Unsachliche Panikmache des IHS bei den Pensionen

21. Februar 2011

Am 17. Februar 2011 sind IHS-Chef Bernhard Felderer und der Pensionsexperte des Instituts für Höhere Studien Ulrich Schuh an die Öffentlichkeit gegangen, um ihre neuesten Daten zur Entwicklung der Pensionen zu präsentieren. Das IHS erstellt ja gemeinsam mit dem WIFO die Prognosen für die Pensionskommission. Die bereits im November vorgelegten Berechnungen – die einen massiven Anstieg der staatlichen Ausgaben auswiesen – wurden aber von Teilen der Kommission und vom Sozialministerium bezweifelt, weshalb die Kommission ihre Empfehlungen auf das heurige Frühjahr verschoben hat. Nun haben IHS und WIFO neuerlich gerechnet. Am Resultat habe sich nichts grundlegend geändert, betonte Schuh neuerlich. Hinsichtlich der derzeitigen Situation kommt das IHS zu dem schon bekannten Ergebnis: Der durchschnittliche Österreicher ist 2009 mit 59 Jahren, die durchschnittliche Österreicherin mit 57 in Pension gegangen. Allerdings interpretieren das IHS diese Zahlen anders als das Sozialministerium, das einen leichten Anstieg des faktischen Antrittsalters konstatiert. Die Zahlen zeigten nämlich, so Felderer und Ulrich Schuh, dass die Pensionsreform 2003 ihr Ziel, Menschen länger im Erwerb zu halten, verfehlt habe.

Noch erschreckender sei, wenn man auf das Jahr 2020 vorausblicke. Denn dabei offenbare sich eine „tickende Zeitbombe“. Bis dahin werde die Zahl der 55- bis 65-Jährigen nämlich von einer Million auf 1,3 Millionen angestiegen sein. Ohne Gegensteuern würden angesichts der weiter steigenden Lebenserwartung die Ausgaben der Pensionsversicherung von 11,2 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf nahezu 15 Prozent bis 2050 ansteigen, der Zuschuss des Bundes werde sich von 2,8 auf rund sechs Prozent mehr als verdoppeln. Das ist wesentlich mehr als im Referenzszenario aus 2004: Die Gesamtausgaben liegen in den neuen Berechnungen für 2050 um vier Prozentpunkte, der Bundesanteil um drei Prozentpunkte höher. Das wäre, so führt Felderer weiter aus, weder für die PVA noch für den Bund „mehr zu finanzieren“.

Der Schlüssel, um dieser Problematik Herr zu werden, ergänzt Schuh, liege in der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, dort gelte es „Schlupflöcher“ zu schließen. Die mittlerweile verschärfte Hacklerregelung, der im Vorjahr 80.700 Österreicher die vorzeitige und abschlagsfreie Pension verdankten, sei „schleunigst“ abzuschaffen, ebenso wie die – nur von 2151 Personen in Anspruch genommene – Schwerarbeiterregel. Sehr viel verspricht  sich das IHS davon, die Invaliditätsrente, die im Vorjahr fast ein Drittel aller Neuzugänge ausgemacht hat, aus dem Pensionssystem herauszunehmen. Vorbilder dafür gebe es in Skandinavien, wo Betroffene im Arbeitsmarkt gehalten und für zumutbare Jobs umgeschult würden.

