Bernhard Felderers Albtraum: Österreich als Europameister

19. Dezember 2010

Der Vorsitzende des Staatschuldenausschuss, IHS-Chef Bernhard Felderer, hat am Donnerstag einen Bericht präsentiert, der das Sprudeln der Steuereinnahmen in Österreich thematisiert. Laut den Zahlen der Europäischen Kommission von November liegen heuer nur drei Länder vor Österreich (44,1 Prozent): Belgien mit 45,8 Prozent, Schweden mit 45,7 Prozent und Dänemark mit 46,4 Prozent. Als Prognose wird für Österreich ein Steigen der Abgabenquote 2011 auf 44,3 Prozent erwartet. Allerdings sind in diesen Zahlen allerdings die mit dem Budget beschlossenen Steuererhöhungen und Steuereinführungen (Tabak, Mineralöl, Flugticket etc.) noch nicht berücksichtigt. Man könne somit von einem noch höheren Wert ausgehen.

Zu den sprudelnden Steuereinnahmen komme hinzu, so Felderer weiter, dass der Staat aufgrund des niedrigen Zinsniveaus günstig Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen könne. In Summe habe das heuer dazu geführt, dass die Einnahmen höher seien als erwartet und die Ausgaben niedriger. „Wir rechnen damit, dass wir rund 1,5 Milliarden Euro mehr Einnahmen haben werden als wir erwartet haben“, sagte Felderer im Ö1-Mittagsjournal. Dank der Mehreinnahmen werde auch das prognostizierte Defizit von 4,5 Prozent des BIP für 2010 deutlich kleiner ausfallen. Felderer geht von vier oder 4,1 Prozent, vielleicht sogar unter vier Prozent aus. Als persönliche Meinung regt der Chef des Staatsschuldenausschusses angesichts dieser Entwicklung langfristig eine Senkung der Abgabenquote an. Steuersenkungen seien zwar in der jetzigen Situation nicht möglich, man sollte aber darüber nachdenken und das langfristig planen.

Während ihm die Abgabenquote zu hoch ist, mahnt Felderer beim Schuldenabbau mehr Anstrengungen ein. In der Vergangenheit sei die Rückführung der Schuldenquote nämlich vernachlässigt worden. Um aber die Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten zu behalten, müsse der Schuldenabbau ein zentrales Anliegen sein und die langfristige Konsolidierung dargelegt werden. Derzeit fehle allerdings die Perspektive für die Rückführung der Staatsverschuldung von über 70 auf die Maastricht-Grenze von 60 Prozent des BIP. Dazu dürfe das jährliche Defizit ab 2015 nicht über einem Prozent liegen. „Zwei Prozent sind zu viel“, so Felderer. Das Finanzministerium hat für 2014 derzeit noch ein Defizit von 2,2 Prozent vorgesehen. Berechnungen des Staatsschuldenausschusses zeigen folgendes Bild: Bei einem durchschnittlichen Wachstum und einem Defizit von einem Prozent könnte die Schuldenquote zwischen 2023 und 2028 auf 60 Prozent gesenkt werden, bei zwei Prozent würde das ein Jahrzehnt länger dauern (bis 2039).

Sehen wir uns zunächst an, was diese Europarangliste „des Grauens“ für Österreich tatsächlich zu bedeuten hat. So wie Felderer diesen Umstand darstellt, handelt es sich dabei um ein furchtbares Ergebnis, wenn Österreich hier auf Platz 4 liegt und Anstalten macht, Besserplatzierte zu überholen. Was Felderer jedoch verschweigt, das ist der Umstand, dass die Bestplatzierten bei der Abgabenquote (bis auf Belgien) auch auf anderen Ranglisten – die positiver besetzt sind – oft topplatziert sind. So liegt etwa Schweden während der letzten zehn Jahre beim Wirtschaftswachstum meist deutlich über dem EU-Durchschnitt, deutlich weniger Menschen als im Rest von Europa sind armutsgefährdet (hier liegt auch Dänemark sehr gut) und die Beschäftigungsquote (vor allem von Frauen) ist ebenfalls deutlich höher. Schweden ist überhaupt ein gutes Gegenbeispiel für die neoliberale Behauptung, hohe Abgaben schadeten dem Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich. Denn Schweden hat einen erfolgreichen Hochtechnologiebereich, der sich international sehen lassen kann, und ist generell wirtschaftlich erfolgreich. Einziger Wermutstropfen ist, dass Konjunkturschwankungen meist größer ausfallen als z.B. in Österreich. Schweden bietet den Menschen und damit auch den Unternehmen außerdem ein gut ausgebautes Bildungssystem, aus dem gut ausgebildete Absolventen hervorgehen, denen darüber hinaus ein breites Angebot an lebensbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten offen steht.

