Wir können uns den Sozialstaat leisten

29. November 2010

Seit vielen Jahren geistern durch die Öffentlichkeit zwei Gespenster: 1. die Unfinanzierbarkeit der Pensionen aufgrund der demografischen Entwicklung; 2. Die Notwendigkeit von Einsparungen in der Verwaltung der Krankenkassen, um die Defizite derselben in den Griff zu bekommen. Mit unerbittlicher Vehemenz malt die neoliberale Phalanx  in den Medien das Bild einer überalterten Gesellschaft, wo am Ende jeder Erwerbstätige mit seinem Beitrag einen Pensionisten erhalten muss und der Staat schließlich unfinanzierbare Zuschüsse zur Bewahrung des derzeitigen Niveaus leisten muss. Außerdem wird von diesen Kassandrarufern in unsere Köpfe die Vorstellung von einem gigantischen und trägen Verwaltungsapparat gehämmert, der Unsummen unserer Krankenversicherungsbeiträge ohne entsprechende Gegenleistungen verschlingt. Dass dieses Bild völlig verzerrt ist, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Es ist zwar richtig, dass die steigende Lebenserwartung in Kombination mit niedrigen Geburtenraten zu einem steigenden Anteil jener Personen in unserer Gesellschaft führt, die im Pensionsalter sind. Aber all dies ist auch in Zukunft finanzierbar, wenn das Wirtschaftswachstum hoch genug ist und die Anzahl der Beschäftigten weiter steigt. Wenn das Wachstum bei etwa 2 Prozent gehalten werden kann, dann reicht die Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Kuchens ohne Probleme dafür aus, um auf dem Wege einer leichten Erhöhung des Anteils der Staatsausgaben für die Pensionen (gut 1% des BIP) die Finanzierung unseres Systems sicherzustellen. Denn wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist es auch leistbar, dass in gut 30 Jahren auf 4 Erwerbstätige 3 Pensionisten kommen.

Seit vielen Jahren werden die (Gebiets)Krankenkassen öffentlich an den Pranger gestellt, da sie Defizite aufweisen. Als Rezepte sind schnell Einsparungen in der Verwaltung und die Zusammenlegung von Kassen gefunden. Was jedoch verschwiegen wird, das sind die wahren Ursachen der Defizite. Diese liegen nämlich nicht in den hohen Verwaltungskosten (diese sind in Österreich mit unter 3% international gesehen sehr niedrig), sondern am Missverhältnis von steigenden Leistungen und sinkenden Einnahmen. Denn durch die hohe Arbeitslosigkeit und den Anstieg des Anteils von Teilzeitarbeit stehen weniger Einnahmen aus den Beiträgen höhere Leistungen gegenüber, die z.T. in den letzten Jahren vom Gesetzgeber den Krankenkassen auch noch zusätzlich zugeschanzt wurden (z.B. Kinderbetreuungsgeld für Studentinnen, Bäuerinnen usw.). Hohe Kosten entstehen den Kassen außerdem durch ständig steigende Spitalskosten und wachsende Medikamentenkosten. Wenngleich Verbesserungen in der Verwaltung natürlich immer möglich sind, so ist dennoch das, was die Kassen vor allem Anderen ganz dringend brauchen, um die höheren Kosten zu bewältigen, das sind höhere Einnahmen.

Höhere Einnahmen sind beispielsweise durch die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erzielen. Da diese aber ohnehin vor ein paar Jahren erhöht wurden und da diese Beiträge vor allem die unteren Einkommensbereiche besonders belasten, sind andere Wege dieser sozial nicht sonderlich ausgewogenen Lösung vorzuziehen. Möglichkeiten einer besseren Finanzierung der Krankenkassen, die genauso für das Pensionssystem herangezogen werden können, liegen in der Transformation unseres Steuersystems.

