Warum wir den Fiskalpakt ablehnen sollten

9. Mai 2012

1. Was ist der Fiskalpakt?

Der Fiskalpakt ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen 25 Mitgliedstaaten der EU (alle außer Großbritannien und Tschechien), der unter anderem vorsieht, dass alle Unterzeichnerstaaten bis zum 1. Januar 2014 sogenannte Schuldenbremsen einführen. Diese Schuldenbremse ist in einigen Punkten schärfer als die in Österreich auf einfachgesetzlicher Ebene bereits beschlossene „Schuldenbremse“ und soll sie auf  dauerhaft gelten.

Die Möglichkeit, Budgetpolitik zu gestalten, wird einschneidend beschnitten, der Vertrag legt sich auf fortwährende einseitige Sparpolitik fest, mit vielen Automatismen, die Gestaltungsmöglichkeiten der Regierung und des Parlamentes drastisch beschneiden. Andererseits wird insbesondere der Europäischen Kommission ein großer Spielraum bei der Ausgestaltung der Regeln gegeben, ebenso wie bei der Interpretation, wann Mitgliedstaaten von einem ausgeglichenen Haushalt abweichen. Letzteres insbesondere dadurch, dass im Vertrag festgelegt ist, dass Staaten die Grenze eines strukturellen – konjunkturbereinigten – Defizits von maximal 0,5% des BIP einhalten müssen. Die Berechnung des strukturellen Defizits ist allerdings auch unter ÖkonomInnen sehr umstritten, es gibt viele verschiedene Berechnungsarten, die je nach den benutzten Annahmen in ihrem Ergebnis weit voneinander abweichen können.

Der Vertrag ist so gestaltet, dass kein Staat einseitig austreten kann, auch wenn er es will. In Österreich liegt der Vertrag derzeit zur Abstimmung im Parlament, es wurde jedoch noch kein Zeitplan für die Behandlung bekanntgegeben.

2. Warum sollten wir den Fiskalpakt ablehnen?

Der Fiskalpakt ist ein massiver Angriff auf Demokratie und soziale Errungenschaften. Insbesondere wird das „Königsrecht“ der Parlamente – das Recht, den eigenen Haushalt zu gestalten – massiv eingeschränkt und teilweise auf die nicht gewählte EU-Kommission übertragen. Rechte der Legislative sollen auf eine Institution der (europäischen) Exekutive übertragen werden – das ist demokratisch mehr als fragwürdig.

Die „Schuldenbremse“ des Fiskalpakts wirkt effektiv als „Haushaltsdeckel“, der den Druck steigert, mehr Sozialabbau durchzusetzen, Löhne im öffentlichen Sektor zu senken und öffentliche Investitionen zurückzufahren. Sinnvolle öffentliche Ausgaben sollen gekürzt werden, während gleichzeitig die Banken mit Milliarden gerettet werden. Mehr noch, es ist vorgesehen, dass bei Überschreiten des Defizits automatisch Ausgabenkürzungen einsetzen sollen und dass eine neue Institution geschaffen werden muss, die die permanente Sparpolitik – einseitige Kürzungspolitik – überwacht. Wie das genau zu geschehen hat, ist im Vertrag sehr vage formuliert („löst automatisch einen Korrekturmechanismus aus“), aber der Europäischen Kommission wird das Recht gegeben – wohl erst nach Beschluss des Fiskalpaktes – dazu Vorschläge vorzulegen. Die Staaten verpflichten sich aber auf jeden Fall, diese Vorschläge in nationales Recht umzusetzen. Falls sie dies nicht tun, droht eine Klage beim Europäischen Gerichtshof mit möglichen Strafzahlungen.

Außerdem ist ein späterer Ausstieg aus dem Fiskalpakt nicht vorgesehen: Der Vertrag enthält keine Kündigungsklausel. Er kann daher nur einstimmig von allen Unterzeichnerstaaten aufgehoben werden. Somit schreibt der Vertrag die einseitige Spar- und Kürzungspolitik für auf Dauer fest.

