworden. Die Sparmaßnahmen haben die griechische Wirtschaft weiter schrumpfen lassen und das Defizit wurde im Vergleich zum sinkenden Bruttoinlandsprodukt sogar noch schlimmer.

Als die Finanzmärkte dazu übergingen, gegen weitere Staaten wegen der stark gestiegenen Defizite vorzugehen (Portugal, Spanien, Italien), verlegte sich die Politik in der EU darauf, durch großzügige Garantieerklärungen (vulgo Rettungsschirme) des gesamten Euroraums die Finanzmärkte zu beruhigen und finanzierbare Rahmenbedingungen für die Schuldenlast zu schaffen. Doch der Druck der Finanzmärkte auf die Defizitländer der Eurozone blieb ungebrochen und auch Griechenland konnte nach wie vor keine Atempause verschafft werden. Der Rettungsschirm musste deutlich aufgestockt werden (440 Milliarden Euro) und inzwischen ist eine Hebelung im Gespräch, die die Garantien auf bis zu 2 Billionen Euro erhöhen soll.

Außerdem ist ein Schuldenschnitt von mehr als 50 Prozent für Griechenland, der lange Zeit ausgeschlossen wurde, inzwischen weitgehend akkordiert. Auch die Notwendigkeit von neuen Bankenrettungspaketen wird nicht ausgeschlossen. In dieser Situation wird die lange bekämpfte Finanztransaktionssteuer nun doch endlich umgesetzt werden, da die EU dringend Einnahmen benötigt. Als nächster Schritt zeichnet sich sogar eine Vertragsänderung der EU ab, die eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik ermöglichen und wirtschaftliche Ungleichgewichte in der bisherigen Form verhindern soll.

Können diese Maßnahmen die Probleme lösen? Die Antwort ist leider ein eindeutiges nein, da diese Maßnahmen nur bei den Symptomen ansetzen, aber nicht an die Ursachen heranreichen. Denn die Gründe für die derzeitige Situation liegen in der Finanzkrise 2007/2008. Durch eine gewaltige Spekulationsblase, die schließlich zusammenbricht, war das globale Finanzsystem aufgrund undurchschaubarer Risiken und nicht bewältigbarer Verbindlichkeiten am Rande des völligen Kollapses. Nur durch gewaltige staatliche Hilfen für das Finanzsystem und umfassende Konjunkturprogramme konnte das Finanzsystem gerettet und die aus der Finanzkrise entstandene Weltwirtschaftskrise abgefangen werden. Doch diese Kosten haben die Staatsdefizite rasant ansteigen wachsen – vor allem in jenen Ländern, die schon vor der Krise aufgrund eines deutlichen Leistungsbilanzdefizits ungünstige Bedingungen hatten. Deshalb begannen die Finanzmärkte, massiv gegen diese Staaten zu spekulieren (z.B. in Form von Kreditausfallversicherungen) und auf die Politik Druck auszuüben, etwas gegen die „horrenden“ Staatsschulden zu unternehmen.

Das ist insofern äußerst zynisch, als die hohen Schuldenzuwächse zum Großteil auf die Kappe der „Bankenrettung“ gehen und die Finanzinvestoren auch noch an den hohen Zinsen für Staatsanleihen und den explodierenden Kursen der Kreditausfallversicherungen verdienen. Können die betroffenen Staaten freilich die Schuldenlast nicht mehr tragen und ein Schuldenschnitt ist unumgänglich, dann schlägt sich das wiederum in den Bilanzen jener Banken verheerend nieder, die im Besitz dieser Anleihen sind. Dann müssen diese Banken wieder von den Staaten gerettet werden. Was wiederum die Staatsschulden in die Höhe treibt. Ein Teufelskreis also.

Wenn in diesen Rettungszyklen versucht wird, die Kosten durch  massive staatliche Einsparungen im Sozialbereich und radikale Kürzung der öffentlichen Ausgaben und Beschäftigung auf die Unter- und Mittelschicht abzuwälzen, dann führt das unweigerlich zum Zusammenbruch des innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Zusammenhalts. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann dies zu gewalttätigen Unruhen, Bürgerkriegen oder sogar zu Kriegen zwischen Staaten führen.

Kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Ja! Aber dazu müssen die Probleme bei der Wurzel gepackt werden. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist die Folge des Zusammenbruchs des Systems von Bretton Woods (das zweifelsohne mit der amerikanischen Dominanz und der aussichtlosen Situation der Entwicklungsländer auch Schwächen hatte), der nachfolgenden Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte sowie dem Abgehen von der fordistischen Allianz von Kapital und Arbeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine lange Periode des Wirtschaftswachstums und der allgemeinen Wohlstandssteigerung ermöglichte.

Das darauf folgende neoliberale Paradigma in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ließ die Gewinneinkommen rasant steigen, während die Lohneinkommen nur mehr bei den obersten zehn Prozent stiegen. Dies führte zu einer massiven Ungleichverteilung von Vermögen und einer Schwächung der Realwirtschaft. Die Vermögenden investieren ihr Geld in immer abenteuerliche Finanzinstrumente, die hohe Gewinne versprechen, aber das Risiko an die Gesellschaft abwälzen. Als ab 2006/2007 eine gewaltige Spekulationsblase  mit forderungsbesicherten Wertpapieren (CDOs) am Immobilienmarkt platzt, können Hausbesitzer ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr bedienen und verlieren dadurch ihre Häuser, das gesamte Bankensystem sitzt auf einer Unmenge praktisch wertloser Forderungen, Versicherungsunternehmen, die diese Wertpapiere oder Investmentbanken abgesichert haben,  werden insolvent (z.B. AIG). Wie schon weiter oben angeführt, sprangen die Staaten ein, um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, indem sie gigantische Garantien abgaben.

Dieser Entwicklung kann nur dadurch begegnet werden, dass folgende 12 Maßnahmen in der Europäischen Union möglichst bald ergriffen werden:

  1. Griechenland werden 50 % der Schulden erlassen, damit das Land eine Möglichkeit bekommt, sich aus der Schuldenfalle zu befreien.
  2. Griechenland werden von EU und IWF keine weiteren Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung vorgeschrieben, sondern das Land dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die seine Staatseinnahmen erhöhen (Reformierung des Steuer- und Abgabensystems, effizientere Finanzverwaltung) und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern (Investitionen in moderne Technologien, z.B. Solarenergie), aber nicht den Einbruch der Wirtschaft fortschreiben.
  3. Alle großen Finanzinstitute (Bilanzsumme größer als 1 Mrd. Euro) werden europaweit unter staatliche Kontrolle gestellt. Dann werden diese Institutionen dahingehend überprüft, ob sich nach objektiver Bewertung eigentlich uneinbringliche Verbindlichkeiten aus Spekulationsgeschäften in ihren Bilanzen versteckt halten.
  4. Jene Bereiche dieser Institutionen (falls solche Unterteilungen vorhanden sind), die sich in der Überprüfung als tatsächlich insolvent herausstellen, werden in einem geordneten Insolvenzverfahren abgewickelt und anschließend geschlossen. Bei den kleineren Instituten unter den großen Playern (weniger als 50 Mrd. Euro Bilanzsumme) ist auch eine komplette Schließung vorbehalten.
  5. Die tragfähigen Bereiche der großen Finanzinstitute werden in kleinere Einheiten zerschlagen und einer strengen gesellschaftlichen Kontrolle überantwortet, damit keines dieser Unternehmen mehr wegen der Systemrelevanz zu groß für eine Insolvenz wird. Der Fokus soll dabei auf die Kernaufgaben des Finanzsystems gelegt werden: die Verzinsung von Spareinlagen und die Finanzierung der Realwirtschaft durch Investitionskredite; die anderen Bereiche (Investmentbanking, Hedgefonds, Private Equity usw.) werden deutlich verkleinert.
  6. Finanzielle Instrumente, die potentielle Massenvernichtungswaffen für das Finanzsystem darstellen, wie Hedgefonds, CDOs, CDS, werden einer strengen staatlichen Regulierung unterworfen, die von einer eigens dafür zu schaffenden Behörde übernommen wird. Diese Behörde achtet darauf, dass diese Instrumente nur noch zum Zwecke der Absicherung der eigenen Basispapiere verwendet werden; die Spekulation mit diesen Instrumenten wird also verboten.
  7. Die Bewertung von Staaten durch Ratingagenturen wird ausgesetzt, um die Spekulation gegen Defizitländer zu bremsen. In einem nächsten Schritt müssen die Ratingagenturen reformiert werden. Sie sollten in Zukunft jene Unternehmen, die sie sie bewerten, nicht mehr beraten dürfen; sie werden außerdem nicht mehr von den Wertpapieremittenten, sondern über einen Einlagenfonds von den Investoren für ihre Dienstleistung bezahlt.
  8. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft geben gemeinsame Staatsanleihen (sogenannte Eurobonds) heraus, um ihre Schulden zu finanzieren. Damit werden der Zinswettbewerb unter den Mitgliedsländern und das Wetten der Finanzmärkte gegen einzelne Staaten unterbunden. Als Alternative dazu könnte auch ein Europäischer Währungsfonds gegründet, der günstige Kredite an die Staaten vergibt.
  9. Um die Einlagen von Kleinanlegern (bis 100.000 Euro) in den insolventen Bereichen des Finanzsystems  für ihre Verluste entschädigen zu können, werden neue Einnahmequellen (zeitlich befristet) herangezogen: z.B. die Finanztransaktionssteuer, höhere Vermögenssteuern, höhere Besteuerung für sehr hohe Einkommen, höhere Besteuerung des Kapitalertrags.
  10. Diese zusätzlichen Einnahmen dienen dazu, die Staatsschulden abzubauen, in den Ausbau der sozialen Dienstleistungen und des Gesundheitssystem (Prävention), die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Energiegewinnung und die nachhaltig ausgerichtete Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur zu investieren. Dadurch werden neue Arbeitsplätze geschaffen, die Konsumnachfrage gestärkt und somit das Wachstum nachhaltig angekurbelt. Dies führt in weiterer Folge zu höheren Staatseinnahmen und einer geringeren Staatsverschuldung.
  11. Um nicht nur Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen, sondern auch die Arbeit, wird die gesetzliche Normalarbeitszeit auf 36 Stunden reduziert und die Gewerkschaften aufgefordert, weitere Schritte der Arbeitszeitverkürzung in ihre Kollektivvertragsverhandlungen aufzunehmen.
  12. Um in Zukunft verheerende ökonomische Ungleichgewichte zu verhindern, wird die EU-Verfassung dahingehend reformiert, dass die EU zu einer tatsächlichen Finanz- und Wirtschaftsunion wird. Die Verfügung über die gemeinsame Wirtschaftspolitik darf dabei aber nicht in erster Linie in der Hand der EU-Kommission oder beim Europäischen  Rat liegen, sondern muss durch eine Stärkung der europäischen Demokratie vorrangig beim EU-Parlament angesiedelt sein. Das Parlament darf dabei aber  nicht die Minderheitenrechte von kleineren Ländern verletzen. Die Vorgaben für die Finanz- und Wirtschaftspolitik umfassen in Zukunft nicht nur Schuldengrenzen, sondern auch Vorgaben für eine harmonisierte Steuerpolitik, gemeinsame Wachstumsziele, Obergrenzen für die Arbeitslosigkeit, gemeinsame Zielsetzungen für eine stetige Lohnentwicklung, Zielkorridore für die Inflation.

Die Ursachen für Schuldenkrise Portugals und wie sie wirklich gelöst werden kann

2. Mai 2011

In den letzten Wochen ging die folgende Horrormeldung durch die Presse: Das portugiesische Statistikamt hat das Budgetdefizit des Landes für das Jahr 2010 nach oben korrigiert. Wie die Behörde mitteilte, betrug die Neuverschuldung im vergangenen Jahr 9,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) statt der bisher angenommenen 8,6 Prozent. Die gesamte Staatsschuld lag demnach bei 93 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was fast 160,4 Milliarden Euro entspricht. Portugal verhandelt deshalb derzeit mit der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein Hilfspaket im Umfang von rund 80 Milliarden Euro. Im Gegenzug soll das Land bis Mitte Mai ein umfangreiches Sparpaket vorlegen.

Keine Frage, diese Zahlen sind sehr beunruhigend. Aber in allen Meldungen zur Schuldenkrise Portugals fehlt eine differenzierte Analyse dessen, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte. Der Tenor der Kommentare beschränkt sich darauf, so wie im Falle von Griechenland, dem Land eine unverantwortliche Verschwendung bei den Ausgaben vorzuhalten, die sich das Land einfach nicht leisten könne. Deshalb wird als einziges Rezept gegen die hohen Schulden und das erschreckende Budgetdefizit ein rigoroses Sparpaket von den Europäisches Institutionen und dem IWF gefordert. In der öffentlichen Verwaltung, im Sozialsystem und bei den Löhnen soll der Gürtel enger geschnallt werden, damit Portugal seine Schulden und das Budgetdefizit reduzieren kann.

Hält dieses obligatorische Rezept der neoliberal geprägten Institutionen für die Länder Südeuropas aber einer detaillierten Analyse Stand, wenn man sich eingehender mit den Ursachen für das Budgetdefizit auseinandersetzt und außerdem den volkswirtschaftlichen Erfahrungsschatz im Umgang mit Krisen heranzieht? Wie wir im Folgenden zeigen werden, ist die Antwort eindeutig nein.

Sehen wir uns an, wie es in den südeuropäischen Ländern zu dem hohen Defizit gekommen ist. Dazu müssen wir zur Einführung der Europäischen Währungsunion zurückkehren. Seit 1999 besteht die EWU und seit 1. Jänner 2002 gibt es den Euro als einheitliche Währung in den beteiligten Ländern. Vor der Einführung einer gemeinsamen Währung konnte jedes Land, wenn es im Wettbewerb zurückblieb, weil es bei den Lohnstückkosten nicht mithalten konnte, durch eine Abwertung seiner Währung diesen Nachteil wieder ausgleichen. Mit Einführung des Euro besteht diese Möglichkeit nicht mehr, sodass sich vor allem Unterschiede bei Lohnentwicklung und Inflation sehr stark auf die Wettbewerbsfähigkeit und in weiterer Folge auf das Handelsbilanzsaldo der EWU-Mitglieder auswirken. Länder wie Deutschland, Österreich und die Niederlande konnten durch sehr moderate Lohnentwicklung bei gleichzeitig hoher Produktivitätssteigerung gegenüber den südeuropäischen Ländern Griechenland, Spanien, Portugal und Italien deutliche Wettbewerbsvorteile erringen, die sich positiv in der Handelsbilanz dieser Länder niederschlugen. Während die ersteren Staaten deutliche Überschüsse erzielen konnten, haben die letzteren seit vielen Jahren ein großes Minus zu verbuchen. Da diese Überschüsse in D, A und NL jedoch nur den Erfolgen im Export geschuldet sind, während die Inlandsnachfrage stagnierte, haben sich diese Erfolge nur in den Gewinnen, aber nicht in den Löhnen widergespiegelt. In GR, SP und P hingegen gab es eine hohe Inlandsnachfrage, die jedoch aufgrund der niedrigen Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie die Importe aus dem Ausland anheizte. In Portugal beträgt daher das Leistungsbilanzsaldo seit Jahren gut -10% des BIP. Auf diese Weise kann kein Land ein ausgeglichenes Budget erzielen, selbst wenn die öffentlichen Ausgaben moderat gehalten werden.

