Ein solidarischer Lösungsansatz für die Eurokrise

26. Oktober 2011

Seit vielen Monaten geistert das Gespenst Euro- und Schuldenkrise in der öffentlichen Debatte herum. Diese begann damit, dass die Finanzmärkte wegen des hohen Defizits in Griechenland beunruhigt wurden und Griechenland rasant steigende Zinskosten für seine Staatsanleihen zu tragen hatte. Daher wurde von der europäischen Politik und dem IWF zunächst versucht, Griechenland durch radikale Sparmaßnahmen zu einem niedrigeren Budgetdefizit zu verhelfen und dadurch die Lage auf den Finanzmärkte zu beruhigen. Wie jedem, der über einiges volkswirtschaftliches Grundverständnis verfügt, von Anfang an klar war, ist die Situation jedoch nur schlimmer geworden. Die Sparmaßnahmen haben die griechische Wirtschaft weiter schrumpfen lassen und das Defizit wurde im Vergleich zum sinkenden Bruttoinlandsprodukt sogar noch schlimmer.

Als die Finanzmärkte dazu übergingen, gegen weitere Staaten wegen der stark gestiegenen Defizite vorzugehen (Portugal, Spanien, Italien), verlegte sich die Politik in der EU darauf, durch großzügige Garantieerklärungen (vulgo Rettungsschirme) des gesamten Euroraums die Finanzmärkte zu beruhigen und finanzierbare Rahmenbedingungen für die Schuldenlast zu schaffen. Doch der Druck der Finanzmärkte auf die Defizitländer der Eurozone blieb ungebrochen und auch Griechenland konnte nach wie vor keine Atempause verschafft werden. Der Rettungsschirm musste deutlich aufgestockt werden (440 Milliarden Euro) und inzwischen ist eine Hebelung im Gespräch, die die Garantien auf bis zu 2 Billionen Euro erhöhen soll.

Außerdem ist ein Schuldenschnitt von mehr als 50 Prozent für Griechenland, der lange Zeit ausgeschlossen wurde, inzwischen weitgehend akkordiert. Auch die Notwendigkeit von neuen Bankenrettungspaketen wird nicht ausgeschlossen. In dieser Situation wird die lange bekämpfte Finanztransaktionssteuer nun doch endlich umgesetzt werden, da die EU dringend Einnahmen benötigt. Als nächster Schritt zeichnet sich sogar eine Vertragsänderung der EU ab, die eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik ermöglichen und wirtschaftliche Ungleichgewichte in der bisherigen Form verhindern soll.

Können diese Maßnahmen die Probleme lösen? Die Antwort ist leider ein eindeutiges nein, da diese Maßnahmen nur bei den Symptomen ansetzen, aber nicht an die Ursachen heranreichen. Denn die Gründe für die derzeitige Situation liegen in der Finanzkrise 2007/2008. Durch eine gewaltige Spekulationsblase, die schließlich zusammenbricht, war das globale Finanzsystem aufgrund undurchschaubarer Risiken und nicht bewältigbarer Verbindlichkeiten am Rande des völligen Kollapses. Nur durch gewaltige staatliche Hilfen für das Finanzsystem und umfassende Konjunkturprogramme konnte das Finanzsystem gerettet und die aus der Finanzkrise entstandene Weltwirtschaftskrise abgefangen werden. Doch diese Kosten haben die Staatsdefizite rasant ansteigen wachsen – vor allem in jenen Ländern, die schon vor der Krise aufgrund eines deutlichen Leistungsbilanzdefizits ungünstige Bedingungen hatten. Deshalb begannen die Finanzmärkte, massiv gegen diese Staaten zu spekulieren (z.B. in Form von Kreditausfallversicherungen) und auf die Politik Druck auszuüben, etwas gegen die „horrenden“ Staatsschulden zu unternehmen.