3. Der Fiskalvertrag ist undemokratisch

Der Fiskalvertrag beschränkt das wichtigste Recht der nationalen Parlamente: das Haushaltsrecht. Das Haushaltsrecht ist deshalb so zentral, weil die Entscheidung über die Einnahmen („Wer bezahlt wie viel Steuern?“) und die Ausgaben („Wofür wird Geld ausgegeben und wofür nicht?“) das Zusammenleben der Gesellschaft maßgeblich prägt.

Die Einschränkungen des Haushaltsrechts durch den Fiskalpakt geschehen zum einen über starre Regeln (z.B. die „Schuldenbremse“) und automatische Sanktionen bei Verfehlungen. Zum anderen erhält die nicht demokratisch gewählte Europäische Kommission ein großes Mitspracherecht: Alle Länder, die im sogenannten Defizitverfahren sind – wie auch Österreich – müssen ihre Haushaltsprogramme und Strukturreformprogramme künftig von der Kommission und dem Rat genehmigen lassen. Das heißt, die Kommission bekommt ein Vetorecht: Wenn ihr die Wirtschaftspolitik, die die österreichische Regierung und das österreichische Parlament vorschlagen, nicht passt, kann sie diese ablehnen!

Für Österreich bedeutet der Fiskalpakt faktisch, dass wesentliche Prinzipien unserer Verfassung – hinsichtlich der Gestaltung des Budgets – de facto außer Kraft gesetzt werden.

4. Der Fiskalpakt ist unsozial

Die meisten Euroländer sind verschuldet, weil sie über zu wenig Steuermittel verfügen – insbesondere die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen wurden in den letzten Jahren drastisch gesenkt, auch durch den Steuersenkungswettbewerb innerhalb der Europäischen Union.

Der Fiskalvertrag ändert an diesen Ursachen der Verschuldung gar nichts, da er sich nur auf die Ausgabenseite bezieht und dort drastische Kürzungen verlangt. Diese treffen in aller Regel überwiegend die Bevölkerung am unteren Ende der Einkommensskala. Soziale Ungleichheit wird mit dem Fiskalvertrag somit weiter verschärft.

Bei Abweichung vom ausgeglichenen Haushalt muss ein automatischer Korrekturmechanismus greifen, d.h. wohl automatische Ausgabenkürzungen, wobei absehbar ist, dass diese ebenfalls vor allem die Sozialausgaben betreffen werden.

5. Der Fiskalpakt wirkt anti-europäisch

Der Vertrag selbst wirkt anti-europäisch, es sich um einen Vertrag außerhalb der EU-Verträge handelt, an dem nicht alle EU-Mitgliedstaaten teilnehmen. Der Fiskalpakt steht somit im Widerspruch zum EU-Recht. Außerdem sollte die europäische Integration laut dem Vertrag von Lissabon zu einem demokratischen und sozial gerechteren Europa führen – genau dem widerspricht jedoch der Fiskalpakt.

6. Der Fiskalpakt ist kein geeignetes Werkzeug, um die Krise zu überwinden

Der Fiskalvertrag zwingt alle Staaten zu einer Politik der Ausgabenkürzung und Privatisierung. Doch die Eurokrise wurde nicht dadurch verursacht, dass die Staaten „über ihre Verhältnisse“ gelebt und beispielsweise zu viel für Sozialleistungen ausgegeben haben. Vielmehr gaben die Staaten in der Finanzkrise Milliarden zur Rettung der Banken und zur Stützung der Konjunktur aus. Dadurch explodierten die Schulden.

Das Beispiel Griechenland zeigt noch dazu sehr deutlich, dass die Schulden eines Landes sogar noch steigen, wenn eine rigide Kürzungspolitik, wie sie im Fiskalvertrag vorgesehen ist, die wirtschaftliche Krise durch Einkommensausfälle noch verschärft. Wenn die Haushalte weniger Geld haben, gehen Unternehmen pleite und die Arbeitslosigkeit steigt. In weiterer Folge nimmt der Staat weniger Steuern ein und er hat mehr Ausgaben. Der Fiskalvertrag ist damit auch ökonomisch unsinnig.