2008 kam dann die Finanz- und Wirtschaftskrise hinzu, die zu einem starken Einbruch der weltweiten Nachfrage führte und alle Staaten mit niedrigeren Steuernahmen und höheren Ausgaben für Bankenrettung, staatliche Investitionen zur Konjukturbelebung  und für die soziale Absicherung der gestiegenen Arbeitslosigkeit zusätzlich belastete. Während Länder wie Deutschland und Österreich aufgrund der Wettbewerbsvorteile in der Folge relativ gut durch die Krise kamen, führten diese Entwicklungen wegen des noch deutlicheren Auseinanderklaffens zwischen Einnahmen und Ausgaben in den südeuropäischen Ländern zu einer wahren Explosion des Defizits. Selbst Spanien, das vor der Finanzkrise sogar Budgetüberschüsse erzielte (jedoch nicht wegen der hohen Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie, sondern aufgrund eines gigantischen Immobilienbooms), musste die rasante Zunahme der Verschuldung binnen kurzer Zeit feststellen.

Da diese Verschuldung in den südeuropäischen Staaten im Unterschied zu Japan, das sich seit vielen Jahren in einer hartnäckigen Deflation befindet, gegenüber dem Ausland besteht, geraten diese Staaten ins Visier der internationalen Kapitalgeber. Diese verlangen, dass diese Staaten hohe Zinsen auf ihre Staatsanleihen zahlen und tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben vornehmen, d.h. bei den Gehältern der Beamten und bei den Sozialausgaben sparen, um das Defizit zu reduzieren und somit das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherzustellen. Die anderen Staaten der Europäischen Union dürfen dabei Schützenhilfe leisten, indem sie den Eurorettungsschirm mit garantierter Hilfeleistung in Milliardenhöhe spannen.

Was geschieht, wenn diese Forderungen der Finanzmarktlobby, der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds erfüllt werden? Wird sich dadurch das Defizit von Staaten wie Portugal tatsächlich reduzieren? Werden die südeuropäischen Staaten durch diese solidarische Hilfsaktion der EU vor dem Ruin gerettet und der Euro als starke Währung gesichert? Nein, letzen Endes werden die Staatsschulden der betroffenen Länder noch höher werden, da die Sparmaßnahmen die innerstaatliche Nachfrage und den Konsum verringern, was sich negativ auf die Staatseinnahmen auswirkt. Damit wird eine weitere Welle eingeleitet werden, die dem „Patienten“ endgültig den Garaus machen könnte. Vom Rettungsplan profitieren hingegen die Finanzinvestoren, die bestens an den Risikoaufschlägen für die Staatsanleihen verdienen und in Wirklichkeit kein Risiko eingehen, da die anderen EU-Staaten mit ihren Geldern für den Rettungsschirm für die Rückzahlung der Schulden garantieren.

Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, damit Länder wie Portugal tatsächlich langfristig ihre Schulden reduzieren können? Nun, dafür sind mehrere Weichenstellungen in betroffenen Ländern und auf europäischer Ebene notwendig. Auf nationaler Ebene ist zunächst vorrangig, dass die Nachfrage stabil gehalten und dabei die Staatseinnahmen nach Möglichkeit erhöht werden können. Dies kann durch Steuererhöhungen, die nicht die breite Masse, sondern die bisher von Steuerprivilegien profitierende Bezieher von hohen Einkommen betreffen geschehen. Insbesondere sollten die südeuropäischen Länder der ausgeprägten Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft den Kampf ansagen. Um die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu gewährleisten, sollten die Lohnsteigerungen eine niedrig  gehaltene Inflation nur wenig überschreiten.

Auf europäischer Ebene ist eine wirtschaftspolitische Harmonisierung dringlich umzusetzen, damit nicht länger ausgeprägte Handelsungleichgewichte die Defizitländer in die Zwickmühle bringen. Dazu muss der europäische Stabilitätspakt von der alleinigen Fixierung auf die Bekämpfung der Inflation abrücken und jene Länder, die sich durch Lohnzurückhaltung Wettbewerbsvorteile verschaffen, genau so ächten wie die Defizitsünder. Anzustreben ist für die Eurozone auch ein Ausgleichsmechanismus für sich aufschaukelnde Leistungsbilanzunterschiede, damit diese nicht einzelne Staaten in die Schuldenfalle treiben. Diesem Zweck könnte auch eine auf europäischer Ebene eingeführte Finanztransaktionssteuer dienen.


Notwendige Korrekturen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU

17. Januar 2011

Falsche Weichenstellungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik haben die Europäische Union in eine schwere Krise geführt. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Orientierung auf die Inflationsbekämpfung und die Verminderung der Staatsverschuldung gelegt. Wachstum und Beschäftigung sind dadurch auf der Strecke geblieben. Die rigorose Ausrichtung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf die Preisstabilität hat dazu geführt, dass das Wirtschaftswachstum zurückgegangen und im Gegenzug die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Dieses Regime hat dem Finanzkapital genützt, da durch die damit einhergehende Lohnzurückhaltung die Gewinne der Unternehmen gesteigert wurden. Den ArbeitnehmerInnen blieb andererseits immer weniger vom wachsenden Kuchen, da die Lohnquote sank. Da dadurch auch die Nachfrage gezügelt wurde, erlebte der Binnenkonsum eine Flaute. Zugewinne konnten für das produktive Kapital in der Folge nur über ein Exportwachstum erzielt werden. Ein solcher Exportwachstum ist im internationalen Handelsgeflecht jedoch nur möglich, wenn Handelspartner dafür einen Importüberschuss in Kauf nehmen. Sowohl auf europäischer Ebene als auch international sind somit große Ungleichgewichte in der Handels- und Leistungsbilanz entstanden. Länder wie China oder Deutschland hatten riesige Exportüberschüsse zu verbuchen (siehe dazu auch Heiner Flassbeck, Die Markwirtschaft im 21. Jahrhundert, München 2010). Länder wie die USA oder die südeuropäischen Länder mussten hingegen hohe Importüberschüsse in Kauf nehmen. Aufgrund der besonderen Stellung des Dollars als Weltleitwährung war dies für die USA lange Zeit ganz gut verkraftbar. Da die mit der Leistungsbilanzschwäche verbundene Verschuldung jedoch in starkem Ausmaße durch die Privathaushalte getragen wurde, musste die durch Spekulation zu einer Immobilienblase aufgeheizte Situation jedoch schließlich zusammenbrechen. Vor allem da eine riesige Menge von Kapital, das aufgrund der Schwäche des produktiven Sektors und aufgrund der Privatisierung der sozialen Absicherung die Veranlagung durch Investment- und Pensionsfonds zunehmend auf den Finanzmärkten nach Alternativen für die Erzielung lukrativer Renditen war, von luziferischen Investmentbankern im Zusammenspiel mit windigen Hypothekeninstituten, unvorsichtigen Versicherungen und zum Komplizen herangezogenen Ratingagenturen dazu verlockt wurde, in dieses hasardierende Spiel einzusteigen. Die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit etwa 80 Jahren war die Folge.