An den Ergebnissen von Felderer und Schuh ist vielfältig Kritik zu üben. So ist erstens der Arbeiterkammer  und dem ÖGB darin Recht zu geben, dass das IHS viel zu pessimistische Prognosen stellt und daraus abgeleitete langfristige Empfehlungen abgibt: „Offenbar hat das IHS zwar neue Berechnungen durchgeführt, geht aber trotzdem immer noch von den alten Ergebnissen und den alten viel zu pessimistischen Berechnungen aus“, kritisiert daher Alice Kundtner, Bereichsleiterin für Soziales in der AK Wien, „und das, obwohl mittlerweile auch wieder die aktuelle WIFO-Mittelfristprognose vom Jänner bestätigt, dass sich die Wirtschaft deutlich schneller erholt hat als noch im Langfristgutachten angenommen wurde.“ Nach Schätzungen der AK ergeben sich auf Basis der WIFO-Prognose allein im Bereich der Pensionsversicherung der Unselbständigen 2015 um rund 760 Millionen Euro niedrigere Bundesbeiträge als in der Mittelfristprognose vom Oktober 2010, weil die Beitragseinnahmen deutlich stärker steigen. Umso unverständlicher sei es daher, dass das IHS trotzdem an seinem pessimistischen Langfristszenario vom September des Vorjahres festhält. Skandalös ist es schon, dass daraus Empfehlungen für die die nächsten 50 Jahre gegeben werden. „Es ist einfach unsinnig, auf Basis von höchst unsicheren Szenarien politische Empfehlungen für eine mechanische und sofortige Aufteilung von ,Mehrkosten‘ für einen Zeitraum von 50 Jahren abzugeben. Das ist keine sinnvolle und vor allem keine verantwortungsvolle Pensionspolitik, sondern verunsichert die Bevölkerung, unterminiert das Vertrauen in die Politik und in das Pensionssystem nur noch mehr“, sagt daher völlig zu Recht Kundtner.

Zweitens ist dem IHS vorzuhalten, dass bei der Darstellung der Bundesmittel zur gesetzlichen Alterssicherung die Bundesbeamtenversorgung verschwiegen wird. Bezieht man diese nämlich in die Rechnung ein, dann steigt der Anteil der Bundesmittel wesentlich geringer. Deshalb hat  Karl Blecha, der Präsident des Pensionistenverbands, richtigerweise eingefordert, „dass bei der Beurteilung über die langfristige Sicherung der Pensionen auch der öffentliche Dienst einbezogen wird.“ Blecha moniert in berechtigter Weise, dass sich das IHS nur auf den langfristig steigenden Aufwand in der gesetzlichen Pensionsversicherung bezieht und der langfristig sinkende Aufwand bei den Pensionen im Öffentlichen Sektor unberücksichtigt bleibt.

Drittens ist dem IHS ein für ein Wissenschaftsinstitut überaus befremdlicher Umgang mit Fakten vorzuwerfen. So wird vom IHS beklagt, dass die Pensionsversicherung in Zukunft teurer wird als heute. Diese Feststellung ist nämlich gelinde gesagt trivial, zumal die Zahl der Pensionisten um 1,3 Millionen zunehmen wird. Will man nicht, dass die Älteren in die Armut getrieben werden, sind höhere Ausgaben unvermeidlich, wozu sich eine solidarische Gesellschaft auch bekennen sollte. Diese notwendigen Mehrausgaben jedoch als „tickende Zeitbombe“ zu bezeichnen, ist eine grobe Verunglimpfung jener älteren Menschen, die nach jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit einen existenzsichernden Pensionsanspruch erworben haben.

Viertens zeigt eine Studie der AK außerdem, dass bei den von den Reformen betroffenen Altersgruppen das faktische Antrittsalter bei Männern und Frauen von 1999 auf 2009 sehr wohl um 1,3 Jahre angestiegen ist, während das IHS von einem Sinken spricht. Gemäß Budgetbegleitgesetz läuft die Langzeitversichertenregelung im Sinne eines vorzeitigen Pensionsantritts völlig aus. Abgesehen von der Schwerarbeitspension gibt es damit bereits in wenigen Jahren für Frauen keine Möglichkeit mehr vor dem 60 Lebensjahr in eine Alterspension zu gehen, für Männer keine mehr vor dem 62. Lebensjahr.  Im Bereich der Invalididtäts-Pensionen wiederum wurde mit dem verpflichtenden Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“, der Gesundheitsstraße und „fit2work“ substantielle Maßnahmen beschlossen, die einen Beitrag zur Anheben des faktischen Pensionsalters leisten werden. Eine Entwertung dieser Reformen – bevor diese überhaupt zu wirken begonnen haben – ist nicht nachvollziehbar. Die Zahl der Invaliditätspensionen ist seit zehn Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben. Österreich liegt mit den Ausgaben für diese Pensionsart im europäischen Durchschnitt.