Wir können somit festhalten: Es sind bessere Wege möglich als jener des neoliberalen Musterlands Deutschland (wobei Österreich in dieser Hinsicht kaum nachsteht), wo die Exportindustrie aufgrund jahrelanger Lohnzurückhaltung zwar große Erfolge feiert, bei der großen Masse der Menschen diese Erfolge aber nicht ankommen, da die Einkommen seit vielen Jahren stagnieren. Dies ist längerfristig auch für die Unternehmen nachteilig, da der Inlandskonsum daniederliegt und diese Erfolge nur durch Verschuldung der Importländer möglich sind. Die gegenwärtigen Instabilitäten in der Eurozone rühren gerade davon her (und nicht von der mangelnden Budgetdisziplin der südeuropäischen Länder), dass das wettbewerbsverzerrende Lohndumping der Überschussländer die anderen Staaten in die Schuldenfalle treibt.

Daher ist Felderer auch darin zu widersprechen, dass die Abgabenquote schon bald gesenkt werden muss. Erstens steht dies im Widerspruch zu seiner Forderung nach einem schnelleren Schuldenabbau der Republik. Denn wie sollen die Schulden abgebaut werden, wenn die Steuereinnahmen sinken? Es ist ein hartnäckiges neoliberales Märchen, dass Steuersenkungen über einen längeren Zeitraum sogar zu mehr Staatseinnahmen führen, weil die Unternehmen und Kapitaleigner dadurch ein günstiges Klima für hohes wirtschaftliches Wachstum vorfinden. Dies wurde in den USA unter Ronald Reagan propagiert. Die Realität am Ende seiner Amtszeit sah freilich völlig anders aus: Obwohl der Präsident große Steuererleichterungen geschaffen hatte, standen die Staatskassen der USA vor einem riesigen Schuldenberg, der dann unter Präsident Clinton abgebaut werden musste. Die viel beschworene Verwaltungsreform andererseits wird diese Reduktion der Schulden auch nicht allein leisten können, auch wenn von mancher Seite dieser Eindruck erweckt wird.

Was die Geschwindigkeit des Schuldenabbaus betrifft, bleibt uns Felderer eine wirkliche Erklärung schuldig, warum dieser schneller als bisher erfolgen müsse. Denn der Verweis auf die Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten kann nicht ernst gemeint sein. Die Finanzmärkte mussten 2008 aufgrund von Exzessen, die durch mangelnde Regulierung ermöglicht wurden, von den Staaten durch massive Finanzspritzen gerettet werden. Also haben nicht die Staaten ihre Glaubwürdigkeit den Finanzmärkten zu beweisen, sondern die Finanzmärkte müssen umgekehrt innerhalb einer strengen Regulierung den Nachweis erbringen, dass die doch noch in der Lage sind, sinnvolle Dienste für die Realwirtschaft zu erbringen.

Die Grenze der Gesamtverschuldung im Maastrichtvertrag von 60 Prozent des BIP ist rein willkürlich gesetzt und war während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise nicht einzuhalten. Daher ist es Zeit von diesem Dogma abzurücken. Statt sich nur auf die Bekämpfung der Inflation zu fixieren, sollte die Europäische Zentralbank im Geiste Keynes‘ vielmehr eine Geldpolitik betreiben, die den Staaten und Unternehmen durch niedrige Zinsen eine günstige Verschuldung ermöglicht. Wenn dadurch das Wirtschaftswachstum nachhaltig angekurbelt wird, löst sich die Schuldenproblematik aufgrund höherer Staatseinnahmen ohnehin von selbst – auch wenn diese zeitweise höher ausfällt als die Maastrichtkriterien erlauben.