Das ist insofern äußerst zynisch, als die hohen Schuldenzuwächse zum Großteil auf die Kappe der „Bankenrettung“ gehen und die Finanzinvestoren auch noch an den hohen Zinsen für Staatsanleihen und den explodierenden Kursen der Kreditausfallversicherungen verdienen. Können die betroffenen Staaten freilich die Schuldenlast nicht mehr tragen und ein Schuldenschnitt ist unumgänglich, dann schlägt sich das wiederum in den Bilanzen jener Banken verheerend nieder, die im Besitz dieser Anleihen sind. Dann müssen diese Banken wieder von den Staaten gerettet werden. Was wiederum die Staatsschulden in die Höhe treibt. Ein Teufelskreis also.

Wenn in diesen Rettungszyklen versucht wird, die Kosten durch  massive staatliche Einsparungen im Sozialbereich und radikale Kürzung der öffentlichen Ausgaben und Beschäftigung auf die Unter- und Mittelschicht abzuwälzen, dann führt das unweigerlich zum Zusammenbruch des innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Zusammenhalts. Wie wir aus der Geschichte wissen, kann dies zu gewalttätigen Unruhen, Bürgerkriegen oder sogar zu Kriegen zwischen Staaten führen.

Kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Ja! Aber dazu müssen die Probleme bei der Wurzel gepackt werden. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist die Folge des Zusammenbruchs des Systems von Bretton Woods (das zweifelsohne mit der amerikanischen Dominanz und der aussichtlosen Situation der Entwicklungsländer auch Schwächen hatte), der nachfolgenden Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte sowie dem Abgehen von der fordistischen Allianz von Kapital und Arbeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine lange Periode des Wirtschaftswachstums und der allgemeinen Wohlstandssteigerung ermöglichte.

Das darauf folgende neoliberale Paradigma in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ließ die Gewinneinkommen rasant steigen, während die Lohneinkommen nur mehr bei den obersten zehn Prozent stiegen. Dies führte zu einer massiven Ungleichverteilung von Vermögen und einer Schwächung der Realwirtschaft. Die Vermögenden investieren ihr Geld in immer abenteuerliche Finanzinstrumente, die hohe Gewinne versprechen, aber das Risiko an die Gesellschaft abwälzen. Als ab 2006/2007 eine gewaltige Spekulationsblase  mit forderungsbesicherten Wertpapieren (CDOs) am Immobilienmarkt platzt, können Hausbesitzer ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr bedienen und verlieren dadurch ihre Häuser, das gesamte Bankensystem sitzt auf einer Unmenge praktisch wertloser Forderungen, Versicherungsunternehmen, die diese Wertpapiere oder Investmentbanken abgesichert haben,  werden insolvent (z.B. AIG). Wie schon weiter oben angeführt, sprangen die Staaten ein, um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, indem sie gigantische Garantien abgaben.

Dieser Entwicklung kann nur dadurch begegnet werden, dass folgende 12 Maßnahmen in der Europäischen Union möglichst bald ergriffen werden:

  1. Griechenland werden 50 % der Schulden erlassen, damit das Land eine Möglichkeit bekommt, sich aus der Schuldenfalle zu befreien.
  2. Griechenland werden von EU und IWF keine weiteren Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung vorgeschrieben, sondern das Land dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die seine Staatseinnahmen erhöhen (Reformierung des Steuer- und Abgabensystems, effizientere Finanzverwaltung) und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern (Investitionen in moderne Technologien, z.B. Solarenergie), aber nicht den Einbruch der Wirtschaft fortschreiben.
  3. Alle großen Finanzinstitute (Bilanzsumme größer als 1 Mrd. Euro) werden europaweit unter staatliche Kontrolle gestellt. Dann werden diese Institutionen dahingehend überprüft, ob sich nach objektiver Bewertung eigentlich uneinbringliche Verbindlichkeiten aus Spekulationsgeschäften in ihren Bilanzen versteckt halten.
  4. Jene Bereiche dieser Institutionen (falls solche Unterteilungen vorhanden sind), die sich in der Überprüfung als tatsächlich insolvent herausstellen, werden in einem geordneten Insolvenzverfahren abgewickelt und anschließend geschlossen. Bei den kleineren Instituten unter den großen Playern (weniger als 50 Mrd. Euro Bilanzsumme) ist auch eine komplette Schließung vorbehalten.
  5. Die tragfähigen Bereiche der großen Finanzinstitute werden in kleinere Einheiten zerschlagen und einer strengen gesellschaftlichen Kontrolle überantwortet, damit keines dieser Unternehmen mehr wegen der Systemrelevanz zu groß für eine Insolvenz wird. Der Fokus soll dabei auf die Kernaufgaben des Finanzsystems gelegt werden: die Verzinsung von Spareinlagen und die Finanzierung der Realwirtschaft durch Investitionskredite; die anderen Bereiche (Investmentbanking, Hedgefonds, Private Equity usw.) werden deutlich verkleinert.
  6. Finanzielle Instrumente, die potentielle Massenvernichtungswaffen für das Finanzsystem darstellen, wie Hedgefonds, CDOs, CDS, werden einer strengen staatlichen Regulierung unterworfen, die von einer eigens dafür zu schaffenden Behörde übernommen wird. Diese Behörde achtet darauf, dass diese Instrumente nur noch zum Zwecke der Absicherung der eigenen Basispapiere verwendet werden; die Spekulation mit diesen Instrumenten wird also verboten.
  7. Die Bewertung von Staaten durch Ratingagenturen wird ausgesetzt, um die Spekulation gegen Defizitländer zu bremsen. In einem nächsten Schritt müssen die Ratingagenturen reformiert werden. Sie sollten in Zukunft jene Unternehmen, die sie sie bewerten, nicht mehr beraten dürfen; sie werden außerdem nicht mehr von den Wertpapieremittenten, sondern über einen Einlagenfonds von den Investoren für ihre Dienstleistung bezahlt.
  8. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft geben gemeinsame Staatsanleihen (sogenannte Eurobonds) heraus, um ihre Schulden zu finanzieren. Damit werden der Zinswettbewerb unter den Mitgliedsländern und das Wetten der Finanzmärkte gegen einzelne Staaten unterbunden. Als Alternative dazu könnte auch ein Europäischer Währungsfonds gegründet, der günstige Kredite an die Staaten vergibt.
  9. Um die Einlagen von Kleinanlegern (bis 100.000 Euro) in den insolventen Bereichen des Finanzsystems  für ihre Verluste entschädigen zu können, werden neue Einnahmequellen (zeitlich befristet) herangezogen: z.B. die Finanztransaktionssteuer, höhere Vermögenssteuern, höhere Besteuerung für sehr hohe Einkommen, höhere Besteuerung des Kapitalertrags.
  10. Diese zusätzlichen Einnahmen dienen dazu, die Staatsschulden abzubauen, in den Ausbau der sozialen Dienstleistungen und des Gesundheitssystem (Prävention), die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Energiegewinnung und die nachhaltig ausgerichtete Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur zu investieren. Dadurch werden neue Arbeitsplätze geschaffen, die Konsumnachfrage gestärkt und somit das Wachstum nachhaltig angekurbelt. Dies führt in weiterer Folge zu höheren Staatseinnahmen und einer geringeren Staatsverschuldung.
  11. Um nicht nur Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen, sondern auch die Arbeit, wird die gesetzliche Normalarbeitszeit auf 36 Stunden reduziert und die Gewerkschaften aufgefordert, weitere Schritte der Arbeitszeitverkürzung in ihre Kollektivvertragsverhandlungen aufzunehmen.
  12. Um in Zukunft verheerende ökonomische Ungleichgewichte zu verhindern, wird die EU-Verfassung dahingehend reformiert, dass die EU zu einer tatsächlichen Finanz- und Wirtschaftsunion wird. Die Verfügung über die gemeinsame Wirtschaftspolitik darf dabei aber nicht in erster Linie in der Hand der EU-Kommission oder beim Europäischen  Rat liegen, sondern muss durch eine Stärkung der europäischen Demokratie vorrangig beim EU-Parlament angesiedelt sein. Das Parlament darf dabei aber  nicht die Minderheitenrechte von kleineren Ländern verletzen. Die Vorgaben für die Finanz- und Wirtschaftspolitik umfassen in Zukunft nicht nur Schuldengrenzen, sondern auch Vorgaben für eine harmonisierte Steuerpolitik, gemeinsame Wachstumsziele, Obergrenzen für die Arbeitslosigkeit, gemeinsame Zielsetzungen für eine stetige Lohnentwicklung, Zielkorridore für die Inflation.