Richtig ist freilich, dass im Bereich der Invaliditäts-Pensionen Handlungsbedarf besteht, weil es nicht hinzunehmen ist, dass immer jüngere Menschen wegen psychischer Erkrankungen in Pension gehen müssen. Prävention zur Vermeidung von Invalidität sollte flächendeckend umgesetzt werden. Hier ist aber auch bei der Wirtschaft anzusetzen. Denn das Verhalten der Dienstgeber, Kranke und ältere Mitarbeiter so früh wie möglich zu kündigen, muss sich grundlegend ändern. Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen hier ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen, sondern die Kosten auf die Allgemeinheit überwälzen.

Das betont auch der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. Wer wolle, dass die Menschen später in Pension gehen, muss zuerst dafür sorgen, dass sie auch länger arbeiten können. Das heißt: Arbeitsplätze schaffen, und die Arbeitsplätze so gestalten, dass die Menschen auch arbeitsfähig bleiben und nicht aus Gesundheitsgründen vorzeitig in Pension gehen müssen. Die Wirtschaft müsse auch älteren ArbeiterInnen und Angestellten eine Chance geben und diese nicht bei erstbester Gelegenheit durch jüngere ersetzen. Der ÖGB fordert daher zur Sicherung der Pensionen:

– Sicherung des Umlage-Pensionssystems

– Gerechtes System für alle Pensionsarten: gleiche Beiträge für alle

– unbefristete Regelung für Menschen, die 45 bzw. 40 Jahre Beiträge geleistet haben

– Verbesserung der Schwerarbeitspension

– Arbeitslosengeld bis zum Regelpensionsalter, statt vorzeitigen Pensionsantritt ermöglichen

– Pensionskassen: garantierter Mindestertrag

– Wahl- und Wechselmöglichkeit zwischen Pensionskassen

In eine ähnliche Richtung geht auch der sozialdemokratische Pensionistenverband. Karl Blecha fordert nämlich: „Ein uneingeschränktes Ja zu einem Heranführen des faktischen an das gesetzliche Pensionsalter. Aber da muss die Wirtschaft mitspielen. Denn auch die Unternehmen nützen die ‚Schlupflöcher‘ des Pensionssystems. So ist es gängige Praxis, dass ältere Beschäftigte in die Pension gedrängt werden oder ihnen mit Golden-Handshake-Programmen das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schmackhaft gemacht wird. Dabei ist auch der öffentliche Sektor ein schlechtes Beispiel“.

Blecha verweist außerdem darauf, dass ein großer Teil der Neupensionisten aus der Arbeitslosigkeit heraus in die Pension geht. „Wir brauchen daher einen besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer und ich fordere eine Pönalisierung für Unternehmen, die ältere Beschäftigte rausschmeißen.“ Ebenso fordert Blecha, dass bereits entwickelte Programme wie z.B. fit2work oder die Gesundheitsstraße sowie Rehabilitation vor Pension rasch flächendeckend eingesetzt werden. Auch hier kritisiert Blecha die „Verweigerung“ der Wirtschaft, wenn es um die Finanzierung dieser Programme geht.


Die krause Logik des Bernhard Felderer

10. Juli 2010

Am 9. Juli 2010 hielt der Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, eines Expertenteams von 40 Köpfen, eine Pressekonferenz ab. Bernhard Felderer, der mit einer violetten Krawatte auftrat, um die bevorstehende „Fastenzeit“ der Budgetkonsolidierung zu symbolisieren, berichtete vor den versammelten Pressevertretern von der Entwicklung der Staatsschulden in Österreich. Seit 2007 sei aufgrund der schweren Wirtschaftskrise die Verschuldung von 59% auf gut 70% gestiegen. Damit stehe Österreich im europäischen Vergleich relativ gut da. Denn etwa Irland habe eine Steigerung der Verschuldung um 52% zu vermelden. Und das schon zuvor hoch verschuldete Griechenland habe seinen Schuldenstand um weitere 29% vermehrt- mit den bekannten Folgen.

