Notwendige Korrekturen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU

17. Januar 2011

Falsche Weichenstellungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik haben die Europäische Union in eine schwere Krise geführt. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Orientierung auf die Inflationsbekämpfung und die Verminderung der Staatsverschuldung gelegt. Wachstum und Beschäftigung sind dadurch auf der Strecke geblieben. Die rigorose Ausrichtung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf die Preisstabilität hat dazu geführt, dass das Wirtschaftswachstum zurückgegangen und im Gegenzug die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Dieses Regime hat dem Finanzkapital genützt, da durch die damit einhergehende Lohnzurückhaltung die Gewinne der Unternehmen gesteigert wurden. Den ArbeitnehmerInnen blieb andererseits immer weniger vom wachsenden Kuchen, da die Lohnquote sank. Da dadurch auch die Nachfrage gezügelt wurde, erlebte der Binnenkonsum eine Flaute. Zugewinne konnten für das produktive Kapital in der Folge nur über ein Exportwachstum erzielt werden. Ein solcher Exportwachstum ist im internationalen Handelsgeflecht jedoch nur möglich, wenn Handelspartner dafür einen Importüberschuss in Kauf nehmen. Sowohl auf europäischer Ebene als auch international sind somit große Ungleichgewichte in der Handels- und Leistungsbilanz entstanden. Länder wie China oder Deutschland hatten riesige Exportüberschüsse zu verbuchen (siehe dazu auch Heiner Flassbeck, Die Markwirtschaft im 21. Jahrhundert, München 2010). Länder wie die USA oder die südeuropäischen Länder mussten hingegen hohe Importüberschüsse in Kauf nehmen. Aufgrund der besonderen Stellung des Dollars als Weltleitwährung war dies für die USA lange Zeit ganz gut verkraftbar. Da die mit der Leistungsbilanzschwäche verbundene Verschuldung jedoch in starkem Ausmaße durch die Privathaushalte getragen wurde, musste die durch Spekulation zu einer Immobilienblase aufgeheizte Situation jedoch schließlich zusammenbrechen. Vor allem da eine riesige Menge von Kapital, das aufgrund der Schwäche des produktiven Sektors und aufgrund der Privatisierung der sozialen Absicherung die Veranlagung durch Investment- und Pensionsfonds zunehmend auf den Finanzmärkten nach Alternativen für die Erzielung lukrativer Renditen war, von luziferischen Investmentbankern im Zusammenspiel mit windigen Hypothekeninstituten, unvorsichtigen Versicherungen und zum Komplizen herangezogenen Ratingagenturen dazu verlockt wurde, in dieses hasardierende Spiel einzusteigen. Die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit etwa 80 Jahren war die Folge.