Die unerträgliche Langeweile der Politik: Maria Fekters erste Budgetrede

21. Oktober 2011

Finanzministerin Maria Fekter hat am 17. Oktober 2011 im Parlament ihre erste Budgetrede gehalten. 92 Minuten lang las die Finanzministerin äußerst holprig und immer wieder fehlerhaft den langatmigen Text ihrer Rede ab. Eines der wenigen Bonmots war die abgelutschte Rede vom: „Budget als in Zahlen gegossener Politik“. Den Koalitionspartner SPÖ wusste sie gekonnt mit der Ankündigung der Wiedereinführung von Studiengebühren vor den Kopf zu stoßen.

Inhaltlich waren ihre Ausführungen jedoch wenig spektakulär. Wie zu erwarten war, ist das geplante Budget von einer schrittweisen Reduktion des Budgetdefizits geprägt. 2012 soll die Neuverschuldung bundesweit 3,2 % betragen. Bis 2015 soll das Defizit auf 2% gedrückt werden. Die Gemeinden sollen dabei ab sofort überhaupt ausgeglichen budgetieren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass der Konjunkturmotor nicht noch stärker ins Stottern gerät und keine unvorhergesehenen Ausgaben für eine neue Bankenrettung notwendig werden.

Die Ausgaben der einzelnen Ressorts werden im veranschlagten Budget mit Ausnahme des Lebensministeriums (das sogar weniger Geld erhält) nur leicht erhöht, sodass mit den zu erwarteten höheren Steuereinnahmen sich eine niedrigere Schuldenquote als in den letzten Jahren ergibt. Den Universitäten hat Fekter eine Unimilliarde zugesagt – allerdings nur in Schilling! Die Ausgaben für die Forschung werden weiter erhöht, von 2 % des BIP ist Österreich aber nach wie vor deutlich entfernt. Als größten Posten hat die Finanzministerien die Ausgaben für die Pensionen besonders hervorgehoben und deshalb die Notwendigkeit einer Reform, die zu einer deutlichen Erhöhung des realen Antrittsalters führt, betont. Details zu einer solchen Reformierung waren der Rede aber noch nicht zu entnehmen. Es ist jedoch zu befürchten, dass 2013 von der ÖVP ein neuer Angriff auf die unser Pensionssystem erfolgen wird. Die Gewerkschaft sollte also schon jetzt gewarnt sein, dass mit Verweis auf die höhere Lebenserwartung und das niedrige reale Pensionsantrittsalter weitere Kürzungen zu erwarten sind.

Von den anderen Ressorts gibt es hingegen nichts Berichtenswertes zu erzählen, da hier das business as usual fortgeführt wird.

Weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausgabenseite hat Fekter also für 2012 Reformen angekündigt. Weder soll durch eine Verwaltungsreform, die diesen Namen verdient  in stärkerem Ausmaße Ausgaben eingespart werden, noch hat sie neue Einnahmequellen auf steuerlicher Seite angekündigt, um Spielräume zur Budgetreduktion und für dringend notwendige Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich zu schaffen.

Allerdings hat sie in bewährter Manier die hohe Abgabenquote und das Leid des Mittelstandes unter der Steuerlast beklagt, da 38 % der Bevölkerung (jene die zwischen 25.000 und 100.000 Euro im Jahr verdienen) 75 % der Einkommensteuerzahlung schulterten – während 2,6 Millionen gar keine Einkommensteuer zahlten.