Das wären eigentlich gute Nachrichten für Österreich. Doch Felderer sieht sich dennoch veranlasst Warnungen auszusprechen: „Wir geraten ins Visier der Finanzmärkte“. Wie kommt er zu dieser Befürchtung? Nun, das Beispiel Spanien habe gezeigt, dass es trotz der dort vergleichsweise niedrigen Verschuldung, diese stieg um 29% auf noch immer moderate 64%,  zu heftigen Reaktionen der Finanzmärkte kommen könne. Und so etwas könne auch Österreich drohen, wenn die Finanzinvestoren die Bonität in Zweifel zögen.

Felderer gibt zwar zu, dass der Staat in der schweren Finanzkrise die Banken vor dem Zusammenbruch gerettet habe und die von der Regierung getätigten Konjunkturmaßnahmen in der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr 75 Jahren erste Früchte zeigten, da das Wirtschaftswachstum langsam anspringe. Aber dass diese Rettungsaktionen die Ursache für die stark steigende Staatsverschuldung sind und die Finanzmärkte dankbar sein müssten, da sie von der öffentlichen Hand vor dem Zusammenbruch bewahrt wurden – das übergeht der IHS-Chef. Vielmehr beschwört er das Bild von prüfenden Finanzmärkten herauf, die Europa ins Visier nehmen. Sie prüfen jedes Land voller Misstrauen auf seine Fähigkeit, Schulden zurückzuzahlen – und bestrafen Problemstaaten mit hohen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen. Ratingagenturen stufen Länder herab, der Internationale Währungsfonds (IWF) marschiert „mit sorgenvollen Gesichtern“ auf, um die Regierungen zu massiven Sparprogrammen zu animieren. Felderer gibt zwar zu: „Es geht oft um Gerüchte, die Reaktionen sind oft irrational, zu scharf und ungerecht“. Aber dennoch müssten sich die Staaten diesen Urteilen beugen, denn: „Wir haben es nicht in der Hand.“ Außerdem seien die Gläubiger, die dem Staat Geld leihen, in der Regel keine gierigen Spekulanten, sondern vorsichtig agierende Pensions- und Investmentfonds: „Sie haben Staatsanleihen gekauft, weil sie als sicher galten, und dafür auf hohe Renditen verzichtet.“  Deshalb müssten wir uns dem Urteil der Finanzmärkte bauen und alles dafür tun, um das Vertrauen dieser nervös gewordenen Investoren zurückzugewinnen. Das könne nur durch einen „glaubwürdigen“ Konsolidierungsplan gelingen. Vorbild dafür, wie dies glaubwürdig gelingen könne, seien die Schweiz und Deutschland: „Ihnen werden Staatsanleihen aus der Hand gerissen, ihre Zinsen bleiben sehr niedrig.“ Beide Länder hätten Schuldenbremsen beschlossen, die strukturelle Defizite verbieten und in der Hochkonjunktur zu Überschüssen und dem Aufbau von Reserven zwingen. Während Österreich im Vergleich dazu im Jahre 2007, wo eine gute Konjunkturlage herrschte, dennoch Schulden gemacht habe. Felderer macht daher keinen Hehl daraus, dass er sich dieses Instrument einer strengen Budgetdisziplin auch für Österreich wünscht.

Dieser krausen Logik des Bernhard Felderer muss entschieden entgegengetreten werden. Es darf nämlich nicht sein, dass sich die Staaten, die die Finanzmärkte in der größten Not gerettet haben, nun von diesen erpressen lassen. Und um nichts Anderes handelt es sich, wenn die Finanzmärkte den Regierungen strenge Budgetdisziplin diktieren, um als kreditwürdig eingestuft zu werden und gute Konditionen zu bekommen. Nicht die Staaten müssen nun rigorose Sparpakete schnüren, die das zarte Pflänzchen der Konjunktur abwürgen würden und wodurch die nächste Krise schon vorprogrammiert wäre. Und die Mehrheit der Bevölkerung, die schuldlos an der Krise ist, darf nicht mit einer Einschränkung des Sozialsystems und ungenügend ausgestatteten Bildungseinrichtungen bestraft werden.

