Ist der Generationenvertrag noch zeitgemäß?

18. Mai 2011

Die Frage, die ich an dieser Stelle erläutern möchte, lautet: Ist der Generationenvertrag noch zeitgemäß? Oder ist er hinfällig und kann beruhigt auf dem Abfallhaufen der Geschichte abgelagert und seinem langsamen, unbemerkten und leisen Verschwinden überlassen werden?

Bevor ich auf die Definition des Generationenvertrags und seine gegenwärtige Bedeutsamkeit zu sprechen komme, möchte ich aus einer Studie berichten, die im Frühjahr 2010 vom Meinungsforschungsinstitut IMAS im Auftrag der Jungen Wirtschaft Oberösterreich und der Jungen Industrie OÖ durchgeführt wurde:

Zwei Drittel (66 Prozent) der Österreicher halten laut dieser Studie den Generationenvertrag nicht mehr für umsetzbar. Nur 27 Prozent erwarten, dass auch künftig die Jüngeren die Pensionen der Älteren finanzieren können. 55 Prozent der Befragten zeigen sich überzeugt, dass die Nutznießer des Generationenvertrages bereits in Pension seien. Ein knappes Drittel erwartet, noch selbst von Auswirkungen der gesellschaftlichen Überalterung betroffen zu sein. Nur jeweils zehn Prozent glauben noch an Vorteile für all jene, die derzeit noch Kinder oder Berufseinsteiger sind.

Die 30- bis 49-Jährigen sind am stärksten davon überzeugt, dass der gesellschaftliche Strukturwandel im Pensionssystem zu spüren sein wird. Beinahe Einigkeit besteht darin, dass etwaige Auswirkungen der Überalterung nur negativ sein können. Mit positiven Effekten der demografischen Entwicklung rechnet lediglich eine verschwindende Minderheit von drei Prozent.

An den Fortbestand des staatlichen Pensionssystems in seiner heutigen Form glauben laut Umfrage 56 Prozent. 32 Prozent rechnen nicht damit, zwölf Prozent sind unsicher. Die Zweifler sind zu jeweils rund 90 Prozent davon überzeugt, dass die private Vorsorge zunehmen, die Pensionshöhe sinken und das Antrittsalter steigen wird. 53 Prozent aus dieser Gruppe glauben, dass es überhaupt keine staatliche Pension mehr geben wird.

Kurz gesagt, die Mehrheit der Österreicher glaubt nicht mehr an den Generationenvertrag und erwartet massive Veränderungen bei den staatlichen Pensionssystemen (mehr private Vorsorge, Erhöhung des Pensionsalters, höhere Beiträge). Mehr als die Hälfte der Befragten hält es sogar für wahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit gar kein staatliches Pensionssystem mehr geben wird.

Die jahrzehntelange massive Attacke des Neoliberalismus und der Finanzindustrie (Versicherungen, Banken usw.) auf das staatliche Pensionssystem und die anderen Formen der solidarischen Absicherung haben also Erfolg gehabt. Die Österreicher haben den Glauben an den Generationenvertrag verloren.

Was ist denn aber nun unter diesem ominösen „Generationenvertrag“, an den immer weniger Österreicher glauben, zu verstehen? Der Generationenvertrag bezeichnet in der Sozialpolitik einen unterstellten gesellschaftlichen Konsens, der auf die Solidarität mit anderen Generationen und Verantwortung für die kommende Generation hinausläuft, um (vor allem) die Finanzierung der gesetzlichen Pensionsversicherung zu sichern. Die jeweils aktuell sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen zahlen mit ihren Beiträgen in die Pensionsversicherung die Leistungen für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Generation und erwerben dabei einen Anspruch auf ähnliche Leistungen der nachfolgenden Generationen an sich selbst. Der Generationenvertrag benennt somit jenes Prinzip, das hinter dem Umlageverfahren in der gesetzlichen Pensionsversicherung steht. Auch andere Instrumente des Sozialstaates, z. B. die gesetzliche Krankenversicherung, beruhen weitgehend ebenfalls auf dem Prinzip eines „Generationenvertrages“, da die Krankheitskosten angesichts der steigenden Lebenserwartung im Alter deutlich höher und die laufenden Einnahmen geringer sind als in den Erwerbsjahren.