Wie üblich hat Fekter dabei erstens die Mittelschicht (das wäre die korrekte Bezeichnung) in der Einkommensverteilung völlig asymmetrisch angesetzt, da der von ihr angesprochene Einkommensbereich deutlich nach rechts verschoben ist und daher nicht in der Mitte liegt.  Zweitens werden durch diese Gegenüberstellung die Sozialversicherungsleistung und die Verbrauchssteuern außer Acht gelassen, die überwiegend von den unteren und mittleren Einkommen geleistet werden und eine ganz wesentlichen Beitrag der ArbeitnehmerInnen zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben darstellen.

Somit ist Ministerin Fekter zwar darin recht zu geben, dass unser Steuersystem Reformbedarf hat. Aber diese Reform sollte den Faktor Arbeit insofern entlasten, als den unteren und mittleren Einkommen mehr netto bleibt, den Spitzenverdienern ein höherer Beitrag abverlangt wird und von den Vermögen eine solidarische Leistung zur Erhaltung unserer Systems einer fairen und gerechten Lasten- und Leistungsverteilung gefordert wird. Denn davon profitieren wir alle, da damit ein Wohlstand auf breiter Basis sichergestellt wird, der ein solides und nachhaltiges Wachstum möglich macht. Wessen wir jedoch nicht bedürfen, das ist eine weitere Entlastung der Spitzenverdiener und Vermögenden, da dies nur die Schere zwischen Arm und Reich weiter vergrößert und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hemmt sowie den sozialen Zusammenhalt gefährdet.


Jetzt zu sparen wäre völlig verkehrt!

13. Juni 2010

Mitten in den Nachwehen der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr als 75 Jahren wollen immer mehr europäische Regierungen strenge Sparprogramme zur Reduktion des Budgetdefizits ihrer Länder beschließen. Bevor ich darauf eingehe, was aus volkswirtschaftlicher Sicht von diesen Absichten zuhalten ist, werde ich kurz auf die Ereignisse eingehen, die überhaupt zu der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise geführt haben.

Die Ursachen der Krise
In den Jahren nach dem Platzen der Blase der New Economy im Jahre 2000 begannen die Immobilienpreise in den USA stark anzusteigen, da der Finanzsektor in großem Maße Kredite an den amerikanischen Mittelstand vergab, dessen Einkommen aus Arbeit in diesen Jahren jedoch stets gesunken war. Um seinen Lebensstandard und den gewohnten Konsum aufrecht zu erhalten, war dieser Mittelstand darauf angewiesen, in immer größerem Ausmaß Schulden zu machen. Da die Immobilienpreise stetig stiegen, bekamen die Hausbesitzer immer höhere Hypothekarkredite angeboten. Auch die Kreditkartenanbieter gewährten großzügige Einkaufsrahmen, damit die Steigerung des Konsums am Laufen gehalten wurde. Sowohl den Hypothekaranbietern, als auch den Kreditkartenfirmen musste bewusst sein, dass dies nicht auf Dauer gutgehen konnte, wenn die Arbeitseinkommen nicht stiegen. Hinzu kam, dass der Finanzsektor diese Hypothekensdarlehen, insbesondere die von zweitklassigen, also besonders risikobehafteten Schuldnern (= subprime), deren Immobilien zu mehr als 80% belehnt waren, in konplizierte Wertpapieren verpackt hatten, von Ratingagenturen sehr wohlwollend bewerten ließen und weltweit auf den Finanzmärkten angeboten hatten. Da diese Wertpapiere von den Ratingagenturen oftmals sogar mit einem AAA ausgezeichnet wurden und aufgrund der steigenden Gewinne der Unternehmen Kapital im Überfluss auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten war, verkauften sich diese Papiere wie die warmen Semmeln. Sogar die privaten Pensionsversicherungen griffen fleissig zu, da ihnen diese Anlagen als sicher erschienen. Als schließlich die Steigerung der Immobilienpreise ein Ende fand, fiel das Ganze wie ein Kartenhaus zusammen: Hypothekenschuldner konnten aufgrund des Wertverlustes ihre Darlehen nicht mehr bedienen, sodass ihre Häuser zwangsversteigert wurden. Dies brachte eine ungeheure Lawine ins Rollen, da dadurch die Immobilienpreise im schneller sanken, wodurch immer noch mehr Hausbesitzer ins Straucheln kamen und ihre Häuser verloren.