7. Der Fiskalpakt führt zu Kürzungen und Privatisierungen

Der Fiskalvertrag sieht vor, dass alle Unterzeichnerstaaten bis zum 1. Januar 2014 Schuldenbremsen und automatische Korrekturmechanismen mit strenger Überwachung eingeführt haben und zwar möglichst in ihrer nationalen Verfassungen verankert. Wer dies nicht macht, kann dafür vor dem Europäischen Gerichtshof mit hohen Geldbußen belangt werden. Wird die Schuldenbremse – ein strukturelles Defizit von maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – nicht eingehalten, werden automatisch Ausgaben gekürzt.

Länder, die im Defizitverfahren sind, wie derzeit auch Österreich, müssen einen Plan vorlegen, wie sie das Defizit reduzieren wollen. Der Plan muss von der Europäischen Kommission und dem Rat genehmigt werden. Diese Gremien werden nur Maßnahmen billigen, die ihrer rigiden Spardoktrin folgen.

Für Länder mit einem Schuldenstand von über 60 Prozent des BIP gilt das gleiche; sie sind außerdem verpflichtet, alle über diesen Wert hinausgehenden Schulden um 5 Prozent pro Jahr abzubauen. Für viele Länder heißt das, dass sie künftig Haushaltsüberschüsse erzielen müssen, was nur mit noch stärkeren Ausgabenkürzungen und mit der Privatisierung öffentlicher Unternehmen erreichbar ist.

8. Alternativen zur Überwindung der Krise

Statt die Krise mit Einschränkungen der Ausgaben bewältigen zu wollen, wie es der Fiskalpakt vorsieht, ist eine Anpassung der Einnahmen zur Verringerung der Schulden wesentlich sinnvoller. Die negativen Effekte der Kürzungspolitik, Verarmung bis hin zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten bleiben aus, wenn die Hauptlast der Krisenkosten von den hohen EinkommensbezieherInnen und Vermögenden getragen wird.

Denkbare wirksame Maßnahmen sind beispielsweise eine EU-weite Vermögensabgabe, die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, höhere Steuern auf Kapitalerträge und die Einführung der Finanztransaktionssteuer.

Um eine weitere Verschärfung der Krise zu verhindern, müssen außerdem die Finanzmärkte reguliert werden, damit diese nicht mehr gegen einzelne Staaten spekulieren können bzw. nicht durch notwendige Rettungsmaßnahen für Banken die Staatsschulden belasten können.

 

Fazit:

Wir sollten den Fiskalpakt (zumindest in der aktuellen Form) ablehnen und mit Frankreich den Weg einer Neuverhandlung einschlagen.


Der „six pack“ zur Economic Governance: Ein neoliberaler Coup der Europäischen Kommission gegen die Demokratie

23. Mai 2011

Aufgrund der (vermeintlich) schweren Schuldenkrise einiger südeuropäischer Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien hat die Europäische Kommission im Schnellverfahren einige Änderungen und Ergänzungen zur „Economic  Governance“, d.h. zur Haushalts- und Budgetpolitik  bzw. genauer zu den Maßnahmen, die bei übermäßigem Defizit oder wirtschaftlichem Ungleichgewicht ergriffen werden können, in die Wege geleitet. In den Ausschüssen des Europäischen Parlaments werden derzeit insgesamt sechs Gesetzesvorschläge zu diesem Thema verhandelt, die am 8. Juni im Plenum des Europäischen Parlaments und eine Woche später vom Rat beschlossen werden sollen. Vier davon beschäftigen sich mit Defiziten und Schulden und sollen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken. Zwei weitere Gesetzesvorschläge fordern zum ersten Mal die Überwachung gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte. Bei diesen Entwürfen für Verordnungen handelt es sich somit entweder um Verschärfungen der bisherigen VO zu den Artikeln 121, 126 oder 136 AEUV oder um neue Verordnungen zu diesen Artikeln (COM [2010] 522, 523, 524, 525, 526, 527).