Ob diese Übereinkunft der Generationen bei der solidarischen Gestaltung der Pensionsversicherung durch das Umlageverfahren tatsächlich umgesetzt ist, wird von manchen Kritikern in Frage gestellt. Sie verweisen darauf, dass die künftig Erwerbstätigen zum Zeitpunkt der Anspruchsbegründung entweder noch nicht geboren oder jedenfalls noch nicht in der Lage, an den politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen, also ihre eigenen Interessen in diesem Ausgleich zwischen den Generationen nicht wahrzunehmen können. Das zeige sich daran, dass die Generation der nun zu versorgenden Pensionsbezieher sich selbst in der Vergangenheit einen Ausbau ihrer Ansprüche zugestanden hat, der in keinem Verhältnis zu ihrem eigenen Beitrag für die Generation steht, die diesen Anspruch unter der Voraussetzung einer veränderten Demographie dann erfüllen muss.

An diesem Einwand ist hinsichtlich der mangelnden Rücksichtnahme auf nachfolgende Generationen durchaus etwas dran, aber deshalb ist das Prinzip des Umlageverfahrens noch lange nicht falsch und der Hinweis auf die Demographie dient der Demontierung des solidarischen Wohlfahrtsstaates als ideologische Abrissbirne, um die Absicherung gegen die Risiken von Alter und Krankheit dem Kapitalmarkt zugänglich zu machen. Unter dem Vorwand, Werte wie Freiheit und Selbstverantwortung zur Geltung zu bringen, bringen die neoliberalen Apologeten die Privatvorsorge als den Heilsbringer aufs Tapet.

Was sie dabei verschweigen, das ist, dass auch dem Verfahren der Kapitaldeckelung ein generationenübergreifendes Umlageprinzip zu Grunde liegt – das jedoch nicht solidarisch ausgerichtet ist. Denn die Gewinne der privaten Rentenversicherung sind nur möglich, wenn die Nachfrage der aktuell Erwerbstätigen nach diesen Papieren hoch ist. Somit finanzieren diese indirekt über den Kapitalmarkt die Rentner. Einen Vertrag im Sinne des Generationenvertrags gehen die Beteiligten jedoch nicht ein, da dabei jeder nur an sich und die Vermehrung seiner Einlage denkt und sich nicht solidarisch mit der vorigen und nächsten Generation verbunden fühlt. Den potentiellen Käufern dieser Wertpapiere wird ja auch erfolgreich suggeriert, dass sie ihr Erspartes durch die Privatvorsorge mit Gewinn in die Zukunft transferieren könnten.

Es ist daher eine besonders wichtige Aufgabe für die Gewerkschaften und alle zivilgesellschaftlichen Organisationen im Interesse der ArbeitnehmerInnen, diese ideologische Verblendung zu durchkreuzen und die unbedingt notwendige Aufklärung über die Voraussetzungen zu leisten, unter denen das Umlageverfahren in der solidarischen Risikoabsicherung auch in Zukunft noch finanzierbar ist: stetiges Wirtschaftswachstum, hohe Beschäftigungsquote, hohe Lohnquote, moderater Anstieg des Pensionsantrittsalters. Denn wir dürfen uns das Herzstück der solidarischen Gesellschaft – das Umlageverfahren in der Pensions- und Krankenversicherung – nicht von den gemeinsamen Angriffen von Neoliberalismus und Finanzinstitutionen kaputt machen lassen.


Wir können uns den Sozialstaat leisten

29. November 2010

Seit vielen Jahren geistern durch die Öffentlichkeit zwei Gespenster: 1. die Unfinanzierbarkeit der Pensionen aufgrund der demografischen Entwicklung; 2. Die Notwendigkeit von Einsparungen in der Verwaltung der Krankenkassen, um die Defizite derselben in den Griff zu bekommen. Mit unerbittlicher Vehemenz malt die neoliberale Phalanx  in den Medien das Bild einer überalterten Gesellschaft, wo am Ende jeder Erwerbstätige mit seinem Beitrag einen Pensionisten erhalten muss und der Staat schließlich unfinanzierbare Zuschüsse zur Bewahrung des derzeitigen Niveaus leisten muss. Außerdem wird von diesen Kassandrarufern in unsere Köpfe die Vorstellung von einem gigantischen und trägen Verwaltungsapparat gehämmert, der Unsummen unserer Krankenversicherungsbeiträge ohne entsprechende Gegenleistungen verschlingt. Dass dieses Bild völlig verzerrt ist, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Es ist zwar richtig, dass die steigende Lebenserwartung in Kombination mit niedrigen Geburtenraten zu einem steigenden Anteil jener Personen in unserer Gesellschaft führt, die im Pensionsalter sind. Aber all dies ist auch in Zukunft finanzierbar, wenn das Wirtschaftswachstum hoch genug ist und die Anzahl der Beschäftigten weiter steigt. Wenn das Wachstum bei etwa 2 Prozent gehalten werden kann, dann reicht die Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Kuchens ohne Probleme dafür aus, um auf dem Wege einer leichten Erhöhung des Anteils der Staatsausgaben für die Pensionen (gut 1% des BIP) die Finanzierung unseres Systems sicherzustellen. Denn wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist es auch leistbar, dass in gut 30 Jahren auf 4 Erwerbstätige 3 Pensionisten kommen.