Sowohl in den USA als auch in Europa  wurde das internationale Finanzsystem durch staatliche Rettungsaktionen für die Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt. Nach dem Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft kamen die Staaten für kurze Zeit in einer vermeintlichen Renaissance des Keynesianismus ihrer Verpflichtung nach, durch umfangreiche Konjukturpakete Investitionsanreize zu schaffen und durch die Stützung der sozialen Sicherungssysteme zu verhindern, dass die Krise auch noch den Privatkonsum in den Keller fallen lässt und somit eine langwierige Rezession auf den Plan tritt. Doch schon nach kurzer Zeit erholten sich die Banken und anderen Finanzinstitutionen vom Schock der Krise und nahmen wieder ihre Retter ins Visier der neoliberalen Demontierung. So als wären nicht sie es gewesen, die die Weltwirtschaft an den Rande des Kollaps gebracht haben, brandmarkten sie die Staaten wegen der durch sie stark angestiegenen staatlichen Schulden als unverantwortliche Verschwender. Vor allem die Staaten Südeuropas, allen voran Griechenland, wurden mit perfiden Medienkampagnen unter Feuer gesetzt, um sich horrende Renditen auf dem Markt für Staatsanleihen zu sichern. Denn die Angst vor einem möglichen Staatsbankrott treibt die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe. Und die Gefahr, das geborgte Geld schließlich wegen tatsächlichem Bankrott zu verlieren, ist gering, da die EU-Staaten als Retter der Gläubiger auf den Plan treten. Anstatt nämlich die Ursache für das höhere Defizit in den südeuropäischen Staaten zu thematisieren (in Spanien liegt der Fall anders, da Spanien vor der Krise eine unterdurchschnittliche Verschuldung aufwies – hier ist das Platzen einer regionalen Immobilienblase verantwortlich), beschränkt sich die EU in Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds darauf, durch das Errichten eines monetären Schutzschirmes die Spekulation gegen die Defizitländer von der Erfolglosigkeit zu überzeugen. Die wahre Ursache für die hohen Defizite der südeuropäischen Staaten liegt nämlich nicht darin, dass diese Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern an den innereuropäischen Ungleichgewichten bei der Leistungsbilanz. An dieser sind jedoch nicht nur die Defizitstaaten schuld, sondern auch die Überschussländer, allen voran Deutschland. Denn Deutschland verschafft sich seit der Währungsunion und seit der Einführung des Euro als gemeinsamer Währung Vorteile gegenüber diesen Staaten im Export, indem es nicht parallel zu der Zielinflationsrate von 2% für eine angemessene Steigerung der Löhne sorgt (Inflation + Produktionssteigerung). Deutschland profitiert somit von niedrigen Lohnstückkosten durch Handelszugewinne. Und es empfiehlt zu allem Überfluss den Defizitstaaten auch noch, es ihm gleichzutun und bei den Löhnen und Sozialleistungen zu sparen. Wenn die Defizitländer jedoch diesen Ratschlag tatsächlich befolgen und mit Deutschland beim Lohndumping und Sozialabbau gleichziehen, dann verliert einerseits Deutschland seinen Vorteil; zweitens wird dadurch ganz Europa in die Rezession gestürzt, da durch flächendeckendes Sparen ausgelöste ganz Europa erfassende Konsumflaute die Wirtschaft nicht wachsen kann.

Was sind hingegen die richtigen Weichenstellungen, die in der EU getroffen werden müssen, damit die Krise gut bewältigt und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zum Wohle aller wieder erreicht werden kann (siehe dazu auch Jörg Huffschmid, Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 2002)?

  • Abkehr von der reinen Inflationsbekämpfung und Rückkehr zu einem Programm für Wachstum und Beschäftigung sowie antizyklische Konjunktursteuerung durch staatliche Investition
  • Strenge Regulierung der Finanzmärkte sowie Bekämpfung der Spekulation und Reduzierung der Wertpapierdynamik (z.B. Verbot von Leerverkäufen)
  • Regulierung des Bankensektors in Hinsicht auf die Rückkehr zu seinen Kernaufgaben (Investionsversorgung durch Kredite, langfristiger privater Vermögensaufbau)
  • Trennung von sozialen Sicherungssystemen und Kapitalmarkt durch Rückkehr zum Umlageverfahren
  • Stabilisierung der Wechselkurse und Schaffung von Währungskooperationen
  • Mehr Steuergerechtigkeit durch Vermögensbesteuerung, faire Besteuerung von Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen
  • Einführung einer Devisenumsatz- bzw. allgemeinen Finanztransaktionssteuer
  • Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zum Schutz vor spekulativen Attacken
  • Förderung des Umbaus der Produktion auf ökologische Nachhaltigkeit

Bernhard Felderers Albtraum: Österreich als Europameister

19. Dezember 2010

Der Vorsitzende des Staatschuldenausschuss, IHS-Chef Bernhard Felderer, hat am Donnerstag einen Bericht präsentiert, der das Sprudeln der Steuereinnahmen in Österreich thematisiert. Laut den Zahlen der Europäischen Kommission von November liegen heuer nur drei Länder vor Österreich (44,1 Prozent): Belgien mit 45,8 Prozent, Schweden mit 45,7 Prozent und Dänemark mit 46,4 Prozent. Als Prognose wird für Österreich ein Steigen der Abgabenquote 2011 auf 44,3 Prozent erwartet. Allerdings sind in diesen Zahlen allerdings die mit dem Budget beschlossenen Steuererhöhungen und Steuereinführungen (Tabak, Mineralöl, Flugticket etc.) noch nicht berücksichtigt. Man könne somit von einem noch höheren Wert ausgehen.