Sowohl in den USA als auch in Europa  wurde das internationale Finanzsystem durch staatliche Rettungsaktionen für die Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt. Nach dem Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft kamen die Staaten für kurze Zeit in einer vermeintlichen Renaissance des Keynesianismus ihrer Verpflichtung nach, durch umfangreiche Konjukturpakete Investitionsanreize zu schaffen und durch die Stützung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern, dass die Krise auch noch den Privatkonsum in den Keller fallen lässt und somit eine langwierige Rezession auf den Plan tritt. Doch schon nach kurzer Zeit erholten sich die Banken und anderen Finanzinstitutionen vom Schock der Krise und nahmen wieder ihre Retter ins Visier der neoliberalen Demontierung. So als wären nicht sie es gewesen, die die Weltwirtschaft an den Rande des Kollaps gebracht haben, brandmarkten sie die Staaten wegen der durch sie stark angestiegenen staatlichen Schulden als unverantwortliche Verschwender. Vor allem die Staaten Südeuropas, allen voran Griechenland, wurden mit perfiden Medienkampagnen unter Feuer gesetzt, um sich horrende Renditen auf dem Markt für Staatsanleihen zu sichern. Denn die Angst vor einem möglichen Staatsbankrott treibt die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe. Und die Gefahr, das geborgte Geld schließlich wegen tatsächlichem Bankrott zu verlieren, ist gering, da die EU-Staaten als Retter der Gläubiger auf den Plan treten. Anstatt nämlich die Ursache für das höhere Defizit in den südeuropäischen Staaten zu thematisieren (in Spanien liegt der Fall anders, da Spanien vor der Krise eine unterdurchschnittliche Verschuldung aufwies – hier ist das Platzen einer regionalen Immobilienblase verantwortlich), beschränkt sich die EU in Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds darauf, durch das Errichten eines monetären Schutzschirmes die Spekulation gegen die Defizitländer von der Erfolglosigkeit zu überzeugen. Die wahre Ursache für die hohen Defizite der südeuropäischen Staaten liegt nämlich nicht darin, dass diese Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern an den innereuropäischen Ungleichgewichten bei der Leistungsbilanz. An dieser sind jedoch nicht nur die Defizitstaaten schuld, sondern auch die Überschussländer, allen voran Deutschland. Denn Deutschland verschafft sich seit der Währungsunion und seit der Einführung des Euro als gemeinsamer Währung Vorteile gegenüber diesen Staaten im Export, indem es nicht parallel zu der Zielinflationsrate von 2% für eine angemessene Steigerung der Löhne sorgt (Inflation + Produktionssteigerung). Deutschland profitiert somit von niedrigen Lohnstückkosten durch Handelszugewinne. Und es empfiehlt zu allem Überfluss den Defizitstaaten auch noch, es ihm gleichzutun und bei den Löhnen und Sozialleistungen zu sparen. Wenn die Defizitländer jedoch diesen Ratschlag tatsächlich befolgen und mit Deutschland beim Lohndumping und Sozialabbau gleichziehen, dann verliert einerseits Deutschland seinen Vorteil; zweitens wird dadurch ganz Europa in die Rezession gestürzt, da durch flächendeckendes Sparen ausgelöste ganz Europa erfassende Konsumflaute die Wirtschaft nicht wachsen kann.

Was sind hingegen die richtigen Weichenstellungen, die in der EU getroffen werden müssen, damit die Krise gut bewältigt und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zum Wohle aller wieder erreicht werden kann (siehe dazu auch Jörg Huffschmid, Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 2002)?

  • Abkehr von der reinen Inflationsbekämpfung und Rückkehr zu einem Programm für Wachstum und Beschäftigung sowie antizyklische Konjunktursteuerung durch staatliche Investition
  • Strenge Regulierung der Finanzmärkte sowie Bekämpfung der Spekulation und Reduzierung der Wertpapierdynamik (z.B. Verbot von Leerverkäufen)
  • Regulierung des Bankensektors in Hinsicht auf die Rückkehr zu seinen Kernaufgaben (Investionsversorgung durch Kredite, langfristiger privater Vermögensaufbau)
  • Trennung von sozialen Sicherungssystemen und Kapitalmarkt durch Rückkehr zum Umlageverfahren
  • Stabilisierung der Wechselkurse und Schaffung von Währungskooperationen
  • Mehr Steuergerechtigkeit durch Vermögensbesteuerung, faire Besteuerung von Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen
  • Einführung einer Devisenumsatz- bzw. allgemeinen Finanztransaktionssteuer
  • Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zum Schutz vor spekulativen Attacken
  • Förderung des Umbaus der Produktion auf ökologische Nachhaltigkeit

Der Mathematiker auf Abwegen: Rudolf Taschner und die Sparpropaganda von Finanzminister Josef Pröll

13. Dezember 2010

In einem Video des Bundesministeriums für Finanzen erklärt der bekannte Mathematikprofessor der Technischen Universität Wien, Rudolf Taschner, den Zusehern, warum die Budgetkonsolidierung notwendig sei und weshalb wir alle sparen müssten. Ich möchte im Folgenden die Inhalte des Videos aufgreifen und aus volkswirtschaftlicher Sicht analysieren.

Der Zahlentheoretiker Taschner jongliert in diesem Video zunächst mit ein paar Zahlen: Da ist zunächst die unvorstellbar große Zahl 198.400.000.000. Auf diesen Wert beläuft sich nämlich die Gesamtverschuldung des österreichischen Staates. Darauf folgt die Zahl 23.700. Dies sei in Euro der aktuelle Wert der Prokopfverschuldung jedes Österreichers: vom Säugling bis zum Pensionisten.

Der Mathematiker Taschner mag auf den ersten Blick der ideale Mann sein, um dieses Thema zu veranschaulichen; sind Zahlen doch sein eigentliches Metier. Das Problem ist jedoch, dass die Zahl selbst für den Zahlentheoretiker von Interesse ist – die Anwendung der Zahlen in Wissenschaft und Wirtschaft sind nicht seine Sache. Also ist es für einen Mathematiker nicht ersichtlich, ob eine Verschuldung von 198,4 Mrd. Euro für ein Land wie Österreich hoch oder niedrig ist. Dazu muss man diese Zahl einerseits mit dem BIP vergleichen und sich andererseits die Relation zum BIP im Vergleich mit anderen Ländern ansehen. Nun, das österreichische BIP betrug 2009 274,3 Mrd. Euro, d.h. die Verschuldung beträgt etwa 72% des BIP (eigentlich weniger da 2010 das BIP wieder leicht steigen wird). Im EU-Durchschnitt betrug 2009 die Verschuldung etwa 74% des BIP, in der Eurozone sogar etwa 79%. Griechenland hatte 115%, die USA 83%, Japan sogar 189%. Wie man sieht, ist der Wert also im internationalen Vergleich durchaus als erfreulich anzusehen. Freilich ist er 2009 und 2010 aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise stark angestiegen. Aber das ist historisch betrachtet nichts Ungewöhnliches, sondern eine normale Erscheinung in der Folge einer Wirtschaftskrise. In Zeiten der Hochkonjunktur können solche Schulden problemlos wieder reduziert werden.

Die 23.700 Euro Prokopfverschuldung müssen außerdem auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass der österreichische Staat nicht nur Schulden hat, sondern auch Werte in Form von öffentlichem Eigentum. Dazu kommt, dass im Unterschied zum Privathaushalt Schulden von Unternehmen oder Staaten volkswirtschaftlich auch als Investitionen in Zukunft gesehen werden müssen, die die Voraussetzungen für höhere Wertschöpfung schaffen. Ausgaben für Bildung und Forschung sind solche Investitionen, die später für höhere Einnahmen sorgen und daher nicht nur als Kosten gesehen werden dürfen.

Als nächstes verwandelt sich in den Händen Taschners eine Eineuromünze in ein Tortendiagramm, das darstellt, welche Anteile wofür im österreichischen Budget aufgewendet werden: 36% für Soziales, 17% für Bildung, 14% für die Verwaltung, 8% für den Verkehr, 7% für die Sicherheit usw. Besonders hervorgehoben werden jedoch jene ca. 11,4%, die für den Schuldendienst aufgewendet werden. Denn Taschner fragt sich anschließend, was wäre, wenn wir diese 11,4% für den Schuldendienst nicht leisten müssten, weil wir gar keine Schulden haben. Die nächste Grafik gibt die vermeintliche Antwort: es bliebe mehr für alle anderen Bereiche des Budget: d.h. wir hätten mehr für Soziales, Bildung usw. Verbal ergänzt Taschner auch noch, dass dann sogar die verlockende Möglichkeit bestünde, dass wir alle weniger Steuern zahlen müssen.