Hier die Zielsetzungen der Vorschläge laut Parlament im Überblick:

  • Die Kommission soll nationale Defizite in Zukunft besser überwachen und sanktionieren können.
  • Staaten, die ihre Bilanzen mit falschen Statistiken oder Berichten schönen, sollen eine Strafe von 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts bezahlen.
  • Wenn Staaten auf EU-Empfehlungen zum Abbau hoher Defizite oder Handelsüberschüsse nicht reagieren, sollen Strafen dafür früher greifen als bisher. Bei der ersten Mahnung werden 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fällig, danach 0,3 Prozent.

Begründet wird die Notwendigkeit solcher Maßnahmen damit, dass makroökonomische Ungleichgewichte und hohe Staatsdefizite Europa in die Krise geführt hätten. Um den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stärken, soll daher die Schuldengrenze (60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) wichtiger werden. Bisher lag der Fokus mehr auf der Neuverschuldungsgrenze (drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr).

Neu ist aber auch die folgende Änderung im Verhältnis von Kommission und Rat: Abstimmungen über Sanktionen für Verstöße gegen diese Regeln (Strafzahlungen von 0,2 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) sollen einer neuen Logik folgen: Bisher musste eine qualifizierte Mehrheit im Rat Sanktionen zustimmen, in Zukunft soll eine qualifizierte Mehrheit notwendig sein, um Sanktionen abzulehnen. Damit würde ein halbautomatischer Sanktionsprozess eingeführt, der es unwahrscheinlich macht, dass eine Ablehnung zeitgerecht erfolgen kann.

Auch sollen Indikatoren für wirtschaftliche Ungleichgewichte strenger überwacht werden. Wenn Ungleichgewichte erkannt werden, sollen Empfehlungen ausgesprochen werden, um sie abzubauen. Werden die Empfehlungen von den Mitgliedsstaaten nicht beachtet, soll es ähnlich wie beim Stabilitäts- und Wachstumspakt zu Sanktionen kommen.

Bei diesem Punkt horchen natürlich die Europarechtler sofort auf: Einige von diesen sind schon zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Änderungen nicht rechtskonform seien, da die in den Verordnungen vorgesehenen Maßnahmen nicht von den entsprechenden Artikeln über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) abgedeckt seien (z.B. Stefan Griller, Walter Obwexer).

Schwerer als die rechtliche Fragwürdigkeit wiegt jedoch, was diese Verordnungen für die Mitgliedstaaten der Union und ihre Wirtschaftspolitik bedeuten. Wenn diese Verordnungen wie vorgesehen beschlossen werden, dann hat zukünftig die Europäische Kommission einen gewichtigen Einfluss auf die Haushalts- und Budgetpolitik der Mitgliedstaaten und kann diese auf ein Sparprogramm verpflichten. Selbst in einer Wirtschaftskrise, wie wir sie in Europa gerade erlebt haben, können die MS künftig nicht mehr autonom einen progressiven wirtschaftlichen Kurs festlegen, um aus einer solchen Krise durch gezielte Investitionen „herauszuwachsen“. Denn die EU-Kommission hat dann die Möglichkeit, die Mitgliedstaaten auch in einer solchen Situation durch Sanktionen zu einem Sparkurs zu verpflichten und sogar (indirekt) Druck auf die Lohnpolitik  in den betroffenen Staaten auszuüben.

Der ÖGB, der DGB, der Europäische Gewerkschaftsbund und einige NGOs (z.B. Attac) haben deshalb massiv Kritik an diesen Plänen geübt  und die Kommission dazu aufgefordert, die fraglichen Vorhaben entsprechend abzuändern. Insbesondere fordern sie, dass die autonome Lohnpolitik auch in Zukunft gewährleistet wird. Aber auch die Möglichkeiten der MS, durch einen gezielten Wachstumskurs Defizite intelligent und nachhaltig zu bekämpfen, möchten die Gewerkschaften nicht durch einen dogmatischen verordneten Sparkurs (Austerity Governance) der Kommission in Gefahr bringen lassen.

Es ist deshalb dringend notwendig, dass auf breiter Front durch die Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft  Aufklärung der Bevölkerung über die Bedeutung dieser Pläne für die wirtschaftliche Zukunft erfolgt und anschließend ein breiter Widerstand gegen diese Pläne organisiert wird (siehe bspw. www.oureurope.org), um die Umsetzung dieser Verordnungen zu verhindern.