Und die Folgen für die Weltwirtschaft
Viele Banken rund um den Globus saßen nun auf jenen Wertpapieren, in denen verpackt die Hypothekarsdarlehen schlummerten, die nun nicht mehr einzubringen waren. Da die Banken in Folge des Immobiliendesasters nicht von einander wussten, wie viele dieser Papieren sie jeweils in ihren Portfolios hatten, misstrauten die Banken einander immer mehr. Somit stiegen die Interbankenzinsen stark an und die gegenseitige Kreditvergabe kam praktisch zum Erliegen. Im Sommer 2008 gerieten schließlich einige große amerikanische Investmentbanken in massive Zahlungsschwierigkeiten und sie mussten vom Staat gerettet werden. Lediglich Lehmann Brothers wurde die nötige Finanzspritze verweigert, sodass Lehmann Brothers im Herbst 2008 insolvent wurde. Das versetze die ganze Finanzwelt in eine helle Panik. In einer konzerdierten globalen Aktion retteten die Regierungen der USA, Europas und Asiens das Finanzsystem durch staatliche Garantien in gigantischem Ausmaß.

Da jedoch trotz der massiven staatlichen Hilfspakete die Kreditvergabe mehr oder weniger zum Erliegen gekommen war, griff die Finanzkrise nun auf die gesamte Wirtschaft über. Weltweit brachen die Aufträge in der Industrie ein und die Exporte der Industriegüter gingen stark zurück, sodass die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession gestürzt wurde. So sank z.B. in Österreich das BIP um 3,4% und die Arbeitslosigkeit stieg trotz Konjunkturpaketen und weiterer arbeitsmarktpolitischer Begleitaktionen (z.B. Kurzarbeit) deutlich an: Nach einer erfreulichen Arbeitslosenrate von 5,7% 2008 stieg sie auf über 7,2% 2009 und wird 2010 etwa 7,7% betragen.

Die Krisenbekämpfung
Durch die staatlichen Hilfspakete für die Banken und die Konjunkturpakete zur Ankurbelung des Konsums sowie die steigenden Sozialausgaben für die gestiegene Arbeitslosigkeit ist die Verschuldung des österreichischen Staatshaushaltes deutlich, aber nicht dramatisch gestiegen: Nach einigen Jahren, in denen das Defizit stets unter einem Prozent lag, stieg das Defizit 2009 auf 3,5% an, 2010 wird es voraussichtlich 4,7% betragen. Wenn Österreich den Kurs von 2009 und 2010 hinsichtlich der konjukturellen Ankurbelung beibehält, dann wird die Gesamtverschuldung bis 2013 auf etwa 70% des BIPs steigen (zum Vergleich: im langjährigen internationalen Vergleich stieg das Defizits nach einer Krise um durchschnittlich 86%).

Aktuell gibt es erste zarte Anzeichen der wirtschaftlichen Erholung: Die Wirtschaft wächst 2010 wieder langsam und die Arbeitslosigkeit ist in Östereich seit Mai nicht mehr weiter angestiegen. Das Wirtschaftswachstum wird 2010 und 2011 ca. 1,5% betragen. Wie aus der Volkswirtschaftslehre bekannt ist, reicht ein solches Wachstum nicht aus, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Erst wenn wieder ein stabiles Wachstum von mehr als 2% gegeben ist, kann die Arbeitslosigkeit dauerhaft reduziert werden. Also ist aus Sicht der Arbeitnehmervertreter erst dann die Krise wirklich bewältigt. Das wäre in Österreich frühestens 2013 der Fall.