Vielmehr müssen jene zur Kasse gebeten werden, die von dieser Rettungsaktion profitiert haben: die Finanzmärkte und die Vermögenden. Die Finanzmärkte sind durch die fortschreitende Deregulierung der letzten Jahrzehnte immer instabiler geworden: exzessiven Blasenbildungen werden von dramatischen Crashs abgelöst, die die Realwirtschaft stets massiv in Mitleidenschaft ziehen. Deshalb müssen diese Märkte durch strenge Regeln diszipliniert werden und durch die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer muss der Anreiz für hochspekulative kurzfristige Transaktionen beschränkt werden. Außerdem leisten die Finanzmärkte auf diese Weise einen notwendigen Beitrag zur Konsolidierung der Staatshaushalte, die gerade durch die organisierte Unverantwortlichkeit der Finanzmarktakteure in Schwierigkeiten geraten sind.

Die Vermögenden wiederum müssen einen Beitrag leisten, da sie über Jahrzehnte von steigenden Unternehmensgewinnen profitiert haben (während die Lohnquote sank und die Reallöhne stagnierten). Die Zugewinne beim Vermögen sind außerdem immer weniger in Investitionen in die Realwirtschaft geflossen, sodass das Wirtschaftswachstum in Europa seit vielen Jahren sehr bescheiden ausfällt, sondern haben die Spekulation auf den Finanzmärkten zusätzlich angeheizt.  Schließlich sind Einkommen aus Vermögenszuwachs im Vergleich mit Arbeitseinkommen steuerlich deutlich begünstigt, sodass ein höherer Beitrag nur fair wäre. Deshalb müssen die Vermögenden durch höhere Vermögenszuwachssteuern (die auf dem Niveau von Arbeitseinkommen sind), durch die Streichung der steuerlichen Begünstigung von Privatstiftungen und durch die Einführung einer eigenen Vermögenssteuer mit hohen Freibeträgen mehr zur Kasse gebeten werden, da auch sie von einer Gesellschaft profitieren, wo die Ungleichheit sich in Grenzen hält und der soziale Zusammenhalt gegeben ist. Und schließlich würden auch sie viel verlieren, wenn der nächste Crash zum Zusammenbruch der Finanzmärkte führt.


Bernhard Felderers Kritik an den Steuerplänen der Regierung

17. April 2010

Der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) und  Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, Bernhard Felderer, hat am letzen Donnerstag die Steuerpläne der Regierungsparteien einer Kritik unterzogen. Sein Resümee lautet: Die derzeit diskutierten Steuererhöhungen können dem Budget zwar kurz Luft verschaffen, sanieren lässt sich der Staatshaushalt damit aber nicht. Seine Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanierung des Budgets: diese müsse in der Realität zumindest zu zwei Dritteln auf der Ausgabenseite, also durch Einsparungen, erfolgen. Die bisher diskutierten Steuervorschläge würden nach Berechnungen des IHS entweder viel zu wenig bringen oder das Wachstum zu stark bremsen.

Wie ist diese Einschätzung zu beurteilen? Dass die Sanierung zumindest zu zwei Dritteln auf der Ausgabenseite zu erfolgen habe, ist finanzpolitischer Fundamentalismus und wissenschaftlich nicht untermauert. Außerdem haben sich die Regierungsparteien darauf festgelegt, dass sie zu 60 Prozent bei den Ausgaben einsparen. Damit sind sie vom Wert Felderers nicht weit entfernt.