Zu den Zahlen der Budgetaufteilung ist zu ergänzen, dass es Aufgabe des Staates ist, mit seinen Steuereinnahmen öffentlich wichtige Aufgaben wahrzunehmen. Das sind z.B. die innere und äußere Sicherheit, die soziale Absicherung, Ausbau und Erhaltung der Infrastruktur, Investitionen in Forschung und Bildung usw. Der Schuldendienst ist tatsächlich ein Sonderfall der staatlichen Ausgaben, da dieser mit keiner unmittelbaren Leistung für die Bürger verbunden ist. Man muss jedoch ergänzen, dass Schulden von Staaten dadurch entstehen, dass die Einnahmen nicht die notwendigen Ausgaben abdecken, sodass sich der Staat an den Finanzmärkten verschulden muss. Also ist es eine verkürzte Darstellung, wenn man sagt, der Schuldendienst schmälere die Leistungen des Staates. Denn die Schulden werden ja aufgenommen, um mehr Geld für die Staatsausgaben zur Verfügung zu haben. Wenn nämlich ein Staat während einer Wirtschaftskrise sich nicht verschuldete, hätte er nicht genügend Mittel, um alle notwendigen Sozialleistungen und Investitionen in die Ankurbelung der Konjunktur zu tätigen. Wir alle hätten dadurch weniger und aufgrund der negativen Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung würde sich dies Jahr für Jahr noch schlimmer auswirken. Daher sind Schulden von Staaten nicht generell zu verdammen, sondern sie sind in Krisenzeiten ein notwendiges Übel, um die richtigen Impulse für die Zukunft zu setzen.

Als wäre der derzeitige Schuldendienst noch nicht abschreckend genug, warnt Taschner in der nächsten Szene des Videos vor einer Zunahme der Schulden und den damit verbundenen höheren Zinsleistungen. Um das Ganze drastischer zu machen, wird die Steigerung der Schuldenlast von 8 auf 9 Milliarden jährlich grafisch stark übertrieben: der Balken wächst im Bild nicht um ein Achtel, sondern wächst bedrohlich über den Bildrand hinaus, während der Balken der nutzbaren Budgetmittel schrumpft und schrumpft.

Abgesehen von der stark überzeichneten grafischen Darstellung wird hier ein ernstes Problem der gegenwärtigen Schuldenfinanzierung angesprochen. In den Zeiten guter Konjunktur konnten früher die Schulden des Staates durch höhere Steuereinnahmen wieder (fast) problemlos abgebaut werden. In den 70ern des letzten Jahrhunderts konnten die Staaten ihre Schulden überhaupt mehr oder weniger weginflationieren, d.h. aufgrund der Inflation waren die Zinsen für die Schuldner kaum spürbar. Dieser Schuldenabbau ist deshalb heute schwieriger geworden, da sich in den letzten 20 Jahren die Realzinsen deutlich erhöht haben. Viele Jahre einer neoliberalen Hegemonie in der Finanzpolitik im Dienste der Geldvermögen haben nämlich zu einer Trendumkehr bei den Zinsen geführt. Die Zentralbank in Europa, aber auch (in geringerem Ausmaße) die FED in den USA betreiben eine Hochzinspolitik, die die Inflation eindämmt und Kredite teuer macht. Also sind Schulden nicht generell ein Problem für die Staaten, sondern sie werden unter diesen ungünstigen Voraussetzungen für die Geldaufnahme erst zu einem solchen.

Als nächstes wird von Taschner die Verschuldung im europäischen Vergleich dargestellt: Österreich liege hier im EU-Ranking an 18. Stelle, d.h. 17 Staaten stünden hier besser da als wir. Zum Abschluss des Videos  tritt Josef Pröll hinzu und warnt gemeinsam mit Taschner, Österreich könne es, wenn nun nicht gespart werden, wie einem privaten Schuldner ergehen, der eine schlechte Bonität hat und deshalb keinen Kredit mehr bekommt oder einen hohen Risikoaufschlag zahlen muss. Um diese Bedrohung zu veranschaulichen,  erinnert Pröll an das Schicksal von Griechenland und Irland, die schon so weit seien, dass sie als Staaten nicht mehr selbstbestimmt handeln können, sondern von der EU und dem IWF Hilfe benötigen.

Wie wir schon zuvor aufgezeigt haben, steht Österreich bei der Verschuldung relativ gut da, obwohl das Video mit seinem Ranking einen anderen Eindruck erzeugen möchte. Das vom Finanzminister an die Wand gemalte Szenario des Schuldners mit schlechter Bonität, ist heute tatsächlich gegeben. Dies ist jedoch (hauptsächlich) nicht die Schuld der Staaten, die stets als die verlässlichsten Schuldner galten, sondern die Folge einer völlig irrationalen Reaktion der Finanzmärkte. Diese verlangen nämlich in Reaktion auf die Finanzkrise, die vom Finanzsektor durch organisierte Verantwortungslosigkeit verursacht wurde und nur durch die Finanzspritzen und Garantien der Staaten bereinigt werden konnte, nun von kleinen Staaten hohe Risikoaufschläge für das geliehene Geld. Begründet wird diese Forderung mit der vermeintlich hohen Staatsverschuldung dieser Staaten, die die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit in sich berge. Als es darum ging, damit ihre Haut zu retten, waren den Finanzmärkten die Staatsschulden mehr als genehm. Jetzt, wo es darum geht, den Karren der Weltwirtschaft  aus dem Dreck des Konjunktureinbruchs zu ziehen und nicht die Bevölkerung für die Krise zahlen zu lassen, malen die Finanzmärkte den Teufel der Überschuldung der Staaten an die Wand. Und durch harte Einschnitte bei den Staatsausgaben soll bei denen gespart werden, die weder Finanz-, noch Wirtschaftskrise verursacht haben: die ArbeitnehmerInnen und ihre Familien.

Dies ist der falsche Weg. Jetzt ist es zunächst wichtig, dass die langsam in Schwung kommende Konjunktur nicht durch Sparmaßnahmen, die den Konsum einschränken, abgewürgt wird. Wenn schon jetzt eine Budgetkonsolidierung gemacht werden soll, dann kann dies durch einen höheren Beitrag von Vermögen und Kapitalzuwächsen geschehen. Denn diese Maßnahmen gefährden nicht das Wirtschaftswachstum, sondern vermindern lediglich jene Geldmenge, die ohnehin nur in die Spekulation fließen würde. Wenn wir in 2 bis 3 Jahren wieder eine Hochkonjunktur haben und die Einkommen aller dadurch merkbar steigen, dann können auch Steuererhöhungen, die die breite Masse betreffen, zur Konsolidierung herangezogen werden.


Stephan Schulmeister: Mitten in der Krise – Ein „New Deal“ für Europa:

17. Juni 2010

Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Armut und Klimawandel „im Ganzen“ bekämpfen.

Im – langsam untergehenden – Zeitalter des Neoliberalismus halten sich Ökonomen und Wirtschaftspolitiker bei der Diagnose von Problemen an zwei Grundsätze. Erstens: „Wo ein Problem in Erscheinung tritt, dort liegen auch seine Ursachen“. Zweitens: Jedes der großen Probleme wie Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit oder Klimawandel wird isoliert betrachtet und bedarf dementsprechend einer „Spezialtherapie“.

Zwei Beispiele verdeutlichen diese „arbeitsteilige“ Sichtweise. Beispiel 1: Die Hauptgründe für hohe Haushaltsdefizite und steigende Staatsverschuldung sind übermäßige Staatsausgaben und die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung. Beispiel 2: Die Hauptursachen hoher Arbeitslosigkeit bestehen in übermäßigen Lohnkosten und überregulierten Arbeitsmärkten.