Zu den sprudelnden Steuereinnahmen komme hinzu, so Felderer weiter, dass der Staat aufgrund des niedrigen Zinsniveaus günstig Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen könne. In Summe habe das heuer dazu geführt, dass die Einnahmen höher seien als erwartet und die Ausgaben niedriger. „Wir rechnen damit, dass wir rund 1,5 Milliarden Euro mehr Einnahmen haben werden als wir erwartet haben“, sagte Felderer im Ö1-Mittagsjournal. Dank der Mehreinnahmen werde auch das prognostizierte Defizit von 4,5 Prozent des BIP für 2010 deutlich kleiner ausfallen. Felderer geht von vier oder 4,1 Prozent, vielleicht sogar unter vier Prozent aus. Als persönliche Meinung regt der Chef des Staatsschuldenausschusses angesichts dieser Entwicklung langfristig eine Senkung der Abgabenquote an. Steuersenkungen seien zwar in der jetzigen Situation nicht möglich, man sollte aber darüber nachdenken und das langfristig planen.

Während ihm die Abgabenquote zu hoch ist, mahnt Felderer beim Schuldenabbau mehr Anstrengungen ein. In der Vergangenheit sei die Rückführung der Schuldenquote nämlich vernachlässigt worden. Um aber die Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten zu behalten, müsse der Schuldenabbau ein zentrales Anliegen sein und die langfristige Konsolidierung dargelegt werden. Derzeit fehle allerdings die Perspektive für die Rückführung der Staatsverschuldung von über 70 auf die Maastricht-Grenze von 60 Prozent des BIP. Dazu dürfe das jährliche Defizit ab 2015 nicht über einem Prozent liegen. „Zwei Prozent sind zu viel“, so Felderer. Das Finanzministerium hat für 2014 derzeit noch ein Defizit von 2,2 Prozent vorgesehen. Berechnungen des Staatsschuldenausschusses zeigen folgendes Bild: Bei einem durchschnittlichen Wachstum und einem Defizit von einem Prozent könnte die Schuldenquote zwischen 2023 und 2028 auf 60 Prozent gesenkt werden, bei zwei Prozent würde das ein Jahrzehnt länger dauern (bis 2039).

Sehen wir uns zunächst an, was diese Europarangliste „des Grauens“ für Österreich tatsächlich zu bedeuten hat. So wie Felderer diesen Umstand darstellt, handelt es sich dabei um ein furchtbares Ergebnis, wenn Österreich hier auf Platz 4 liegt und Anstalten macht, Besserplatzierte zu überholen. Was Felderer jedoch verschweigt, das ist der Umstand, dass die Bestplatzierten bei der Abgabenquote (bis auf Belgien) auch auf anderen Ranglisten – die positiver besetzt sind – oft topplatziert sind. So liegt etwa Schweden während der letzten zehn Jahre beim Wirtschaftswachstum meist deutlich über dem EU-Durchschnitt, deutlich weniger Menschen als im Rest von Europa sind armutsgefährdet (hier liegt auch Dänemark sehr gut) und die Beschäftigungsquote (vor allem von Frauen) ist ebenfalls deutlich höher. Schweden ist überhaupt ein gutes Gegenbeispiel für die neoliberale Behauptung, hohe Abgaben schadeten dem Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich. Denn Schweden hat einen erfolgreichen Hochtechnologiebereich, der sich international sehen lassen kann, und ist generell wirtschaftlich erfolgreich. Einziger Wermutstropfen ist, dass Konjunkturschwankungen meist größer ausfallen als z.B. in Österreich. Schweden bietet den Menschen und damit auch den Unternehmen außerdem ein gut ausgebautes Bildungssystem, aus dem gut ausgebildete Absolventen hervorgehen, denen darüber hinaus ein breites Angebot an lebensbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten offen steht.