Die Steuerpläne der ÖVP:

Bei dem Vorwurf, die Steuerpläne der Regierungsparteien würden das Wachstum bremsen, ist zu differenzieren. Bei den Plänen von Finanzminister Josef Pröll und der ÖVP – einer „ökologischen Steuerreform“ -, die de facto auf eine Erhöhung der Treibstoff- und Heizkosten hinausläuft, ist ihm beizupflichten. Die höhere Abgaben auf Treibstoffe und Heizöl würde zu rund einem Drittel Private treffen (wo sie den Konsum abbremst) und zu zwei Dritteln die Wirtschaft, wo sie das Wachstum verlangsamt. Über diese Effekte würde das Steueraufkommen in anderen Bereichen gedrückt. Hinsichtlich des Effektes hat also Felderer sicher recht, wenn auch die genaue Höhe dieser Auswirkung nur schwer einzuschätzen ist, sodass seinen konkreten Zahlen nicht unbedingt zu trauen ist (bis zum zehnten Jahr würde die Steuer über diesen Effekt netto nur noch die Hälfte bringen; aber bis dahin würde die Steuer das Wirtschaftswachstum um 0,3Prozentpunkte dämpfen).

Die Steuerpläne der SPÖ:

Ganz anders sieht es bei den Steuerplänen der SPÖ aus, die Werner Faymann präsentiert hat. Felderer stellt den Nutzen von Bankenabgabe, Änderung bei der Stiftungsbesteuerung und Vermögenssteuern in Frage.

Zur Bankenabgabe:

Hier glaubt der IHS-Chef nicht an großartige Einnahmen. Bei der Bankensteuer hat sich die Regierung zwar bereits auf ein Aufkommen von 500 Mio. Euro im Jahr festgelegt. Nicht bedacht habe man dabei aber, dass die Banken „noch nicht dort sind, wo sie sein sollten“. Anders gesagt: Sie werden „noch sehr viel Kapital benötigen“ und haben deshalb nur eingeschränkte Melkkuh-Eignung. Es stimmt zwar, dass die österreichischen Banken große Probleme mit ihren Aktivitäten in Ost- und Südosteuropa haben. Nichtsdestotrotz schreiben die meisten von ihnen schon wieder gute Gewinne, die sie sehr wohl in die Lage versetzen, sich eine Bankenabgabe zu leisten und so Steuermehreinnahmen von 500 Millionen Euro im Jahr zu finanzieren.

Zur Stiftungsbesteuerung:

Die vom damaligen SP-Finanzminister Ferdinand Lacina in den Neunzigerjahren eingeführte Privatstiftung solle der Kapitalflucht entgegenzuwirken. Felderer hält es deshalb für nicht besonders schlau (und für den Staatssäckel auch nicht besonders ertragreich), diesen Prozess ohne Aussicht auf allzu große Staatseinnahmen umzukehren. Außerdem sieht er sogar die Gefahr eines Verfassungsbruchs: Die angedachte Erhöhung der Stiftungssteuern laufe dem Versprechen des Staates an rund 3300 Stiftungen zuwider. Zudem sei die niedrige Steuer nur eine Stundung: Bei Entnahme würden nochmals 12,5 Prozent Steuern fällig, mit den bei Stiftungsgründung bezahlten 12,5 Prozent entspreche das der Kapitalertragssteuer.