Diesen (Symptom)Diagnosen entsprechen die (Symptom)Therapien. Im Hinblick auf die Staatsfinanzen wird verordnet: Der Staat soll durch (Maastricht)Regeln zu Disziplin verhalten werden, er soll seinen Haushalt durch Sparen konsolidieren und sich durch umfassende Privatisierungen aus der Wirtschaft zurückziehen. Arbeitslosigkeit soll bekämpft werden durch Reduktion der Reallöhne, durch geringere Lohnnebenkosten, durch „Senkung der Anreize zur Arbeitslosigkeit“ (Kürzung von Arbeitslosengeld, etc.), sowie durch die Schaffung atypischer Beschäftigungsverhältnisse.
Tatsächlich sind die großen Probleme wie Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und (damit) der Entfaltungschancen oder die Umweltverschlechterung gemeinsam angewachsen in einem langen Entwicklungsprozess. Dieser Prozess wurde immer stärker von neoliberalen Leitlinien geprägt, verbunden mit einer Verlagerung der kapitalistischen „Kernenergie“, des Profitstrebens, von real- zu finanzwirtschaftlichen Aktivitäten.
Strategien zur Bewältigung der gesellschaftlichen Hauptprobleme müssen diese Transformation vom Realkapitalismus der 1950er bis 1970er Jahre zum Finanzkapitalismus der vergangenen drei Jahrzehnte berücksichtigen, also eingebettet sein in den Prozess des polit-ökonomischen Entwicklungszyklus. Seine letzte Talsohle wurde durch die große Depression der 1930er Jahre und den Zweiten Weltkrieg geprägt. Das Lernen aus der Krise ermöglichte die realkapitalistische Prosperitätsphase: Anhaltende Vollbeschäftigung und der stetige Ausbau des Sozialstaats stärkten Gewerkschaften und Sozialdemokratie, gleichzeitig „drifteten“ die Intellektuellen nach links, die Vermögenden gerieten gesellschaftspolitisch in die Defensive, die Losungen des Neoliberalismus wurden für sie (wieder) attraktiv. Die schrittweise „Ent-Fesselung“ der Finanzmärkte nach neoliberaler Rezeptur seit Anfang der 1970er Jahre verlagerte das Gewinnstreben von Real- zu Finanzinvestitionen und prägte so die finanzkapitalistische Abschwungsphase der vergangenen drei Jahrzehnte.
Während der Realkapitalismus durch seinen Erfolg zu Grunde gegangen war, geht nun der Finanzkapitalismus an seinem Misserfolg zu Grunde – die Krise ist die große Frucht nach neoliberaler Blüte. Fazit: Das Ende der Sackgasse ist erreicht und damit der Anfang einer neuen Talsohle im „langen Zyklus“.
Um möglichst frühzeitig aus der Krise zu lernen und diese so zu verkürzen, bedarf es eines wirtschafts- und sozialpolitischen Gesamtkonzepts, insbesondere für die EU. Denn in Europa hat sich der „neoliberale Smog“ in den Köpfen der Eliten besonders stark ausgebreitet. Gleichzeitig verstärkt die Krise die Spannungen innerhalb der Union, was wiederum alte Feindbilder zum Leben erweckt, innerhalb der einzelnen Länder (Inländer versus Ausländer) ebenso wie zwischen den Ländern (Mitteleuropa versus „Club Med“). In einer hartnäckigen Krise wird sich auch manches Gespenst der europäischen Geschichte wieder beleben lassen.
Fazit: Ein „New Deal“ für Europa ist nicht nur zur Bewältigung der ökonomischen Hauptprobleme „im Ganzen“ nötig, sondern auch zur Stärkung des sozialen und europäischen Zusammenhalts.

Hauptthesen des Essays

Ich möchte in diesem Papier folgende Thesen begründen und ihre Bedeutung am Beispiel der Konsolidierung der Staatsfinanzen erläutern.

These 1: Die „gängigen“ Symptomdiagnosen und -therapien sind eingebettet in die neoliberale Welt-Anschauung und damit Teil der langfristigen „Produktion“ der großen Probleme Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Armut und Umweltverschlechterung. Die Leugnung des „Gemeinschaftlichen“ („there is no such thing as society“), die Diskreditierung des Staates als „Feind der Bürger“ (er ist auch „unser Verein“), die Vernachlässigung der Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Umwelt und in den sozialen Zusammenhalt, all dies hat den Unternehmen und Arbeitnehmern schweren Schaden zugefügt. Noch größer war der Schaden für die Produzierenden durch die „Ent-Fesselung“ der Finanzmärkte und damit durch die Verlagerung des Gewinnstrebens von real- zu finanzwirtschaftlichen Aktivitäten.

These 2: Diese Entwicklung war unvermeidlich. Denn der Neoliberalismus ist die Ideologie im Interesse des Finanzkapitals, nicht des Realkapitals. Die Losungen gegen Sozialstaat und Gewerkschaften haben die Unternehmer(vertreter) schon vor langer Zeit dazu „verführt“, den Neoliberalismus als „ihre“ Ideologie zu „adoptieren“. Dies hat ihnen sehr geschadet, besonders den Klein- und Mittelbetrieben. Gleichzeitig haben die anwachsenden Probleme und ihre „Behandlung“ durch „sparpolitische“ Schwächung des Sozialstaats und „Atypisierung“ der Beschäftigung das Verhältnis zwischen den Sozialpartnern verschlechtert. Die Interessen des Finanzkapitals können sie nicht als ihren gemeinsamen Gegner erkennen, weil (fast) jeder selbst Finanzkapital besitzt.

These 3: Eine Essenz des Finanzkapitalismus besteht darin, dass Finanzaktiva „geschaffen“ werden, die keine realwirtschaftliche Deckung haben. Zunächst geschah dies durch Aktienbooms, dann durch Kreditvergabe an nahezu mittellose „Häuslbauer“. Als der „fiktive“ Charakter der Finanzforderungen durch den Verfall von Aktienkursen und Immobilienpreisen offenbar wurde, begann sich der Staat als „Ersatzbank“ zu betätigen, nahm Geld auf und gab es den richtigen Banken – das Problem unzureichender Deckung wurde nur verschoben. Wenn nun EZB und EU durch Schaffung eines Rettungsfonds Griechenland, und danach Portugal und Spanien und Italien beistehen, wird das Problem weiter geschoben. Eine nachhaltige Lösung kann nur darin bestehen, dass die Staaten in die Lage versetzt werden, ihre Schulden zu bedienen. Dies setzt ein stabiles und merkliches Wirtschaftswachstum voraus, also eine Verlagerung des Gewinnstrebens von der Finanz- zur Realwirtschaft, einen „New Deal“ als nachhaltigen „Anschub“ und eine Abkehr vom „Weltbild“ der letzten Jahrzehnte.

These 4: Die schwierigste Phase der großen Krise liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Ein neuerlicher Rückgang der Aktienkurse bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit, leeren Staatskassen und zunehmendem Zweifel an der realen Deckung der Staatschulden wird ohne kluge Gegensteuerung dazu führen, dass alle Sektoren versuchen, ihre Lage durch Sparen abzusichern: Unternehmer, Haushalte, Ausland und Staat. Das ist der Stoff, aus dem ökonomische Depressionen gemacht sind. In einer solchen Situation muss der Staat der Realwirtschaft nachhaltige Impulse geben, gleichzeitig aber auch seine Finanzlage stabilisieren. Dafür gibt es nur einen Weg: Er muss den Einkommensstärksten, insbesondere den Besitzern großer Finanzvermögen, spürbare Konsolidierungsbeiträge abverlangen, und zwar nicht aus sozialen, sondern aus „technisch-makroökonomischen“ Gründen: Die „Finanzrentiers“ reagieren darauf nicht mit einer Einschränkung ihres Konsums, sondern ihres Sparens.

These 5: Mit einem Teil dieser Mittel sollen jene Probleme energisch angegangen werden, die in den vergangenen 20 Jahren vernachlässigt wurden. Dazu gehören insbesondere die Verbesserung der Umweltbedingungen, von einer „generalstabsmäßigen“ thermischen Gebäudesanierung über die Erneuerung der Energieversorgung bis zur Ökologisierung von Industrieprodukten wie der Förderung von Elektroautos (all dies würde den Unternehmen zusätzliche Aufträge bringen). Ein weiterer Schwerpunkt besteht in massiven Investitionen ins Bildungswesen (einschließlich Vorschulbereich), insbesondere zur Verbesserung der Qualifikation von Kindern mit Migrationshintergrund und der Bedingungen an den Universitäten. Den dritten Schwerpunkt bilden alle Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts, von einer Verbesserung der Entfaltungschancen junger Menschen (insbesondere im Bereich Wohnen und Arbeit) über eine aktive Armutsbekämpfung bis zu einer Organisation der Altenbetreuung, welche den Standards eines modernen Sozialstaats entspricht.