Um zum Abschluss auf die Abgabenquote zurückzukommen. Felderers Befürchtungen hinsichtlich der Folgen einer steigenden Quote kann entgegnet werden: Die Abgabenquote darf nicht isoliert gesehen werden, sondern ihr müssen die Leistungen des Staates für seine Bürger sowie die Ausgaben für Forschung und Innovation gegenübergestellt werden. Wenn Österreich bei der Abgabenquote tatsächlich bald Europameister sein sollte – und dies aufgrund der dadurch möglichen Rahmenbedingungen aber auch bei Wirtschaftswachstum, Armutsvermeidung und Vollbeschäftigung sowie bei der Förderung von Forschung und Technik wird, dann sollten wir einfach sagen: Nur zu!


Die krause Logik des Bernhard Felderer

10. Juli 2010

Am 9. Juli 2010 hielt der Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, eines Expertenteams von 40 Köpfen, eine Pressekonferenz ab. Bernhard Felderer, der mit einer violetten Krawatte auftrat, um die bevorstehende „Fastenzeit“ der Budgetkonsolidierung zu symbolisieren, berichtete vor den versammelten Pressevertretern von der Entwicklung der Staatsschulden in Österreich. Seit 2007 sei aufgrund der schweren Wirtschaftskrise die Verschuldung von 59% auf gut 70% gestiegen. Damit stehe Österreich im europäischen Vergleich relativ gut da. Denn etwa Irland habe eine Steigerung der Verschuldung um 52% zu vermelden. Und das schon zuvor hoch verschuldete Griechenland habe seinen Schuldenstand um weitere 29% vermehrt- mit den bekannten Folgen.

Das wären eigentlich gute Nachrichten für Österreich. Doch Felderer sieht sich dennoch veranlasst Warnungen auszusprechen: „Wir geraten ins Visier der Finanzmärkte“. Wie kommt er zu dieser Befürchtung? Nun, das Beispiel Spanien habe gezeigt, dass es trotz der dort vergleichsweise niedrigen Verschuldung, diese stieg um 29% auf noch immer moderate 64%,  zu heftigen Reaktionen der Finanzmärkte kommen könne. Und so etwas könne auch Österreich drohen, wenn die Finanzinvestoren die Bonität in Zweifel zögen.

Felderer gibt zwar zu, dass der Staat in der schweren Finanzkrise die Banken vor dem Zusammenbruch gerettet habe und die von der Regierung getätigten Konjunkturmaßnahmen in der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr 75 Jahren erste Früchte zeigten, da das Wirtschaftswachstum langsam anspringe. Aber dass diese Rettungsaktionen die Ursache für die stark steigende Staatsverschuldung sind und die Finanzmärkte dankbar sein müssten, da sie von der öffentlichen Hand vor dem Zusammenbruch bewahrt wurden – das übergeht der IHS-Chef. Vielmehr beschwört er das Bild von prüfenden Finanzmärkten herauf, die Europa ins Visier nehmen. Sie prüfen jedes Land voller Misstrauen auf seine Fähigkeit, Schulden zurückzuzahlen – und bestrafen Problemstaaten mit hohen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen. Ratingagenturen stufen Länder herab, der Internationale Währungsfonds (IWF) marschiert „mit sorgenvollen Gesichtern“ auf, um die Regierungen zu massiven Sparprogrammen zu animieren. Felderer gibt zwar zu: „Es geht oft um Gerüchte, die Reaktionen sind oft irrational, zu scharf und ungerecht“. Aber dennoch müssten sich die Staaten diesen Urteilen beugen, denn: „Wir haben es nicht in der Hand.“ Außerdem seien die Gläubiger, die dem Staat Geld leihen, in der Regel keine gierigen Spekulanten, sondern vorsichtig agierende Pensions- und Investmentfonds: „Sie haben Staatsanleihen gekauft, weil sie als sicher galten, und dafür auf hohe Renditen verzichtet.“  Deshalb müssten wir uns dem Urteil der Finanzmärkte bauen und alles dafür tun, um das Vertrauen dieser nervös gewordenen Investoren zurückzugewinnen. Das könne nur durch einen „glaubwürdigen“ Konsolidierungsplan gelingen. Vorbild dafür, wie dies glaubwürdig gelingen könne, seien die Schweiz und Deutschland: „Ihnen werden Staatsanleihen aus der Hand gerissen, ihre Zinsen bleiben sehr niedrig.“ Beide Länder hätten Schuldenbremsen beschlossen, die strukturelle Defizite verbieten und in der Hochkonjunktur zu Überschüssen und dem Aufbau von Reserven zwingen. Während Österreich im Vergleich dazu im Jahre 2007, wo eine gute Konjunkturlage herrschte, dennoch Schulden gemacht habe. Felderer macht daher keinen Hehl daraus, dass er sich dieses Instrument einer strengen Budgetdisziplin auch für Österreich wünscht.