Statt immer höhere Belastungen dem Faktor Arbeit aufzuhalsen, sollte durch die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, durch die Wiedereinführung von Vermögenssteuer sowie Erbschafts- und Schenkungssteuer wie auch durch die Etablierung einer europaweiten Finanztransaktionssteuern das Kapital ebenfalls einen angemessenen Beitrag zur Sicherung unseres Sozialsystems beitragen. Dadurch würde nicht nur mehr Verteilungsgerechtigkeit geschaffen, sondern dieser Umbau des Steuersystems hätte auch positive Effekte für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung. Denn der neoliberale Weg der ständigen Kostensenkung der öffentlichen Haushalte hat gerade das Gegenteil dessen bewirkt, was seine Propheten versprochen haben: Statt eines höheren Wachstums hat uns die Sparphilosophie der neoklassischen Ökonomen geringeres Wachstum aufgrund sinkender Nachfrage beschert. Wegen der größeren Nachfrageimpulse bewirken höhere Ausgaben für den Sozialstaat nämlich höheres Wachstum der Gesamtwirtschaft. Was nämlich die Apologeten des Angebotsfetischismus gerne übersehen, das ist, dass höhere Ausgaben für Sozialleistungen nicht nur Kosten sind, sondern auch Einnahmen für die davon profitierenden Menschen – und diese Einnahmen kurbeln über den Konsum die Wirtschaft an. Deshalb können wir uns unser Sozialsystem sehr wohl leisten, da es sich in gewisser Weise über die Wachstumsimpulse für die Wirtschaft selbst finanziert.

Wir müssen es nur wollen – und diesen Willen politisch klar bekennen.


Können wir uns das staatliche Pensionssystem noch leisten?

23. August 2010

Mit großer Regelmäßigkeit tritt ein vermeintlicher Experte an die Öffentlichkeit, um zu vermelden, dass die demografische Entwicklung und vor allem der Umstand, dass die Lebenserwartung stetig steigt, dazu führe, dass wir uns das derzeitige Pensionssystem nicht mehr leisten könnten. Deshalb müssten die Leistungen gekürzt und das Pensionsantrittsalter gehoben werden. Bei den Voraussetzungen liegen diese Kassandrarufer durchaus richtig: Die demografische Entwicklung geht dahin, dass der Anteil jener Menschen in Österreich, die älter als 60 Jahre sind, seit Jahrzehnten deutlich wächst – derzeit beträgt dieser Anteil ca. 22%; nach 2030 wird er wahrscheinlich ca. 30% ausmachen. Die Lebenserwartung von Männern beträgt zurzeit ca. 77 Jahre, die von Frauen etwa 83 Jahre; noch 1971 betrug diese 73 Jahre bei Männern und knapp 76 Jahre bei Frauen; und die Lebenserwartung wird weiter leicht steigen.

Obwohl also die demografischen Hintergründe korrekt sind, haben diese selbsternannten Experten bei ihren Schlussfolgerungen nicht recht. Denn für die Finanzierbarkeit des Pensionssystems ist nicht (allein) das Verhältnis der Altersgruppen und die Entwicklung der Lebenserwartung entscheidend, sondern die Entwicklung des Bruttosozialprodukts. Solange das BIP nicht langsamer wächst als die Aufwendungen für die Sozialausgaben, besteht keine Gefahr für das Pensionssystem. Zwar ist es für das bestehende Umlageverfahren wenig vorteilhaft, wenn das Verhältnis zwischen der erwerbstätigen Bevölkerung und jenen, die sich in Rente befinden, sich zu Ungunsten der Erwerbstätigkeit entwickelt. Aber solange noch das Bruttosozialprodukt jährlich um mindestens 2% steigt, steht der öffentlichen Hand eine ausreichende Finanzierungsquelle zur Verfügung, die die Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben im Umlageverfahren ausgleichen kann.

In den letzten 20 Jahren ist die Finanzierung des österreichischen Sozialsystems nicht aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend unter Druck geraten, sondern aufgrund der sinkenden Lohnquote.  Denn die Löhne und Gehälter sind in Österreich die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherungseinnahmen. Wenn der Anteil von Löhnen und Gehältern am gesellschaftlichen Reichtum gegenüber den Gewinnen ins Hintertreffen gerät, dann untergräbt dies die Finanzierungsgrundlage unseres Sozialsystems. Für die sich hier auftuende Lücke ist jedoch relativ einfach Abhilfe zu schaffen. Neben der alleinigen Belastung des Faktors Arbeit sind eben auch andere Quellen für die Finanzierung anzuzapfen: Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe und eine stärkere steuerliche Belastung von Vermögen und Vermögenszuwächsen könnte hier z. B. einen guten Ausgleich für die fehlenden Einnahmen darstellen. Außerdem würden auf diesem Wege jene einen größeren Beitrag zu unserem Sozialsystem leisten, die sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend aus dem solidarischen System des gesellschaftlichen Ausgleichs ausgeklinkt haben: die Unternehmen und die Vermögenden.