These 6: Es liegt im eigenen Interesse der Besitzer der (großen) Finanzvermögen, in der jetzigen Situation spürbare Konsolidierungsbeiträge zu leisten, um dem Staat eine nachhaltige Ankurbelung der Realwirtschaft zu ermöglichen. Für die „Reichen an Geld“ (Rentiers) ist dies viel wichtiger als für die „Reichen an Realkapital“ (Unternehmer), da erstere den größten Teil der Staatsanleihen halten (direkt oder indirekt in Form von Investitions- oder Pensionsfonds). Die „Deckung“ der Staatsanleihen besteht nämlich im künftigen Wirtschaftswachstum und den daraus erfließenden Staatseinnahmen sowie den dadurch vermiedenen Sozialausgaben.

These 7: Wenn die „Reichen an Geld“ darauf bestehen, dass der Staat seine Schulden an sie durch eine wachstumsdämpfende Verringerung der Staatsausgaben abzahlt, dann verlangen sie eine logische Unmöglichkeit. Den Arbeitnehmern muss nämlich zuerst die Chance gegeben werden, gemeinsam mit den Unternehmern die Schulden des Staates gegenüber den „Reichen an Geld“ abzutragen. Wenn nicht, wäre ein partieller Staatsbankrott, im „optimalen“ Fall eine gemeinsam von allen EU-Staaten koordinierte Umschuldung (= Ausgleichsverfahren) unvermeidlich. Dann werden die „Finanzrentiers“ viel mehr verlieren als wenn sie jetzt kräftig zur Konsolidierung beitragen.

These 8: Das politische Haupthindernis für eine Stärkung der Realwirtschaft besteht darin, dass Unternehmen/Unternehmer wie Arbeitnehmer auch (kleine) „Reiche an Geld“ sind. In ihrer Eigenschaft als „Finanzrentiers“ werden sie sich gegen Konsolidierungsbeiträge wehren (die großen wie SIEMENS ebenso wie die „kleinen Sparer“). Sie begreifen nicht, dass ihre Beiträge als Teil einer expansiven Gesamtstrategie ihnen selbst in ihrer Eigenschaft als Unternehmer oder Arbeitnehmer nützen würden.

These 9: Ist der „Schock“ am Beginn einer Krise vorbei, so regieren die Eliten mit dem Versuch, das Unangenehme zu verleugnen oder zu verdrängen. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Sicherheit. Beides stärkt die Tendenz, zum „status quo ante“ zurückzukehren, also jene Bedingungen wieder herzustellen, welche vor der Krise herrschten. Dieses paradoxe Verhaltensmuster – es haben ja eben diese Bedingungen zum Heranwachsen der Krise beigetragen – steht einem Lernen aus der Krise entgegen. Die Abkehr der Eliten von ihren unter „Schockeinwirkung“ gemachten Reformversprechen und der Übergang zu „Wir machen weiter wie vorher“, verdeutlicht dieses Lernhemmung. Genau deshalb vertieft sich die Systemkrise und verstärkt den „Leidensdruck“ – allerdings bei den sozial Schwachen und nicht bei den (ökonomischen) Eliten, deren Nach-Denken eine Überwindung der Krise ermöglichen würde. Überdies sind Tempo und Gründlichkeit des Lernens bei den ökonomischen Eliten aus einem zweiten Grund schwach ausgeprägt: Es fällt ihnen besonders schwer, sich von der alten Weltanschauung und den darauf basierenden Modellen zu lösen.

These 10: In einer hartnäckigen Krise nimmt die Tendenz des „Rette sich wer kann“ auch im Verhältnis der Länder zueinander zu. Mehrere Faktoren werden die „Zentrifugalkräfte“ in der EU stärken: Die Länder haben umso weniger Möglichkeit, die Folgen der Krise zu bekämpfen, je geringer ihr wirtschaftliches Entwicklungsniveau und je „prekärer“ daher die soziale Lage der Menschen ist. Denn diese Länder zahlen für die öffentlichen Schulden viel höhere Zinsen als die „reichen“ Länder wie Deutschland. Auch sind die einzelnen EU-Länder durch ein „Gefangenendilemma“ quasi gelähmt: Betreibt jedes einzelne Land eine expansive Politik, so fließen gut 50% der Impulse ins Ausland. Machen alle EU-Länder dies gemeinsam, so stärken sie sich wechselseitig. Gleichzeitig muss die expansive Gesamtstrategie in den Ländern mit (hohen) Leistungsbilanzüberschüssen und relativ günstiger Lage der Staatsfinanzen stärker ausgeprägt sein als in den „Problemländern“. Fazit: Gebraucht wird das Konzept eines koordinierten „New Deal“ für Europa und ein „leadership“ der PolitikerInnen, dieses umzusetzen.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Stephan Schulmeister, den ich hier freundlicherweise abdrucken durfte.

Stephan Schulmeister
Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa

Picus Verlag
Edition Gesellschaftskritik, Band 7
160 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-85452-586-8
9,90 Euro inkl. MWSt.

Der Titel ist auch in der Buchhandlung des ÖGB Verlags erhältlich.


Die große Chance für die SPÖ in der aktuellen Situation: ein gerechtes Steuersystem

15. Mai 2010

Die SPÖ befindet sich im Vorfeld des Bundesparteitages im Juni 2010 in einer sehr schwierigen Situation. Es liegt eine Reihe von sehr mäßigen Wahlerfolgen auf europäischer und auf Landesebene hinter ihr. Daran ändert auch der Erfolg der Wiederwahl von Bundespräsident Heinz Fischer nichts, da er angesichts einer Gegnerschaft erzielt wurde, die schon von vorneherein nicht mehrheitsfähig war. Und nach den Wahlen in Burgenland Ende Mai stehen mit Steiermark und Wien zwei besonders wichtige Wahlentscheidungen im Herbst bevor, die nicht verloren werden dürfen. Dazu kommt, dass die SPÖ in der Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene seit Beginn den Eindruck nicht zerstreuen kann, sie könne sich mit ihren Forderungen kaum durchsetzen und müsse ständig dem Koalitionspartner allzu große Zugeständnisse einräumen. Vor allem aber steht der SPÖ im Schatten der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr als 70 Jahren mit der Herausforderung einer Budgetkonsolidierung, die nicht zu Lasten der Mehrheit der Werktätigen gehen darf und die nicht die noch immer schwächelnde Konjunktur abwürgen darf, eine fast unlösbare Aufgabe bevor. Die Situation ist schwierig, aber nicht hoffnungslos.