Dieser krausen Logik des Bernhard Felderer muss entschieden entgegengetreten werden. Es darf nämlich nicht sein, dass sich die Staaten, die die Finanzmärkte in der größten Not gerettet haben, nun von diesen erpressen lassen. Und um nichts Anderes handelt es sich, wenn die Finanzmärkte den Regierungen strenge Budgetdisziplin diktieren, um als kreditwürdig eingestuft zu werden und gute Konditionen zu bekommen. Nicht die Staaten müssen nun rigorose Sparpakete schnüren, die das zarte Pflänzchen der Konjunktur abwürgen würden und wodurch die nächste Krise schon vorprogrammiert wäre. Und die Mehrheit der Bevölkerung, die schuldlos an der Krise ist, darf nicht mit einer Einschränkung des Sozialsystems und ungenügend ausgestatteten Bildungseinrichtungen bestraft werden.

Vielmehr müssen jene zur Kasse gebeten werden, die von dieser Rettungsaktion profitiert haben: die Finanzmärkte und die Vermögenden. Die Finanzmärkte sind durch die fortschreitende Deregulierung der letzten Jahrzehnte immer instabiler geworden: exzessiven Blasenbildungen werden von dramatischen Crashs abgelöst, die die Realwirtschaft stets massiv in Mitleidenschaft ziehen. Deshalb müssen diese Märkte durch strenge Regeln diszipliniert werden und durch die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer muss der Anreiz für hochspekulative kurzfristige Transaktionen beschränkt werden. Außerdem leisten die Finanzmärkte auf diese Weise einen notwendigen Beitrag zur Konsolidierung der Staatshaushalte, die gerade durch die organisierte Unverantwortlichkeit der Finanzmarktakteure in Schwierigkeiten geraten sind.

Die Vermögenden wiederum müssen einen Beitrag leisten, da sie über Jahrzehnte von steigenden Unternehmensgewinnen profitiert haben (während die Lohnquote sank und die Reallöhne stagnierten). Die Zugewinne beim Vermögen sind außerdem immer weniger in Investitionen in die Realwirtschaft geflossen, sodass das Wirtschaftswachstum in Europa seit vielen Jahren sehr bescheiden ausfällt, sondern haben die Spekulation auf den Finanzmärkten zusätzlich angeheizt.  Schließlich sind Einkommen aus Vermögenszuwachs im Vergleich mit Arbeitseinkommen steuerlich deutlich begünstigt, sodass ein höherer Beitrag nur fair wäre. Deshalb müssen die Vermögenden durch höhere Vermögenszuwachssteuern (die auf dem Niveau von Arbeitseinkommen sind), durch die Streichung der steuerlichen Begünstigung von Privatstiftungen und durch die Einführung einer eigenen Vermögenssteuer mit hohen Freibeträgen mehr zur Kasse gebeten werden, da auch sie von einer Gesellschaft profitieren, wo die Ungleichheit sich in Grenzen hält und der soziale Zusammenhalt gegeben ist. Und schließlich würden auch sie viel verlieren, wenn der nächste Crash zum Zusammenbruch der Finanzmärkte führt.