Wir können somit festhalten: Es sind bessere Wege möglich als jener des neoliberalen Musterlands Deutschland (wobei Österreich in dieser Hinsicht kaum nachsteht), wo die Exportindustrie aufgrund jahrelanger Lohnzurückhaltung zwar große Erfolge feiert, bei der großen Masse der Menschen diese Erfolge aber nicht ankommen, da die Einkommen seit vielen Jahren stagnieren. Dies ist längerfristig auch für die Unternehmen nachteilig, da der Inlandskonsum daniederliegt und diese Erfolge nur durch Verschuldung der Importländer möglich sind. Die gegenwärtigen Instabilitäten in der Eurozone rühren gerade davon her (und nicht von der mangelnden Budgetdisziplin der südeuropäischen Länder), dass das wettbewerbsverzerrende Lohndumping der Überschussländer die anderen Staaten in die Schuldenfalle treibt.

Daher ist Felderer auch darin zu widersprechen, dass die Abgabenquote schon bald gesenkt werden muss. Erstens steht dies im Widerspruch zu seiner Forderung nach einem schnelleren Schuldenabbau der Republik. Denn wie sollen die Schulden abgebaut werden, wenn die Steuereinnahmen sinken? Es ist ein hartnäckiges neoliberales Märchen, dass Steuersenkungen über einen längeren Zeitraum sogar zu mehr Staatseinnahmen führen, weil die Unternehmen und Kapitaleigner dadurch ein günstiges Klima für hohes wirtschaftliches Wachstum vorfinden. Dies wurde in den USA unter Ronald Reagan propagiert. Die Realität am Ende seiner Amtszeit sah freilich völlig anders aus: Obwohl der Präsident große Steuererleichterungen geschaffen hatte, standen die Staatskassen der USA vor einem riesigen Schuldenberg, der dann unter Präsident Clinton abgebaut werden musste. Die viel beschworene Verwaltungsreform andererseits wird diese Reduktion der Schulden auch nicht allein leisten können, auch wenn von mancher Seite dieser Eindruck erweckt wird.

Was die Geschwindigkeit des Schuldenabbaus betrifft, bleibt uns Felderer eine wirkliche Erklärung schuldig, warum dieser schneller als bisher erfolgen müsse. Denn der Verweis auf die Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten kann nicht ernst gemeint sein. Die Finanzmärkte mussten 2008 aufgrund von Exzessen, die durch mangelnde Regulierung ermöglicht wurden, von den Staaten durch massive Finanzspritzen gerettet werden. Also haben nicht die Staaten ihre Glaubwürdigkeit den Finanzmärkten zu beweisen, sondern die Finanzmärkte müssen umgekehrt innerhalb einer strengen Regulierung den Nachweis erbringen, dass die doch noch in der Lage sind, sinnvolle Dienste für die Realwirtschaft zu erbringen.

Die Grenze der Gesamtverschuldung im Maastrichtvertrag von 60 Prozent des BIP ist rein willkürlich gesetzt und war während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise nicht einzuhalten. Daher ist es Zeit von diesem Dogma abzurücken. Statt sich nur auf die Bekämpfung der Inflation zu fixieren, sollte die Europäische Zentralbank im Geiste Keynes‘ vielmehr eine Geldpolitik betreiben, die den Staaten und Unternehmen durch niedrige Zinsen eine günstige Verschuldung ermöglicht. Wenn dadurch das Wirtschaftswachstum nachhaltig angekurbelt wird, löst sich die Schuldenproblematik aufgrund höherer Staatseinnahmen ohnehin von selbst – auch wenn diese zeitweise höher ausfällt als die Maastrichtkriterien erlauben.

Um zum Abschluss auf die Abgabenquote zurückzukommen. Felderers Befürchtungen hinsichtlich der Folgen einer steigenden Quote kann entgegnet werden: Die Abgabenquote darf nicht isoliert gesehen werden, sondern ihr müssen die Leistungen des Staates für seine Bürger sowie die Ausgaben für Forschung und Innovation gegenübergestellt werden. Wenn Österreich bei der Abgabenquote tatsächlich bald Europameister sein sollte – und dies aufgrund der dadurch möglichen Rahmenbedingungen aber auch bei Wirtschaftswachstum, Armutsvermeidung und Vollbeschäftigung sowie bei der Förderung von Forschung und Technik wird, dann sollten wir einfach sagen: Nur zu!