Aber dann kam mit der Griechenlandkrise die Sparwut
Nun ist es jedoch so, dass in Folge der Griechenlandkrise und der größeren Budgetprobleme von Portugal, Spanien und Italien die neoliberale Propaganda die Angst vor der Überschuldung der europäischen Staaten schürt. Vor allem in den konservativ (mit)regierten Staaten grasiert seitdem das Sparfieber. Schon 2011 soll deshalb mit dem Sparen begonnen werden, um schnellstmöglich wieder die Maastrichtgrenzen von 3% Neuverschuldung und 60% Gesamtverschuldung einzuhalten. Deutschland beispielsweise  hat, obwohl das Land vor der Krise budgetär gut dastand und auch in der Krisebekämpfung keine große Schuldenlast aufgebaut hat, ein 80 Milliarden Euro Sparpaket beschlossen, das in jedem Fall sich auch auf die anderen Eu-Staaten konjunkturschwächend auswirken wird.

Auch der österreichische Finanzminister mischt hier kräftig mit: Er möchte bis 2013 das Ziel von 2,7% Neuverschuldung erreichen. Dazu soll zu 60% bei den Ausgaben eingespart werden und 40% sollen über zusätzliche Einnahmen ins Budget fließen. Der Rahmen für die Einsparungen wurde im Parlament bereits fixiert, die genauen Festlegungen erfolgen dann im Herbst. Bei den zusätzlichen Einnahmen bestehen zwischen den Regierungsparteien sehr unterschiedliche Vorstellungen: Während die ÖVP unter dem Titel „ökologische Steuerreform“ auf Massensteuern setzt, will die SPÖ mit vermögensbezogenen Steuern jene verstärkt zur Kasse bitten, die in den letzten 20 Jahren von Steuererleichterungen besonders profitiert hatten: die Vermögenden. Auf die sehr konträren Ansätze bei den Einnahmen möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, obwohl natürlich auch diese sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hätten.

Die fatalen Folgen des Sparens
An dieser Stelle werde ich mich vielmehr auf die Sparpläne und deren makroökonomischen Folgen konzentrieren. Wenn nun die Regierungen die Sparpakete, die überall in Europa für 2011 geschnürt werden, in die Tat umsetzen, um die durch die Krisenbekämpfung gestiegenen Budgetdefizite schnellstmöglich abzubauen, dann wird dies das zarte Pflänzchen Konjunktur in Europa ersticken. Vor allem im Falle von Österreich ist ein solches Sparprogramm ganz sicher nicht notwendig, da die Verschuldung keine Bedrohung darstellt. Budgetdefizite steigen nach einer Wirtschaftskrise durch die notwendigen Konjunkturbelebungsmaßnahmen stets an: der Staat gibt mehr aus, um die fehlende Investitionstätigkeit der Unternehmen auszugleichen und die sozialen Folgen der Krise durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen abzuferdern. Wenn sich die Wirtschaft nach einigen Jahren nachhaltig erholt hat, d.h. wenn die Wirtschaft wieder stetig um mehr als 2% wächst, lässt sich das aufgebaute Defizit durch die steuerlichen Mehreinnahmen, die eine Hochkonjunktur mit sich bringt, ohne Probleme wieder reduzieren – wie es auch früher immer wieder gemacht wurde. Wird dieser Konjunkturaufschwung jedoch durch staatliche Sparmaßnahmen und eine inflationsphobische Reaktion der europäischen Notenbank abgewürgt, bevor er sich stabilisiert hat, dann ist das Wirtschaftswachstum für viele Jahre mehr als gefährdet. Vielmehr ist damit eine langwierige Rezession und die nächste Krise vorprogrammiert.

Deshalb müssen alle vernünftigen Kräfte europaweit in einer gemeinsamen Aktion diese um sich greifende Sparwut verhindern und dafür sorgen, dass die konjunkturbelebenden Maßnahmen so lange fortgesetzt werden, wie die Folgen der Krise auf dem Arbeitsmarkt noch spürbar sind.