Zu diesem wahren Gruselkabinett an abstrusen Behauptungen rund um die Stiftungsbesteuerung ist einiges zu bemerken: 1. Die Angst vor der Kapitalflucht ist in diesem Zusammenhang stark übertrieben. Klarerweise ist Kapital sehr beweglich und kann blitzschnell außer Landes transferiert werden. Wahr ist aber auch, dass Kapitaleigner nicht nur auf die Höhe der Besteuerung schauen, sondern auch Wert auf die Sicherheit und die Lebensqualität eines Landes achtet. Und in dieser Hinsicht hat ihnen Österreich sehr viel zu bieten. 2. Was nützt es den anderen Menschen in einem Land, wenn Kapital im Lande verbleibt, es jedoch nicht angemessen besteuert wird, damit alle über Sozialtransfers davon profitieren können. 3. Die Verfassungskonformität einer Änderung bei der Stiftungsbesteuerung müssen die Verfassungsjuristen beurteilen. Eine Verfassungswidrigkeit ist aber sehr unwahrscheinlich. Denn sonst wären auch alle anderen Änderung bei den Steuern oder Pensionen nach dem gleichen Grundsatz nicht verfassungskonform. 4. Bei Felderers Vergleich zwischen Stiftungsbesteuerung und Kapitalertragssteuer auf Spareinlagen wird ein wichtiger Unterschied verschwiegen: Bei der KESt auf normale Spareinlagen sind 25% von den jährlichen Zinseinnahmen fällig. Bei den Privatstiftungen sind nur 12,5% von den Gewinnzuwächsen zu entrichten. Und bei der Ausschüttung der Gewinne an Begünstige sind einmalig (sic!) 25% zu entrichten.

Zur Vermögenssteuer:

Die Argumentation, höhere Vermögenssteuern seien ein Akt der Verteilungsgerechtigkeit und würden für eine gerechtere Verteilung des Volkseinkommens sorgen, hält Felderer für schlicht falsch: Aus dem europäischen Vergleich der vermögensbezogenen Steuern und des sogenannten Gini-Koeffizienten (der die Gleichmäßigkeit der Verteilung misst) lasse sich das jedenfalls nicht ablesen. Die Belastung mit vermögensbezogenen Steuern sei in den Niederlanden beispielsweise fast viermal so hoch wie in Österreich. Die Einkommensverteilung ist in den beiden Ländern aber annähernd gleich. Frankreich hat eine extrem hohe Belastung mit vermögensbezogenen Steuern – aber eine Einkommensverteilung, die sich nur unwesentlich von der österreichischen unterscheidet. Fazit des IHS-Chefs daher: Verteilungsgerechtigkeit erreicht man nicht mit Vermögenssteuern, sondern mit Transfers. Und das funktioniere in Österreich ohnehin gut. Felderer: „Die österreichische Umverteilung ist relativ wirksam, weil sie von ganz oben nach ganz unten verteilt.“

Einzig Grundsteuern hält Felderer deshalb für steuertechnisch sinnvoll. Sie ist die einzige Vermögenssteuer, die Sinn ergäbe, weil sich Immobilien eben nicht ins Ausland verlagern lassen. Aber: Entweder man setzt sie sehr hoch an und trifft damit „Häuslbauer“, Wohnungsbesitzer und Mieter sehr hart. Dann ist sie politisch nicht durchzusetzen. Oder man macht großzügige Ausnahmen für die Kleinen, dann bringt sie nicht viel.

Zu Felderers Analysen ist zu bemerken: 1. Dass der GINI-Koeffizient keinen Hinweis auf eine bessere Verteilungsgerechtigkeit durch höhere vermögensbezogene Steuern liefert, ist kein eindeutiges Indiz, da in der Volkswirtschaft ja bekannt ist, dass dieser Wert keine absolute Wertung der Konzentration der Verteilung liefert, wenn sich die Einkommensverteilung innerhalb der Segmente unterschiedlich entwickelt. 2. Dass Umverteilung durch Transfers erreicht werden kann, dem ist beizupflichten. Aber es ist zu ergänzen, dass der Staat  dazu Einnahmen braucht, die er auf diese Weise gerecht umverteilen kann. Vermögensbezoge Steuern und Vermögenssteuer sind eine höchst geeignete Quelle, um diese Transfers pekuniär zu füttern. 3. Dass der Mittelstand von Vermögenssteuern in Mitleidenschaft gezogen werden muss (auch in Form von Grundsteuern), damit sich diese rechnen, ist eine beliebte Mär der Kritiker von Vermögensteuern – und falsch. Das Vermögenssteuermodell der GPA-djp zeigt, dass auch mit Freibeträgen von 1 Million Euro – was den Mittelstand in jedem Falle vor Belastungen schützen würde – Mehreinnahmen von 3 Milliarden Euro im Jahre möglich sind.