Seit vielen Jahren werden die (Gebiets)Krankenkassen öffentlich an den Pranger gestellt, da sie Defizite aufweisen. Als Rezepte sind schnell Einsparungen in der Verwaltung und die Zusammenlegung von Kassen gefunden. Was jedoch verschwiegen wird, das sind die wahren Ursachen der Defizite. Diese liegen nämlich nicht in den hohen Verwaltungskosten (diese sind in Österreich mit unter 3% international gesehen sehr niedrig), sondern am Missverhältnis von steigenden Leistungen und sinkenden Einnahmen. Denn durch die hohe Arbeitslosigkeit und den Anstieg des Anteils von Teilzeitarbeit stehen weniger Einnahmen aus den Beiträgen höhere Leistungen gegenüber, die z.T. in den letzten Jahren vom Gesetzgeber den Krankenkassen auch noch zusätzlich zugeschanzt wurden (z.B. Kinderbetreuungsgeld für Studentinnen, Bäuerinnen usw.). Hohe Kosten entstehen den Kassen außerdem durch ständig steigende Spitalskosten und wachsende Medikamentenkosten. Wenngleich Verbesserungen in der Verwaltung natürlich immer möglich sind, so ist dennoch das, was die Kassen vor allem Anderen ganz dringend brauchen, um die höheren Kosten zu bewältigen, das sind höhere Einnahmen.

Höhere Einnahmen sind beispielsweise durch die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erzielen. Da diese aber ohnehin vor ein paar Jahren erhöht wurden und da diese Beiträge vor allem die unteren Einkommensbereiche besonders belasten, sind andere Wege dieser sozial nicht sonderlich ausgewogenen Lösung vorzuziehen. Möglichkeiten einer besseren Finanzierung der Krankenkassen, die genauso für das Pensionssystem herangezogen werden können, liegen in der Transformation unseres Steuersystems.

Statt immer höhere Belastungen dem Faktor Arbeit aufzuhalsen, sollte durch die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, durch die Wiedereinführung von Vermögenssteuer sowie Erbschafts- und Schenkungssteuer wie auch durch die Etablierung einer europaweiten Finanztransaktionssteuern das Kapital ebenfalls einen angemessenen Beitrag zur Sicherung unseres Sozialsystems beitragen. Dadurch würde nicht nur mehr Verteilungsgerechtigkeit geschaffen, sondern dieser Umbau des Steuersystems hätte auch positive Effekte für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung. Denn der neoliberale Weg der ständigen Kostensenkung der öffentlichen Haushalte hat gerade das Gegenteil dessen bewirkt, was seine Propheten versprochen haben: Statt eines höheren Wachstums hat uns die Sparphilosophie der neoklassischen Ökonomen geringeres Wachstum aufgrund sinkender Nachfrage beschert. Wegen der größeren Nachfrageimpulse bewirken höhere Ausgaben für den Sozialstaat nämlich höheres Wachstum der Gesamtwirtschaft. Was nämlich die Apologeten des Angebotsfetischismus gerne übersehen, das ist, dass höhere Ausgaben für Sozialleistungen nicht nur Kosten sind, sondern auch Einnahmen für die davon profitierenden Menschen – und diese Einnahmen kurbeln über den Konsum die Wirtschaft an. Deshalb können wir uns unser Sozialsystem sehr wohl leisten, da es sich in gewisser Weise über die Wachstumsimpulse für die Wirtschaft selbst finanziert.

Wir müssen es nur wollen – und diesen Willen politisch klar bekennen.