Die österreichische Sozialdemokratie kann alle diese Herausforderungen mit Bravour meistern. Dazu muss sie jedoch sofort entschlossen handeln und den Kurs der letzten 25 Jahre radikal ändern. Denn seit vielen Jahren ist die SPÖ zunehmend von ihren Wurzeln entfremdet. Um nämlich den Eindruck staatspolitischer Verantwortlichkeit zu erwecken und um grundsätzlich für alle Wählergruppen wählbar zu sein, hat die SPÖ darauf verzichtet, sich als jene Partei zu präsentieren, die die Interessen der ArbeitnehmerInnen vertritt. Das mag auf den ersten Blick klug erscheinen, da damit die Zahl der potentiellen Wähler sich erhöht hat. Wenn nicht nur die unselbstständig Erwerbstätigen als Wähler in Frage kommen, sondern auch Selbstständige, Unternehmer, Beamte und Bauern, dann werden scheinbar alle Wahlberechtigten in Österreich angesprochen. Doch tatsächlich war die Folge dieser Strategie, dass sich die Kernschichten der Sozialdemokratie, nämlich die ArbeitnehmerInnen mit kleinen und mittleren Einkommen immer weniger davon überzeugen ließen, dass die SPÖ ihre Interessen vertritt und deshalb zu wählen sei.
Der einzige Ausweg, den ich für die SPÖ in dieser verzwickten Situation sehe, ist daher die mutige Rückkehr zu ihren Wurzeln. Die Sozialdemokratie muss wieder den Werktätigen in diesem Land überzeugend vermitteln, dass sie ihre – und nur ihre – Interessen vertritt. Wenn ihr das gelingt, dann braucht die SPÖ auch keine Angst vor den nächsten Wahlentscheidungen haben. Denn die große Mehrheit der Wahlberechtigten ist unselbstständig erwerbstätig bzw. beziehen eine kleine oder mittlere ASVG-Pension. Das Wählerpotential für die SPÖ beträgt an die 4,5 Millionen Menschen! Also selbst wenn sich am Ende nur 80% dieses Potentials am Wahltag ausschöpfen lassen, ergibt das immer noch eine klare absolute Mehrheit für die Sozialdemokratie.
Wenn die SPÖ also endlich die Entschlossenheit aufbringt, die Interessen der Werktätigen in der Regierung, im Parlament und in den öffentlichen Auftritten ihrer Repräsentanten kompromisslos zu vertreten, dann hat sie keine Wahlen zu fürchten und sie kann das Joch einer sie lähmenden Koalition mit der ÖVP abschütteln, um die Freiräume der politischen Gestaltungsmöglichkeiten auf Grundlage einer absoluten parlamentarischen Mehrheit auszukosten.
Dazu muss sie nur eines tun: Unverrückbar darauf beharren, dass zur Budgetsanierung und zur langfristigen Sicherung unseres Sozial- und Bildungssystems sowie zur Entlastung des Faktors Arbeit auch jene Teile unserer Gesellschaft heranzuziehen sind, die die Krise (mit)verursacht haben bzw. seit vielen Jahren keinen angemessenen Beitrag zur Finanzierung einer solidarischen und gerechten Gesellschaft beitragen: die Vermögenden durch eine Vermögenssteuer mit hohen Freibeträgen und durch eine Kapitalertragsteuer, die Stiftungen und Börsengewinne nicht in ungerechter Weise privilegiert; die durch den Staat vor dem Zusammenbruch geretteten Banken durch eine Bankenabgabe; die großen Unternehmen durch die Leistung einer angemessenen Körperschaftsteuer, die den europaweiten Steuerwettbewerb ein Ende macht und nicht durch die Gruppenbesteuerung marginalisiert wird; die durch Deregulation aus dem Lot geratenen Finanzmärkte durch eine europaweite Finanztransaktionssteuer bzw. im Falle eines Scheiterns derselben durch eine lokale Börsenumsatzsteuer.


Vermögensabhängige Steuern sind höchst an der Zeit!

26. April 2009

Nachdem sich Bundeskanzler Faymann beim 64. Landeskongress der Wiener SPÖ nun doch der Forderung des ÖGB nach einer Vermögenszuwachssteuer und einer europäischen Finanztransaktionssteuer angeschlossen hat, kam sofort von Seiten des Finanzministers eine kategorische Ablehnung. Pröll sagte am Rande der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington, er sei strikt dagegen, in einer Phase, in der die Menschen durch die Steuerreform entlastet würden und die Konjunktur ganz andere Signale brauche, über neue Steuern zu diskutieren. Was ist davon zu halten?

Zum Einen ist festzuhalten, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Denn Faymann hatte sofort klargestellt, er wolle weder den Großmüttern noch den HäuslbaVermögensbesteuerung in Österreichuern etwas wegnehmen. „Keine höhere Steuern für die Mittelschichten dieses Landes.“Es geht somit nicht um eine zusätzlich Belastung der mittleren Einkommen, die durch Arbeit erzielt werden. Vielmehr sollen jene zur Kasse gebeten werden, die sich seit vielen Jahren in immer geringerem Ausmaß am Steueraufkommen in Österreich beteiligen.

Zum Anderen sieht es in Österreich in Bezug auf Steuergerechtigkeit sehr traurig aus. Sehen wir uns nämlich an, wie die Verteilung der Steuerlast in Österreich sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. „Die Besteuerung der Unternehmensgewinne liegt deutlich unter dem EU-Schnitt, und Vermögen werden in keinem andern Industrieland so gering besteuert wie hierzulande … Der Beitrag der Steuern auf das Vermögen zur Staatsfinanzierung hat sich in den letzten 30 Jahren um 2/3 verringert, obwohl die Vermögen sehr stark angewachsen sind. Konkret wurde 1993 die Vermögensteuer abgeschafft, die Einheitswerte von Grundstücken, die als Grundlage für die Besteuerung dienen, wurden seit 1983 nicht mehr angepasst und entsprechen nur einem Zehntel der Marktpreise. Die 1993 geschaffene Rechtsform der „Privatstiftung“ ermöglicht es, dass in Österreich ausgerechnet die Reichsten die geringsten Steuersätze auf ihre Einkommen zahlen. Würden die Vermögens- und Gewinnsteuern nur so viel zur Staatsfinanzierung beitragen wie im EU-Durchschnitt, dann hätte Österreich in den letzten Jahren rund 7 Milliarden Euro pro Jahr mehr eingenommen und damit satte Budgetüberschüsse – Sozialleistungen müssten nicht gekürzt werden (Datenquelle: OECD Revenue Statistics).“ (Attac Austria) Und wie sieht es demgegenüber mit der Steuerleistung auf den Faktor Arbeit aus? „EU-Kommissar Mario Monti hat 1998 vorgerechnet, dass in der EU die durchschnittliche Besteuerung von Arbeit in den letzten 15 Jahren von 35 auf 42% angestiegen ist (während die Kapitalbesteuerung von 45 auf 35% zurückging). In Österreich ist die Scherenentwicklung noch krasser: Der Anteil der Unternehmensgewinnsteuern am Gesamtsteueraufkommen hat sich seit 1965 von 27 auf 14% halbiert. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen von 10 auf 30% verdreifacht.“ (Attac Austria)

Die Einwände von Seiten vieler ÖVP-Politiker (Ernst Strasser, Günter Stummvoll, Karlheinz Kopf), es solle der Mittelstand gemolken werden, gehen somit völlig an der Sache vorbei! Sie sollen wohl davon ablenken, dass es endlich an der Zeit ist, der beschämenden Fehlentwicklung in der Steuerpolitik über Jahrzehnte entgegenzuwirken. Und gerade jetzt, wo angesichts der Weltwirtschaftskrise überall Konjunkturpakete geschnürt werden, um jene Rezession anzufedern, in die die Realwirtschaft aufgrund von skrupellosen Zockern auf den Finanzmärkten geschlittert ist, führt kein Weg daran vorbei, nicht jene noch mehr zu belasten, die ohnehin schon zum Handkuss kommen, weil sie von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Nulllohnrunden oder Lohnverzicht betroffen sind. Vielmehr ist es höchste Zeit, dass Kapital und Vermögen einen angemessenen Beitrag zu einem funktionierenden solidarischen Sozialstaat leisten, der jenen unter die Arme greift, die in einer Welt frei flottierenden Finanzkapitals nicht das Glück haben, durch Hedge Fonds unverschämt reich zu werden – und kleine Volkswirtschaften in eine Krise zu stürzen – oder Kleinanlegern durch falsche Versprechungen das Geld aus der Tasche zu ziehen und durch Partly-Paid-Shares auch noch Zertifikationsscheine herausgeben, die über mehrere Firmen mit dem Geld von Anlegern zurückgekauft werden, um den Kurs der Papiere hochzuhalten. Und so werden zu guter Letzt endlich auch jene zur Kasse gebeten, die sich durch Subprime-Darlehen eine goldene Nase verdienen wollten und die Weltwirtschaft durch das Platzen der Immobilienblase in ein Desaster gestürzt haben.